Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.02.2021, Az.: 17 Sa 890/20

Keine Unwirksamkeit der Kündigung bei Verstoß des Arbeitgebers gegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG; Differenzierung zwischen Verbotsgesetz und gesetzlicher Regelung einer Nebenpflicht

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
24.02.2021
Aktenzeichen
17 Sa 890/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 12430
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2021:0224.17Sa890.20.00

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 27.01.2022 - AZ: 6 AZR 155/21 (A)

Fundstellen

  • AA 2021, 90
  • ArbR 2021, 192
  • AuA 2021, 50
  • EzA-SD 20/2021, 3
  • FA 2021, 112
  • InsbürO 2021, 457
  • ZIP 2021, 592-595
  • ZInsO 2021, 1916-1920

Amtlicher Leitsatz

Ein Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht des § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG führt nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 16. Juni 2020 - 1 Ca 79/20 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten auch im Berufungsverfahren um die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens.

Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien sowie ihrer vor dem Arbeitsgericht gestellten Anträge wird nachfolgend die umfassende Darstellung im Tatbestand des angegriffenen Urteils wörtlich wiedergegeben:

"Der am 00.00.1959 geborene Kläger war seit dem 00.00.1981 bei der Insolvenzschuldnerin, der G. GmbH, als Schweißer beschäftigt. Nach Angabe des Beklagten betrug dessen monatliche Bruttovergütung zuletzt 0.000,00 €.

Die Insolvenzschuldnerin ist ein mittelständisches Unternehmen und entwirft, produziert und vertreibt Bodenbearbeitungsgeräte für Landwirte, insbesondere der Marken G. und R.. Zusätzlich bietet sie Dienstleistungen im Bereich der Landwirtschaft an. Im September 2011 übernahm die französische G. Gruppe die damalige R. GmbH und führte den Geschäftsbetrieb unter der Firmierung G. GmbH, der Insolvenzschuldnerin, fort. Die G. S.A.S. mit Sitz in Frankreich ist ebenfalls auf die Produktion von Landmaschinen mit dem Schwerpunkt Bodenbearbeitung spezialisiert.

Über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin wurde auf deren Antrag vom 00.00.2019 aufgrund von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung durch Beschluss des Amtsgerichts C-Stadt am 00.00.2019 das Insolvenzverfahren eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet. Zugleich wurde der Beklagte zum Sachwalter bestellt.

Zur Vermeidung einer Stilllegung des Gesamtbetriebes nach vorheriger Auslaufproduktion hatte sich die Insolvenzschuldnerin in Abstimmung mit dem Beklagten in seiner damaligen Stellung als Sachwalter jedenfalls zunächst dazu entschlossen, zu Sanierungszwecken einen Kaufvertrag über die wesentlichen Vermögenswerte der Beklagten mit einem Erwerber auf Basis eines Erwerberkonzeptes zu schließen. Die vorgesehene Kaufpreiszahlung mit dem einzigen potenziellen Erwerber, einem deutsch-chinesischen Investor, erfolgte jedenfalls zunächst nicht. Angesichts dessen beschloss zumindest ausweislich des Protokolls einer Gläubigerausschusssitzung vom 00.00.2020 u.a. unter Beteiligung des Beklagten in seiner damaligen Stellung als Sachwalter sowie des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin der Gläubigerausschuss, den Geschäftsbetrieb der G. GmbH nach vorheriger Ausproduktion spätestens zum 00.00.2020 vollständig einzustellen. Für den Inhalt der Gläubigerausschusssitzung vom 00.00.2020 wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen (Anlage B02 zum Schriftsatz des Beklagten vom 00.00.2020).

diesem Hintergrund vereinbarte die Insolvenzschuldnerin mit dem bei ihr eingerichteten Betriebsrat am 00.00.2020 einen Interessenausgleich mit Namensliste sowie einen Sozialplan. Der Kläger ist - wie alle anderen Mitarbeiter - auf der Namensliste als zu kündigender Mitarbeiter aufgeführt. In dem Interessenausgleich heißt es auszugsweise unter Ziff. 4 wie folgt:

