Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.11.2021, Az.: 1 ME 34/21

Brandschutz; Denkmalschutz; Grenzabstand; Nachbar; unzulässige Rechtsausübung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.11.2021
Aktenzeichen
1 ME 34/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71053
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 20.01.2021 - AZ: 2 B 250/20

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Brandschutzbestimmungen sind jedenfalls insoweit nachbarschützend, als sie auch dazu dienen, einer Brandausbreitung auf Nachbargebäude entgegenzuwirken. Ein nachbarschützender Charakter scheidet aber bei solchen brandschutzrechtlichen Vorschriften aus, die nur die Bewohner bzw. Benutzer des jeweiligen Gebäudes schützen sollen.

2. Abstandsvorschriften dienen in Niedersachsen grundsätzlich nicht dem Brandschutz. Der Brandschutz wird im Bauordnungsrecht in speziellen Vorschriften geregelt.

3. Verstößt der Anfechtende selbst gegen Grenzabstandsvorschriften, so kann er unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung an einer Geltendmachung von Grenzabstandsverletzungen gehindert sein. Dies ist der Fall, wenn die Verletzungen der Grenzabstandsvorschriften bei wertender Betrachtung einander entsprechen (Fortführung der st. Senatsrspr., vgl. u.a. Senatsurt. v. 12.9.1984 - 6 A 49/83 -, BRS 42 Nr. 196; Senatsbeschl. v. 30.3.1999 - 1 M 897/99 -, BRS 62 Nr. 190 = BauR 1999, 1163 = juris Rn. 43; Senatsbeschl. v. 20.10.2014 - 1 LA 103/14 -, BRS 82 Nr. 192 = BauR 2015, 246 = juris; Senatsbeschl. v. 12.4.2017 - 1 ME 34/17 -, BRS 85 Nr. 129 = BauR 2017, 1350 = juris Rn. 12).

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 2. Kammer - vom 20. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 26.250 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.

Die Beigeladene beabsichtigt, durch Umbau- und Teilabrissmaßnahmen im Bereich der Burgpassage in A-Stadt eine „Neue Burggasse“ zu errichten. Bei der Burgpassage handelt es sich um ein überdachtes Einkaufszentrum auf zwei Geschossebenen, das in den 1980er Jahren errichtet wurde und die Einkaufsstraßen Schuhstraße/Kleine Burg und Hutfiltern/Damm - den nördlichen und den südlichen Teil der Fußgängerzone im Innenstadtbereich der Antragsgegnerin - miteinander verbindet. In der „Neuen Burggasse“ soll die Passage aufgelöst und durch eine Gasse ersetzt werden; im Erd- und im 1. Obergeschoss soll eine neue Ladenstraße entstehen, ab dem 2. Obergeschoss sind Wohnungen geplant. Im Rahmen der Umbaumaßnahmen soll zudem der bisherige Südeingang zur neuen Gasse in der unter Denkmalschutz stehenden Fassade des 1887 errichteten Gebäudes Hutfiltern 8 erhöht werden (ca. 10 m x 7 m), um einen deutlich wahrnehmbaren Zugang zur neuen Gasse mit „offenem Torcharakter“ zu schaffen und um zu erreichen, dass die Angebote der in der Gasse vorgesehenen Ladengeschäfte besser angenommen werden.

Der Antragsteller ist Eigentümer des schräg versetzt gegenüber dem Gebäude Hutfiltern 8 gelegenen, ebenfalls denkmalgeschützten Gebäudes mit der postalischen Anschrift Damm E.. Beide Gebäude sind durch die zur Fußgängerzone gewidmete, an dieser Stelle etwa 12 Meter breite Straße Hutfiltern, die in östlicher Richtung in die Straße Damm übergeht, voneinander getrennt.

Mit Bescheid vom 14. Juli 2020 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die Baugenehmigung. Gleichzeitig ließ sie unter anderem die beantragte Unterschreitung der erforderlichen Grenzabstände entsprechend dem Abstandsflächenplan zu und erteilte die denkmalschutzrechtliche Genehmigung zur Vergrößerung des Durchlasses in dem Gebäude Hutfiltern 8. Wegen der genauen Einzelheiten wird auf die Genehmigungsunterlagen verwiesen. Der Antragsteller hat am 19. August 2020 Widerspruch erhoben, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden wurde. Zugleich hat er beim Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

Den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Baugenehmigung hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. Januar 2021 abgelehnt und zur Begründung unter anderem ausgeführt, das Vorhaben verletze den Antragsteller nicht in seinen nachbarlichen Rechten. Ein Verstoß gegen nachbarschützende Brandschutzbestimmungen sei nach den vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich. Insbesondere bestünden keine Anhaltspunkte für einen vom Antragsteller befürchteten Brandüberschlag; dies werde vom Brandschutzgutachter in seiner Stellungnahme vom 11. November 2020 eindeutig bestätigt. Ferner werde der Antragsteller durch die von ihm gerügte Abstandsunterschreitung nicht in seinen Rechten verletzt. Zwar halte das Gebäude Hutfiltern 8 den Grenzabstand nicht ein; es sei aber rechtmäßig eine Abweichung zugelassen worden. Die Antragsgegnerin habe bei der Bemessung des Grenzabstandes zutreffend auf die Traufhöhe des Gebäudes Hutfiltern 8 abgestellt. Die auf der südlichen Dachfläche befindlichen Baukörper, die in der Flucht der Außenwand lägen, seien nach § 5 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 NBauO als „entsprechende andere Giebelformen“ bei der Abstandsbemessung nicht zu berücksichtigen. Die beiden übrigen Baukörper seien als Dachgauben anzusehen, auf die § 5 Abs. 3 Nr. 2 NBauO anzuwenden sei, weshalb für sie ein geringerer Abstand gelte. Nach alledem bleibe allein die Traufhöhe von 14,70 m bei der Bemessung des Grenzabstandes maßgeblich. Unter Hinzurechnung von 6 m öffentlich gewidmeter Straße nach § 6 Abs. 1 NBauO verbleibe eine Abstandsunterschreitung von 1,35 m. Diesbezüglich habe die Antragsgegnerin eine Abweichung zugelassen, die den Antragsteller nicht in seinen nachbarschützenden Rechten beeinträchtige. Im Rahmen der nach § 66 NBauO erforderlichen Abwägung sei unter anderem zu berücksichtigen, dass sein Gebäude die erforderlichen Grenzabstände ebenfalls nicht einhalte, weshalb seine Position weniger schutzwürdig sei. Letzteres führe zudem dazu, dass sich seine Berufung auf etwaige Abstandsverletzungen als unzulässige Rechtsausübung darstelle; das gelte auch dann, wenn man die Dachaufbauten als abstandsrelevant ansähe. Nachbarschützende denkmalrechtlichen Regelungen seien ebenfalls nicht verletzt.

Hiergegen richtet sich die von dem Antragsteller erhobene Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt. Die Beigeladene hat sich nicht am Verfahren beteiligt.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die fristgerecht dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.

1.

Die zum Brandschutz vorgetragenen Beschwerdegründe greifen nicht durch.

Nach § 14 Satz 1 NBauO müssen bauliche Anlagen unter anderem so errichtet, geändert und instand gehalten werden und so angeordnet, beschaffen und für ihre Benutzung geeignet sein, dass der Entstehung eines Brandes sowie der Ausbreitung von Feuer und Rauch (Brandausbreitung) vorgebeugt wird. Jedenfalls soweit diese Regelung und andere Brandschutzbestimmungen dazu dienen, im Brandfall einer Brandausbreitung auf Nachbargebäude entgegenzuwirken, haben sie auch nachbarschützende Funktion (vgl. u.a. Senatsbeschl. v. 14.6.2004 - 1 ME 101/04 -, juris Rn. 40; Burzynska/Fontana in: Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 68 Rn. 94 und 104 m.w.N.). Ein nachbarschützender Charakter scheidet aber bei solchen brandschutzrechtlichen Vorschriften aus, die nur die Bewohner bzw. Benutzer des jeweiligen Gebäudes schützen sollen.

Gemessen hieran verletzt das Vorhaben keine nachbarschützenden Brandschutzbestimmungen. Der vom Antragsteller erhobene Einwand einer „Schornsteinwirkung“ der Gasse, mit der Folge einer flächendeckenden, sein gegenüberliegendes Gebäude erfassenden Brandausbreitung, überzeugt nicht. Der Antragsteller bleibt für seine Behauptungen jeglichen Nachweis schuldig. Seine wiederholt geäußerte Befürchtung, die geplante (große) Öffnung im Gebäude Hutfiltern 8 habe einen Schloteffekt/eine Sogwirkung, der/die im Falle eines Brandes das Feuer durch das Tor drücke, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Die Antragsgegnerin hat plausibel dargelegt, dass bei einem Brand in der Burggasse eine derartige Sogwirkung umgekehrt stattfinden könne, da die Hitze nach oben steige und Luft bzw. Sauerstoff von der Straße her durch die Toröffnung in die nach oben offene Gasse nachgesogen werden könne. Aus diesem Grunde teilt der Senat auch nicht die vom Antragsteller geäußerten Bedenken an der Aussagekraft der brandsachverständigen Stellungnahme. Wenn der Antragsteller rügt, die Ausführungen des Brandsachverständigen zur vertikalen Ausbreitung von Heißgasen aus einer Brandraumöffnung seien nicht vollständig und überzeugend, da dies anders sei, wenn Heißgase mit ausreichender Kraft in horizontale Richtung getrieben würden, überzeugt dies nicht. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, woher die erforderliche Kraft angesichts der Offenheit der Gasse stammen könnte.

Soweit der Antragsteller geltend macht, der Brandschutzaspekt dürfe keinesfalls auf Basis einer summarischen Prüfung bei gegebener Abstandsunterschreitung „weggewischt“ werden, dringt er hiermit nicht durch. Die Abstandsvorschriften dienen grundsätzlich nicht dem Brandschutz, insbesondere nicht der Begrenzung einer Brandausbreitung, was sich bereits in § 5 NBauO, der zahlreiche Ausnahmen gestattet, in aller Deutlichkeit zeigt (so bereits Senatsbeschl. v. 25.9.2014 - 1 LA 13/14 -, n.v.; vgl. zudem Breyer in: Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 5 Rn. 26; Barth/Mühler, Abstandsvorschriften der Niedersächsischen Bauordnung, 4. Aufl. 2013, Einf. Rn. 3). Der Brandschutz wird im Bauordnungsrecht vielmehr in speziellen Vorschriften (u.a. § 14 NBauO, §§ 26 ff. NBauO, § 8 DVO-NBauO) geregelt.

Aus dem weiteren Vorbringen, es seien die in Brandschutzgutachterkreisen bekannten „Duisburger Verhältnisse“ zu befürchten, was insbesondere die Anordnung der jeweiligen Fluchtwege betreffe, ist bereits nicht ersichtlich, wie dies den Antragsteller in seinen Rechten verletzt. Das Bauvorhaben verändert insbesondere keine Zufahrten zu seinem Gebäude und hat auch keine sonstigen Auswirkungen auf sein Brandschutzkonzept.

Auch der Einwand, der Brandschutzgutachter habe nicht geprüft, dass Bauteile auf dem Dach in einem Brandfall auf die Straße fallen könnten, verfängt nicht. Denn dies ist kein besonderer brandschutzrechtlicher Aspekt; Bauteile müssen allgemein sicher sein. Zudem ist nicht dargelegt, wie dies den Antragsteller in seinen nachbarlichen Rechten verletzt.

Der weitere Vortrag in den Schriftsätzen vom 26. Mai 2021, 10. November 2021 und 15. November 2021 kann der Senat schon gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nicht berücksichtigen, da er nicht innerhalb der Beschwerdefrist vorgebracht wurde. Überdies betreffen seine darin vorgebrachten Bedenken nicht nachbarschützende Bereiche. Dies gilt ebenfalls bezüglich seines Einwands, dass sich eine der Feuerwehrflächen direkt vor seinem Gebäude befinde. Auch wenn sich ein nachbarschützender Charakter daraus ergeben könnte, dass bei einer den Brandschutzanforderungen nicht genügenden Zugänglichkeit des Vorhabengrundstücks das Grundstück des Nachbarn im Brandfall in Anspruch genommen werden muss (vgl. u.a. OVG LSA, Beschl. v. 19.10.2012 - 2 L 149/11 -, NVwZ-RR 2013, 87 = juris Rn. 21), so ist dies hier weder dargetan noch ist ersichtlich, dass die Verkehrsfläche vor seinem Gebäude in seinem Eigentum steht.

Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die Dauer des Verfahrens war ein weiteres Zuwarten auf das vom Antragsteller wiederholt, zuletzt mit Schriftsätzen vom 10. und 15. November 2021 angekündigte Gutachten, für das ein konkretes Vorlagedatum nicht benannt werden konnte, nicht veranlasst. Selbst wenn die Besorgnis der gerügten Brandschutzmängel (Rettungswege, Sammelplätze etc.) begründet sein sollte, so betreffen diese allesamt nicht nachbarschützende Bereiche.

2.

Ohne Erfolg macht der Antragsteller geltend, das Bauvorhaben halte die erforderlichen Grenzabstände nicht ein. Auf eine etwaige Abstandsflächenunterschreitung kann sich der Antragsteller nicht berufen.

Zu Recht weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass dem Antragsteller wegen eigener Verletzung der Grenzabstandsvorschriften ein Abwehranspruch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung nicht zusteht. Der öffentlich-rechtliche Nachbarschutz beruht auf einem Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit. Aus der Störung des nachbarlichen Gleichgewichts und nicht schon aus der Abweichung von öffentlich-rechtlichen Normen ergibt sich der Abwehranspruch des Nachbarn. Hieraus folgt, dass ein Nachbar aus dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung gehindert sein kann, einen Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften geltend zu machen, wenn er in vergleichbarer Weise gegen diese Vorschriften verstoßen hat (st. Senatsrspr., vgl. hierzu u.a. Urt. v. 12.9.1984 - 6 A 49/83 -, BRS 42 Nr. 196; Beschl. v. 30.3.1999 - 1 M 897/99 -, BRS 62 Nr. 190 = BauR 1999, 1163 = juris Rn. 43; Beschl. v. 20.10.2014 - 1 LA 103/14 -, BRS 82 Nr. 192 = BauR 2015, 246 = juris; Beschl. v. 12.4.2017 - 1 ME 34/17 -, BRS 85 Nr. 129 = BauR 2017, 1350 = juris Rn. 12). Soweit das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis nicht gestört wird, d.h. die Verletzungen der Grenzabstandsvorschriften bei wertender Betrachtung einander entsprechen, ist ein Abwehranspruch ausgeschlossen. Dies ist hier der Fall.

Dass das Gebäude Damm E. mit einer Traufhöhe von 14,20 m den erforderlichen Grenzabstand ebenfalls nicht einhält, wird von dem Antragsteller nicht in Abrede gestellt. Beide Gebäude (Hutfiltern 8 und Damm E.) werden für Handel und Dienstleistungen genutzt und sind daher gleichermaßen schutzwürdig. Bei der Bewertung der wechselseitigen Abstandsverstöße kann der Senat offen lassen, ob man - wie die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht angenommen haben - als maßgebliche Höhe des Gebäudes Hutfiltern 8 die Traufhöhe von 14,70 m heranzieht und die „Dachaufbauten“ und Dachgauben nach § 5 Abs. 3 und 4 NBauO unberücksichtigt lässt, was eine Abstandsunterschreitung von 1,35 m zur Folge hätte, oder ob man - wie der Antragsteller geltend macht - diese „Dachaufbauten“ und Dachgauben zusätzlich berücksichtigt, was nach dem Vortrag des Antragstellers zu einer Unterschreitung von 2,80 m führte. Denn nicht die Gebäudeteile, welche die Abstandsvorschriften nicht mehr einhalten, sondern - grundsätzlich und so auch hier - die gesamten Verhältnisse entlang der gemeinsamen Grenze sind würdigend nebeneinander zu stellen. Bei Verstößen gegen Grenzabstandsvorschriften kommt es nicht auf eine zentimetergenaue Entsprechung an (vgl. Senatsbeschl. v. 30.3.1999 - 1 M 897/99 -, BRS 62 Nr. 190 = BauR 1999, 1163 = juris Rn. 43; Beschl. v. 9.9.2004 - 1 ME 194/04 -, BRS 67 Nr. 188 = BauR 2005, 372 = juris Rn. 15 f.). Die „Störung“ des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses ist vielmehr anhand der konkreten Auswirkungen zu beurteilen, wobei es insbesondere (auch) darauf ankommt, welche Abstandsschatten diese Gebäudeteile auf das Grundstück des jeweils anderen werfen und in welcher Weise sie hierdurch bei Würdigung der konkreten Verhältnisse diejenigen Belange beeinträchtigen, welche die Grenzabstandsvorschriften zu schützen bestimmt sind (vgl. Senatsbeschl. v. 9.9.2004 - 1 ME 194/04 -, BRS 67 Nr. 188 = BauR 2005, 372 = juris Rn. 17). Das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis, welches den Nachbarn zu „treuem", das heißt fairem Verhalten verpflichtet, ist dann in einer Abwehrmaßnahmen nach wie vor zulassenden Weise gestört, wenn die Verletzung nachbarschützender Abstandsregelungen durch das angegriffene Vorhaben schwerer wiegt, als die Inanspruchnahme des Bauwiches durch den sich wehrenden Nachbarn (Senatsbeschl. v. 30.3.1999 - 1 M 897/99 -, BRS 62 Nr. 190 = BauR 1999, 1163 = juris Rn. 43). Dies ist hier selbst unter Berücksichtigung der „Dachaufbauten“ und Dachgauben - worauf das Verwaltungsgericht auf Seite 17 des Beschlussabdrucks zutreffend hinweist - nicht der Fall, denn von ihnen gehen aufgrund ihrer geringeren Breite und ihrer Verjüngung nach oben sowie ihrer - gegenüber der restlichen Gebäudekubatur - untergeordneten Ausmaße keine nennenswerten Beeinträchtigungen auf das Grundstück des Antragstellers aus. Inwiefern darüber hinaus die vom Antragsteller auf Seite 21 seiner Beschwerdeschrift angeführten ornamentalen Dekore spürbaren Einfluss auf Licht und Sonne haben sollen, erschließt sich nicht. Es ist insbesondere zu berücksichtigen, dass das genehmigte Vorhaben nördlich des Gebäudes des Antragstellers liegt, weshalb nicht jede Abstandsverletzung zwangsläufig mit einem Verlust an Sonneneinstrahlung und Verschattung des gegenüberliegenden Gebäudes einhergeht. Die Himmelsrichtung führt dazu, dass sich die Abstandsunterschreitungen durch das Vorhaben der Beigeladenen im Ergebnis deutlich weniger auswirken, als dies vom südlich gelegenen Gebäude des Antragstellers der Fall ist (zur Berücksichtigung der Himmelsrichtung vgl. Senatsbeschl. v. 9.9.2004 - 1 ME 194/04 -, BRS 67 Nr. 188 = BauR 2005, 372 = juris Rn. 21).

Soweit sich der Antragsteller darauf beruft, die Abstandsunterschreitung seines Gebäudes sei auf eine historische Entwicklung zurückzuführen und damals habe abweichendes Abstandsflächenrecht gegolten, verfängt dies nicht. Der Vorwurf treuwidrigen Verhaltens entfällt nicht dadurch, dass das Gebäude des sich wehrenden Nachbarn in Einklang mit dem damals geltenden Baurecht errichtet worden ist; maßgeblich ist allein, dass er mit seinem Gebäude den (jetzt) erforderlichen Grenzabstand nicht einhält (st. Senatsrspr, vgl. u.a. Senatsbeschl. v. 30.3.1999 - 1 M 897/99 -, BRS 62 Nr. 190 = BauR 1999, 1163 = juris Rn. 43; Beschl. v. 20.10.2014 - 1 LA 103/14 -, BRS 82 Nr. 192 = BauR 2015, 246 = juris Rn. 7 m.w.N.; Beschl. v. 12.4.2017 - 1 ME 34/17 -, BRS 85 Nr. 129 = BauR 2017, 1350 = juris Rn. 12). Denn es ist nicht an einen Rechtswidrigkeitsvorwurf gegenüber dem beschwerdeführenden Nachbarn anzuknüpfen, sondern daran, dass diesem ein Abwehranspruch nur bei einer Störung des nachbarlichen Gleichgewichts zustehen soll (vgl. Senatsbeschl. v. 12.4.2017 - 1 ME 34/17 -, BRS 85 Nr. 129 = BauR 2017, 1350 = juris Rn. 12).

Dem Einwand unzulässiger Rechtsausübung steht auch nicht entgegen, dass sich die Gebäude Damm E. und Hutfiltern 8 nur in einem kleinen Teilbereich von ca. 1 m direkt gegenüberliegen. Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung greift nicht erst dann, wenn das unter Verletzung des Grenzabstands errichtete Gebäude dem hinzutretenden Vorhaben genau gegenüberliegt, sondern erfasst auch alle sonstigen „in einer Beziehung zueinander“ stehenden Bauten (vgl. Senatsbeschl. v. 20.10.2014 - 1 LA 103/14 -, BRS 82 Nr. 192 = BauR 2015, 246 = juris Rn. 8).

Auch der Einwand, die Grundsätze der öffentlichen Sicherheit beanspruchten trotzdem Geltung und seien nachbarschützend zu berücksichtigen, führt zu keiner abweichenden Entscheidung. Richtig ist, dass die Inanspruchnahme des Bauwichs durch den Nachbarn nicht dazu führt, dass jedwede Abwehransprüche wegen Abstandsverletzungen des Bauherrn ausgeschlossen sind; insbesondere kann ein Abstandsverstoß gerügt werden, wenn hiermit in gefahrenabwehrrechtlicher Hinsicht völlig untragbare Zustände entstünden, die das Bauvorhaben in Widerspruch zu § 3 Abs. 1 NBauO geraten ließen (zu Letzterem vgl. auch VGH BW, Urt. v. 18.11.2002 - 3 S 882/02 -, BRS 65 Nr. 193 = BauR 2003, 1203 = juris Rn. 25). Das Vorhaben schafft hingegen keine untragbaren, mit den Grundsätzen der öffentlichen Sicherheit nicht mehr zu vereinbarenden, gefahrenabwehrrechtliche Zustände. Soweit der Antragsteller auf die ornamentalen Dekore verweist und geltend macht, dass von diesen aufgrund ihrer geringeren Festigkeit ganz besondere Gefahren ausgehen könnten, betrifft dies keine spezifische Abstandsproblematik, sondern eine generelle Frage der Standsicherheit bestimmter Bauteile. Dass insoweit, zumal zu Lasten des Antragstellers, Defizite bestehen könnten, ist nicht ansatzweise ersichtlich; die Aufbauten bestehen zumindest in ihren wesentlichen Teilen seit mehr als 130 Jahren und sind demzufolge ganz offenbar solide.

Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob der Antragsteller auch unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung an einer Geltendmachung etwaiger Abwehrrechte gehindert wäre. Ebenso braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob die zur Prüfung gestellte Baugenehmigung überhaupt eine rechtliche Regelung zu den Grenzabständen trifft; das Gebäude Hutfiltern 8 bleibt in seiner grenzabstandsrelevanten Kubatur und seiner wesentlichen Nutzung immerhin unverändert.

Soweit sich der Antragsteller schließlich gegen die Bestimmtheit der Baugenehmigung wendet und geltend macht, der Umfang der Abstandsflächenunterschreitung sei nicht erkennbar, dringt er hiermit bereits deshalb nicht durch, weil es hierauf aufgrund des Einwands unzulässiger Rechtsausübung nicht ankommt. Überdies ist die Baugenehmigung hinreichend bestimmt, denn im ersten Satz auf Seite 2 heißt es, dass die Unterschreitung der erforderlichen Grenzabstände entsprechend dem (grüngestempelten) Abstandsflächenplan zugelassen wird.

3.

Auch im Übrigen legt der Antragsteller eine Verletzung nachbarschützender Rechte nicht dar.

Seine denkmalrechtlichen Einwände, die Antragsgegnerin habe sich durch die Genehmigungserteilung über die Erwägungen der Denkmalschutzbehörden hinweggesetzt, welche sich klar gegen einen Eingriff in die Denkmalsubstanz ausgesprochen hätten, durch das „Hineinschlagen“ der großen Öffnung in die Fassade des Gebäudes Hutfiltern 8 werde in erheblichem Umfang in das denkmalrechtliche Gesamtensemble eingegriffen, begründen keine für ihn günstigere Entscheidung.

Da mit dem Vorhaben kein Eingriff in die Substanz seines denkmalgeschützten Gebäudes Damm E. verbunden ist und es auch nicht dem denkmalgeschützten Ensemble (§ 3 Abs. 3 NDSchG) zugehörig ist, dem das Gebäude Hutfiltern 8 angehört, kann sich der Antragsteller (lediglich) auf Umgebungsschutz berufen. Nach § 8 Satz 1 NDSchG dürfen Anlagen in der Umgebung eines Baudenkmals nicht errichtet, geändert oder beseitigt werden, wenn dadurch das Erscheinungsbild des Baudenkmals beeinträchtigt wird. Diese Regelung vermittelt dem Eigentümer eines Denkmals Drittschutz, soweit es um eine erhebliche Beeinträchtigung geht (vgl. grundlegend Nds. OVG, Urt. v. 23.8.2012 - 12 LB 170/11 -, BRS 79 Nr. 212 = BauR 2013, 936 = juris Rn. 55 f. unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 21.4.2009 - 4 C 3.08 -, BVerwGE 133, 347 = BRS 74 Nr. 220 = juris Rn. 9; vgl. ferner Kleine-Tebbe/Guntau, Denkmalrecht Niedersachsen, 4. Aufl. 2020, § 2 Erl. 2.2.2.3.1). Eine Beeinträchtigung liegt vor, wenn die jeweilige besondere Wirkung des Baudenkmals, die es als Kunstwerk, als Zeuge der Geschichte oder als bestimmendes städtebauliches Element auf den Beschauer ausübt, geschmälert wird. Wann eine erhebliche Beeinträchtigung des Erscheinungsbilds eines Baudenkmals anzunehmen ist, lässt sich nicht allgemeingültig bestimmen, sondern hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, insbesondere von dem Denkmalwert und der Intensität des Eingriffs, ab. Eine erhebliche Beeinträchtigung des Denkmals kann anzunehmen sein, wenn über die erwähnten Voraussetzungen hinaus die Schutzwürdigkeit des Denkmals als besonders hoch zu bewerten ist oder dessen Erscheinungsbild durch das Vorhaben den Umständen nach besonders schwerwiegend beeinträchtigt wird (vgl. u.a. Senatsbeschl. v. 6.4.2020 - 1 LA 114/18 -, BauR 2020, 1163 = ZfBR 2020, 788 = juris Rn. 10; Nds. OVG, Urt. v. 23.8.2012 - 12 LB 170/11 -, BRS 79 Nr. 212 = BauR 2013, 936 = juris Rn. 57 ff. m.w.N.; Kleine-Tebbe/Guntau, Denkmalrecht Niedersachsen, 4. Aufl. 2020, § 2 Erl. 2.2.2.3.1.3 m.w.N.).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe verletzt das Vorhaben keine denkmalschutzrechtlichen Nachbarrechte. Welche äußerlich wahrnehmbaren Auswirkungen das Vorhaben auf das Baudenkmal Damm E. haben könnte, legt der Antragsteller nicht plausibel dar. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die Wirkung seines Baudenkmals durch das Vorhaben geschmälert wird. Erhärtet wird diese Einschätzung zudem dadurch, dass das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege mit keinem Wort etwaige Auswirkungen des Vorhabens (hier genauer: der geplanten vertikalen Erweiterung des Zugangs im Gebäude Hutfiltern 8) auf das Baudenkmal des Antragstellers erwähnt hat. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass sich das Denkmal Hutfiltern 8 auch nach der genehmigten Erweiterung der Fassadenöffnung optisch nicht wesentlich von dem Gebäude des Antragstellers unterscheiden wird, denn sein Baudenkmal Damm E. hat aufgrund seiner verglasten Fronten im Erdgeschoss ebenfalls seinen ursprünglich prägenden Zeitnachweis in diesem Bereich verloren. Auch dem weiteren Vorbringen in den Schriftsätzen vom 10. November 2021 und 15. November 2021 lässt sich eine erhebliche denkmalrechtliche Beeinträchtigung nicht entnehmen. Unabhängig davon, dass dieser Vortrag nicht innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1, 3 VwGO erfolgt ist, erschließt sich nicht, inwiefern der von dem Antragsteller befürchtete „Rettungsschlauch“ durch Freihaltung der Gasse geeignet sein sollte, die Wirkung seines Baudenkmals zu schmälern. Sein Verweis auf die Beeinträchtigung des „städtischen Lebens“ betrifft zudem bereits keinen denkmalrechtlich geschützten Bereich. Auch der erwähnte „Quartiersschutz“ existiert nicht, denn sein Baudenkmal gehört - wie erwähnt - nicht zu der Denkmalgruppe, dem das Gebäude Hutfiltern 8 angehört.

Soweit der Antragsteller weiter anführt, es sei zu berücksichtigen, dass die Genehmigung nach § 33 BauGB erteilt worden sei, weshalb die notwendige planerische (denkmalrechtliche) Abwägung noch nicht abgeschlossen sei, dringt er hiermit bereits deshalb nicht durch, weil die Antragsgegnerin die Baugenehmigung auf Grundlage des § 34 BauGB (i.V.m. dem einfachen Bebauungsplan IN 250) erteilt hat.

Schließlich verfängt sein Einwand der eigennützigen Umlenkung der Nutzerfrequenzströme durch die Belebung der Passage nicht. Dies ist für die Frage des Drittschutzes unerheblich und betrifft keinen denkmalrechtlich geschützten Bereich. Das Denkmalrecht schützt das Baudenkmal an sich, nicht dagegen die dahinterstehenden wirtschaftlichen Interessen des jeweiligen Eigentümers.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht für erstattungsfähig zu erklären, da sie sich nicht am Verfahren beteiligt hat.

Die Streitwertfestsetzung, die der erstinstanzlichen Festsetzung folgt, beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).