Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.11.2021, Az.: 9 LA 11/21

Anhörungsrüge; Anschrift, ladungsfähige; Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse; Frist; Gehör, rechtliches; Niederlande; Prozesskosenhilfe; Zustellung; Zustellungsbevollmächtigter

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.11.2021
Aktenzeichen
9 LA 11/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71089
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 02.10.2020 - AZ: 1 A 1607/18

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Angabe einer Anschrift in den Niederlanden genügt den Anforderungen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht, wenn den Kläger dort gerichtliche Zustellungen nachweislich nicht oder nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung erreichen.
2. Ist dem Gericht aus den Angaben des Klägers in anderen Verfahren eine ladungsfähige Anschrift im Inland bekannt, unter der der Kläger tatsächlich zu erreichen ist und an die gerichtliche Entscheidungen und Verfügungen zugestellt werden können, kann die ladungsfähige Anschrift dementsprechend von Amts wegen geändert werden, ohne dass es einer (erneuten) Nachfrage beim Kläger bedarf.

Tenor:

Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts - 9. Senat - vom 18. Februar 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens.

Gründe

Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den angefochtenen Beschluss, mit dem der Senat seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover – Einzelrichter der 1. Kammer – vom 2. Oktober 2020 abgelehnt hat, hat keinen Erfolg.

Der Zulässigkeit der Anhörungsrüge steht nicht entgegen, dass der Kläger als ladungsfähige Anschrift eine Adresse in den Niederlanden angegeben hatte, unter der er – bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren – insbesondere hinsichtlich gerichtlich zuzustellender Dokumente nicht zuverlässig zu erreichen ist. Im Anhörungsverfahren gilt wie im Klageverfahren, dass der Kläger eine den Anforderungen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügende ladungsfähige Anschrift anzugeben hat, unter der er für das Gericht tatsächlich zu erreichen ist. Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift soll nicht nur dessen hinreichende Individualisierbarkeit sowie Identifizierbarkeit sicherstellen und die Zustellung von Entscheidungen, Ladungen sowie gerichtlichen Verfügungen ermöglichen, sondern darüber hinaus gewährleisten, dass der Kläger nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt werden und sich im Falle des Unterliegens der Kostentragungspflicht nicht entziehen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.8.2019 – 1 A 2.19 – juris Rn. 14). Diesen Anforderungen genügt die Angabe der niederländischen Anschrift des Klägers nicht, da ihn gerichtliche Zustellungen dort nachweislich nicht oder – nach Angaben des Klägers – nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung erreichen. Wie schon im erstinstanzlichen Verfahren dokumentiert, verweigert der Kläger bei förmlichen Zustellungen an seine angegebene niederländische Adresse die Annahme, nimmt nur mit einfachem Brief übermittelte Postsendungen an und behauptet sodann, diese erst etwa einen Monat nach Absendung erhalten zu haben (vgl. die Schreiben des Verwaltungsgerichts vom 15.9.2020 und vom 19.11.2020). Dies hat den Senat veranlasst, den Kläger mit Eingangsverfügung vom 15. April 2021 aufzufordern, gemäß §§ 156 Abs. 3 VwGO, 184 ZPO einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Diese Aufforderung, deren förmliche Zustellung abermals erfolglos geblieben war (und die dem Gericht nach Rücksendung bereits am 29. April 2021 wieder zugestellt wurde), ist an den Kläger zusätzlich per einfachem Brief versandt worden, blieb aber ohne jede Reaktion. Es kann offen bleiben, ob die Anhörungsrüge insofern bereits unzulässig ist, weil die angegebene Anschrift in den Niederlanden nicht den Anforderungen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügt. Denn dem Senat ist aus den eigenen Angaben des Klägers in anderen, von ihm kürzlich anhängig gemachten Verfahren eine ladungsfähige Anschrift im Inland bekannt, unter der der Kläger tatsächlich erreichbar ist und an die gerichtliche Entscheidungen und Verfügungen zugestellt werden können (hierzu etwa die Anhörungsrüge des Klägers im Schreiben vom 21.6.2021 – 9 LA 109/21 –, wonach ihm der Beschluss vom 9.6.2021 am 10.6.2021 an die von ihm angegebene ladungsfähige Anschrift A-Straße in A-Stadt zugestellt worden sei). Aus diesem Grund war die ladungsfähige Anschrift von Amts wegen zu ändern, ohne dass es einer Nachfrage beim Kläger bedurft hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.4.1999 – 1 C 24.97 – juris Rn. 39).

