Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.01.2023, Az.: 1 ME 133/22

Beeinträchtigung des Denkmalwerts des benachbarten Wohnhauses durch Erteilung der Baugenehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses; Erfordernis des Sachbescheidungsinteresses für eine Baugenehmigung hinsichtlich Nachbarschutzes

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
24.01.2023
Aktenzeichen
1 ME 133/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 10546
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0124.1ME133.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 01.11.2022 - AZ: 4 B 2575/22

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ist ein aufgrund seiner künstlerischen Bedeutung unter Schutz gestelltes Baudenkmal an einem Bauplatz errichtet worden, der schon zu seiner Entstehungszeit eine "Einmauerung" durch - nicht notwendig mit künstlerischem Anspruch errichtete - Nachbargebäude erwarten ließ, bedarf es bedeutender baulicher "Missgriffe", um in der Ausgestaltung der Seitenfassaden der Nachbargebäude eine (erhebliche) Beeinträchtigung des Dnekmalwertes zu sehen.

  2. 2.

    Die ihm gegenüber eingetretene Wirksamkeit und Unanfechtbarkeit von Festsetzungen der Geländehöhe nach § 5 Abs. 9 NBauO kann dem Miteigentümer eines Grundstücks auch dann entgegengehalten werden, wenn diese anderen Miteigentümern nicht wirksam bekannt gegeben worden sind. Der Erwerb von deren Miteigentumsanteilen lässt die Anfechtungsmöglichkeiten des Miteigentümers, dem gegenüber der Bescheid bekannt gegeben worden ist, nicht wiederaufleben.

  3. 3.

    Das Erfordernis des Sachbescheidungsinteresses für eine Baugenehmigung ist nicht nachbarschützend.

Tenor:

Auf die Beschwerden des Antragsgegners und der Beigeladenen zu 1. wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer - vom 1. November 2022 geändert.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und 2. im Beschwerdeverfahren sind erstattungsfähig; ihre außergerichtlichen Kosten im erstinstanzlichen Verfahren sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 12.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen eine der Beigeladenen zu 2. erteilten Baugenehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses; er meint insbesondere, dieses beeinträchtige den Denkmalwert seines benachbarten Wohnhauses und verletze Grenzabstände.

Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks J. im Stadtgebiet der Beigeladenen zu 1. Das Grundstück stand vom 21. März 2022 bis zum 16. September 2022 im Alleineigentum der ursprünglichen Antragstellerin Frau K., zuvor in ihrem Miteigentum neben Herrn L. }. Auf dem Grundstück steht, etwa 7 m von der Straßenfront zurückgesetzt und in einem Abstand von 1,50 m zur östlichen Grundstücksgrenze, eine in den 1920er Jahren errichtete Fabrikantenvilla. Der ursprüngliche Bau wies eine kubische Form unter einem Walmdach auf. Die Frontfassade ist mit einem mittigen Eingangsbereich mit darüberliegender Loggia sowie zwei diesen flankierenden flachen zweigeschossigen Erkern ausgestaltet und seit 1988 als Denkmal anerkannt. Im rückwärtigen Bereich ist an diesen "Altbau" ein neuerer eingeschossiger Anbau mit wintergartenähnlicher Fassade und Flachdach angebaut. Das östlich angrenzende Vorhabengrundstück steht im Eigentum der Beigeladenen zu 2. und war ursprünglich im vorderen Bereich mit einem unmittelbar an die Straße angrenzenden zweigeschossigen Wohn- und Geschäftshaus mit Satteldach (traufständig zur Straße) in einem Grenzabstand zum Antragstellergrundstück von 1,50 m, im rückwärtigen Grundstücksbereich mit einem weiteren zweigeschossigen Gebäude bebaut; die Freifläche zwischen Vorder- und Hinterliegergebäude nahmen Stellplätze ein. Der Streifen zwischen dem Haus des Antragstellers und dem ehemaligen Vorderliegerhaus auf dem Vorhabengrundstück ist mit wechselseitigen in das Grundbuch eingetragenen Wegerechten zugunsten des jeweils anderen Grundstücks belastet.

Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 18 der Beigeladenen zu 1. in der Fassung seiner am 1. Juli 2017 in Kraft getretenen 5. Änderung, der dort ein Kerngebiet mit einer Grundflächenzahl von 1,0, einer Geschossflächenzahl von 1,8 bei maximal drei Vollgeschossen, eine offene Bauweise, eine Traufhöhe von maximal 11 und eine Firsthöhe von maximal 16 m über Straßenniveau festsetzt.

Unter dem 23. Februar 2022 erteilte der Antragsgegner der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. die streitgegenständliche Baugenehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses auf dem Vorhabengrundstück. Das zur Straße giebelständige Gebäude soll wie der Vorgängerbau unmittelbar an das Straßengrundstück angrenzen, eine Breite von 10 m und eine Tiefe von 35 m erhalten. Im Erdgeschoss ist der Mitteltrakt des Gebäudes zu den Seiten hin offen; dort sind zehn der elf notwendigen Einstellplätze angeordnet. Dieser Bereich ist auf den vorderen zwei Dritteln seiner Tiefe bis zum First des Vorderhauses, im rückwärtigen Drittel eingeschossig mit einem "Brückengeschoss", das Vorder- und Hinterhaus verbindet, überbaut. Der Grenzabstand zum Antragstellergrundstück beträgt zwischen 3,16 m und 3,39 m; er wird durch zwei an das Hauptgebäude angebaute, eingeschossige Abstellräume im rückwärtigen Grundstücksbereich bis auf 1 m unterschritten. Verschiedene Balkone und Terrassen sind zum Grundstück des Antragstellers hin ausgerichtet und unterschreiten ebenfalls den Grenzabstand. Die Firsthöhe liegt mit 50,80 m ü. NN leicht über der des Hauses des Antragstellers (50,35 m ü. NN), die Traufhöhe des Vorderhauses liegt mit 43,93 m ü. NN geringfügig unter dessen Traufhöhe. Die Traufhöhe des vorderen Teils des Brückengeschosses ist höher, da dieses unter demselben Dach liegt wie das Vorderhaus und mit seiner Westfassade hinter dieses zurückspringt.

Der Baugenehmigung vorangegangen war eine Festsetzung der Geländehöhe an der Westseite des Vorhabens. Der Festsetzungsbescheid vom 27. Juli 2021 wurde neben der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. auch der ursprünglichen Antragstellerin, nicht aber ihrem damaligen Miteigentümer zugestellt. Weder sie noch dieser erhoben gegen den Festsetzungsbescheid Widerspruch.

Widerspruch und nach dessen Zurückweisung Anfechtungsklage erhob die ursprüngliche Antragstellerin jedoch gegen die Baugenehmigung vom 23. Februar 2022. Im Widerspruchsverfahren gab das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege unter dem 18. Oktober 2021 eine Stellungnahme ab, in der es unter anderem heißt:

"Im Gegensatz zu den historistischen Bauten besticht das Baudenkmal "J." durch die ausgewogenen Proportionen der Hauptfassade und ist der Reformbewegung der 1920er zuzuordnen, die auf verspielte Details verzichtet. [...]

Der Denkmalwert der Villa "M. J." liegt im Wesentlichen in seiner qualitätvollen und beispielhaften Ausprägung der Reformarchitektur der 1920er Jahre. Mit der kubistischen Grundform unter dem auskragenden Walmdach und dem besonderen Gestaltwert der Straßenfassade stellt die Villa ein anschauliches Zeugnis für die Bau- und Kunstgeschichte dar. Trotz vorhandener Veränderungen [...] kommt dem Bau künstlerische Bedeutung im Sinne des § 3 NDSchG zu, die die Ausweisung als Einzeldenkmal rechtfertigt. [...]

