Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.01.2021, Az.: 16 Sa 563/20

Weiter Gestaltungsspielraum und Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien bei den Tarifregelungen; Praktische Konkordanz bei der Grundrechtsausübung durch die Tarifvertragsparteien; Sachliche Gründe für unterschiedliche Höhe des Nachtarbeitszuschlags für regelmäßige Nachtschichtarbeit und unregelmäßige Nachtarbeit

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
22.01.2021
Aktenzeichen
16 Sa 563/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 16789
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2021:0122.16Sa563.20.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Osnabrück - 18.02.2020 - AZ: 3 Ca 297/19

Redaktioneller Leitsatz

1. Den Tarifvertragsparteien kommt als selbstständigen Grundrechtsträgern aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Sie haben eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen, gestützt auf sachlich vertretbare Gründe.

2. Der Schutzauftrag des Art. 1 Abs. 3 GG verpflichtet die staatlichen Arbeitsgerichte dazu, die Grundrechtsausübung durch die Tarifvertragsparteien zu beschränken, wenn diese mit Grundrechten Dritter kollidiert. Die Arbeitsgerichte sind befugt und verpflichtet, insoweit eine praktische Konkordanz herzustellen und zum Beispiel gleichheitswidrige Differenzierungen in Tarifnormen zu unterbinden.

3. Aspekte des Gesundheitsschutzes sowie ein Ausgleich für eingeschränkte Teilnahme am sozialen Leben sind sachlich ausreichende Gründe für eine Differenzierung des tariflichen Nachtarbeitszuschlags.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 18.02.2020 - 3 Ca 297/19 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Zahlung tariflicher Zuschläge für Nachtarbeit, die von dem Kläger in den Monaten Januar 2019 bis einschließlich Mai 2019 geleistet wurde.

Der Kläger ist seit dem 02.01.1992 bei der Beklagten, einer Herstellerin von Milchprodukten, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien werden der "Anerkennungstarifvertrag zum MTV, Everswinkel" vom 01.07.2010 (nachfolgend kurz "AnerkennungsTV" genannt) sowie der "Manteltarifvertrag für die in den Molkereien und Käsereien im Lande tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer" vom 23.03.2007 (nachfolgend kurz "MTV" genannt) angewendet. Tarifschließende Partei beider Tarifverträge ist unter anderem die Gewerkschaft NGG, deren Mitglied der Kläger ist.

In dem AnerkennungsTV heißt es - auszugsweise:

"§ 1

Geltungsbereich

a) räumlich

für die Betriebsstätten, [...]

b) persönlich

für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der o. g. Betriebe der, soweit sie Mitglied der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten sind

§ 2

Tarifbindung

Die Firma verpflichtet sich, den nachstehend aufgeführten Tarifvertrag ab 1. Januar 2011 zur Anwendung zu bringen:

Manteltarifvertrag für die in den Molkereien und Käsereien im Lande tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, abgeschlossen zwischen dem Arbeitgeberverband der Westfälisch-Lippischen Land- und Forstwirtschaft e. V., Münster, dem Nordwestdeutschen Arbeitgeberverein der Privatmolkereien (NAP), Bonn, dem Rheinisch-Westfälischen Genossenschaftsverband e. V., Münster und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten im DGB, Landesbezirk Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, vom 23. März 2007, gültig ab 1. März 2007 [...]"

In dem vorgenannten Manteltarifvertrag finden sich unter anderem folgende Regelungen:

"§ 4

Schichtfreizeit für Dreischichtbetriebe

Für 45 geleistete Nachtschichten wird ein Tag Schichtfreizeit gewährt. Das Entgelt für diese Schichtfreizeit wird berechnet wie Urlaubsentgelt ohne Urlaubsgeld.

Der Zeitpunkt der Schichtfreizeit richtet sich nach den Erfordernissen des Betriebes. Volle Tage an Schichtfreizeit sind im Bezugsjahr zu nehmen. Nachtschichten, die in einem Jahr nicht zu Schichtfreizeit führen, weil ihre Summe die Bezugszahl nicht erreicht hat, werden auf das nächste Kalenderjahr vorgetragen. Ist die Bezugszahl im Falle des Ausscheidens eines Mitarbeiters nicht erreicht, so verfällt der Restanspruch.

Arbeitnehmer im Dreischichtsystem haben innerhalb ihrer Schicht Anspruch auf eine bezahlte Essenspause von 30 Minuten oder zweimal 15 Minuten Dauer.

§ 5

Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit

1. Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit ist nach Möglichkeit zu vermeiden. Wenn sie betrieblich notwendig ist, kann sie nach Zustimmung des Betriebsrates angeordnet werden. Wenn in unvorhergesehenen Bedarfsfällen einzelne Beschäftigte zu solchen Arbeiten herangezogen werden, ist der Betriebsrat nachträglich zu verständigen.

2. Mehrarbeit ist die über die regelmäßige vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeit (37, 38, 39 oder 40 Stunden).

3. Als Nachtarbeit gelten die Stunden von 20.00 Uhr bis 5.00 Uhr.

4. Bei geleisteter Nachtarbeit von 250 Stunden in der Zeit von 20.00 Uhr bis 5.00 Uhr (d. h. außerhalb der Nachtschicht) wird ein Tag Freizeit gewährt und berechnet wie Urlaubsentgelt ohne Urlaubsgeld.