Die Anhörungsrüge ist nach § 152a Abs. 1 Nr. 1 VwGO statthaft, da gegen den Beschluss des Senats vom 18. Februar 2021 ein Rechtsmittel oder anderer Rechtsbehelf nicht gegeben ist, und der anwaltlich nicht vertretene Kläger ist darüber hinaus postulationsfähig. Denn das Vertretungserfordernis, das grundsätzlich auch für das Anhörungsrügeverfahren gilt, wie die ausdrückliche Verweisung auf § 67 Abs. 4 VwGO in § 152a Abs. 2 Satz 5 VwGO deutlich macht (BVerwG, Beschluss vom 10.3.2010 – 5 B 4.10 – juris Rn. 5), besteht für die Anhörungsrüge in einem Prozesskostenhilfeverfahren wiederum nicht, da es sich bei dem auf Fortführung des abgeschlossenen Prozesskostenhilfeverfahrens abzielenden Anhörungsrügeverfahren (ebenfalls) um ein Prozesskostenhilfeverfahren handelt (NdsOVG, Beschluss vom 17.12.2020 – 8 LA 92/20 – juris Rn. 2 m. w. N.). Offenbleiben kann, ob die Anhörungsrüge fristgerecht, nämlich gemäß § 152a Abs. 2 Satz 1 erster Halbsatz VwGO innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs, erhoben wurde. Insofern braucht nicht geklärt zu werden, ob die Regelung des § 152a Abs. 2 Satz 3 VwGO, wonach formlos mitgeteilte Entscheidungen mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gelten, im vorliegenden Fall einer Zustellung ins Ausland anwendbar ist und welche Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Zeitpunktes der Kenntniserlangung nach § 152a Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz VwGO zu stellen sind.

Jedenfalls ist die Anhörungsrüge nicht begründet. Entgegen der Ansicht des Klägers hat der Senat seinen Anspruch auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt (vgl. § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Das Prozessgrundrecht soll sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und mangelnder Berücksichtigung des Sachvortrags eines Beteiligten haben. In diesem Sinn gebietet Art. 103 Abs. 1 GG die Berücksichtigung jedes Schriftsatzes, der innerhalb einer gesetzlich oder richterlich bestimmten Frist bei Gericht eingeht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.6.1985 – 1 BvR 933/84 – juris Rn. 11). Der Anspruch auf rechtliches Gehör kann auch dann verletzt sein, wenn die vor Erlass einer Entscheidung vom Gericht gesetzte Frist zur Äußerung objektiv nicht ausreicht, um innerhalb der Frist eine sachlich fundierte Äußerung zum entscheidungserheblichen Sachverhalt und zur Rechtslage zu erbringen. Richterlich gesetzte Fristen müssen so bemessen sein, dass das rechtliche Gehör nicht in unzumutbarer Weise erschwert wird. Ob die Dauer einer richterlich gesetzten Frist objektiv ausreichend ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (BVerfG, Beschluss vom 5.2.2003 – 2 BvR 153/02 – juris Rn. 28 f.). Zudem muss der Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden sein. Das ist der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht ohne die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.6.2004 – 1 BvR 496/00 – juris Rn. 10).

Dies zugrunde gelegt, führen die Rügen des Klägers nicht zum Erfolg.

Soweit der Kläger anführt, dass das Gericht seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt habe, ohne seinen Vortrag zur Kenntnis zu nehmen, liegt bereits kein Gehörsverstoß vor, weil der Kläger – ungeachtet der Frage, ob die von dem Berichterstatter in der gerichtlichen Verfügung vom 18. Januar 2021 gesetzte Frist zur (weiteren) Begründung seines Antrages angemessen war – bis zur Entscheidung über die Anhörungsrüge seinen Antrag nicht begründet, insbesondere nichts in der Sache vorgetragen hat. Im Übrigen beruht der angegriffene Beschluss des Senats nicht hierauf. Denn der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wurde abgelehnt, weil der Kläger es trotz Aufforderung unterlassen hat, eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzugeben. Selbst wenn der Kläger also Ausführungen zur Sache gemacht hätte, nach denen eine hinreichende Aussicht auf Erfolg des beabsichtigten Antrages auf Zulassung der Berufung im Sinne des § 166 Abs.1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO gegeben wäre, so wäre der von dem Kläger gestellte Antrag dennoch aufgrund der fehlenden Unterlagen abgelehnt worden.

Soweit der Kläger mit den weiteren Rügen, dass ihm Erklärungsvordrucke nicht zugänglich und längere Postlaufzeiten zu berücksichtigen seien, darauf abzielt, dass die durch den Berichterstatter in der gerichtlichen Verfügung vom 18. Januar 2021 (abgesandt am 21. Januar 2021 und nach Angaben des Klägers erst am 22. Februar 2021 bei ihm eingegangen) gesetzte Frist zur Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bis zum 12. Februar 2021 zu kurz bemessen worden sei, liegt hierein kein Verstoß gegen das rechtliche Gehör.

Die von dem Berichterstatter gesetzte dreiwöchige Frist zur Nachreichung der Prozesskostenhilfeunterlagen war – auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger eine Anschrift in den Niederlanden angegeben hatte – nicht zu kurz bemessen. Längere Postlaufzeiten waren nicht zu berücksichtigen. Es ist weder ersichtlich noch von dem Kläger hinreichend glaubhaft gemacht worden, dass die Übermittlung von Postsendungen in die Niederlande länger als zwei bis drei Werktage, wie von der Deutschen Post angegeben (https://www.deutschepost.de/de/b/briefe-ins-ausland/laenderinformationen.html), dauert. Zwar gibt der Kläger selbst an, dass ihn die gerichtliche Verfügung vom 18. Januar 2021 erst am 22. Februar 2021 erreicht hätte. Dies ist aber vor dem Hintergrund, dass der Kläger bei einem nicht förmlich, sondern mit einfachem Brief zugestellten Dokument regelmäßig angibt, dass ihn dieses erst etwa einen Monat nach dem in dem übersandten Dokument angegeben Datum erreicht hätte, dass aber andererseits an den Kläger förmlich zugestellte Dokumente, deren Annahme er konsequent verweigert, in weniger als einem Monat nachweislich wieder zurück an den Absender übermittelt werden (erstinstanzliche Ladung vom 6.3.2020 zur Post gegeben am 6.3.2020 als Einschreiben mit Rückschein, nach Annahmeverweigerung zurückerhalten am 25.3.2020; erstinstanzliche Ladung vom 24.8.2020 zur Post gegeben am 25.8.2020 als Einschreiben mit Rückschein, nach Annahmeverweigerung zurückerhalten am 15.9.2020; erstinstanzliches Urteil vom 2.10.2020 zur Post gegeben am 26.10.2020 als internationales Einschreiben gegen Rückschein, nach Annahmeverweigerung zurückerhalten am 18.11.2020), nicht glaubhaft.

Darüber hinaus ist der Kläger, dem die Beantragung von Prozesskostenhilfe nicht fremd ist, gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO verpflichtet, bereits dem Antrag eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beizufügen. Dies hat er vorliegend nicht getan. Der Einwand des Klägers, dass ihm Prozesskostenhilfeunterlagen nicht zugänglich seien, überzeugt nicht. Ungeachtet des Umstandes, dass dem Kläger – wie hier – Versäumnisse und Unterlassungen bei der Beachtung von Frist- und Formvorschriften (wie § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 117 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 ZPO) zugerechnet werden, die er selbst zu vertreten hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.8.1991 – 2 BvR 995/91 – juris Rn. 3), war dem Prozesskostenhilfeantrag des Klägers vom 7. Januar 2021 nicht zu entnehmen, dass ihm die zu verwendenden Formulare nicht zugänglich gewesen seien. Dies hat der Kläger erstmals im Schreiben vom 27. Februar 2021 mitgeteilt und lediglich angeregt, ihm die Vordrucke zuzusenden. Für den Senat bestand daher vor der Beschlussfassung vom 18. Februar 2021 keine Veranlassung, dem Kläger die zu verwendenden Formulare zukommen zu lassen. Darüber hinaus hat der Senat erhebliche Zweifel daran, dass die Formulare dem Kläger nicht zugänglich gewesen seien. Denn in anderen bei dem Senat anhängigen Verfahren hat der Kläger – ohne vorherige Bereitstellung durch das Gericht – die formularmäßigen Prozesskostenhilfeunterlagen übersandt (so etwa im Verfahren 9 LA 109/21). Im Übrigen sind die Formulare über die Internetseite des Gerichts bzw. des Niedersächsischen Landesjustizportals jederzeit verfügbar. In nicht zu bestandener Weise hat der Berichterstatter in der gerichtlichen Verfügung vom 18. Januar 2021, mithin vor der Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrages, dementsprechend „nur“ darauf hingewiesen, dass die Benutzung der Formulare erforderlich ist und eine Frist zu deren Vorlage bestimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 27.8.2019 – VI ZB 32/18 – juris Rn. 16).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO.