Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.05.2021, Az.: 17 Sa 1110/20

Untergang des tariflichen Anspruchs auf Freistellung ohne Rückfall auf das tarifliche Zusatzgeld; Schadensersatz durch Naturalrestitution nur bei Verzug des Arbeitgebers; Keine Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers bei Verwirklichung des tariflichen Freizeitanspruchs; Verteidigung der Erfüllungsunmöglichkeit bei nicht genommenem Freizeitanspruch

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
05.05.2021
Aktenzeichen
17 Sa 1110/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 28072
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2021:0505.17Sa1110.20.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Göttingen - 22.09.2020 - AZ: 4 Ca 199/20

Redaktioneller Leitsatz

1. Die Grundsätze des Bundesarbeitsgerichts zu den Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei der Urlaubsgewährung betreffen ausschließlich das richtlinienkonforme Verständnis des § 7 Abs. 3 BUrlG. Auch haben die Tarifvertragsparteien dem Arbeitgeber keine Initiativlast für die Verwirklichung des Freizeitanspruchs des Arbeitnehmers auferlegt.

2. Sofern die Erfüllung des Anspruchs auf Freizeit wegen Ablauf des Kalenderjahres nicht mehr möglich ist, kann gem. §§ 275 Abs. 4, 280 Abs. 1, 283 Satz 1 BGB Schadensersatz statt der Leistung beansprucht werden. Dies erfordert aber grundsätzlich, dass der Arbeitgeber das Leistungshindernis zu vertreten hat (§ 276 Abs. 1 BGB).

Einzelfall zum Anspruch auf tatsächliche Realisierung der Freistellung nach § 3.13.3 des Manteltarifvertrags für die Beschäftigten in der Niedersächsischen Metallindustrie vom 15. Februar 2018.

Untergang des Anspruchs am Jahresende ohne Rückfall auf das tarifliche Zusatzgeld (A) nach § 2 Ziff. (1) a) TV T-ZUG, wenn er nach erfolgter Freistellung und zeitlicher Festlegung trotz Arbeitsunfähigkeit in diesem Zeitraum noch im laufenden Kalenderjahr hätte genommen werden können.

Kein Schadensersatzanspruch auf Ersatzgewährung im Sinne einer Naturalrestitution sofern der Arbeitnehmer den Arbeitgeber nicht vor Untergang des Anspruchs in Verzug gesetzt hat.

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 22. September 2020 - Az.: 4 CA 199/20 abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung eines tariflichen Zusatzgeldes nach dem Tarifvertrag zum tariflichen Zusatzgeld vom 15. Februar 2018 iVm. dem Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der N. M vom 15. Februar 2018, hilfsweise macht der Kläger einen Anspruch auf bezahlte Freistellung im Umfang von 5 Tagen geltend.

Der am 27. November 1959 geborene Kläger ist seit dem 12. September 2004 bei der Beklagten beschäftigt.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit unter anderem der Manteltarifvertrag für die M. N. vom 15. Februar 2018 (künftig: MTV) und der Tarifvertrag zum tariflichen Zusatzgeld vom 15. Februar 2018 (künftig: TV T-Zug) Anwendung.

In § 3.13 MTV heißt es unter der Überschrift "tarifliche Freistellungszeit in besonderen Fällen" auszugsweise wörtlich:

"Beschäftigte können nach Maßgabe nachfolgender Bestimmungen verlangen, statt des tariflichen Zusatzgeldes (A) nach § 2 Ziff. (1) a) TV T-ZUG eine Freistellung in Anspruch zu nehmen.

3.13.1

Für folgende Beschäftigtengruppen besteht die Möglichkeit, statt des tariflichen Zusatzgeldes (A) gemäß § 2 Ziff. (1) a) TV-T-ZUG eine bezahlte Freistellung in Anspruch zu nehmen:

Beschäftigte mit einer individuellen regelmäßigen Arbeitszeit von mindestens 35 Stunden, die in

- drei oder mehr als drei Schichten oder nur in der Nachtschicht arbeiten, haben nach einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 5 Jahren und nachdem sie mindestens 3 Jahre

- Wechselschicht arbeiten, haben ab dem 01.01.2019 nach einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 15 Jahren und nachdem sie 10 Jahre

- Wechselschicht arbeiten, haben ab dem 01,01.2020 nach einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 7 Jahren und nachdem sie 5 Jahre

beim derzeitigen Arbeitgeber üblicherweise in Schicht gearbeitet haben und voraussichtlich im Folgejahr in einem der vorgenannten Schichtmodelle beschäftigt sein werden.