5. Als Sonn- und Feiertagsarbeit gilt [...].

§ 6

Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit

1. Die Zuschläge betragen für angeordnete

a) Mehrarbeit

25 %

b) regelmäßige Nachtschichtarbeit

25 %

c) jede vorkommende unregelmäßige Nachtarbeit sowie Nachtschichtarbeit, die gleichzeitig Mehrarbeit ist

50 %

d) Sonntagsarbeit

55 %

e) Arbeit an gesetzlichen Feiertagen Einschließlich Oster- und Pfingstsonntag

150 %

f) Mehrarbeit an sonst arbeitsfreien Samstagen

35 %

g) Arbeit an Samstagen, die keine Mehrarbeit ist

Schichtarbeit, die am Samstag bis 6.00 Uhr endet, wird nicht mit diesem Zuschlag vergütet.

15 %

2. [...]

3. [...]

4. Die Zuschläge werden von dem tatsächlichen Stundenverdienst berechnet.

Treffen mehrere Zuschläge für eine bestimmte Arbeitszeit zusammen, so besteht Anspruch lediglich auf den höchsten Zuschlag. Bei gleichen Zuschlägen wird nur ein Zuschlag gezahlt. Das gilt jedoch nicht beim Zuschlag für Nachtarbeit.

5. [...]"

Der Kläger wird in der Betriebsstätte, die vormals der GmbH zugeordnet war, eingesetzt. Die GmbH wurde im Jahr 2010 mit der hiesigen Beklagten verschmolzen.

Der Kläger war bisher im Wechselschichtdienst im Rahmen eines Drei-Schicht-Systems mit Frühschicht von 05:00 Uhr bis 12:00 Uhr, Spätschicht von 12:00 Uhr bis 19:00 Uhr und Nachtschicht von 19:00 Uhr bis 05:00 Uhr tätig. Soweit er während des Schichtdienstes Nachtarbeit im Sinne des MTV leistete, bei der es sich nicht um Mehrarbeit handelte, zahlte ihm die Beklagte den Zuschlag in Höhe von 25 % für regelmäßige Nachtschichtarbeit gem. § 6 Ziff. 1 b) MTV.

Mit den außergerichtlichen Schreiben vom 17.04.2019 und 26.06.2019 forderte der Kläger erfolglos die Zahlung der Differenz zu dem 50 % betragenden Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit im Sinne des § 6 Ziff. 1 c) MTV, und zwar in Höhe von 698,12 Euro für insgesamt 132,47 in der Zeit vom 01.01.2019 bis zum 31.03.2019 geleistete Nachtschichtarbeitsstunden und in Höhe von 487,80 Euro für 90 in der Zeit vom 01.04.2019 bis 31.05.2019 geleistete Nachtschichtarbeitsstunden.

Mit seiner am 14.08.2019 bei Gericht eingegangenen und der Beklagten am 19.08.2019 zugestellten Klage verfolgt der Kläger diese Ansprüche weiter. Hierzu hat er erstinstanzlich - unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.03.2018 (10 AZR 34/17) - im Wesentlichen die Auffassung vertreten, die unterschiedliche Höhe der Zuschläge für regelmäßige Nachtschichtarbeit (25 %) und unregelmäßige Nachtarbeit (50 %) stelle eine durch keinen sachlichen Grund gerechtfertigte Ungleichbehandlung und damit einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar. Nachtarbeit sei nach den arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen in jeder Form für Arbeitnehmer belastend und führe zu einer biologischen und sozialen Desynchronisation, weshalb eine Differenzierung zwischen unregelmäßiger Nachtarbeit und regelmäßiger Nachtschichtarbeit unzulässig sei. Den Tarifvertragsparteien habe insoweit keine Einschätzungsprärogative zugestanden. Die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung habe eine Anpassung "nach oben" zur Folge. Er - der Kläger - könne daher für jegliche Nachtarbeit den tariflichen Zuschlag in Höhe von 50 % verlangen.

Der Kläger hat b e a n t r a g t,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Monate Januar bis März 2019 weitere Nachtzuschläge in Höhe von 698,12 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.04.2019 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Monate April und Mai 2019 weitere Nachtzuschläge in Höhe von 487,80 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2019 zu zahlen.

Die Beklagte hat b e a n t r a g t,

die Klage abzuweisen.

