Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.09.2021, Az.: 15 Sa 1095/20

Rechtliches Gehör als Grundsatz des Rechtsstaatsprinzips; Unterschiedliche Nachtarbeitszuschläge als Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG; Kein Rechtfertigungsgrund für eine Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer bei den tariflichen Zuschlägen für Nachtarbeit

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
20.09.2021
Aktenzeichen
15 Sa 1095/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 43863
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2021:0920.15Sa1095.20.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hannover - 27.08.2020 - AZ: 2 Ca 238/19

Redaktioneller Leitsatz

1. Art. 103 Abs. 1 GG sichert i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG und dem in Art. 20 Abs. 3 GG gewährleisteten Rechtsstaatsprinzip den Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht und das mit ihm in Zusammenhang stehende Recht auf Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes.

2. Nach den tariflichen Regelungen ist ein Zuschlag von 50 % einer Stundenvergütung für Nachtarbeit, dagegen nur 25 % einer Stundenvergütung bei Nachtarbeit im Rahmen einer dritten Wechselschicht vorgesehen. Da die Arbeitnehmer in beiden Fällen vergleichbar sind, liegt eine Ungleichbehandlung vor.

3. Zwischen der Nachtarbeit und der Arbeit in der Nachtschicht von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr bestehen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, die diese Differenzierung bei der Höhe der Nachtarbeitszuschläge sachlich rechtfertigen könnten. Die Tarifvertragsparteien haben insoweit ihren Gestaltungsspielraum überschritten.

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des ArbG Hannover vom 27.08.2020 - 2 Ca 238/19 - abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger

  1. 1.

    für den Monat März 2019 weitere € 261,48 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.05.2019 zu zahlen;

  2. 2.

    für den Monat April 2019 weitere € 174,32 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.05.2019 zu zahlen;

  3. 3.

    für den Monat Mai 2019 weitere € 217,90 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.05.2019 zu zahlen,

  4. 4.

    für den Monat Juni 2019 weitere 261,48 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.06.2019 zu zahlen;

  5. 5.

    für den Monat Juni 2019 weitere 217,90 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.07.2019 zu zahlen;

  6. 6.

    für den Monat Juli 2019 weitere 392,22 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.07.2019 zu zahlen,;

  7. 7.

    für den Monat August 2019 weitere 435,80 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.08.2019 zu zahlen;

  8. 8.

    für den Monat September 2019 weitere 217,90 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.09.2019 zu zahlen;

  9. 9.

    für den Monat November 2019 weitere 217,90 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.12.2019 zu zahlen;

  10. 10.

    für den Monat Dezember 2019 weitere 87,16 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.01.2020 zu zahlen;

  11. 11.

    für den Monat Januar 2020 weitere 130,74 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.01.2020 zu zahlen;

  12. 12.

    für den Monat März 2020 weitere 174,32 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.03.2020 zu zahlen;

  13. 13.

    für den Monat März 2020 weitere 130,74 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.04.2020 zu zahlen;

  14. 14.

    für den Monat April 2020 weitere 217,90 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.04.2020 zu zahlen;

  15. 15.

    für den Monat Mai 2020 weitere 217,90 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.06.2020 zu zahlen;

  16. 16.

    für den Monat Juni 2020 weitere 5,45 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.07.2020 zu zahlen;

  17. 17.

    für den Monat Juni 2020 weitere 13,62 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.07,2020 zu zahlen;

  18. 18.

    für den Monat Juli 2020 weitere 46,30 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.07.2020 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Nachtarbeitszuschläge nach dem Manteltarifvertrag für die Brauereien in Niedersachsen vom 23.06.2010 für zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr geleistete Nachtarbeit in der 3. Schicht in Wechselschicht im Sinne des § 7 Ziffer 5.3 vierter Spiegelstrich des Manteltarifvertrages vom 23.06.2010 in gleicher Höhe zu gewähren, wie für Nachtarbeit im Sinne des § 7 Ziffer 5.3 erster Spiegelstrich des Manteltarifvertrages vom 23.06.2010.

Die Kosten des Rechtstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung von Nachtarbeitszuschlägen nach einem Tarifvertrag.

Der Kläger war seit dem 1. August 2007 bei der G. AG (G. AG) beschäftigt. Wegen des Wortlauts des zwischen dem Kläger und der G. AG geschlossenen Arbeitsvertrages wird auf Bl. 186-190 dA. Bezug genommen.

Der Kläger ist seit dem 1. April 2008 Mitglied der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG).

Zum 1. Januar 2016 ging das Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Betriebsüberganges von der G. AG auf die Beklagte über. Über den Betriebsübergang sowie seine Folgen informierte die Beklagte zusammen mit der G. AG die betroffenen Mitarbeiter mit Informationsschreiben vom 11.11.2015 (Bl. 112-115 dA). Der Kläger wird als Mechatroniker mit einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 37 Stunden und einem Bruttostundenlohn von 21,79 EUR eingesetzt.

Am 23. Juni 2010 schlossen die Tarifgemeinschaft der Brauereien in Niedersachen, vertreten durch den Brauereiverband Niedersachsen/Sachsen-Anhalt/Bremen eV. und die Gewerkschaft NGG einen Manteltarifvertrag (MTV). Dieser lautet auszugsweise:

"§ 1

Geltungsbereich

Dieser Manteltarifvertrag gilt

räumlich: Für das Land Niedersachsen, für Niederlassungen und Auslieferungsläger, auch außerhalb des Landes Niedersachsen.

fachlich: Für alle Brauereien und deren Betriebsteile bzw. Nebenbetriebe, Mälzereien, Niederlassungen und Auslieferungsläger sowie die Abteilungen für alkoholfreie Getränke, die dem im Rubrum genannten Verband angehören.

persönlich: Für Arbeitnehmer, die Mitglied der Gewerkschaft Nahrungs-Genuss-Gaststätten im DGB sind.

(...)

§ 3

Begriffsbestimmung zur Arbeitszeit

(...)

2.2 Mehrarbeit ist weitestgehend zu vermeiden. Sie soll nur vorübergehend in Fällen dringender Notwendigkeit unter Mitbestimmung des Betriebsrates festgelegt werden. In Notfällen ist der Betriebsrat nachträglich zu verständigen, wenn keine vorherige Verständigung zeitlich möglich war. Ist unter Mitbestimmung des Betriebsrates festgestellt worden, dass Mehrarbeit erforderlich ist, so ist sie im Benehmen der gesetzlichen Bestimmungen zu leisten.

Bei der Festsetzung von Mehrarbeit ist auf die privaten und kulturellen Bedürfnisse der betroffenen Arbeitnehmer weitgehend Rücksicht zu nehmen.

(...)

3. Schichtarbeit

3.1 Schichtarbeit liegt vor, wenn im Wechsel in Zwei- oder Drei-Schichtsystemen gearbeitet wird.

(...)

3.3. Für unvorhergesehene in die dritte Schicht fallende Schichtvertretung wird für die laufende Schichtwoche ein Zuschlag nach § 7 Ziffer 5.3 zweiter Spiegelstrich gezahlt.

3.4 Unter Mitbestimmung des Betriebsrates ist ein Schichtenplan zu vereinbaren. Ist die Umsetzung eines Arbeitnehmers notwendig, so soll er rechtzeitig, möglichst 3 Tage vorher, davon verständigt werden.

3.5 Im Zwei-Schichtsystem wird eine bezahlte Pause von 20 Minuten gewährt, wenn der Arbeitsplatz nicht verlassen werden kann. Im Drei-Schichtsystem liegt hierin eine bezahlte Pause von 30 Minuten. Am Arbeitsplatz sind ausreichende Möglichkeiten zur Einhaltung der Pause zu schaffen.

4. Nachtarbeit

4.1 Als Nachtarbeit gilt die Arbeit in der Zeit von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr.

4.2. Unvorhergesehene Nachtarbeit liegt vor, wenn diese nicht mindestens 2 Arbeitstage vor ihrem Beginn angeordnet wird. Die Schichtvertretung in einer laufenden Schichtperiode während der Nachtarbeitszeit gilt als unvorhergesehene Nachtarbeit.

(...)

§ 7

Zuschläge

(...)

2. Die Zuschläge werden von dem Stundenverdienst (Divisor 1/160,33) des tatsächlich gezahlten Monatsentgelts berechnet.

3. Beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge ist nur der höchste, bei gleicher Höhe ein Zuschlag zu zahlen.

Schichtzuschläge sind daneben gesondert zu zahlen.

(...)

5. Es gelten folgende Zuschläge:

5.1 Mehrarbeit an Wochentagen

- die ersten beiden Stunden täglich

25%

- jede weitere Stunde täglich

50%

- Fuhrpark ab der 41. Stunde wöchentlich

25%

- ab der 47 Stunde wöchentlich

50%

(...)

5.3 Nachtarbeit und Schichtarbeit

- Nachtarbeit, jedoch nicht Schichtarbeit

50%

- unvorhergesehene Nachtarbeit

(als Nachtarbeit in diesem Sinne gelten in Notfällen auch die Zeiten für die An- und Abfahrt zur bzw. von der Arbeitsstätte. Für diese Zeit ist der Zuschlag ebenfalls zu zahlen).

60%

- 2. Schicht in Wechselschicht

10%

- 3. Schicht in Wechselschicht

25%

(...)

§ 15

Schichtfreizeit

Zur Abgeltung der bei ständig in Nachtschicht oder im Drei-Schichtsystem auftretenden Erschwernisse und Belastungen wird ein Ausgleich durch bezahlte Freizeit gewährt. Arbeitnehmer, die im Drei-Schichtsystem oder ausschließlich in Nachtschicht arbeiten, erhalten für je 60 Arbeitstage in diesem System 1 Tag Schichtfreizeit (Arbeitstag)."

Wegen des weiteren Wortlauts des MTV wird auf Bl. 6-16 dA. Bezug genommen.

Bei der Beklagten besteht eine Betriebsvereinbarung zur flexiblen Gestaltung der Arbeitszeit vom 21. November 2011 (Bl. 116-121 dA.).

Der Kläger ist bei der Beklagten im Drei-Schichtsystem in Wechselschicht beschäftigt und erhält für geleistete Nachtarbeit einen Zuschlag in Höhe von 25% des Bruttostundenlohns je Nachtarbeitsstunde.

Der Kläger hat behauptet, auf das Arbeitsverhältnis finde der MTV Anwendung. Die Beklagte sei tarifgebunden. Darüber hinaus sei die GB AG tarifgebunden gewesen und die Beklagte sei nach dem Betriebsübergang verpflichtet, den Tarifvertrag anzuwenden. Eine Änderung der Arbeitsbedingungen habe nicht stattgefunden.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die unterschiedliche Höhe der tariflichen Nachtarbeitszuschläge sei nicht sachlich gerechtfertigt und verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Beklagte sei deswegen verpflichtet, ihm für geleistete Nachtarbeit Zuschläge in Höhe von 50% pro Stunde zu zahlen.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat März 2019 weitere € 261,48 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.05.2019 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat April 2019 weitere € 174,32 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.05.2019 zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Mai 2019 weitere € 217,90 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.05.2019 zu zahlen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Juni 2019 weitere € 261,48 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.06.2019 zu zahlen.

5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Juni 2019 weitere € 217,90 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.07.2019 zu zahlen.

6. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Juli 2019 weitere € 392,22 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.07.2019 zu zahlen.

7. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat August 2019 weitere € 435,80 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.08.2019 zu zahlen.

8. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat September 2019 weitere € 217,90 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.09.2019 zu zahlen.

9. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Nachtarbeitszuschläge des Manteltarifvertrages für die Brauereien in Niedersachsen vom 23.06.2010 für zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr geleistete "unregelmäßige Nachtarbeit" der 3. Schicht in Wechselschicht i. S. d. § 7 Ziff. 5.3 4. Spiegelstrich des Manteltarifvertrages vom 23.06.2010 in gleicher Höhe zu gewähren wie für "regelmäßige Nachtarbeit" i. S. d. § 7 Ziff. 5.3 1. Spiegelstrich des Manteltarifvertrages vom 23.06.2010.

10. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat November 2019 weitere € 217,90 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.12.2019 zu zahlen.

11. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Dezember 2019 weitere € 87,16 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.01.2020 zu zahlen.

12. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Januar 2020 weitere € 130,74 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.01.2020 zu zahlen.

13. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat März 2020 weitere € 174;32 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.03.2020 zu zahlen.

14. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat März 2020 weitere € 130,74 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.04.2020 zu zahlen.

15. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat April 2020 weitere € 217,90 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.04.2020 zu zahlen.

16. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Mai 2020 weitere € 217,90 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.06.2020 zu zahlen.

17. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Juni 2020 weitere € 5,45 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.07.2020 zu zahlen.

18. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Juni 2020 weitere € 13,62 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.07.2020 zu zahlen.

19. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Juli 2020 weitere € 46,30 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.07.2020 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 27. August 2020 hat das Arbeitsgericht Hannover die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob die Beklagte nach dem Betriebsübergang an den Manteltarifvertrag tatsächlich gebunden sei, denn die vom Kläger angegriffene Tarifregelung zu den Nachtarbeitszuschlägen sei nicht gleichheitswidrig. Die Tarifvertragsparteien hätten durch die verschiedenen Regelungen zur Schichtfreizeit, zu den Mehrarbeitszuschlägen und zu den bezahlten Pausen für Mitarbeiter im Drei-Schichtsystem insgesamt ein ausdifferenziertes System entwickelt, in dem die Belastung der zu vergleichenden Arbeitnehmergruppen in der Nachtarbeit im Drei-Schichtsystem und der Nachtarbeit ohne Schichtarbeit auf unterschiedliche Weise kompensiert werden sollten. Die Kompensationsregelungen führten im Ergebnis zur sachlichen Rechtfertigung der streitgegenständlichen Differenzierung bei der Höhe der Nachtarbeitszuschläge.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der 1. Instanz wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils (Bl. 412R - 415R dA.), wegen der rechtlichen Würdigung durch das Arbeitsgericht auf die Entscheidungsgründe (Bl. 415R - 418 dA.) Bezug genommen.

Gegen das ihm am 17. September 2020 zugestellte Urteil vom 27. August 2020 hat der Kläger mit Schriftsatz vom Montag, den 19. Oktober 2020, bei dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangen am 19. Oktober 2020 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 18. Dezember 2020 mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2020, bei dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangen am 17. Dezember 2020 begründet.

Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Er behauptet, die G. AG sei Mitglied der Tarifgemeinschaft der Brauereien in Niedersachsen gewesen. Der MTV finde aber auch Anwendung, weil geregelt sei, dass er auf Brauereien, die dem im Rubrum genannten Verband angehörten, anzuwenden sei. Dem Brauereiverband Niedersachsen/Sachsen-Anhalt/Bremen habe die G. AG ebenfalls angehört. Die Personalleiterin der G. AG B. und der Personalleiter M. hätten an den Tarifverhandlungen im Jahr 2010 teilgenommen. Von der Tarifbindung sei die G.AG auch im Zusammenhang mit dem Unterrichtungsschreiben ausgegangen.

Der MTV differenziere gleichheitswidrig zwischen den Nachtarbeitszuschlägen für Nachtarbeit außerhalb der Schicht und in dem Drei-Schichtsystem. Die unterschiedliche Höhe der Zuschläge könne nicht durch die weiteren tariflichen Regelungen ausgeglichen werden.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.9.2021 hat der Kläger den Feststellungsantrag nach Hinweis der Kammer neu gefasst.

Der Kläger beantragt,

auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 27.08.2020, Az.: 2 Ca 238/19 abgeändert und

1. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat März 2019 weitere € 261,48 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.05.2019 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat April 2019 weitere € 174,32 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.05.2019 zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Mai 2019 weitere € 217,90 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.05.2019 zu zahlen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Juni 2019 weitere € 261,48 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.06.2019 zu zahlen.

5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Juni 2019 weitere € 217,90 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.07.2019 zu zahlen.

6. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Juli 2019 weitere € 392,22 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.07.2019 zu zahlen.

7. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat August 2019 weitere € 435,80 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.08.2019 zu zahlen.

8. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat September 2019 weitere € 217,90 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.09.2019 zu zahlen.

9. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Nachtarbeitszuschläge nach dem Manteltarifvertrag für die Brauereien in Niedersachsen vom 23.06.2010 für zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr geleistete Nachtarbeit in der 3. Schicht in Wechselschicht i. S. d. § 7 Ziff. 5.3 vierter Spiegelstrich des Manteltarifvertrages vom 23.06.2010 in gleicher Höhe zu gewähren wie für Nachtarbeit i.S.d. § 7 Ziff. 5.3 erster Spiegelstrich des Manteltarifvertrages vom 23.06.2010.

10. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat November 2019 weitere € 217,90 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.12.2019 zu zahlen.

11. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Dezember 2019 weitere € 87,16 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.01.2020 zu zahlen.

12. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Januar 2020 weitere € 130,74 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.01.2020 zu zahlen.

13. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat März 2020 weitere € 174;32 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.03.2020 zu zahlen.

14. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat März 2020 weitere € 130,74 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.04.2020 zu zahlen.

15. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat April 2020 weitere € 217,90 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.04.2020 zu zahlen.

16. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Mai 2020 weitere € 217,90 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.06.2020 zu zahlen.

17. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Juni 2020 weitere € 5,45 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.07.2020 zu zahlen.

18. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Juni 2020 weitere € 13,62 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.07.2020 zu zahlen.

19. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Monat Juli 2020 weitere € 46,30 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.07.2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, sie habe über die Mitgliedschaft der G. AG in der Tarifgemeinschaft oder dem tarifschließenden Verband keine Kenntnis. Sie habe auch keine Kenntnis über die Teilnahme der Personalleiter der G. AG an den Tarifverhandlungen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze vom 17.12.2020, 22.02.2021, 31.08.2021 und 16.09.2021 sowie die Sitzungsniederschrift vom 20.09.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist in vollem Umfang begründet.

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung ist auch begründet, da die Klage insgesamt zulässig und begründet ist.

1.

Der Feststellungsantrag zu 9. ist zulässig.

a.

Der Feststellungsantrag ist dahingehend auszulegen, dass er sich auf die Feststellung der Pflicht der Beklagten, auch für die Zeit nach Juli 2020 erhöhte Zuschläge für Nachtarbeit zu leisten. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Kläger seine Ansprüche durch die bezifferten Leistungsanträge geltend gemacht.

b.

Für den Antrag besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse.

Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Die Feststellungsklage muss sich nicht notwendig auf ein Rechtsverhältnis als Ganzes beziehen, sondern kann sich auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken; Bag, 15.7.2020, 10AZR 507/19, juris Rn. 37.

Die Parteien streiten allein um die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger für die Nachtarbeit in Schichtarbeit erhöhte Zuschläge zu zahlen. Dieser Streit ist geeignet, mit der angestrebten Entscheidung geklärt zu werden.

2.

Gegen die Zulässigkeit der Zahlungsanträge zu. 1. - 8. und 10. - 19. bestehen keine Bedenken.

3.

Die Zahlungsanträge und der Feststellungsantrag sind begründet.

Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung weiterer Nachtarbeitszuschläge in der angegebenen Höhe aus § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. dem zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag und § 7 Ziff. 5.3 MTV verlangen.

a)

Die Höhe der Ansprüche des Klägers hat die Beklagte nicht bestritten. Der Kläger hat sie unter Vorlage der ihm erteilten Abrechnungen nachvollziehbar berechnet und die Beklagte hat hiergegen nichts eingewandt.

b)

Der Anspruch des Klägers folgt allerdings nicht aus § 7 Ziff. 5.3 erster Spiegelstrich MTV.

(1)

Der MTV ist gem. § 613a Abs. 1 S. 2 BGB auf das Arbeitsverhältnis des Klägers anzuwenden.

(a)

Nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB tritt für den Fall, dass ein Betrieb durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber übergeht dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnorm eines Tarifvertrages oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden.

Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass die Beklagte im Wege eines Betriebsüberganges in das Arbeitsverhältnis des Klägers eingetreten ist.

(b)

Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers hat vor dem Betriebsübergang der MTV im Wege der beiderseitigen Tarifbindung Anwendung gefunden.

Die Beklagte hat den Vortrag des Klägers, die G. AG sei tarifgebunden gewesen nicht zulässig bestritten.

Die Beklagte hat insoweit vorgetragen, nach ihrer Kenntnis sei die G. AG nicht tarifgebunden gewesen und die Personalleiter der G. AG hätten an den Tarifverhandlungen nicht teilgenommen. Sie hat danach das dahingehende Vorbringen des Klägers mit Nichtwissen gem. § 138 Abs. 4 ZPO bestritten. Dieses Bestreiten ist nicht zulässig.

Art. 103 Abs. 1 GG sichert - i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG und dem in Art. 20 Abs. 3 GG gewährleisteten Rechtsstaatsprinzip - den Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht und das mit ihm im Zusammenhang stehende Recht auf Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes. Dies gebietet ein Ausmaß an rechtlichem Gehör, das sachangemessen ist, um den in bürgerlich rechtlichen Streitigkeiten - wie hier eine vorliegt - aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Erfordernissen eines wirkungsvollen Rechtschutzes gerecht zu werden. Zu den für einen fairen Prozess und einen wirkungsvollen Rechtsschutz in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten unerlässlichen Verfahrensregeln gehört, dass das Gericht über die Richtigkeit bestrittener Tatsachenbehauptungen nicht ohne hinreichende Prüfungen entscheidet. Ohne eine solche Prüfung fehlt es an einer dem Rechtsstaatsprinzip genügenden Entscheidungsgrundlage. Mit diesen Grund-sätzen wäre es nicht vereinbar, würde man einen Grad des Bestreitens erfordern, der es einer Partei unmöglich machen würde, unter zumutbaren Voraussetzungen einen Sachverhalt, für den sie nicht die Beweislast trägt, zum Gegenstand einer Beweisaufnahme zu machen. Es ist deshalb zwar verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn § 138 Abs. 2 und Abs. 4 ZPO von einer Partei verlangt, sich über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären und eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig ist, die weder eigene Handlung der Partei betreffen noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen ist es aber erforderlich, dass es für die Beurteilung, ob ein Bestreiten mit Nichtwissen zulässig ist, grundsätzlich auf den Zeitpunkt ankommt, in dem sich eine Partei im Prozess zu erklären hat. Auch von Verfassungs wegen ist deshalb gefordert, einer Partei nur aufzuerlegen sich darüber zu erklären, was sie zum Zeitpunkt der notwendigen Erklärung tatsächlich weiß oder - hier nicht entscheidungserheblich - über zumutbare Voraussetzungen durch Erkundigungen feststellen kann; BAG, 13.11.2007, 3 AZN 449/07, juris, Rn. 18.

Von diesen Grundsätzen ausgehend kann sich die Beklagte vorliegend nicht auf das Bestreiten mit Nichtwissen zurückziehen.

Als Vertragspartnerin der G. AG im Rahmen des Betriebsüberganges ist davon auszugehen, dass sich die Beklagte über den Inhalt der arbeitsvertraglichen Beziehungen bei der G. AG Kenntnis verschafft hat. Hierzu gehört auch die Anwendbarkeit der Tarifverträge. Die Beklagte hat ebenso das Unterrichtungsschreiben gem. § 613a Abs. 5 BGB aus Anlass des Betriebsüberganges mit verantwortet. Selbst wenn sie es in diesem Zusammenhang unterlassen haben sollte, sich Kenntnis über die Tarifsituation bei der G. AG zu verschaffen, ist nicht ersichtlich, warum es ihr nunmehr, da diese Frage im Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, nicht möglich und zumutbar sein soll, entsprechende Erkundigungen bei der G. AG nachzuholen.

Im Übrigen ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass sich für den Fall, dass der MTV keine Anwendung finden sollte, die Frage stellt, auf welcher Grundlage die Beklagte bei der Zahlung der Nachtarbeitszuschläge zwischen Nachtarbeit in Schichtarbeit und Nachtarbeit außerhalb Schichtarbeit differenziert. Dass sie diese Differenzierung vornimmt, ist von ihr nicht bestritten. Sollte sie dies auf individualvertraglicher Grundlage tun, stellt sich die Frage, nach welchem Maßstab zu entscheiden ist, ob die Differenzierung gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.

(2)

Danach ist ein Zuschlag in Höhe von 50 % einer Stundenvergütung für Nachtarbeit, jedoch nicht Schichtarbeit zu zahlen. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht, da er unstreitig Nachtarbeit im Rahmen seiner Schichtarbeit leistet. Er erfüllt daher nur die Voraussetzung der Arbeit in der 3. Schicht in Wechselschicht gem. § 7 Ziffer 5.3. dritter Spiegelstrich MTV.

c)

Der Kläger hat aber über den ihm unstreitig zustehenden Zuschlag für Arbeit in der dritten Schicht in Wechselschicht in Höhe von 25 % eines Stundenentgeltes hinaus einen Anspruch auf Zahlung eines ergänzenden Zuschlages in Höhe von weiteren 25 % eines Stundenentgeltes. Insofern kann er geltend machen, dass die tarifvertragliche Unterscheidung der Zuschläge einerseits für Nachtarbeit und andererseits für Arbeit in der 3. Schicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Nachtschichtarbeitnehmer werden gegenüber Arbeitnehmern, die außerhalb von Schichtsystemen Nachtarbeit leisten, gleichheitswidrig schlechtergestellt. Dem allgemeinen Gleichheitsgrundrecht oder auch Gleichheitssatz kann nur dadurch genügt werden, dass der Kläger für die im Rahmen von Nachtschichten geleistete Nachtarbeit ebenso wie ein Nachtarbeitnehmer im Sinn von § 7 Ziffer 5.3 erster Spiegelstrich behandelt wird. Die Berufungskammer folgt den grundsätzlichen Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts u.a. im Urteil vom 9. Dezember 2021 - 10 AZR 334/20 - Rn. 25 ff. und verzichtet auf wiederholende Ausführungen, insbesondere zur Frage der Prüfung eines Tarifvertrags am allgemeinen Gleichheitssatz.

Im Hinblick darauf, dass das Bundesarbeitsgericht in der genannten Entscheidung mit dem Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Brauereien und deren Niederlassungen in Hamburg und Schleswig-Holstein vom 29. Oktober 2005 über einen Tarifvertrag zu entscheiden hatte, der dem hier vorliegenden MTV weitgehend entspricht, beschränken sich die weiteren Ausführungen auf eine kurze Darlegung der Erwägungen, die zur Annahme der Übertragbarkeit der Begründung auf den vorliegenden Sachverhalt führen.

(1)

Arbeitnehmer, die Nachtarbeit in der 3. Schicht in Wechselschicht leisten sind mit den Arbeitnehmern, die Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit leisten vergleichbar; vgl. hierzu BAG, a.a.O. juris Rnrn. 51 - 54.

(2)

Die Nachtarbeitnehmer innerhalb und außerhalb der Schichtarbeit werden ungleichbehandelt, da den Nachtarbeitnehmern außerhalb der Schichtarbeit doppelt so hohe Zuschläge gezahlt werden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Besonderheiten in dem dem MTV unterfallenden Bereich und der Gesamtstruktur der tariflichen Bestimmungen.

(a)

Der Unterschied wird nicht dadurch relativiert, dass der Zuschlag für Nachtschichtarbeit "deutlich häufiger anfällt. Der Vergleich der monatlichen oder jährlichen Verdienste verbietet sich, weil er gegen den Pro-rata-temporis-Grundsatz verstößt. Die Zuschläge nach § 7 Ziffer 5.3. erster und dritter Spiegelstrich MTV beziehen sich auf das Entgelt für die einzelne Arbeitsstunde (§ 7 Ziffer 3 MTV).

(b)

Der MTV enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass in dem höheren Zuschlag nach § 7 Ziffer 5.3. erster Spiegelstrich MTV die Mehrarbeitszuschläge enthalten sind.

Die Tarifvertragsparteien haben Mehrarbeit in § 3 Ziffer 2.1 MTV definiert. Danach ist Mehrarbeit jede über die vereinbarte tägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeit. Die Definition knüpft ausschließlich an die tägliche Arbeitszeit an. Ein Bezug zur Lage der Arbeitszeit besteht nicht.

Auch aus der Regelung des § 7 Ziffer 3 MTV folgt nicht, dass die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen sind, dass der Mehrarbeitszuschlag in dem Zuschlag für Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit enthalten ist.

Diese Regelung betrifft alle tariflich geregelten Zuschläge mit Ausnahme der Schichtzuschläge. Daraus folgt lediglich, dass die Tarifvertragsparteien eine Deckelung der Zuschläge für den Fall des Zusammentreffens ihrer Tatbestandsvoraussetzungen erreichen wollten. Über die Frage, ob sie ein solches Zusammentreffen als Regelfall angenommen haben, sagt dies nichts aus. Aus der Regelung ist vielmehr zu schließen, dass die Tarifvertragsparteien die Schichtarbeit für eine besondere Belastung gehalten haben, da sie diese von der Deckelung ausgenommen haben. Dies führt allerdings nicht zu einer Gleichsetzung der Nachtarbeitszuschläge innerhalb und außerhalb der Schichtarbeit. Zwar trifft es zu, dass für Nachtarbeit innerhalb der Schicht, die Mehrarbeit ist, im Ergebnis der gleiche Zuschlag zu zahlen ist, wie für Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit unabhängig davon, ob sie Mehrarbeit (jedenfalls bis zur 2 Stunde täglich) ist. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass im Rahmen der Schichtarbeit überwiegend oder auch nur regelmäßig Mehrarbeit anfällt. Da der Ausgestaltung des Schichtsystems die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit zugrunde liegen dürfte, dürfte vielmehr die Mehrarbeit innerhalb der Schichtarbeit die Ausnahme sein.

(c)

Auch die weiteren tariflichen Leistungen verringern die Differenz zwischen den für Nachtarbeit gezahlten Zuschlägen nicht.

Die zusätzlichen bezahlten Pausen gem. § 3 Ziff. 3.5 MTV knüpfen nicht an die Lage der Arbeitszeit, sondern ausschließlich an die Beschäftigung im Zwei- bzw. Drei-Schicht-System an. Die Schichtfreizeit gem. § 15 MTV wird ebensowenig für die Nachtarbeit gezahlt. Dies ergibt sich daraus, dass sie sowohl für die Arbeit im Drei-Schicht-System als auch für die Arbeit ausschließlich in Nachtschicht gewährt wird. Die Arbeit in Nachtschicht ist danach für die Gewährung der Schichtfreizeit nicht notwendige Voraussetzung.

(3)

Die Differenzierung zwischen den Zuschlägen für Nachtarbeit und für Arbeit in der Nachtschicht ist sachlich nicht gerechtfertigt, selbst wenn ein zurückgenommener Prüfungsmaßstab angelegt wird. Die Tarifvertragsparteien des MTV haben den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten. Zwischen der Nachtarbeit und der Arbeit in der Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr bestehen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, die diese Differenzierung bei der Höhe der Nachtarbeitszuschläge sachlich rechtfertigen könnten. Dem MTV ist kein Anhaltspunkt zu entnehmen, der als Sachgrund für die Verdopplung des Zuschlags für Nachtarbeit gegenüber dem Zuschlag für Nachtschichtarbeit in Betracht käme.

Im Hinblick auf die Anforderungen an die Rechtfertigung und die Schädlichkeit der Nachtarbeit nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen schließt sich die Kammer wiederum den Ausführungen des BAG in der Entscheidung vom 9.12.2020, 10 AZR 334/20, juris Rnrn. 69 - 72 an, von deren wiederholender Wiedergabe hier abgesehen wird.

Ein sachlicher Grund, der geeignet ist, die Differenzierung zu legitimieren ist nicht ersichtlich.

(a)

Bei den Zuschlägen nach § 7 Ziffer 5.3 erster Spiegelstrich handelt es sich nicht um nicht um eine Entschädigung der außerhalb von Schichtsystemen zur Nachtarbeit herangezogenen Arbeitnehmer dafür, dass ihre Teilhabe am sozialen Leben durch die kurzfristige Anordnung stärker erschwert wird als bei Nachtarbeit, die aufgrund von Schichtplänen geleistet wird. Die Tarifvertragsparteien wollten mit den höheren Zuschlägen nicht die mangelnde Planbarkeit ausgleichen.

Dies ergibt sich aus den Regelungen des § 3 Ziffer 3.3, 4.2 und § 7 Ziffer 5.3. zweiter Spiegelstrich MTV. Danach erhalten die Arbeitnehmer für unvorhergesehene Nachtarbeit einen Zuschlag in Höhe von 60 % eines Stundenentgeltes. Unvorhergesehene Nachtarbeit ist die Nachtarbeit, die nicht mindestens zwei Tage vor ihrem Beginn angekündigt wird. Die unvorhergesehene Nachtarbeit ist schlechter planbar, als die Nachtarbeit in der Schichtarbeit, denn für diese gilt gem. § 3 Ziffer 3.4 MTV eine Ankündigungsfrist von drei Tagen. Aus der Tatsache, dass die Tarifvertragsparteien für schlechter planbare Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorgesehen haben, folgt, dass ein solcher Zuschlag in dem Nachtarbeitszuschlag nicht enthalten ist.

Auf die Frage, ob eine tarifvertragliche Regelung mit Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Ausgleich vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, wenn damit neben den gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die Nachtarbeit auch Belastungen wegen der schlechteren Planbarkeit von unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden sollen kommt es danach nicht an; vgl. hierzu BAG, EuGH-Vorlage vom 09. Dezember 2020 - 10 AZR 332/20 (A) -, juris.

(b)

Auch andere legitime Zwecke, die geeignet sein könnten, die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen liegen nicht vor.

Zu möglichen legitimen Zwecken und den Gründen, aus denen diese nicht geeignet sind sowie zu der Rechtsfolge der Anpassung der Zuschläge nach oben schließt sich die Berufungskammer ebenfalls den Ausführungen des BAG, 9.12.2020, 10 AZR 334/20, juris Rnrn. 79 - 96 an.

d)

Die Entscheidung über die Zinsen folgt aus §§ 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB.

III.

Auch das weitere Vorbringen der Beklagten, auf das in diesem Urteil nicht mehr besonders eingegangen wird, weil die Entscheidungsgründe gemäß § 313 Abs. 3 ZPO lediglich eine kurze Zusammenfassung der tragenden Erwägungen enthalten sollen, führt nicht zu einem abweichenden Ergebnis.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die Zulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Im Hinblick auf die Vielzahl von Entscheidungen zu der Gleichheitswidrigkeit differenzierender Nachtzuschlagsregelungen hat die Sache grundsätzliche Bedeutung.