In Ziff. 3.13.3 heißt es weiter:

"Der Freistellungsanspruch beträgt 8 Tage für Beschäftigte, bei denen sich die Arbeitszeit regelmäßig auf 5 Tage pro Woche verteilt.

Grundsätzlich erfolgt die Inanspruchnahme in Form von ganzen freien Tagen, vergleichbar dem Verfahren bei der Urlaubsentnahme. Arbeitgeber und Beschäftigter können sich einvernehmlich auch auf eine hiervon abweichende Inanspruchnahme verständigen.

Bei der zeitlichen Festlegung der Freistellung sind die Wünsche des Beschäftigten im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten zu berücksichtigen.

Kann der Freistellungsanspruch aus personenbedingten Gründen nicht oder nicht vollständig im Kalenderjahr genommen werden, geht der Freistellungsanspruch unter. Im Umfang der nicht realisierten Freistellungstage besteht der Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld (A) nach § 2 Ziff. (1) a) TV T-ZUG.

Endet das Arbeitsverhältnis nach Realisierung der Freistellungstage vor dem Auszahlungstag, ist die Differenz im Arbeitsentgelt zu verrechnen.

Die Ausübung einer Nebenbeschäftigung während der Freistellungszeit ist nicht zulässig."

Nach § 2 (1) a) TV T-Zug hat der Kläger unstreitig Anspruch auf ein tarifliches Zusatzgeld iHv. 27,5 % eines Monatsverdienstes. Zwischen den Parteien ist ebenfalls unstreitig, dass die Voraussetzungen von § 3.13.3 MTV beim Kläger, der in Wechselschicht arbeitet, ebenfalls vorliegen und von ihm grundsätzlich für das Jahr 2019 insgesamt 8 Freistellungstage in Anspruch genommen konnten. Der Kläger beantragte am 18. Juni 2018 nach § 3.13 MTV wegen Schichtarbeit statt des tariflichen Zusatzgeldes (A) nach § 2 Ziff. (1) a) TV T-Zug die Freistellung. Die Beklagte entsprach diesem Antrag mit Schreiben vom 28. Januar 2019 (Anl. zum Schriftsatz d. Bekl. vom 27. April 2021, Bl. 249 dA) und gewährte ihm für das Jahr 2019 insg. 8 bezahlte Freistellungstage, die dann im Frühjahr 2019 gemeinsam für den Zeitraum 14. Juli 2019 bis 18. Juli 2019 (5 Tage) sowie 22. Juli 2019 bis 24. Juli 2019 (3 Tage) festgelegt wurden. In der Zeit vom 10. Juli 2019 bis 19. Juli 2019 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte rechnete die 5 Tage vom 14. Juli 2019 bis 18. Juli 2019 nicht als Entgeltfortzahlungstage, sondern regulär ab. An die Arbeitsunfähigkeit des Klägers vom 14. bis 18. Juli 2019 schlossen sich die 3 Tage der bereits festgelegten Freistellung vom 22. Juli 2019 bis 24. Juli 2019 an. Danach hatte der Kläger vom 25. Juli 2019 bis 02. August 2019 Urlaub. Im Zeitraum 05. August 2019 bis 14. August 2019 arbeitete der Kläger. Im Anschluss daran war er bis zum Jahresende durchgängig arbeitsunfähig. Die Erkrankung endete erst im Folgejahr zum 03. April 2020.

Mit Schreiben vom 22. März 2020 (Anlage zur Klageschrift, Bl. 5 dA) machte der Kläger einen Betrag iHv. 675,24 € für die aus persönlichen Gründen nicht genommenen 5 Freistellungstage 2019 geltend. Die Beklagte lehnte den geltend gemachten Anspruch mit Schreiben vom 30. März 2020 (Anl. zur Klageschrift, Bl. 6 dA) unter Hinweis darauf ab, dass die Tage entsprechend im ATOSS (der bei der Beklagten eingesetzten Software zur Personaleinsatzplanung und Zeiterfassung) beantragt und genehmigt worden seien. Da der Kläger die Tage aufgrund von Krankheit nicht habe antreten können, sei dieser Anspruch verfallen. Es bestehe auch kein Anspruch auf Auszahlung des tariflichen Zusatzgeldes.