Sie hat im Wesentlichen die Auffassung vertreten, dass die unterschiedliche Höhe der Zuschläge für regelmäßige Nachtschichtarbeit und unregelmäßige Nachtarbeit durch den sich aus der Tarifautonomie ergebenden Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien gedeckt sei. Es bestehe ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Zuschlagshöhe. Nicht planbare Nachtarbeit führe - anders, als planbare Nachtschichtarbeit - im Rahmen von Überstunden zu negativeren Folgen bei der sozialen Teilhabe, z. B. im Rahmen von Betreuungssituationen. Bei Schichtarbeit unter Einschluss der Nachtarbeit könnten sich die Arbeitnehmer auf diese Arbeitszeiten einstellen, weil die Schichtzeiten und -pläne im Regelfall mit den Betriebsräten langfristig ausgehandelt worden seien. Es gebe feste Schichtpläne, die auch schichtfreie Zeiten zur Erholung der Arbeitnehmer vorsehen würden. Die betroffenen Arbeitnehmer könnten ihr soziales Leben auf diese Schichtzeiten einstellen. Zudem hätten die Tarifvertragsparteien bei der Festlegung der unterschiedlichen Zuschlagshöhen berücksichtigt, dass Nachtschichtarbeit arbeitsvertraglich als Normalarbeitsleistung geschuldet sei. Auch würden den in Nachtschicht tätigen Arbeitnehmern sowohl die in § 4 MTV geregelten Schichtfreizeiten als auch die zusätzlichen Pausen zu Gute kommen, denn nur Arbeitnehmer, die im Drei-Schicht-Betrieb arbeiten würden, leisteten (teilweise) Nachtschichten. Die Wertigkeit dieser Vergünstigungen berücksichtigend betrage der Unterschied zwischen beiden Zuschlägen nicht 25 %, sondern umgerechnet nur ca. 16 %. Zudem - so das erstinstanzliche Vorbringen der Beklagten - hätte eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung keine Anpassung "nach oben" zur Folge.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (Bl. 242 ff. d. A.), die Schriftsätze erster Instanz samt Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 18.02.2020 (Bl. 240 d. A.) verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 18.02.2020 als unbegründet abgewiesen. Der Kläger habe für die hier streitrelevanten Nachtarbeitszeiten keinen Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 50 %. Den ihm insoweit allein zustehenden Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 25 % habe die Beklagte bereits erfüllt. Für die unterschiedliche Bemessung beider Nachtarbeitszuschläge bestehe ein sachlich vertretbarer Grund, der jedenfalls nicht als unzweckmäßig, unvernünftig oder ungerechte Lösung angesehen werden könne. Die Tarifvertragsparteien hätten für verschiedene Erschwerungsformen der Nachtarbeit eine differenzierende Lösung gefunden. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass ein Arbeitnehmer, der regelmäßig Nachtschichtarbeit leiste, für 45 geleitstete Nachtschichten Anspruch auf einen Tag Schichtfreizeit habe, was ein entgeltwerter Lohnbestandteil sei. Darüber hinaus hätten Arbeitnehmer im Drei-Schicht-System innerhalb ihrer Schicht Anspruch auf eine bezahlte Essenspause. Auch wenn diese bezahlte Essenspause nicht nur Arbeitnehmern, die regelmäßig Nachtschicht leisten würden, sondern allgemein Arbeitnehmern im Drei-Schicht-System zustehen würde, zeige diese Regelung, dass eine sachgerechte tarifliche Differenzierung zwischen den verschiedenen Leistungstypen von Nachtarbeit gefunden geworden sei. Auch unter den Gesichtspunkten der Teilhabe am abendlich stattfindenden gesellschaftlichen Leben ergebe sich keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung. Arbeitnehmer, die regelmäßig Nachtschichtarbeit leisten würden, seien aufgrund der Einbindung in das Drei-Schicht-System nicht dauerhaft für Nachtschichten eingeteilt. Hingegen seien Beschäftigte, die zu unregelmäßiger Nachtschichtarbeit oder Mehrarbeit bei regelmäßiger Nachtarbeit herangezogen würden, wegen mangelnder Planbarkeit derartiger Arbeitsleistungen höheren Belastungen auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Teilhabe ausgesetzt. Dies könne bei der Bemessung der Zuschlagshöhe Berücksichtigung finden. Dessen ungeachtet sei die Klage auch deshalb unbegründet, weil selbst bei unterstelltem Gleichheitsverstoß nicht zwingend eine sog. Anpassung nach oben zu erfolgen habe. Wegen aller weiteren rechtlichen Würdigungen der angefochtenen Entscheidung wird auf die Seiten 7 bis 11 der erstinstanzlichen Entscheidungsgründe (Bl. 248 ff. d. A.) verwiesen.

Gegen das ihm am 11.03.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger mit dem am 02.04.2020 bei dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf den Antrag vom 11.05.2020 bis zum 10.07.2020 - mit dem am 09.07.2020 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens führt der Kläger zur Begründung seiner Berufung im Wesentlichen aus, dass zwischen Arbeitnehmern, welche regelmäßige Nachtschichtarbeit leisten würden, und Arbeitnehmern, die unregelmäßige Nachtarbeit leisteten, kein Unterschied bestehe, der eine unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge rechtfertigen könnte. Das erstinstanzliche Gericht habe verkannt, dass die Tarifvertragsparteien einem Fehlverständnis über die gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnisse unterlegen seien. Die Tarifvertragsparteien hätten damit die Grenze der ihnen durch die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) eingeräumten Einschätzungsprärogative überschritten. Zwar würden die Regelungen des § 6 Abs. 1 b) und c) MTV dem Gesundheitsschutz dienen. Die Tarifvertragsparteien seien aber erkennbar von einem Gewöhnungseffekt an dauerhafte Nachtarbeit ausgegangen und hätten deshalb einen geringeren Zuschlag für regelmäßige Nachtschichtarbeit als für sonstige Nachtarbeit angesetzt. Diese Annahme lasse sich nach heute gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnissen nicht mehr halten. Auch bei regelmäßiger Nachtschichtarbeit trete keine Gewöhnung an die biologische Desynchronisation ein. Die gesundheitlichen Gefährdungen durch Nachtarbeit seien bei regelmäßig geleisteter Nachtarbeit höher als bei nur gelegentlicher Nachtarbeit. Nachtschichtarbeit könne zudem zu sozialer Desynchronisation führen, da die mit Schichtarbeit verbundenen zeitlichen Veränderungen der Lebensweise des Schichtarbeiters in Widerspruch zu den zeitlichen Gewohnheiten der Gesellschaft stehen würden. Das unregelmäßige Nachtschichten solche seien, die nicht planbar und damit sozial besonders belastend seien, lasse sich darüber hinaus dem Wortlaut des Tarifvertrages nicht ausreichend entnehmen.

Schichtfreizeiten - so der Kläger - seien ferner kein berücksichtigungsfähiger Ausgleich für die Belastungen der Nacharbeit. Sie würden - ebenso wie die bezahlten dreißigminütigen Pausen für Mitarbeiter im Drei-Schicht-System - einen Ausgleich auch für sonstige Formen der Schichtarbeit darstellen und könnten schon ihrer wirtschaftlichen Wertigkeit nach die Differenz zwischen den Nachtarbeitszuschlägen nicht ausgleichen. Ungeachtet dessen sei ein Zuschlag von 25 % der Höhe nach keine ausreichende Kompensation für die durch Nacharbeit ausgelösten Nachteile bei der Teilhabe am sozialen Leben, zumal Arbeitnehmer in Wechselschicht wesentlich größere Probleme hätten, am sozialen Leben teilzunehmen, als Arbeitnehmer, die nur gelegentlich zur Nachtarbeit herangezogen würden.

Der Kläger b e a n t r a g t:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 18.02.2020, Az.: 3 Ca 297/19 wird dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird,

1. an den Kläger für die Monate Januar bis März 2019 weitere Nachtzuschläge in Höhe von 698,12 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.04.2019 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für die Monate April bis Mai 2019 weitere Nachtzuschläge in Höhe von 487,80 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2019 zu zahlen.

Die Beklagte b e a n t r a g t,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung der erstinstanzlichen Ausführungen das arbeitsgerichtliche Urteil und führt hierzu im Wesentlichen aus, dass in ihrem Betrieb unregelmäßige Nachtarbeit nur in einem verschwindend geringen Umfang geleistet würde (in 2019 251 Stunden, in den drei Vorjahren keine). Allein im Jahre 2018 seien demgegenüber 47.635,69 Arbeitsstunden an regelmäßiger Nachtschichtarbeit geleistet worden. Unregelmäßige Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit, die gleichzeitig Mehrarbeit sei, hätten absoluten Ausnahmecharakter. Es fehle mithin an einer benachteiligten betrieblichen Vergleichsgruppe.

Unregelmäßige Nachtarbeit falle auch branchentypisch lediglich in ca. einem Prozent der gesamten Nachtarbeitsstunden an und stelle in den Betrieben der Milchwirtschaft die Ausnahme dar. Sie beschränke sich in Betrieben, die im Zwei-Schicht-System arbeiten würden, auf eine Überschreitung der Spätschicht im Falle von Störungen bzw. aus technischen Gründen. Aus diesem Grunde sei unregelmäßige Nachtarbeit auch regelmäßig Mehrarbeit im Tarifsinne.

Die Zuschläge für unregelmäßige Nachtarbeit (50 %) und regelmäßige Nachtschichtarbeit (25) würden in einem angemessenen Verhältnis stehen, zumal angesichts der weiteren tariflichen Vergünstigungen wie der zusätzlichen Schichtfreizeit für 45 geleisteten Nachtschichten bzw. für 250 geleistete Nachtarbeitsstunden (§ 4 MTV) und der bezahlten Essenspause. Der Zuschlag für regelmäßige Nachschichtarbeit in Höhe von 25 % sei auch - für sich betrachtet - angemessen im Sinne des § 6 Abs. 5 ArbZG.

Mit den unterschiedlichen Zuschlagshöhen für Nachtarbeit würden nicht nur unterschiedliche Belastungen der Nachtarbeit ausgeglichen. Zweck sei auch, Nachtarbeit für Arbeitgeber wirtschaftlich unattraktiv zu gestalten, Mitarbeitern mit unregelmäßiger Nachtarbeit eine Kompensation für den höheren Eingriff in die private Freizeitgestaltung durch kurzfristig angeordneten Überstunden zukommen zu lassen und die Bereitschaft zum Ableisten derartiger Überstunden zu fördern. Den Tarifvertragsparteien könne durch ihre Sachnähe unterstellt werden, die betrieblichen und branchentypischen Verhältnisse genau zu kennen, weshalb nicht davon auszugehen sei, dass sich die Tarifvertragsparteien über gesicherte arbeitsmedizinische Erkenntnisse geirrt hätten.

Je nach betrieblicher Schichtgestaltung könne unregelmäßige Nachtarbeit bei einem Schichtende um 20:00 Uhr in einem Umfang von zwei Stunden in der Zeit von 20:00 Uhr bis 22:00 Uhr anfallen. Der tarifliche Schichtzuschlag werde dann ausgelöst, ohne dass auch nur ansatzweise Nachtarbeit im gesetzlichen Sinne vorgelegen habe und ohne dass ein gesetzlicher Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG bestehen würde.

Aufgrund der verfassungsrechtlich garantierten Tarifautonomie hätten die Gerichte hinsichtlich tariflicher Normen jedenfalls nur eine eingeschränkte Prüfungskompetenz. Eine Überprüfung tariflicher Entgeltgestaltung finde grundsätzlich nicht statt. Und selbst, wenn die unterschiedlichen Nachtarbeitszuschläge gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen würden, könne keine sog. Angleichungen nach oben erfolgen. Die entstehende Tariflücke sei durch die Tarifvertragsparteien im Wege neuer Verhandlungen und ergänzender Regelungen zu schließen. Europarechtliche Vorschriften stünden diesem Ergebnis nicht entgegen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens beider Seiten wird auf die Schriftsätze vom 09.07.2020 (Bl. 285 ff. d. A.), 10.08.2020 (Bl. 349 ff. d. A.), vom 30.12.2020 (Bl. 433 ff. d. A.) und auf die beiden Schriftsätze vom 19.01.2020 (Bl. 457 ff. d. A.) sowie auf das Protokoll der Kammerverhandlung vom 22.01.2021 (Bl. 474 ff. d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung hat keinen Erfolg.