Die nördliche, straßenseitige Giebelfassade des Bauvorhabens "N." zeigt eine geordnete Lochfassade mit klaren Fensterachsen. Die übrigen Fassaden des geplanten Neubaus lassen einen solchen übergeordneten Gestaltungsansatz jedoch vermissen und scheinen vorrangig nutzungsbezogen angelegt zu sein. Bei der zweidimensionale[n] Straßenansicht zur Bahnhofstraße sehen wir daher keine denkmalpflegerischen Bedenken in Bezug auf die Baudenkmale O. und "J.". Tatsächlich wird der Neubau aber dreidimensional wirken insbesondere von Westen / Nordwesten durch die zurückliegende Position der Villa "J." mit dem Vorgarten, der eine freie Sicht auf den nördlichen Teil des geplanten Neubaus ermöglicht. Damit wird das Bauvorhaben "N." deutlich sichtbar zusammen mit dem Baudenkmal "J.". Die Westfassade des Neubaus zeigt entgegen der straßenseitigen Giebelfassade unterschiedliche Fensterformate, keine klaren Fensterachsen, eine offene Parkgarage im Erdgeschoss, vorkragende Balkone im Obergeschoss, eine Dachloggia und verspringende Traufhöhen im ersten Dachgeschoss. Die Gesamtlänge des Gebäuderiegels, der fast die gesamte Grundstückstiefe ausschöpft, und die unruhige Westfassade werden je nach Standort gegenüber dem Baudenkmal optisch wirksam sein. [...]

Mit dem vorliegenden Bauvorhaben "N." bestehen denkmalpflegerische Bedenken, dass der geplante Neubau durch das erhebliche Bauvolumen sowie die unruhige Dach- und Fassadengestaltung unter Berücksichtigung der guten Sichtbarkeit vom öffentlichen Straßenraum von Westen/Nordwesten eine Beeinträchtigung für die Wirkung des Baudenkmals "M. J." darstellt."

Dem am 8. August 2022 von der ursprünglichen Antragstellerin gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 1. November 2022 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Baugenehmigung verletze voraussichtlich Nachbarrechte der ursprünglichen Antragstellerin, da das Vorhaben gegen § 8 NDSchG verstoße, der hier aufgrund der Erheblichkeit des Verstoßes auch drittschützend sei. § 8 Satz 1 NDSchG sei verletzt, wenn die jeweilige besondere Wirkung eines Baudenkmals, die es als Kunstwerk, als Zeuge der Geschichte oder als bestimmendes städtebauliches Element auf den Beschauer ausübe, geschmälert werde. Umgebungsbauten müssten sich dem Denkmal nicht völlig anpassen, sich aber an dem von diesem gesetzten Maßstab messen lassen und dürften es nicht gleichsam erdrücken, verdrängen, übertönen oder die gebotene Achtung gegenüber den Werten außer Acht lassen, welche das Denkmal verkörpere. Die Vorschrift vermittle dem Denkmaleigentümer Drittschutz, soweit die Beeinträchtigung erheblich sei. Dies sei umso eher anzunehmen, je höher der Denkmalwert sei und je schwerwiegender das Erscheinungsbild betroffen sei; von Bedeutung sei namentlich, ob die Beziehung zwischen dem Denkmal und seiner Umgebung von einigem Gewicht sei. Das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege, das dem Gericht insoweit vorrangig den zur Beurteilung der Denkmaleigenschaft und des Vorliegens einer Beeinträchtigung erforderlichen Sachverstand vermittle, habe beides überzeugend begründet. Der Denkmalwert der Villa sei zwar nicht derart hoch, dass jede Beeinträchtigung erheblich sei, jedoch auch nicht herabgesetzt, insbesondere nicht durch einen späteren rückwärtigen Flachdachanbau, da dieser die denkmalwertprägende Straßenfassade nicht beeinträchtige. Das "Brückengeschoss" des Vorhabens bewirke keine maßgebliche Auflockerung von dessen Massivität, die Ausführung in rotem Klinker unterstütze diese noch. Die Gestaltung der Westfassade wirke gerade im Vergleich mit der sich durch klare Formen und Linien auszeichnenden Fassade der Villa unruhig. Das zeige sich auch in dem von einem vor dem Denkmal stehenden Betrachter wahrnehmbaren, ca. 13 m tiefen Abschnitt des Vorhabens. Die Beeinträchtigung sei voraussichtlich erheblich. Für ein Baudenkmal, an dessen Erhaltung - wie hier - aus künstlerischen Gründen ein öffentliches Interesse bestehe, sei ein möglichst umfassender und ungestörter Erhalt der Identität seines Erscheinungsbildes von überragender Bedeutung. Die denkmalwertgebende Straßenfassade stehe in Beziehung zur Nachbarbebauung, zumal das Landesamt auch auf den Gegensatz zu den übrigen historischen Bauten der näheren Umgebung abstelle. Die Massivität und die unruhige Gestaltung des Vorhabens wirkten zusammen. Hinzu komme eine "Vorbelastung" durch einen weiteren den Denkmalwert beeinträchtigenden Neubau an der Westseite des Denkmals (P.). Durch das Zusammenwirken beider Baukörper trete das auch räumlich von der Straße zurückgesetzte Denkmal in den Hintergrund.

Auf die übrigen Rügen der ursprünglichen Antragstellerin - diese hat insbesondere eine Verletzung von Grenzabstandsrecht, eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme infolge erdrückender Wirkung des Vorhabens und einer unzumutbaren Belastung durch Stellplatzverkehr sowie ein dauerhaftes Vollzugshindernis in Gestalt ihrer privatrechtlichen Befugnisse aus dem dinglichen Wegerecht und § 23 NNachbG geltend gemacht - komme es angesichts dessen nicht mehr an.

Gegen diesen Beschluss wenden sich der Antragsgegner und die Beigeladene zu 1. mit ihren fristgerechten Beschwerden, die die Beigeladene zu 2. argumentativ unterstützt.

Bereits am 17. September 2022 ist das Eigentum an dem Villengrundstück auf den Antragsteller übergegangen. Mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2022 hat dieser die Übernahme des Verfahrens nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 266 Abs. 1 Satz 1 ZPO erklärt.

II.

Die Beschwerden des Antragsgegners und der Beigeladenen zu 1. sind begründet.

1.

Die allein tragende Erwägung des Verwaltungsgerichts, die im Rahmen des Verfahrens vorläufigen Rechtsschutzes entscheidende Interessenabwägung gebiete hier eine Außervollzugsetzung der Baugenehmigung, da das Vorhaben der Beigeladenen zu 2. aller Voraussicht nach den mit Blick auf die Erheblichkeit der Beeinträchtigung hier auch nachbarschützenden § 8 Satz 1 NDSchG verletze, erweist sich nach Maßgabe des Beschwerdevorbringens, auf das die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, als unzutreffend.

Die diesbezüglich geltenden Maßstäbe (vgl. zuletzt Senatsbeschl. v. 6.4.2020 - 1 LA 114/18 -, BauR 2020, 1163 = BRS 88 Nr. 135 = juris Rn. 10 f.; v. 17.11.2021 - 1 ME 34/21 -, BauR 2022, 223 = juris Rn. 26) hat das Verwaltungsgericht zutreffend wiedergegeben; hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Nicht zu folgen vermag der Senat hingegen dem Schluss des Verwaltungsgerichts, gemessen an diesen Grundsätzen liege hier eine erhebliche Beeinträchtigung des Denkmalwertes des Gebäudes des Antragstellers vor.

Die rein räumliche Wahrnehmbarkeit des Denkmals, namentlich seiner kubischen Form, wird durch das Vorhaben im Vergleich zur auch vom Landesamt und vom Verwaltungsgericht als Maßstab herangezogenen, die Umgebung des Denkmals und dessen städtebauliche Situation seit dessen Errichtung prägenden Vorgängerbebauung eher verbessert als reduziert. Als Blickhindernis kann das Vorhaben allein für einen aus östlicher Richtung kommenden Betrachter wirken; da bereits der Vorgängerbau straßenbündig stand, bewirkt hier jedoch der gegenüber diesem erhöhte Grenzabstand des Vorhabens, dass das Denkmal eher in den Blick tritt als bisher. Dass das Vorhaben aufgrund seiner Giebelständigkeit eine höhere Straßenfassade aufweist als sein Vorgängerbau, ist für die aus Fußgängerperspektive wirkenden Sichtbeziehungen von Osten her unerheblich.

Eine erhebliche Beeinträchtigung ergibt sich bei summarischer Bewertung auch nicht daraus, dass die künstlerische Wirkung des Denkmals für den Betrachter durch die Massivität oder Ausgestaltung des Vorhabens übertönt würde. Mit architektonischem Anspruch gestaltet ist, wie auch das Landesamt und das Verwaltungsgericht sehen, allein die Frontfassade des Denkmals, die in ihrer Symmetrie offenbar vor allem auf den mittig vor dem Gebäude stehenden Betrachter wirken soll. Weder die Ost- noch die Westfassade weisen die vom Landesamt betonten "ausgewogenen Proportionen" auf; beide sind vielmehr von in größere nackte Wandflächen ungleichmäßig eingestreuten Fenstern unterschiedlicher Größe und Form gekennzeichnet; die neugotisch anmutende Fensterrosette auf der Ostseite kann zudem kaum als charakteristisch für die Formensprache der Reformbewegung der 1920er Jahre bezeichnet werden. Einen besonderen Maßstab für ausgewogene, ruhig gegliederte Seitenfassaden, an dem sich das Vorhaben messen lassen müsste, setzt das Denkmal mithin selbst nicht. Gegen einen Anspruch des Gebäudes, auf den von Westen oder Osten kommenden Betrachter wirken zu wollen, sprechen ferner die Errichtung ohne nennenswerten Grenzabstand und die deutliche Zurücksetzung von der Straße; beides ließ an einer historischen Hauptstraße der Beigeladenen zu 1. schon zur Entstehungszeit eine "Einmauerung" durch - nicht notwendig mit künstlerischem Anspruch errichtete - Nachbargebäude - wie auf seiner Ostseite bei Errichtung des Denkmals schon bestehend - erwarten. Für den mithin vorrangig zu bewertenden Blick auf das Denkmal mittig von der Straße aus können die Seitenwände der Nachbargebäude selbst in dem Umfang, in dem sie optisch überhaupt wahrnehmbar sind, von vornherein nur eine Nebenrolle spielen. Der vom Antragsteller in der Beschwerdeerwiderung betonte Umstand, dass das Baudenkmal als Ganzes, nicht lediglich seine Frontfassade unter Schutz stehe, ändert nichts daran, dass die Anforderungen an den Umgebungsschutz eines Denkmals stark davon abhängen, wo die denkmalwertbestimmenden Eigenschaften des Gebäudes wahrnehmbar sind und - gerade bei einem Denkmalschutz aufgrund künstlerischer Bedeutung - wie sie nach der gestalterischen Intention des Denkmalschöpfers wahrgenommen werden sollten. Angesichts dessen bedürfte es schon bedeutender baulicher "Missgriffe", um hier in der Ausgestaltung der Seitenfassaden der Nachbargebäude eine Beeinträchtigung, erst recht eine erhebliche Beeinträchtigung des Denkmalwertes zu sehen.

Derartig bedeutende Missgriffe sind hier nicht erkennbar. Das Vorhaben wirkt zwar in seiner erheblichen Bautiefe unter in weiten Teilen einheitlichem First massiv, vermutlich massiver als das Denkmal. Ein erdrückendes Niveau erreicht diese Wirkung jedoch nicht annähernd; das gewährleisten die an das Denkmal in etwa angepasste First- und Traufhöhe sowie der Abstand der Gebäude. Die Anordnung der seitlichen Fenster ist - wie beim Denkmal - unregelmäßig, die Fassade selbst aber im vorrangig wahrnehmbaren straßennahen Bereich eben; erst im rückwärtigen Bereich, seitlich des Denkmals, ergeben sich Versprünge. Die Materialwahl roten Backsteins und anthrazitfarbener Dachziegel mag aus Sicht des Verwaltungsgerichts die Massivität des Baukörpers verstärken, kann aber auch als Zurückhaltung gegenüber der hellen Putzfassade des Denkmals begrüßt werden und wurde jedenfalls dem im Genehmigungsvorgang enthaltenen Protokoll eines Ortstermins am 12. Oktober 2021 zufolge auf Wunsch der ursprünglichen Antragstellerin gewählt, deren Prozessnachfolger sich auf eine daraus resultierende Beeinträchtigung mithin nach Treu und Glauben nicht berufen kann. Auch die vom Verwaltungsgericht und vom Antragsteller kritisierte "Spiegelung" des Vorhabens durch das westlich des Denkmals bereits errichtete Neubauprojekt P. ist nicht unbedingt negativ zu sehen, sondern könnte auch als Betonung der Symmetrie des Vorhabens verstanden werden.

Soweit das Verwaltungsgericht einen gesteigerten Anspruch des Vorhabens auf Harmonie mit der Umgebungsbebauung aus dem Umstand ableitet, dass das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege den Kontrast des Vorhabens zu historischen Bauten in Lohne hervorhebt, ist dem entgegenzuhalten, dass sich die entsprechende Passage nicht auf den hier relevanten Kontext der unmittelbaren Nachbarbebauung beziehen kann; diese war auch vor Verwirklichung des Vorhabens in optischer Hinsicht weithin nicht (mehr) historisch.

Ob der Lichteinfall in das Treppenhaus durch die Rosette durch das Vorhaben beeinträchtigt wird, kann dahinstehen, da ein Beitrag dieses Aspekts zum Denkmalwert des Gebäudes weder vom Niedersächsischen Landesamt angesprochen wird, noch sonst ersichtlich ist.

2.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers ist auch nicht deshalb anzuordnen, weil die Baugenehmigung aus anderen als den vom Verwaltungsgericht behandelten Gründen Nachbarrechte des Antragstellers verletzt.

a)

Das Vorhaben verletzt voraussichtlich keine Grenzabstandsvorschriften.

Ohne Erfolg stellt der Antragsteller die Wirksamkeit des Bescheides des Antragsgegners vom 27. Juli 2021 zur Festsetzung der für die Grenzabstände maßgeblichen Geländehöhen nach § 5 Abs. 9 Satz 3 NBauO in Frage. Entgegen seiner Auffassung führt der Umstand, dass der Festsetzungsbescheid dem damaligen Miteigentümer des Antragstellergrundstücks Herrn Q. nicht zugestellt wurde, nicht dazu, dass er insgesamt nicht nach § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wirksam geworden wäre. Nach dieser Norm wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Eine Bekanntgabe an alle Betroffenen ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung; bereits die Bekanntgabe an einen Betroffenen begründet die rechtliche Existenz des Verwaltungsakts (Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 43 Rn. 14 f.). Die Bekanntgabe an einen bestimmten Betroffenen führt dazu, dass der Verwaltungsakt ihm gegenüber Bindungswirkung entfaltet, und setzt ggf. Rechtsbehelfsfristen in Lauf (vgl. §§ 58, 70, 74 VwGO). Der Festsetzungsbescheid wurde der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. als Adressatin ebenso bekannt gegeben wie der ursprünglichen Antragstellerin als sonstiger (mittelbar) Betroffener und Rechtsvorgängerin des Antragstellers.

Ob der Festsetzungsbescheid, wie der Antragsteller weiter geltend macht, rechtswidrig erlassen wurde, kann dahinstehen, da er seiner Rechtsvorgängerin und damit auch ihm gegenüber Bestandskraft erlangt hat. Der der ursprünglichen Antragstellerin zugestellte Bescheid war mit einer zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung versehen, mit der Folge, dass er binnen Monatsfrist von dieser hätte angefochten werden müssen; das ist unstreitig nicht geschehen. Mit der Übernahme des Miteigentumsanteils des Herrn Q. ist die ursprüngliche Antragstellerin auch nicht in dessen Position als "Nicht-Empfänger" des Festsetzungsbescheides und seine Möglichkeit, diesen noch fristgerecht anzufechten, eingetreten. Die in §§ 58, 70, 74 VwGO verankerte Anknüpfung der Obliegenheit, bestimmte Rechtsbehelfsfristen zu wahren, an den Zeitpunkt der Bekanntgabe bzw. Zustellung des anzufechtenden Verwaltungsaktes soll sicherstellen, dass die mit den Fristen verbundene Bedenkzeit in voller Kenntnis des Verwaltungsaktes und der daraus resultierenden Betroffenheit genutzt werden kann. Diese Kenntnis hatte die ursprüngliche Antragstellerin bereits als Miteigentümerin; durch die Übernahme eines weiteren Miteigentumsanteils hat sich insoweit nichts geändert. Ob anderes gälte, wenn der Empfänger eines belastenden Verwaltungsakts nach dessen Bekanntgabe Rechte an Gegenständen erwürbe, die von dem Verwaltungsakt in anderer Weise betroffen werden - etwa wenn der Antragsteller nachträglich Eigentum an einem anderen Nachbargrundstück des Vorhabens erworben hätte und dessen Eigentümern gegenüber die Höhenfestsetzung noch nicht bestandskräftig geworden wäre, kann dahinstehen; ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Mit dem Festsetzungsbescheid ist die für die Anwendung der Grenzabstandsvorschriften maßgebliche Geländeoberfläche des Vorhabengrundstücks verbindlich festgesetzt worden. Für einen Rückgriff auf eine andere Geländehöhe unabhängig von der Bestandskraft, wie er dem Antragsteller nach seinem Schriftsatz vom 12. September 2022, S. 4, vorschwebt, ist damit kein Raum. Dass das Vorhaben die auf Grundlage der Festsetzung zu ermittelnden Grenzabstände verletzt, ist nicht ersichtlich.

b)

Die Baugenehmigung wird sich im Hauptsacheverfahren auch nicht deshalb voraussichtlich als rechtswidrig erweisen, weil sie das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Dies gilt zunächst hinsichtlich einer etwaigen von der bloßen Baumasse des Vorhabens ausgehenden erdrückenden Wirkung. Eine solche nimmt der Senat in ständiger Rechtsprechung erst dann an, wenn die genehmigte Anlage das Nachbargrundstück regelrecht abriegelt, das heißt dort ein Gefühl des Eingemauertseins oder eine Gefängnishofsituation hervorruft. Dem Grundstück muss gleichsam die Luft zum Atmen genommen werden. Dass das Vorhaben die bislang vorhandene Situation lediglich verändert, reicht nicht aus. Die in diesen Ausdrücken liegende "Dramatik" ist ernst zu nehmen (Senatsbeschl. v. 15.1.2007 - 1 ME 80/07 -, ZfBR 2007, 284 = juris Rn. 23; v. 13.1.2010 - 1 ME 237/09 -, RdL 2010, 98 = juris Rn. 14). Eine derartige Situation wird hier nicht erreicht. Bereits die Einhaltung der Grenzabstandsvorschriften spricht stark dafür, dass das Vorhaben insoweit dem Rücksichtnahmegebot genügt (st. Senatsrechtsprechung, vgl. Beschl. v. 21.3.2022 - 1 LA 128/21 -, NVwZ-RR 2022, 447 [OVG Sachsen-Anhalt 20.01.2022 - 2 L 10/21] = juris Rn. 30 m.w.N.). Gründe, weshalb hier ausnahmsweise anderes gelten sollte, sind nicht ersichtlich. Der Umstand, dass das Gelände jedenfalls im rückwärtigen Grundstücksbereich vom Vorhaben- zum Antragstellergrundstück hin abfällt, ist unerheblich: das Hauptgebäude des Vorhabens wahrt - wie sich aus einer Zusammenschau der grüngestempelten Westansicht mit dem Lageplan ergibt - den Grenzabstand von 1/2 H selbst dann, wenn man diesen vom (auf der Darstellung der Westansicht eingetragenen) Geländeverlauf auf dem Antragstellergrundstück aus berechnen würde; lediglich die angebauten Abstellraumgebäude würden dann aufgrund ihrer geringfügig über 3 m liegenden Gebäudehöhe nicht dem Abstandsprivileg des § 5 Abs. 8 Satz 2 Nr. 1 NBauO unterfallen. Die Firsthöhe des Vorhabens und im grenznahen Bereich auch die Traufhöhe halten sich zudem, wie bereits ausgeführt, in einer ähnlichen Größenordnung wie die des Antragstellergebäudes. Die erhebliche Tiefe des Gebäudes wird durch das hintere Drittel des "Brückengeschosses" mit seiner geringeren Höhe und vom Rest des Gebäudes abweichenden Fassadenbehandlung immerhin aufgelockert. Hinzu kommt, dass der Antragsteller aufgrund der Lage sowohl seines wie des Vorhabengrundstücks in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Kerngebiet mit hohen Ausnutzungskennziffern ohnehin deutlich massivere Baukörper hinnehmen muss als dies etwa in einem Wohngebiet der Fall wäre.

Auch hinsichtlich einer möglichen Verschattung des Antragstellergrundstücks spricht angesichts der Einhaltung der Grenzabstände eine Indizwirkung für die Zumutbarkeit. Hinzu kommt, dass sich auf den zahlreichen in der Akte vorhandenen Lichtbildern entgegen der Behauptung des Antragstellers die Anordnung schutzwürdiger Räume auf der dem Vorhaben zugewandten (Nord-)Ostseite nicht erkennen lässt; nach den vorgelegten Innenaufnahmen (GA Bl. 32/32, 164/165) sind die einzigen größeren dieser Seite zugewandten Fenster einer Küche und dem Treppenhaus zuzuordnen; die übrigen dort vorhandenen Fenster dürften ihrer Größe nach ebenfalls eher Nichtwohnräume belichten.

Die Anordnung der Stellplätze auf dem Vorhabengrundstück lässt einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme ebenfalls nicht erkennen. Die Lage der Stellplätze verändert sich gegenüber derjenigen der Stellplätze der Vorgängergebäude des Vorhabens kaum; insbesondere dringt die Stellplatznutzung nicht in einen bisher geschützten, rückwärtigen Ruhebereich in einem überwiegend oder ganz dem Wohnen dienenden Gebiet vor.

c)

Soweit der Antragsteller geltend macht, dem Bauantrag fehle bereits das Sachbescheidungsinteresse, da der Ausnutzung der Baugenehmigung offenkundig dauerhaft zivilrechtliche Hindernisse entgegenstünden, kann dies seinem Antrag bereits deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil die Genehmigungsvoraussetzung eines hinreichenden Sachbescheidungsinteresses nicht nachbarschützend ist. Sie soll ausschließlich die Arbeitskapazitäten der Verwaltung vor einer unnötigen Inanspruchnahme schützen; der Nachbar kann seine der Genehmigungsausnutzung etwa entgegenstehenden privatrechtlichen Befugnisse unmittelbar auf dem dafür vorgesehenen Zivilrechtsweg durchsetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren sind aus Billigkeitsgründen für erstattungsfähig zu erklären, da die Beigeladene zu 1. selbst Rechtsmittelführerin ist, die Beigeladene zu 2. das Verfahren immerhin durch inhaltlichen Vortrag gefördert hat. Im erstinstanzlichen Verfahren war dies nicht der Fall; hier haben sich weder die Beigeladene zu 1. noch die Beigeladene zu 2. beteiligt.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.