Mit seiner am 05. Mai 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger Zahlung von 659,15 € brutto nebst Zinsen begehrt und die Auffassung vertreten, bei der Erkrankung während der gewährten Freistellung handele es sich um einen Störfall iSv. § 3 Nr. 3.13.3 Abs. 4 MTV mit der Folge, dass der Anspruch auf Zusatzgeld besteht.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag iHv. 659,15 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01. Mai 2020 zu zahlen,

2. hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, weitere fünf Freistellungstage aus dem Kalenderjahr 2019 im laufenden Kalenderjahr 2020 auf Antrag zu bewilligen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, der Anspruch auf tarifliches Zusatzgeld sei durch die antragsgemäß gewährte Freistellung erloschen, auf welche die nachträgliche Arbeitsunfähigkeit des Klägers keinen Einfluss habe. Hilfsweise hat sie sich gegen die Höhe des geltend gemachten Anspruchs gewandt.

Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird ergänzend auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils des Arbeitsgerichts Göttingen vom 22. September 2020 Bezug genommen.

Mit diesem Urteil hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger 559,71 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04. Mai 2020 zu zahlen, im Übrigen die Klage abgewiesen, dem Kläger 1/6 und der Beklagten 5/6 der Kosten des Rechtsstreits auferlegt, den Streitwert auf 659,15 € festgesetzt und die Berufung für die Beklagte zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, im Umfang der wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht realisierten 5 Freistellungstage bestehe der Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld gem. § 3 Nr. 13.3 Abs. 4 MTV fort. Zwar werde ein Freistellungsanspruch nach allgemeinen Grundsätzen bereits durch die Freistellung von der Arbeitspflicht für die Zukunft erfüllt. Aus Wortlaut, Systematik und Zweck von § 3 Nr. 3.13.3 Abs. 4 MTV folge jedoch, dass im Gegensatz zu diesem allgemeinen Grundsatz der Anspruch auf Zahlung des tariflichen Zusatzgeldes fortbestehe, wenn eine ursprünglich beantragte und gewährte Freistellung in Folge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht genutzt werden könne. Würde Arbeitsunfähigkeit im Freistellungszeitraum nicht zur Aufrechthaltung des Entgeltanspruchs führen, wäre der Anwendungsbereich, der als Regelung von Störfällen bezeichneten Vorschrift des § 3 Nr. 13.3 Abs. 4 MTV zweifelhaft. Zudem solle durch den Freistellungsanspruch - zumindest auch - einem erhöhten Erholungsbedarf des hinsichtlich des Freistellungsanspruchs Berechtigten und etwa durch Schichtarbeit oder Pflegeleistung besonders belasteten Personenkreises Rechnung getragen werden. Wegen der Erwägungen im Einzelnen, die das Arbeitsgericht zu seinem Urteil haben gelangen lassen, wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 25. September 2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 23. Oktober 2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangen Schriftsatz Berufung eingelegt und das Rechtsmittel am 10. Dezember 2020 begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist auf Antrag vom 20. November 2020 bis zum 11. Dezember 2020 verlängert worden war. Die Kammer nimmt auf den Berufungsbegründungsschriftsatz der Beklagten vom 10. Dezember 2020 sowie ihren weiteren Schriftsatz vom 27. April 2021 Bezug.

Die Beklagte rügt, es sei nicht ersichtlich, warum im Fall der Inanspruchnahme von Freistellungstagen statt des tariflichen Zusatzgeldes (A) eine andere Wertung zugrunde zu legen wäre, als die, die seinerzeit das BAG für die Erfüllung von Freistellungstagen aufgestellt habe. Die tarifliche Regelung gebe den anspruchsberechtigten Beschäftigten nur die Möglichkeit, statt der Zahlung des tariflichen Zusatzgeldes die Freistellungstage in Anspruch zu nehmen. Habe sich ein Arbeitnehmer dafür entschieden, statt einer Zahlung einen Freistellungsanspruch in Anspruch zu nehmen, sei nicht ersichtlich, warum er anders zu behandeln sein solle, als ein Arbeitnehmer, der von vorneherein durch entsprechende Vorarbeit Freizeitstunden oder -tage gesammelt habe. Zudem enthalte der MTV gerade keine § 9 BurlG entsprechende Regelung. Für den Fall der Krankheit während beantragten Urlaubs hätten die Tarifvertragsparteien in § 20.1 MTV noch einmal geregelt, dass die in die Arbeitsunfähigkeit fallenden Urlaubstage als nicht genommen gölten, wenn Beschäftigte während des Urlaubs arbeitsunfähig krank würden. Dies beweise gerade, dass eine entsprechende Folge für den Fall der Erkrankung der in Anspruch genommenen Freistellungstage nicht gewollt gewesen sei. Auch lasse sich aus der Auswahl der hinsichtlich des Freistellungsanspruchs Berechtigten und etwa durch Schichtarbeit oder Pflegeleistung besonders belasteten Personenkreises nicht entnehmen, dass dann eben eine zusätzliche Regelung der Aufrechterhaltung des Urlaubs bei Krankheit hinzugedacht werden könne oder müsse. Hätten die Tarifvertragsparteien solche Regelungen aus der Schutzbedürftigkeit der anspruchsberechtigten Beschäftigten heraus angenommen, hätten sie eine solche Regelung getroffen. Aus der Nennung der für die Freistellungstage anspruchsberechtigten Beschäftigten ergebe sich zudem, dass es bei der Ermöglichung der Inanspruchnahme der Freistellungstage nicht unbedingt um einen Erholungsgedanken gehe. Gerade die Nennung von Beschäftigten, die einen nahen Verwandten pflegten oder in häuslicher Gemeinschaft ein maximal 8-jähriges Kind selbst betreuten und erzögen, mache deutlich, dass Hintergrund des Freistellungsanspruchs nicht vornehmlich der Erholungszweck, sondern die Möglichkeit zur Organisation eines aufgetretenen Pflegefalls/Betreuungsfalls sein solle. Dies werde auch daran deutlich, dass die Freistellungstage insbesondere Vollzeitkräften zustünden, die die freien Tage gebrauchen könnten, um die Arbeitszeit möglichst gut organisieren zu können und Dinge zu erledigen, die neben der Berufstätigkeit zeitlich nicht unterzubringen seien. Dafür spreche auch, dass die Tarifvertragsparteien den Anspruch auf die Freistellungstage nicht der Thematik Urlaubsanspruch zugeordnet, sondern ihn in § 3 MTV, nämlich der Arbeitszeit geregelt hätten. Aus Wortlaut, Systematik und Zwecksetzung der Tarifregelungen ergebe sich daher, dass der Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld im Umfang der nichtrealisierten Freistellungstage gem. § 3.13.3 MTV nur dann zum Tragen komme, wenn bereits die Antragsstellung im gesamten Kalenderjahr wegen der Erkrankung des Arbeitnehmers nicht möglich gewesen sei oder die Freistellungstage wegen der Erkrankung des Arbeitnehmers im gesamten Kalenderjahr noch nicht genehmigt und deshalb nicht gewährt worden waren. Dass diese Regelung nicht besonders viele Fälle umfasse, führe nicht dazu, dass sie deswegen nicht erforderlich oder der Anwendungsbereich zweifelhaft wäre.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 22. September 2020 - Az. 4 Ca 199/20 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgericht Göttingen vom 22. September 2020 - Az. 4 Ca 199/20 - als unbegründet zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderungsschrift vom 18. Januar 2020. Die Kammer nimmt auf den Inhalt dieses Schriftsatzes sowie auf die weiteren Schriftsätze des Klägers vom 29. März 2021 sowie 01. und 29. April 2021 Bezug.

Entscheidungsgründe

A.

Die Berufung der Beklagten ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingereicht und begründet worden und somit gem. §§ 519, 520 ZPO, 64, 66 ArbGG zulässig.

B.

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung des tariflichen Zusatzgeldes nach TV T-ZUG des Jahres 2019. Dem Kläger stehen aus dem Jahr 2019 auch keine (restlichen) Freizeittage oder Ersatzfreizeittage zu. Auf die Berufung der Bekl. war das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen daher abzuändern und die Klage abzuweisen.

I.

Die zulässige Zahlungsklage ist nicht begründet.

1.

Der Kläger hat im Umfang der wegen Arbeitsunfähigkeit im Jahr 2019 nicht genommenen fünf Freistellungstage keinen Anspruch gem. § 3.13.3 Abs. 4 MTV auf das tarifliche Zusatzgeld (A) nach § 2 Ziff. (1) a) TV T-ZUG in Höhe von 559, 71 € brutto. Die Voraussetzungen des § 3.13.3 Abs. 4 MTV liegen im Streitfall nicht vor.

a)

Zugunsten des Klägers geht die Kammer davon aus, dass nach der tariflichen Regelung des § 3.13.3 Abs. 4 MTV - abweichend von den allgemeinen Grundsätzen (vgl. BAG 11. September 2003 - 6 AZR 374/02 - Rn. 25 ff.) - das Risiko der Nutzungsmöglichkeit auch bei einer erfolgten Festlegung der freien Arbeitstage dem Arbeitgeber zugewiesen werden, mithin eine Erfüllung des Freistellungsanspruchs ausnahmsweise dann ausgeschlossen sein soll, wenn der Arbeitnehmer nach rechtzeitiger Inanspruchnahme des Freistellungsanspruchs nach § 3.13.2 MTV und zeitlicher Festlegung der Freistellung in dem festgelegten Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt und es im gesamten laufenden Kalenderjahr infolge personenbedingter Gründe nicht (mehr) zu einer (vollständigen) Realisierung des Freistellungsanspruchs kommt (siehe zur Auslegung der inhaltsgleichen Regelung des einheitlichen Manteltarifvertrags für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 2013 in der Fassung des Änderungstarifvertrags vom 14. Februar 2018 - Revision anhängig unter 10 AZR 99/21 - ausführlich LAG Hamm 45. 11. 2020/6 Sa 695/20 - Rn. 96 ff.); vgl. auch BAG 11. September 2003 - 6 AZR 374/2 - Rn. 27). Dann geht der Freizeitanspruch unter und in Höhe der nicht realisierten Freistellungstage besteht der Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld (A) nach § 2 Ziff. (1) a) TV T-ZUG.

b)

Im Streitfall ist der Freistellungsanspruch des Klägers im Umfang von 5 Tagen aber nicht deshalb untergegangen, weil er ihn im gesamten Kalenderjahr 2019 aus personenbedingten Gründen nicht (mehr) nehmen konnte.

aa)

Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 3.13.3 Abs. 4 MTV setzt die "Rückumwandlung" des Freistellungsanspruchs in den Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld voraus, dass er untergeht, weil er aus personenbedingten Gründen im Kalenderjahr nicht oder nicht vollständig genommen werden kann.

bb)

Vorliegend ist der Anspruch des Klägers auf weitere 5 bezahlte Freizeittage aber nicht nach § 3.13.3 Abs. 4 MTV aus personenbedingten Gründen - wegen Erkrankung des Klägers im Zeitraum 14. bis 18. Juli 2019 - untergegangen. Denn der Freistellungsanspruch wäre trotz der Arbeitsunfähigkeit des Klägers vom 14. Juli 2019 bis 18. Juli 2019 noch im laufenden Jahr 2019 zu realisieren gewesen. Der Kläger war im Anschluss an diese Arbeitsunfähigkeit nicht im gesamten Kalenderjahr 2019 aus personenbedingten Gründen an der Realisierung des Freistellungsanspruchs gehindert. Er nahm vom 25. Juli 2019 bis 02. August 2019 Urlaub und arbeitete anschließend im Zeitraum 05. August 2019 bis 14. August 2019. Der Kläger hätte den 5-tägigen Freistellungsanspruch mithin noch im Jahr 2019 nach Beendigung seiner Arbeitsunfähigkeit und jedenfalls im Zeitraum der sich an seinen Urlaub anschließenden Arbeitsphase nehmen können. Der Freistellungsanspruch ist damit nicht aus personenbedingten Gründen nicht genommen worden, wie dies die tarifliche Regelung für den Untergang des Freistellungsanspruchs und den im Umfang der nicht realisierten Freistellungstage dann bestehenden Anspruchs auf das tarifliche Zusatzgeld (A) nach § 2 Ziff. (1) a) TV T-ZUG vorsieht.

2.

Da der Hauptanspruch nicht begründet ist, unterliegt auch der geltend gemachte Zinsanspruch der Abweisung.

II.

Auch der Hilfsantrag des Klägers hat keinen Erfolg.

1.

Der in der Berufungsinstanz angefallene Hilfsantrag mit dem der Kläger - gemäß der Erklärung seiner Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 05. Mai 2021 - einen Schadensersatzanspruch auf Gewährung von weiteren 5 Freistellungstagen aus 2019 geltend macht ist zulässig und insb. gem. § 253 Abs. 2 ZPO hinreichend bestimmt. Soweit er beantragt, ihm 5 Freistellungstage aus dem Jahr 2019 im laufenden Kalenderjahr 2020 auf Antrag zu bewilligen, ist dies - gem. den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vom 05. Mai 2021- dahingehend auszulegen, dass er nunmehr aufgrund Zeitablaufs die Bewilligung für das laufende Kalenderjahr 2021 begehrt.

2.

Der Hilfsantrag ist nicht begründet.

Zwar ist der Anspruch des Klägers auf Gewährung bezahlter Freizeit im Umfang von weiteren 5 Tagen mit Ablauf des Jahrs 2019 ersatzlos untergegangen, ihm steht aber kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu.

a)

Neben der Reglung in § 3.13.3 Abs. 4 MTV ist freilich ein genereller Untergang des Anspruchs auf die Freistellungszeit in besonderen Fällen am Jahresende nicht ausdrücklich in der tarifvertraglichen Regelung vorgesehen. Da der eindeutige Wortlaut aber ausdrücklich auf die Möglichkeit der Freistellung im Kalenderjahr und nicht im zunächst bewilligten Freistellungszeitraum abstellt, ist der Regelung des § 3.13.3 Abs. 4 MTV zu entnehmen, dass der Freistellungsanspruch auch und selbst in dem Fall untergeht, in dem die Freistellung aus personenbedingten Gründen nicht oder nicht vollständig im Kalenderjahr genommen werden kann. § 3.13.3 Abs. 4 MTV stellt damit eine Besserstellung erkrankter Arbeitnehmer durch den privilegierten Rückfall auf das tarifliche Zusatzgeld nach § 2 Ziff. (1) a) TV T-ZUG dar (ebenso LAG Hamm 25. November 2020 - 6 Sa 695/20 - Rn. 95). In allen anderen Fällen erfolgt der Untergang des Freistellungsanspruchs, vorbehaltlich etwaiger Schadensersatzansprüche, ersatzlos.

b)

Die Erfüllung des streitbefangenen Freizeitanspruchs ist mit Ablauf des Kalenderjahres 2019 nach § 275 Abs. 1 BGB unmöglich geworden. Dem Kläger steht aber kein Anspruch auf Schadensersatz in Form von Ersatzfreizeitgewährung als Naturalrestitution im Umfang von 5 Tagen nach §§ 275 Abs. 1 und Abs. 4, 280 Abs. 1, 283, 286 Abs. 1, 287 Satz 2, 249 Abs. 1 BGB zu.

aa)

Sofern die Erfüllung des Anspruchs wegen § 275 Abs. 1 BGB nicht mehr verlangt werden kann, eröffnet zwar § 275 Abs. 4 BGB für den Arbeitnehmer die Möglichkeit, unter den weiteren Voraussetzungen der § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1 BGB Schadensersatz statt der Leistung zu beanspruchen. Das erfordert aber grundsätzlich, dass der Arbeitgeber das Leistungshindernis zu vertreten hat. Das ist nach § 276 Abs. 1 BGB der Fall, wenn er das Leistungshindernis vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt hat. Tritt das Leistungshindernis ein, nachdem der Arbeitnehmer den Arbeitgeber durch eine Mahnung nach § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verzug gesetzt hatte, hat der Arbeitgeber nach § 287 Satz 2 BGB auch Zufall zu vertreten, es sei denn, dass der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten sein würde. Der zum Schadensersatz verpflichtete Arbeitgeber hat in erster Linie Naturalrestitution zu leisten, dh. nach § 249 Abs. 1 BGB den Zustand herzustellen, der bestünde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Hat der Arbeitgeber zu vertreten, dass Freistellungsansprüche des Arbeitnehmers unmöglich geworden sind, folgt daraus die Pflicht, den Arbeitnehmer von der Arbeit freizustellen, als wäre der anspruchsausschließende Umstand nicht eingetreten.