I.

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und Abs. 2 b) ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Kläger, auf dessen Arbeitsverhältnis unstreitig kraft beiderseitiger Tarifbindung der MTV Anwendung findet, hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die geforderten weiteren Nachtarbeitszuschläge für die von ihm geleisteten Nachtarbeitsstunden in den Monaten Januar 2019 bis einschließlich Mai 2019.

1.

Die Klage ist zulässig.

Die bezifferten Zahlungsanträge sind für die streitgegenständlichen Monate (Januar 2019 bis Mai 2019) als abschließende Gesamtklage zu verstehen (vgl. BAG 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 13, juris), weshalb nicht schädlich ist, dass der Kläger nicht im Einzelnen vorgetragen hat, an welchen Tagen er jeweils in welchem Umfang Nachtarbeit im Tarifsinne geleistet hat. Jedenfalls hat er für die streitrelevanten Monate die von ihm geleisteten Stunden tariflicher Nachtarbeiten ihrem Umfang nach abschließend benannt.

2.

Die Klage ist unbegründet.

a)

Dem Kläger steht kein weiterer Zuschlag in Höhe von 25 % für geleistete Nachtarbeit unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) zu. Die von den Tarifvertragsparteien vorgenommene Differenzierung hinsichtlich der Höhe des Zuschlags für Nachtarbeit, die in den Stunden von 20 Uhr bis 5 Uhr geleistet wird, verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die tarifliche Regelung eines Nachtarbeitszuschlags von 25 % für regelmäßige Nachtschichtarbeit (§ 6 Ziff. 1 b) MTV) und von 50 % für unregelmäßige Nachtarbeit (§ 6 Ziff. 1 c) MTV) bewegt sich im Rahmen der den Tarifvertragsparteien zustehenden Einschätzungsprärogative.

aa)

Nach Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt den Tarifvertragsparteien als selbständigen Grundrechtsträgern aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Sie haben eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen. Bei der Lösung tarifpolitischer Konflikte sind sie nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Vereinbarung zu treffen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht (BAG 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 43, juris).

Der Schutzauftrag des Art. 1 Abs. 3 GG verpflichtet die staatlichen Arbeitsgerichte dazu, die Grundrechtsausübung durch die Tarifvertragsparteien zu beschränken, wenn diese mit den Freiheits- oder Gleichheitsrechten oder anderen Rechten mit Verfassungsrang der Normunterworfenen kollidiert. Sie müssen insoweit praktische Konkordanz herstellen (BAG 19. Dezember 2019 - 6 AZR 563/18 - Rn. 21, juris) und gleichheitswidrige Differenzierungen in Tarifnormen unterbinden (BAG 19. Dezember 2019 - 6 AZR 653/18 - Rn. 25, juris). Dabei haben die Gerichte bei der Erfüllung ihres verfassungsrechtlichen Schutzauftrags in den Blick zu nehmen, dass eine besondere Form der Grundrechtskollision bewältigt und die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete kollektive Koalitionsfreiheit mit den betroffenen Individualgrundrechten in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden muss. Bei der Prüfung, ob Tarifnormen Grundrechte oder andere Rechte der Arbeitnehmer mit Verfassungsrang verletzen, müssen die Gerichte nicht nur die besondere Sachnähe der Tarifvertragsparteien, sondern außerdem beachten, dass sich die Arbeitnehmer im Regelfall durch den Beitritt zu ihrer Koalition oder durch die vertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag, die die Tarifnormen zum Vertragsinhalt macht, bewusst und freiwillig der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien auch für die Zukunft unterworfen haben. Die Gerichte dürfen mithin nicht eigene Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle von Bewertungen der zuständigen Koalitionen setzen (vgl. BAG 19. Dezember 2019 - 6 AZR 563/18 - Rn. 26).

bb)

Ausgehend von diesen Grundsätzen verstößt die hier streitige Differenzierung zwischen der Zuschlagshöhe für regelmäßige Nachtschichtarbeit und unregelmäßige Nachtarbeit nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

(1)

Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt das Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Nach § 5 Ziff. 3 MTV gelten als Nachtarbeit die Stunden von 20 Uhr bis 5 Uhr. Sowohl die regelmäßige Nachtschichtarbeit nach § 6 Ziff. 1 b) MTV wie auch die unregelmäßige Nachtarbeit im Sinne von § 6 Ziff. 1 c) MTV unterfallen damit der Definition der Nachtarbeit nach § 5 Ziff. 3 MTV. Die unter § 6 Ziff. 1 b) und c) MTV vorgesehenen Zuschläge dienen somit dem Zweck, mit Nachtarbeit einhergehende Erschwernisse auszugleichen. Dies entspricht auch dem übereinstimmenden Verständnis beider Parteien. Angesichts der unterschiedlichen Zuschlagshöhe liegt daher eine relevante Differenzierung gleicher Sachverhalte vor.

(2)

Allerdings liegt ein sachlich vertretbarer Grund für diese Differenzierung vor.

Dabei geht die Kammer von den vom Kläger geltend gemachten und auf das eingereichte Gutachten (siehe Anlage zum Schriftsatz vom 09.07.2020, Bl. 295 ff. d.A.) gestützten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen aus, nach denen das Bild der verstellbaren biologischen Uhr nicht mehr aktuellen arbeitsmedizinischen Erkenntnissen entspricht und sich Nachtarbeit in jeder Form aufgrund der mit ihr verbundenen biologischen Desynchronisation negativ auf die Gesundheit auswirken kann. Nachtarbeit ist für die Gesundheit umso schädlicher, in je größerem Umfang sie geleistet wird. Dennoch führt der Umstand, dass der nicht im Rahmen eines Schichtsystems und damit im Ergebnis in der Regel weniger Nachtarbeit leistende Arbeitnehmer einen höheren Zuschlag erhält als der (regelmäßig Nachtarbeit leistende) Nachtschichtarbeitnehmer, für sich genommen noch zu keinem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Normzweck des Zuschlags für unregelmäßige Nachtarbeit nach § 6 Ziff. 1 c) MTV beschränkt sich nicht ausschließlich auf den Gesundheitsschutz. Er zielt auch auf den Ausgleich weiterer Nachteile, die namentlich mit einem unvorhergesehenen und nicht planbaren, mithin mit dem unregelmäßigen Einsatz zur Nachtarbeit verbunden sind. Dabei ist ferner zu berücksichtigen, dass bei unregelmäßiger Nachtarbeit im Sinne des § 6 Ziff. 1 c) MTV - auch nach dem Verständnis der Parteien - häufig zugleich Mehrarbeit anfallen wird.

(a)

Durch den um 25 % höheren Nachtarbeitszuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit im Sinne des § 6 Ziff. 1 c) MTV soll dem tarifvertraglichen Gebot, Nachtarbeit nach Möglichkeit zu vermeiden (§ 5 Ziff. 1 Satz 1 MTV), ersichtlich Nachdruck verliehen werden. In den tariflichen Regelungen der §§ 5 und 6 MTV kommt der Ausnahmecharakter der unregelmäßigen Nachtarbeit zum Ausdruck. Die Verteuerung dieser unregelmäßigen Nachtarbeit gegenüber regelmäßiger Nachtschichtarbeit trägt diesem Ausnahmecharakter Rechnung. Die Verteuerung der Nachtarbeit außerhalb regelmäßiger Schichtarbeit führt bei dem Arbeitgeber in der Regel dazu, den Begriff der betrieblichen Notwendigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 MTV eng auszulegen. Je teurer die Nachtarbeit ist, umso wirtschaftlich unattraktiver ist die Anordnung durch den Arbeitgeber. Dies findet seinen Ausdruck unter anderem in der von der Beklagten dargelegten Anzahl jährlich geleisteter Nachtschichtarbeitsstunden sowie unregelmäßiger Nachtarbeitsstunden. Erstere beliefen sich im Betrieb der Beklagten im Jahre 2018 auf knapp 48.000 Stunden. Im Jahr 2019 wurde unregelmäßige Nachtarbeit nach den Angaben der Beklagten lediglich in einem Umfang von 251 Stunden, in den vorhergehenden Jahren gar nicht geleistet. Der - immerhin langjährig bei der Beklagten beschäftigte - Kläger hat dies zwar mit Nichtwissen bestritten, seinerseits jedoch nicht vorgetragen, weshalb er diese Zahlen nach seinen eigenen Erkenntnissen über die von ihm selbst geleisteten Nachtarbeiten und - soweit von ihm wahrgenommen - über die von Kollegen geleisteten unregelmäßigen Nachtarbeiten in Zweifel zieht.

Der Regel-Ausnahme-Charakter der beiden Nachtarbeitszuschläge zeigt sich auch in Bezug auf die übrigen, unter § 6 MTV geregelten Zuschläge. Nach § 5 Ziff. 1 Satz 1 MTV sind neben Nachtarbeit auch Mehr-, Sonn- und Feiertagsarbeit nach Möglichkeit zu vermeiden. Je dringender die jeweilige Arbeitsform vermieden werden soll, umso höher fällt der jeweilige Zuschlag aus. Nach Wertung der Tarifvertragsparteien sind aufgrund der damit verbundenen Nachteile und Erschwernisse Arbeiten an allen gesetzlichen Feiertagen einschließlich der Ostertage und der Pfingstsonntage am dringlichsten zu vermeiden, weshalb der diesbezügliche Zuschlag 150 % beträgt. Es folgt Sonntagsarbeit mit einem Zuschlag von 55 % und sodann unregelmäßige Nachtarbeit sowie Nachtschichtarbeit, die gleichzeitig Mehrarbeit ist (§ 6 Ziff. 1 c) MTV), mit einem Zuschlag von 50 %. Weniger schützenswert ist nach dieser tarifvertraglichen Abstufung regelmäßige Nachtschichtarbeit und Mehrarbeit. Für beide ist ein Zuschlag in Höhe von jeweils 25 % vorgesehen. Arbeit an Samstagen, die keine Mehrarbeit ist, soll dagegen - als weniger dringlich zu vermeiden - lediglich mit einem Zuschlag von 15 % verteuert werden, sofern es sich nicht um Schichtarbeit handelt, die am Samstag bis 6 Uhr endet.

Diese tarifvertragliche Steuerung mit dem Ziel, durch abgestufte Zuschlagshöhen unter anderem unregelmäßige Nachtarbeit für den Arbeitgeber unattraktiver zu gestalten als regelmäßige Nachtschichtarbeit und dadurch auf Ausnahmefälle zu beschränken, stellt einen sachlich vertretbaren Grund für unterschiedlich hohe Zuschläge für regelmäßige Nachtschichtarbeit und unregelmäßige Nachtarbeit dar. Dass Nachtarbeit damit unterschiedlich lukrativ ist und von Arbeitnehmern, die Nachtschichtarbeit leisten, gegebenenfalls als ungerecht empfunden wird, ist für einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht ausreichend. Bei der Überprüfung von Tarifverträgen anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes ist nicht auf die Einzelfallgerechtigkeit abzustellen, sondern auf die generellen Auswirkungen der Regelungen (vgl. BAG 11. Dezember 2013 - 10 AZR 736/12, Rn. 15, juris).

(b)

Der Zuschlag für Nachtarbeit nach § 6 Ziff. 1 c) MTV dient dem Gesundheitsschutz und der Vermeidung von Eingriffen in die Freizeit der Arbeitnehmer durch unregelmäßige Nachtarbeit sowie durch Nachtschichtarbeit, die gleichzeitig Mehrarbeit ist. Darüber hinaus verfolgt die vorgenannte Tarifnorm den Zweck, die sozialen Folgen ("soziale Desynchronisation"), die mit jeder Arbeit außerhalb der üblichen Arbeitszeiten der Arbeitnehmer und damit außerhalb des üblichen Tagesablaufs verbunden sind, zu mindern. Soweit die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen sind, dass derjenige Arbeitnehmer, der keiner solchen Regelmäßigkeit unterliegt, durch die Heranziehung zur Nachtarbeit höher belastet wird als der Arbeitnehmer, der sich auf einen vorgegebenen Rhythmus einstellen und seine Freizeitaktivitäten daran anpassen kann, hält sich dies in ihrem Beurteilungsspielraum. Auch wenn das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 21. März 2018 (10 AZR 34/17 - Rn. 52, juris) ausführt, dass die Teilhabe am sozialen Leben durch unregelmäßige Nachtarbeit außerhalb von Schichtsystemen nicht in einem höheren Maße gefährdet werde als bei Nachtarbeit innerhalb von regelmäßigen Schichten, ist doch zu berücksichtigen, dass jede Abweichung von der regulären Arbeitszeit innerhalb - meist lange im Voraus - feststehender Schichten für die davon betroffenen Arbeitnehmer eine erneute Abstimmung der Lebensbereiche Arbeit und Familie, Freunde sowie Freizeit erforderlich macht. Die Balance zwischen (Nacht-)Arbeit und Freizeit sowie Familienverpflichtungen herzustellen, ist umso schwieriger, je unregelmäßiger die Nachtarbeit anfällt (LAG Niedersachsen 22. Oktober 2020 - 16 Sa 323/20 - Rn.44; LAG Niedersachsen 6. August 2020 - 6 Sa 64/20 - Rn. 75, juris). Diese Einschätzung der Tarifvertragsparteien ist unter Berücksichtigung der in Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie und der damit einhergehenden geringeren Kontrolldichte durch die Arbeitsgerichte weitestgehend zu akzeptieren.

(c)

Dass die unterschiedliche Höhe der Zuschläge unter Berücksichtigung neuer arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse unter Umständen nicht mehr zeitangemessen und nicht die gerechteste Lösung ist, ist unter Berücksichtigung der den Gerichten zustehenden geringen Kontrolldichte hinzunehmen. Ausreichend ist ein sachlich vertretbarer Grund für die Differenzierung. Dieser liegt vor.

(3)

Auch unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Verpflichtung, den Schutz der Gesundheit vor den Belastungen der regelmäßigen Nachtschichtarbeit nach den gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnissen sicherzustellen, ist ein Eingriff in den Regelungsspielraum der Tarifvertragsparteien nicht erforderlich. Dem für regelmäßige Nachtschichtarbeit zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbarten Zuschlag steht insbesondere § 6 Abs. 5 ArbZG nicht entgegen. § 6 Abs. 5 ArbZG überlässt die Ausgestaltung des Ausgleichs für Nachtarbeit wegen der größeren Sachnähe den Tarifvertragsparteien und schafft nur subsidiär einen gesetzlichen Anspruch (BAG 18. Mai 2011 - 10 AZR 369/10 - Rn. 18, juris). Nur wenn eine tarifvertragliche Regelung nicht besteht, ergibt sich ein gesetzlicher Anspruch auf eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag zum Bruttoarbeitsentgelt. Ist eine tarifvertragliche Ausgleichsregelung nicht einschlägig, entspricht es ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass ein Zuschlag i.H.v. 25 % auf den jeweiligen Brutto(stunden)lohn einen angemessenen Ausgleich darstellt (BAG 13. Dezember 2018 - 6 AZR 549/17 - Rn. 28, juris; BAG 9. Dezember 2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 16; BAG 16. April 2014 - 4 AZR 802/11 - Rn. 59 mwN.). Von dieser Zuschlagshöhe kann abzuweichen sein, wenn die Belastung durch die Nachtarbeit unter qualitativen oder quantitativen Aspekten vom Regelfall abweicht (vgl. BAG 9. Dezember 2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 27 ff., juris). Bei der Erbringung der regulären Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit ist nach Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der damit einhergehenden erhöhten gesundheitlichen Belastung regelmäßig ein Nachtarbeitszuschlag i. H. v. 30 % als angemessen anzusehen (BAG 9. Dezember 2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 28, juris).

(4)

In dem vorliegenden Fall haben sich die Tarifvertragsparteien für regelmäßige Nachtschichtarbeit auf einen Zuschlag verständigt, der den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Angemessenheit von Nachtarbeitszuschlägen in Fällen, in denen es an einer tarifvertraglichen Regelung fehlt, entspricht. Ohne besondere Umstände ist damit auch der tarifvertraglich vereinbarte Zuschlag für regelmäßig Nachtschichtarbeit im Sinne des § 6 Ziff. 1 b) MTV unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes als angemessen anzusehen. Eines staatlichen Eingriffs bedarf es nicht. Dem Gesundheitsschutz auch derjenigen Arbeitnehmer, die regelmäßige Nachschichtarbeit leisten, ist durch die Regelung in § 6 Ziff. 4 Satz 3 MTV nochmals gesondert Rechnung getragen worden. Nach dieser Vorschrift ist - so auch das Verständnis beider Prozessparteien - der Zuschlag für Nachtarbeit und damit auch der Zuschlag für regelmäßige Nachtschichtarbeit gesondert neben anderen tariflichen Zuschlägen zu zahlen.

(5)

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21. März 2018 (10 AZR 34/17) steht nach Wertung der Kammer mit der hiesigen Entscheidung in Einklang.

In dem Urteil vom 21. März 2018 hatte der 10. Senat - wie auch die Kammer im vorliegenden Fall - praktische Konkordanz zwischen der Grundrechtsausübung durch die Tarifvertragsparteien und den Gleichheitsrechten der Normunterworfenen herzustellen und die Grundrechtsausübung der Tarifvertragsparteien überwiegend deshalb hinter den Gleichheitsrechten der Normunterworfenen zurücktreten lassen, weil der Zuschlag für Nachtarbeit (50 %) im Verhältnis zum Zuschlag für Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit (15 %) "um mehr als das Dreifache höher" war (BAG 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 47, juris) und damit eine deutliche Schlechterstellung der Nachtarbeit leistenden Schichtarbeitnehmer bei der Bezahlung der Nachtarbeit im Vergleich zu den Arbeitnehmern, die Nachtarbeit außerhalb von Schichtsystemen leisten, bestehe (BAG 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 48, juris). Gegenüber dem Sachverhalt, der dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21. März 2018 zugrunde lag, unterscheidet sich der hier zur Entscheidung gestellte Fall vor allem darin, dass die Differenz der Zuschlagshöhen nur 25 % beträgt und von den Tarifvertragsparteien für regelmäßige Nachtschichtarbeit ein der Gesundheitsgefährdung angemessen Rechnung tragender Zuschlag in Höhe von 25% vereinbart wurde.

Es bestehen nach wie vor auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass das Bundesarbeitsgericht seit seiner Entscheidung vom 21. März 2018 - 10 AZR 34/17 - jegliche tarifvertragliche Differenzierung zwischen unregelmäßiger Nachtarbeit und regelmäßiger Nachtschichtarbeit als unzulässig qualifiziert.

Da ein sachlicher Grund für die Differenzierung zwischen unregelmäßiger Nachtarbeit und regelmäßiger Nachtschichtarbeit in der Zuschlagshöhe gegeben ist, kann dahingestellt bleiben, ob eine "Angleichung nach oben" in jedem Fall zu erfolgen hat, insbesondere auch dann, wenn die Nachtarbeit sowohl nach der Auslegung des MTV als auch nach der gelebten Praxis die Ausnahme, die regelmäßige Nachtschichtarbeit indes die betriebliche Regel ist.

b)

Ein Anspruch des Klägers auf einen tarifvertraglichen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 50 % folgt auch nicht aus unionsrechtlichen Erwägungen.

Unionsrechtliche Regelungen oder Vorgaben zu der Höhe von Nachtarbeitszuschlägen bestehen weder im Primärrecht des Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) noch im Sekundärrecht der Richtlinie 2003/88/EG. Die Höhe des finanziellen Ausgleichs für Nachtarbeit gem. § 6 Abs. 5 ArbZG ist nicht unionsrechtlich überformt. Artikel 31 GRC und die Richtlinie 2003/88/EG regeln keine Fragen des Arbeitsentgelts, weil die Europäische Union hierfür nach Art. 153 Abs. 5 AEUV nicht zuständig ist (vgl. BAG 15. Juli 2020 - 10 AZR 123/19 - Rn. 51 ff., Rn. 55, zitiert nach juris). Für die vorliegend relevante Frage nach einer etwaigen Ungleichbehandlung durch Gewährung unterschiedlich hoher tarifvertraglicher Nachtarbeitszuschläge kann nach Wertung der Kammer nichts Abweichendes gelten.

Da mangels eines hinreichenden Zusammenhangs der hiesigen Fragestellung zur Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG keine Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC vorliegt, bedarf es auch keiner Überprüfung des vorliegenden Sachverhaltes auf einen etwaigen Verstoß gegen Art. 20 GRC. Die Kammer hält eine Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Frage der Auslegung von Unionsrecht daher nicht für geboten. Der Beschluss des 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts vom 09.12.2020 - 10 AZR 332/20 (A) - zu einem (möglicherweise) ähnlich gelagerten Fall gibt derzeit keine Veranlassung zu einer abweichenden Beurteilung. Die Gründe des vorgenannten Beschlusses sind bisher nicht veröffentlicht, so dass eine etwaige Übertragbarkeit auf den hiesigen Sachverhalt nicht hinreichend nachvollzogen werden kann.

Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 97 Abs.1 ZPO.

Die Kammer hat der entscheidungserheblichen Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beigemessen und deshalb gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.