"4. Beteiligung des Betriebsrates

a) Der Betriebsrat wurde über die Betriebsänderung und die damit verbundenen Maßnahmen informiert. Eine abschließende Unterrichtung und Beratung unter Darlegung der Auswirkungen der Betriebsänderung für die betroffenen Mitarbeiter erfolgte am Tag der Unterzeichnung der vorliegenden Betriebsvereinbarung. Damit ist das Interessenausgleichsverfahren nach §§ 111 ff. BetrVG abgeschlossen.

5.1 Die Gesellschaft wird den Betriebsrat über die Umsetzung der Maßnahmen regelmäßig informieren.

5.2 Für die Beteiligung des Betriebsrates im Rahmen der Beendigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse gelten die gesetzlichen Bestimmungen.

5.3 Die Parteien haben sich darauf verständigt, auch das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG sowie die weiteren Beteiligungsrechte in Bezug auf die europäische Massenentlassungsrichtlinie und die §§ 17 ff. KSchG, insbesondere nach § 17 Abs. 3 KSchG und § 20 Abs. 3 KSchG, mit dem Interessenausgleichsverfahren zu verbinden.

Die nach § 17 Abs. 2 KSchG erforderlichen Auskünfte, insbesondere die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenen Beschäftigten und die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, wurden dem Betriebsrat vor Abschluss dieser Betriebsvereinbarung schriftlich von der Gesellschaft erteilt. Der Betriebsrat sieht abschließend keine Möglichkeiten, die beabsichtigten Entlassungen zu vermeiden. Diese Erklärung ist abschließend. Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ist somit abgeschlossen.

5.4 Dieser Interessenausgleich gilt sogleich als Stellungnahme des Betriebsrats im Sinne des § 20 Abs. 3 KSchG, dem Mutterschutzgesetz, dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz/BEEG und dem SGB IX.

5.5 Der Betriebsrat wurde von der Gesellschaft über die beabsichtigten ordentlichen betriebsbedingten Kündigungen der Mitarbeiter gemäß Namensliste nach §§ 102, 103 BetrVG unterrichtet. Der Betriebsrat gibt zu den beabsichtigten ordentlichen Kündigungen eine abschließende Stellungnahme ab, wonach sie die eingeleiteten Anhörungsverfahren zur Kündigung nach §§ 102, 103 BetrVG mit Abschluss dieses Interessenausgleichs als abgeschlossen ansehen.

5.6 Der Betriebsrat bestätig mit Unterzeichnung dieses Interessenausgleichs, dass die Gesellschaft Beratungen insbesondere am 00.00.2019, am 00.00.2019, am 00.00.2019, am 00.00.2019 und am 00.00.2019 darüber geführt hat, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern."

Für den weiteren Inhalt des Interessenausgleichs mit Namensliste sowie den Sozialplan wird hierauf Bezug genommen (Anlagen B12 und B13 zum Schriftsatz des Beklagten vom 00.00.2020).

Mit gesondertem Schreiben vom 00.00.2020 hörte die Insolvenzschuldnerin den Betriebsrat zur ordentlichen Kündigung des Klägers an. Für den konkreten Inhalt des Anhörungsschreibens wird hierauf Bezug genommen (Anlage B14 zum Schriftsatz des Beklagten vom 00.00.2020). Mit Schreiben vom 00.00.2020 erklärte der Betriebsrat zum einen, zu der beabsichtigten Kündigung des Klägers keine Stellungnahme abzugeben und zum anderen, dass diese Erklärung abschließend sei. Für den Inhalt des Betriebsratsschreibens wird hierauf Bezug genommen (Anlage B15 zum Schriftsatz des Beklagten vom 00.00.2020).

Mit Schreiben vom "00.00.2019" (offensichtlich gemeint: "00.00.2020") erstattete die Insolvenzschuldnerin bei der Agentur für Arbeit C-Stadt eine Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG. Für deren Inhalt wird hierauf Bezug genommen (Anlage B16 zum Schriftsatz des Beklagten vom 00.00.2020). Die Arbeitsagentur bestätigte der Insolvenzschuldnerin mit Schreiben vom 00.00.2020, dass die Entlassungsanzeige an diesem Tag bei ihr vollständig eingegangen sei (Anlage B17 zum Schriftsatz des Beklagten vom 00.00.2020). Im Zeitraum vom 00.00. bis 00.00.2020 sprach die Insolvenzschuldnerin gegenüber allen Mitarbeitern ohne Sonderkündigungsschutz eine betriebsbedingte ordentliche Kündigung aus, soweit deren Arbeitsverhältnisse nicht ohnehin aufgrund Befristung, Verrentung oder Eigenkündigung endeten.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers kündigte die Insolvenzschuldnerin mit Schreiben vom 00.00.2020 ordentlich zum 00.00.2020, hilfsweise zum nächst möglichen Termin. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 00.00.2020 zu. Zugleich wurde der Kläger ab dem 00.00.2020 unwiderruflich von der Erbringung seiner Arbeitsleistung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist freigestellt.

Mit email-Schreiben vom 00.00.2020 informierte die Insolvenzschuldnerin deren Kunden und Vertriebspartner über die bevorstehende Stilllegung und Ausproduktionsphase. Für deren Inhalt wird hierauf Bezug genommen (Anlagen B07 und B08 zum Schriftsatz der Beklagten vom 00.00.2020).

Für die Zeit nach dem 00.00.2020 führte die Insolvenzschuldnern mit etwa 44 Mitarbeitern die Auslaufproduktion und Abwicklungsarbeiten durch. Alle anderen ca. 140 Mitarbeiter wurden mit Wirkung zum 00.00.2020 von der weiteren Arbeitsverpflichtung unwiderruflich freigestellt. Zum 00.00.2020 zeigte die Insolvenzschuldnerin zudem Masseunzulänglichkeit an.

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Er gehe davon aus, dass die Kündigung aufgrund eines bevorstehenden Betriebsübergangs ausgesprochen worden sei. Der Verkauf des Betriebes sei bereits mit einer deutsch-asiatischen Investorengruppe vertraglich vereinbart worden, lediglich der vereinbarte Kaufpreis sei zunächst nicht gezahlt worden. Mittlerweile habe der chinesische Investor die Zahlung jedoch getätigt. Die Fortführung des Betriebs solle ab dem 00.00.2020 erfolgen. Die Z. GmbH, die nunmehr Ende April 2020 von der Insolvenzschuldnerin Betriebsmittel erworben habe und den Betrieb mit neuen und überwiegend übernommenen Mitarbeitern fortführe, gehöre zur Investorengruppe, die bereits die Kaufvertragsverhandlungen Ende des Jahres 2019 geführt habe. Unabhängig davon fehle es an einer wirksamen Massenentlassungsanzeige. Weder habe die Insolvenzschuldnerin den Betriebsrat rechtzeitig und ausreichend iSv. § 17 Abs. 2 KSchG informiert, noch - insoweit unstreitig - der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 KSchG zugeleitet.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Insolvenzschuldnerin vom 00.00.2020 nicht aufgelöst worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die streitgegenständliche Kündigung sei aus dringenden betrieblichen Gründen sozial gerechtfertigt. Am 00.00.2020 habe der Gläubigerausschuss zusammen mit dem Sachwalter und dem Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Geschäftsbetrieb nach einer Ausproduktion spätestens zum 00.00.2020 vollständig und dauerhaft stillzulegen. Im Nachgang dazu habe die Insolvenzschuldnerin dies auch tatsächlich umgesetzt. Spätestens zum 00.00.2020 sei daher die Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger entfallen. Durch den Interessenausgleich mit Namensliste werde dies zudem nach § 125 InsO vermutet. Die Insolvenzschuldnerin habe insbesondere die Kündigung nicht wegen eines bevorstehenden Betriebsübergangs gekündigt. Der am 00.00.2019 mit dem Investor unterzeichnete Kaufvertrag sei nie rechtswirksam geworden, da dieser unter der aufschiebenden Bedingung der Genehmigungserklärung des Sachwalters gestanden habe. Dieser habe die Genehmigung mangels Kaufpreiszahlung jedoch nicht erteilt. Erst im Nachgang habe die Insolvenzschuldnerin einzelne Vermögenswerte und -gegenstände doch noch am 00.00.2020 mit Wirkung zum 00.00.2020 im Wege der Einzelrechtsfolge (A.) an eine Erwerberin, die Z. GmbH, verkaufen können. Diese sei hierfür erst Anfang April 2020 auf die Insolvenzschuldnerin herangetreten. Nach Kenntnis des Beklagten handele es sich dabei nicht um den Investor, der den Erwerb der Vermögenswerte Ende 2019 bzw. Januar 2020 beabsichtigt habe. Etwaige Details zu möglichen oder mittlerweile bereits umgesetzten Fortführungsabsichten der Erwerberin seien dem Beklagten nicht bekannt. Der Beklagte führe den Betrieb im bisherigen Geschäftsbetrieb jedenfalls nicht fort. Der Verkauf ändere jedenfalls nichts an dem im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ernsthaften und endgültigen Entschluss zur Betriebsstilllegung. Einer Sozialauswahl habe es aufgrund der Betriebsstilllegung nicht bedurft. Sowohl die Beteiligung des Betriebsrats als auch der Arbeitsagentur seien zumindest im Ergebnis ordnungsgemäß erfolgt. Insbesondere führe es nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, dass die Insolvenzschuldnerin der Arbeitsagentur neben den im Einzelnen aufgelisteten Unterlagen keine weitergehenden Unterlagen bzw. Abschriften über die Unterrichtung des Betriebsrates zugeleitet habe.

Durch Beschluss des Amtsgerichts C-Stadt vom 00.00.2020 wurde auf Antrag der Insolvenzschuldnerin die Eigenverwaltung mit Wirkung zum 00.00.2020 aufgehoben. Zugleich wurde der bisherige Sachwalter zum Insolvenzverwalter bestellt. In diesem Zusammenhang hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Kammertermin erklärt, das Verfahren vorsorglich gegen den Insolvenzverwalter aufzunehmen."

Für den weiteren Vortrag der Parteien in erster Instanz wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Kammerverhandlung vom 00.00.2020 Bezug genommen.

Mit diesem Urteil hat das Arbeitsgericht die zulässige Klage als unbegründet abgewiesen, den Streitwert auf 8.759,46 € festgesetzt und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung vom 00.00.2020 habe das Arbeitsverhältnis unter Wahrung der Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO zum 00.00.2020 aufgelöst.

Die Kündigung der Insolvenzschuldnerin sei durch dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 Var. 3 KSchG bedingt. Die Vermutung gem. § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO des Interessenausgleichs mit Namensliste vom 00.00.2020 habe der Kläger nicht widerlegt. Anhaltspunkte dafür, dass dieser nicht wirksam zwischen den Betriebsparteien vereinbart worden sei, seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Kündigung sei nicht wegen eines bevorstehenden Betriebsübergangs ausgesprochen worden. Es liege eine Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nummer 1 Betriebsverfassungsgesetz vor. Die Sachlage habe sich nach Zustandekommen des Interessenausgleichs auch nicht wesentlich geändert iSv. § 125 Absatz 1 S. 1 1 InsO. Einer Sozialauswahl habe es aufgrund der Betriebsstilllegung nicht bedurft. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört und auch die Massenentlassungsanzeige gem. § 17 KSchG sowie das dazugehörige Konsultationsverfahren ordnungsgemäß von der Beklagten durchgeführt worden. Die entgegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht gleichzeitige Zuleitung einer Abschrift der schriftlichen Unterrichtung des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG an die Agentur für Arbeit führe ebenfalls nicht zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung. Denn § 17 Abs. 3 Satz 1KSchG sei kein Verbotsgesetz iSd. § 134 BGB.

Wegen der Erwägungen im Einzelnen, der das Arbeitsgericht zu seinem Urteil haben gelangen lassen, wird auf die äußerst sorgfältigen Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Gegen dieses ihm am 00.00.2020 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am 00.00.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 00.00.2020 mit Schriftsatz vom 00.00.2020, am 00.00.2020 per Telefax beim Landesarbeitsgericht eingegangen, begründeten Berufung. Die Kammer nimmt auf den Inhalt des Berufungsbegründungsschriftsatzes des Klägers Bezug.

Der Kläger rügt an dem angegriffenen Urteil insbesondere, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei die Kündigung wegen eines bevorstehenden Betriebsübergangs erfolgt. Bei alsbaldiger Wiedereröffnung des Betriebs bzw. bei alsbaldiger Wiederaufnahme der Produktion durch einen Betriebserwerber - auch nach dem beabsichtigten Stilllegungstermin - spreche eine tatsächliche Vermutung gegen eine ernsthafte Absicht, den Betrieb stillzulegen. Das Unternehmen Z. Co. Ltd., mit dem die Insolvenzschuldnerin bereits Ende des Jahres 2019 wegen des Unternehmensverkaufs verhandelt gehabt habe, habe den Betrieb unter Nutzung sämtlicher Produktionsanlagen und Vertriebswege seit Anfang Mai 2020 übernommen und führe ihn unter dem Namen R. mbH fort. Sie produziere seit Mai 2020 wieder Ersatzteile und Landmaschinen mit dem Markennamen R.. Im Hinblick auf die unverzügliche Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes spreche eine tatsächliche Vermutung gegen die Absicht im Betrieb stillzulegen. Vortrag zur Entkräftung dieser tatsächlichen Vermutung sei von Seiten der Beklagten nicht erfolgt. Sie könne auch nicht durch den Einstellungsbeschluss aus der Gläubigerausschusssitzung entkräftet werden.

Rechtsfehlerhaft gehe das Arbeitsgericht zudem davon aus, dass die nicht gleichzeitige Zuleitung einer Abschrift der schriftlichen Unterrichtung des Betriebsrats über anzeigepflichtige Entlassungen iSd. § 17 Absatz 2 KSchG für sich genommen nicht zur Unwirksamkeit einer Kündigung führe. Die Zuleitungspflicht des § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, die der Anzeigepflicht des § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG zeitlich vorgelagert sei, diene auch der Vermeidung von Entlassungen. Deshalb handele es sich bei § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht um eine reine Verfahrensvorschrift. Die Bundesagentur für Arbeit könne in diesem frühen Verfahrenszeitpunkt in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat noch Möglichkeiten erarbeiten, um die angezeigten Kündigungen zu vermeiden und frühzeitig Maßnahmen zur Erhaltung der Arbeitsplätze einzuleiten. Beispielhaft sehe auch § 92a BetrVG die Hinzuziehung eines Vertreters der Bundesagentur für Arbeit durch den Betriebsrat vor. Erhalte die Agentur für Arbeit erstmalig nachdem der Betriebsrat und der Arbeitgeber über Möglichkeiten zur Vermeidung, Einschränkung und Folgenmilderung von Entlassungen beraten hätten, Nachricht über die bevorstehenden Entlassungen, sei eine Unterstützung des Betriebsrats bei den Beratungen mit dem Arbeitgeber durch die Bundesagentur für Arbeit nicht mehr möglich.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angegriffenen Urteils festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 00.00.2020 nicht zum 00.00.2020 aufgelöst worden ist.

Der Beklagte beantragt

Die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil nach Maßgabe seiner Schriftsätze vom 00.00.2020 und vom 00.00.2021, auf die die Kammer Bezug nimmt.

Der Beklagte trägt vor, die Insolvenzschuldnerin habe mit seiner Zustimmung am 00.00.2020 doch noch Vermögenswerte und -gegenstände (Anlagevermögen wie Betriebs- und Geschäftsausstattung sowie technische Anlagen und Maschinen und das gesamte immaterielle Vermögen wie technische Zeichnungen, Patente und Markenzeichen) im Wege einer Einzelrechtsnachfolge (A.) mit Wirkung zum 00.00.2020 veräußern können. Allerdings hätten weder die Schuldnerin noch er selbst im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs in ernsthaften Verhandlungen über eine (Teil-) Veräußerung des Geschäftsbetriebs, weder mit der Z. GmbH noch mit anderen potentiellen Interessenten, gestanden. Bei der Z. GmbH (oder den dahinterstehenden Investoren) handele es sich nach seiner Kenntnis nicht um den "chinesischen Investor", der den Erwerb der Vermögenswerte bereits Ende 2019 bzw. Anfang Januar 2020 beabsichtigte. Die Verhandlungen seien jeweils über in Deutschland ansässige Deutsch-Chinesische-Vermittlungspersonen erfolgt. Es sei nicht bekannt gewesen, dass die Z. Co. Ltd. der hinter der Z. GmbH stehende Investor gewesen sei.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück ist statthaft und zulässig gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 c) ArbGG. Der Kläger hat die Berufung auch form- und fristgerecht gemäß den Anforderungen der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519 ff. ZPO eingelegt und begründet.

II.

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Die Kammer nimmt auf die sorgfältigen Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils, die sie sich nach eigener Sachprüfung zu eigen macht, Bezug und stellt dies fest, § 69 Absatz 2 ArbGG. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen des Klägers ist lediglich folgendes auszuführen:

1.

Die streitbefangene Kündigung ist nicht wegen Verstoß gegen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB wegen eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs rechtsunwirksam.

a)

Zutreffend hat das Arbeitsgericht entschieden, dass angesichts des unwidersprochenen Vortrags der Insolvenzschuldnerin, sie habe zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 00.00.2020 nicht (mehr) in Verhandlungen über eine Veräußerung des Betriebes gestanden, von einer ernsthaften und endgültigen Stilllegungsentscheidung mit entsprechender Umsetzung auszugehen war, weshalb die Kündigung nicht wegen eines bevorstehenden Betriebsübergangs rechtsunwirksam sei. Insoweit verbleibe es auch bei der Vermutung des § 125 Abs. 1 Nummer 1 InsO. Selbst wenn es später - wie vom Kläger behauptet - noch zu einem Betriebsübergang gekommen sein sollte, erstrecke sich gem. § 128 Abs. 2 InsO die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Nummer 1 InsO auch darauf, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht wegen des Betriebsübergangs erfolgt sei. Diese Vermutung werde nur widerlegt, wenn der gekündigte Arbeitnehmer substantiiert darlegen und beweisen könne, dass der nach dem Interessenausgleich in Betracht kommende betriebliche Grund in Wirklichkeit nicht bestehe, wobei hierfür ein substantiierter Tatsachenvortrag erforderlich sei, der den gesetzlich vermuteten Umstand nicht nur in Zweifel ziehe, sondern ausschließe. Dieser Darlegungs- und Beweislast genüge das Vorbringen des Klägers nicht.

b)

Selbst wenn die Kammer zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass Ende April 2020/Anfang Mai 2020 ein Betriebsübergang auf die Firma Z. GmbH stattgefunden hat, hat der Kläger auch mit seinem zweitinstanzlichen Vortrag die Vermutungswirkung der §§ 125 Abs. 1 Nr. 1, 128 Abs. 2 InsO nicht widerlegt.

aa)

Findet ein Betriebsübergang statt, erstreckt sich die Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO auch darauf, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht wegen des Betriebsübergangs (§ 613 Abs. 4 Satz 1 BGB) erfolgt ist. Da ohnehin grundsätzlich der Arbeitnehmer, der sich auf § 613a BGB beruft, darlegungs- und beweispflichtig dafür ist, dass die Kündigung wegen eines Betriebsübergangs erfolgt ist, hat der Arbeitnehmer bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste anlässlich eines Betriebsübergangs im Insolvenzverfahren eine doppelte Vermutung iSv. § 292 Satz 1 ZPO zu widerlegen.

bb)

Zwar trifft den Arbeitgeber im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung wegen Betriebsschließung gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG eine erhöhte Darlegungslast, wenn die betriebliche Tätigkeit durch einen Betriebserwerber fortgeführt wird, weil dies eine tatsächliche Vermutung begründet, eine ernsthafte Stilllegungsabsicht, habe nicht bestanden (BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 693/10 - Rn. 45). Gem. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG iVm. § 292 BGB kann aber eine gesetzliche Vermutung nur durch den Beweis des Gegenteils widerlegt werden. Selbst wenn grundsätzlich auch beim Führen des Gegenteilsbeweises die allgemeinen Beweiserleichterungen, insbesondere die Grundsätze zur sekundären Behauptungslast zur Anwendung kommen, erfordert dies substantiierten Tatsachenvortrag, der den gesetzlich vermuteten Umstand nicht nur in Zweifel zieht, sondern ausschließt (BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 386/11 - Rn. 35). Erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer substantiiert darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass der nach dem Interessenausgleich in Betracht kommende betriebliche Grund in Wirklichkeit nicht besteht (BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 790/12 - Rn. 19). Dem wird das Berufungsvorbringen des Klägers nicht gerecht. Denn der Kläger setzt der doppelten Vermutung der §§ 125 Abs. 1 Nr. 1, 128 Abs. 2 InsO seinerseits lediglich eine Vermutung entgegen. Es fehlt aber an substantiiertem Vorbringen, das geeignet wäre, die "greifbaren Formen", die die Stilllegungsentscheidung der Insolvenzschuldnerin über den Beschluss der Gläubigerversammlung hinaus im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs nach den nicht zu beanstandenden Ausführungen des Arbeitsgerichts bereits angenommen hatte, zu widerlegen.

II.

Die streitbefangene Kündigung auch nicht wegen Verstoß gegen § 17 KSchG gem. § 134 BGB unwirksam. Insb. führt allein der Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht des § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht zur Unwirksamkeit der streitbefangenen Kündigung.

a)

Zwar hat die Insolvenzschuldnerin vorliegend der Agentur für Arbeit mit der Einleitung des Konsultationsverfahrens keine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG zugeleitet. Der Verstoß gegen die Verpflichtung nach § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG führt aber nicht zur Unwirksamkeit der Anzeige und damit der Kündigung (so auch LAG Hamm 13. Januar 2015 - 900/14 - Rn. 67).

aa)

§ 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist kein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB. Ein solches Verbotsgesetz ist nur anzunehmen, wenn die maßgebliche Vorschrift von ihrem Inhalt her einen solchen Schutzzweck aufweist, der die von einer Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit bewahren soll (so ausdrücklich BAG vom 21.03.2013 - 2 AZR 60/12 - Rn. 22 mwN). Um ein solches Verbotsgesetz iSd. § 134 BGB handelt es sich bei der unterlassenen oder fehlerhaften Massenentlassungsanzeige gem. § 17 Abs. 1 KSchG und bei der Vorschrift, die das Konsultationsverfahren als solches betrifft, nämlich § 17 Abs. 2 KSchG BGB. Dementsprechend hat der Verstoß gegen die Konsultations- und Anzeigepflicht als solche die Unwirksamkeit der Kündigung gem. § 134 BGB zur Folge (BAG 21. März 2013 - 2 AZR 60/12 - Rn. 22 mwN).

bb)

Dagegen, dass allein der Verstoß gegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG zur Unwirksamkeit der Kündigung führen soll, spricht schon, dass bereits Satz 2 ein späteres Stadium im Massenentlassungsverfahren, nämlich die Erstattung der Anzeige selbst im Sinne des § 17 Abs. 1 KSchG beschreibt (so LAG Hamm 13. Januar 2015 - 7 Sa 900/14 - Rn. 66). Die von § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG verlangte Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats soll gegenüber der Agentur für Arbeit belegen, ob und welche Möglichkeiten dieser sieht, die angezeigten Kündigungen zu vermeiden (BAG 18. Januar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 45). Ein solcher Schutzzweck ist dem § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG hingegen - worauf das Arbeitsgericht zu Recht hinweist - nicht zu entnehmen.

(1)

Nach der Richtlinie 98/59 EG vom 20. Juli 1998 sind Verstöße des Arbeitgebers gegen seine Pflicht zur Konsultation mit dem Betriebsrat ebenso wie gegen seine Pflicht zur Anzeigenerstattung einer Massenentlassung zu sanktionieren, nicht aber außerhalb dieses Pflichtenkreises liegende Verletzungen von Nebenpflichten wie der Pflicht, der Arbeitsagentur eine Abschrift der Unterrichtung des Betriebsrats zuzuleiten (Hützen, ZinsO 2012, 801 (1810).

(2)

Soweit die Richtlinie und § 17 Abs. 1 - 3 KSchG durch die Verschränkung von Konsultations- und Anzeigeverfahren ein gemeinsames Handeln aller Beteiligten ermöglichen soll, gebietet dies ebenfalls nicht die Unwirksamkeitsfolge bei einem Verstoß gegen die Zuleitungspflicht nach § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Die Zuleitung der Unterrichtung an die Arbeitsverwaltung soll nach dem Willen jedenfalls des deutschen Gesetzgebers die Arbeitsverwaltung frühzeitig von den Massenentlassungen zu unterrichten (so Spelge, RdA 2018, 305 mwN zu den Gesetzesmaterialien). Durch die Vorabinformation kann die Vermittlungstätigkeit der Arbeitsverwaltung aber weder vorbereitet noch erleichtert werden, weil im Zeitpunkt der Unterrichtung gerade noch nicht feststeht, ob und wie viele Arbeitnehmer auf den Arbeitsmarkt gelangen werden und welche Arbeitnehmergruppen betroffen sind. Darüber ist gerade im Konsultationsverfahren zu verhandeln (so MHdBArbR/Spelge, 4. Aufl. 2018, § 121 Rn. 178). Zudem hat der Betriebsrat (wie der Arbeitgeber) nach deutscher Gesetzeslage - worauf der Klägervertreter richtig hinweist - gem. § 92a BetrVG das Recht, zu Beschäftigungssicherungsberatungen auch einen Vertreter der Bundesagentur für Arbeit hinzuziehen können. Entsprechende Regelungen finden sich auch in § 112 Abs. 2 Satz 1 und 3 BetrVG. Eine Sanktion, die zur Unwirksamkeit der Kündigung führt, ist zur Erreichung des Gesetzeszwecks der frühzeitigen Information der Arbeitsagentur daher nicht erforderlich.

b)

Im Übrigen entsprechen sowohl das von der Beklagte durchgeführte Konsultationsverfahren im Sinne des § 17 Abs. 2 KSchG als auch die Massenentlassungsanzeige als solche im Sinne des § 17 Abs. 1 iVm. § 17 Abs. 3 Satz 2 ff. KSchG den gesetzlichen Anforderungen. Diesbezüglich wird auf die zutreffenden Ausführungen in der angegriffenen Entscheidung, denen der Kläger mit seiner Berufung auch nicht entgegengetreten ist, gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen.

C.

Da der Kläger mit seiner Berufung nicht erfolgreich war, hat er die Kosten des Berufungsverfahrens gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG zuzulassen.