bb)

Bei Anwendung dieser Grundsätze steht dem Kläger kein Schadensersatzanspruch auf Gewährung von Ersatzfreizeittagen im Umfang von 5 Arbeitstagen zu. Denn die Beklagte hat das Leistungshindernis nicht zu vertreten. Sie hat das Leistungshindernis weder vorsätzlich noch fahrlässig herbeigeführt und haftet dem Kläger auch nicht unter Verzugsgesichtspunkten.

(1)

Ein Anspruch auf Ersatzfreizeit als Schadensersatz wegen Verzugs des Arbeitgebers gemäß § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1 Satz 1, § 287 Satz 2 und § 249 Abs. 1 BGB kommt nur in Betracht, wenn der Anspruch auf Freizeitgewährung erlischt, weil der Arbeitgeber rechtzeitig verlangte Freizeittage nicht gewährt. Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor.

Der Anspruch auf weitere 5 Tage tarifliche Freistellungszeit für das Jahr 2019 ist erloschen, weil der Kläger diesen Anspruch, den er im Jahr 2019 noch hätte nehmen können, nicht rechtzeitig vor dessen Untergang am 31. Dezember 2019 geltend gemacht hat. Ansprüche aus Verzug scheiden damit aus. Die Freistellungszeit konnte nur bis Ende 2019 gewährt und genommen werden. Der Kläger hat die Nachgewährung seines Freistellungsanspruchs nach der Erkrankung vom 14. bis 18. Juli 2019 nicht bis zum Jahresende 2019 geltend gemacht. Er hat damit den Arbeitgeber nicht in Verzug gesetzt, § 286 BGB. Erstmals im Folgejahr 2020 und damit nach Untergang des Anspruchs Ende 2019 hat der Kläger einen Anspruch wegen der nicht genommenen 5 Freizeittage (zudem als Zahlungsanspruch) geltend gemacht.

(2)

Ein Schadensersatzanspruch ergibt sich auch nicht aus § 280 Abs. 3 BGB. Die Beklagte hat keine Pflichten gem. § 280 Abs. 1 BGB aus dem Arbeitsverhältnis verletzt.

Die Beklagte war nicht gehalten, ihrerseits eine Ersatzfreistellungszeit festzusetzen. Die Grundsätze des Bundesarbeitsgerichts zu den Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei der Urlaubsgewährung (vgl. BAG 22. Oktober 2019 - 9 AZR 98/19 - Rn. 12 ff.) finden hier keine Anwendung. Sie betreffen lediglich das richtlinienkonforme Verständnis des § 7 Abs. 3 BUrlG und sind auf den streitbefangenen Manteltarifvertrag nicht entsprechend anwendbar. Etwas Anderes ergibt sich auch weder aus der Regelung des § 3.13.3 Abs. 2 MTV, nach dem die Inanspruchnahme der Freizeittage grundsätzlich in Form von ganzen freien Tagen, vergleichbar dem Verfahren bei der Urlaubsentnahme erfolgt, noch aus der Regelung des § 3.13.3 Abs. 3 MTV, nach dem die Wünsche der Beschäftigten bei der zeitlichen Festlegung der Freistellung im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten zu berücksichtigen sind. Mit diesen Regelungen haben die Tarifvertragsparteien dem Arbeitgeber keine Initiativlast für die Verwirklichung des Freizeitanspruchs nach § 3.13.3 auferlegt, die denen der richtlinienkonformen Auslegung des BUrlG entsprechen. Auch im Übrigen ergeben sich aus dem MTV keine Anhaltspunkte, die für eine entsprechende Auslegung streiten würden.

C.

Als unterlegene Partei hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits gemäß §§ 91 Abs. 1, 97 Absatz ein ZPO zu tragen.

D.

Die Revision war gem. § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen.