Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.11.2021, Az.: 8 ME 72/21
Erledigung; Erledigung des Rechtsmittels; Erledigungserklärung, einseitige; Feststellung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 17.11.2021
- Aktenzeichen
- 8 ME 72/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 71057
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 10.05.2021 - AZ: 4 B 163/21
Rechtsgrundlagen
- § 162 Abs 2 BGB
- § 158 Abs 1 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Auf die einseitige Erledigungserklärung des Antragsgegners und Beschwerdeführers hin ist die Erledigung des Beschwerdeverfahrens festzustellen, wenn die Beschwerde sich gegen eine bis zum Erlass eines Bescheides gültige einstweilige Anordnung richtet und der Bescheid nach Einlegung der Beschwerde erlassen worden ist.
2. Bei einseitiger Erledigungserklärung des Rechtsmittels durch den Rechtsmittelführer ist kein Raum dafür, die erstinstanzliche Kostenentscheidung abzuändern.
Tenor:
Es wird festgestellt, dass sich das Beschwerdeverfahren erledigt hat.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
Auf die zulässige (2.) Änderung des Rechtsmittelantrags (1.) hin ist die Erledigung des Beschwerdeverfahrens auszusprechen (3.). Das führt dazu, dass dem Antragsteller die Kosten des Beschwerdeverfahrens (4.), nicht aber die des erstinstanzlichen Verfahrens (5.) aufzuerlegen sind.
1. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer hat die Beschwerde einseitig für erledigt erklärt, denn der Antragsteller und Beschwerdegegner hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen. Darin ist eine Änderung des Rechtsmittelantrags zu sehen. Dieser richtet sich nicht mehr auf die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung, sondern auf die Feststellung der Erledigung des Rechtsmittels.
Die einseitige Erledigungserklärung des Rechtsmittels ist im Prozessrecht nicht ausdrücklich geregelt. Sie ist insbesondere von Bedeutung, wenn der erstinstanzliche Antragsgegner das Rechtsmittel führt. Dieser kann den Sachantrag nicht ändern, weil über diesen nur der erstinstanzliche Antragsteller disponieren kann. Eine Disposition über den Rechtsmittelantrag als solchen ist aber möglich; sie kommt unausgesprochen bei einer Klageänderung in der Berufungsinstanz vor. Es ist dann sachdienlich, zumindest in bestimmten Erledigungssituationen auch einen Übergang zu einem Feststellungsantrag zuzulassen, der sich auf ein innerprozessuales Rechtsverhältnis, die Erledigung des Rechtsmittels, bezieht (vgl. Gaier, JZ 2001, 445, 446; Stuckert, Die Erledigung in der Rechtsmittelinstanz, 2007, S. 289).
2. Die Antragsänderung im Sinne der einseitigen Erledigungserklärung ist zulässig.
In der Rechtsprechung ist die Möglichkeit anerkannt, in der Rechtsmittelinstanz nicht den Rechtsstreit als solchen, sondern lediglich das Rechtsmittelverfahren für erledigt zu erklären (SächsOVG, Beschl. v. 11.1.2010 - NC 2 B 326/09 -, juris Rn. 2; für Erklärung des erstinstanzlichen Antragstellers BVerwG, Beschl. v. 24.10.1997 - 4 NB 35/96 -, NVwZ 1998, 1064, juris Rn. 8; v. 8.4.1998 - 4 B 184/97 -, BauR 2000, 79; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 26.4.2018 - 5 C 11.17 -, NVwZ-RR 2018, 659, juris Rn. 9; BGH, Beschl. v. 20.12.2018 - I ZB 24/17 -, KKZ 2020, 38, juris Rn. 10).
Nicht abschließend geklärt ist, in welchen Fallkonstellationen die einseitige Erledigungserklärung des Rechtsmittelführers und erstinstanzlichen Antragsgegners zuzulassen und wann er auf das sofortige Anerkenntnis oder die Fortführung des Prozesses zur Herbeiführung einer Erledigungserklärung bezüglich des Sachantrags durch den erstinstanzlichen Antragsteller zu verweisen ist (vgl. die Kasuistik bei Gehle, in: Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, 79. Aufl. 2021, § 91a Rn. 73a). Die einseitige Erledigungserklärung des Rechtsmittels durch einen solchen Rechtsmittelführer ist aber jedenfalls zuzulassen, wenn sich ohne Erledigung des Sachantrags das Rechtsmittel erledigt hat. In dieser Konstellation besteht nämlich weder eine Veranlassung für ein Anerkenntnis noch für eine Erledigungserklärung hinsichtlich des Sachantrags. Wohl aber besteht ein Bedürfnis für eine Reaktionsmöglichkeit seitens des Rechtsmittelführers, dessen Rechtsmittel nachträglich unzulässig geworden ist (vgl. Gaier, JZ 2001, 445, 447 f.).
So liegt es hier. Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller bis zur Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eine Duldung zu erteilen. Nach Einlegung der Beschwerde wurde über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis durch Bescheid vom 12. Februar 2021 entschieden, so dass die auflösende Bedingung eingetreten ist, unter der die einstweilige Anordnung stand. Der Antragsgegner war danach nicht mehr beschwert. Der Antragsteller hat hingegen sein Interesse an der Aussetzung seiner Abschiebung nicht verloren, wie der nachfolgende Rechtsstreit 8 ME 86/21 zeigt.
Auf das Entfallen der Beschwer aufgrund des Bescheiderlasses kann sich der Antragsgegner auch berufen. § 162 Abs. 2 BGB steht nicht entgegen. Der Antragsgegner hat den Bedingungseintritt durch den Bescheiderlass zwar herbeigeführt. Er war jedoch zur Durchführung des Verwaltungsverfahrens und der Entscheidung über den Antrag gerade verpflichtet (vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 13.12.2010 - 9 B 45/10 -, juris Rn. 2).
3. Auf den geänderten Rechtsmittelantrag hin ist die Erledigung der Beschwerde festzustellen.
Neben der Zulässigkeit des Rechtsmittels (vgl. BVerwG, Beschl. v. 9.3.2015 - 4 B 7.15 -, juris Rn. 6) setzt der Feststellungsausspruch grundsätzlich nur voraus, dass die Erledigung eingetreten ist (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 11.1.2010 - NC 2 B 326/09 -, juris Rn. 2; für Erklärung des erstinstanzlichen Antragstellers BVerwG, Beschl. v. 24.10.1997 - 4 NB 35/96 -, NVwZ 1998, 1064, juris Rn. 7; v. 8.4.1998 - 4 B 184/97 -, BauR 2000, 79, juris Rn. 1). Eine Prüfung der ursprünglichen Begründetheit des Rechtsmittels erfolgt grundsätzlich nicht. Wird der Sachantrag einseitig für erledigt erklärt, setzt die Erledigungsfeststellung die Zulässigkeit und Begründetheit der ursprünglichen Klage nur dann voraus, wenn der Beklagte, der der einseitigen Erledigungserklärung widersprochen hat, ein schutzwürdiges Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung darüber geltend machen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.2020 - 8 C 26.20 -, GewArch. 2021, 237, juris Rn. 19 m.w.N.). Es ist kein Grund ersichtlich, anders zu entscheiden, wenn das Rechtsmittel durch den Rechtsmittelführer einseitig für erledigt erklärt wird. Der Antragsteller hat kein schutzwürdiges Interesse an der Entscheidung über die Begründetheit geltend gemacht; ein solches ist auch nicht ersichtlich.
Die Beschwerde des Antragsgegners war zulässig, insbesondere fristgemäß erhoben. Die Erledigung des Rechtsmittels ist aufgrund des Unwirksamwerdens der erstinstanzlichen Entscheidung mit Erlass des Bescheides vom 12. Februar 2021 eingetreten.
4. Das Obsiegen des Antragsgegners hat zur Folge, dass der Antragsteller gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt.
5. Die erstinstanzliche Kostenentscheidung ist nicht abzuändern. Hierfür ist bei einseitiger Erledigungserklärung des Rechtsmittels durch den Rechtsmittelführer kein Raum (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 11.1.2010 - NC 2 B 326/09 -, juris, Tenor; Gaier, JZ 2001, 445, 449; Stuckert, Die Erledigung in der Rechtsmittelinstanz, 2007, S.255 f., 274 f.; a.A. KG, Beschl. v. 9.2.2012 - 19 UF 125/11 -, FamRZ 2012, 1323).
Die Erledigungserklärung bewirkt eine Änderung des Rechtsmittelantrags, der nicht mehr auf die Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung, sondern auf Feststellung der Erledigung gerichtet ist. Damit ist gegen die Entscheidung in der Hauptsache kein Rechtsmittel mehr anhängig. Das hat zur Folge, dass gemäß § 158 Abs. 1 VwGO die Anfechtung der Entscheidung über die Kosten unzulässig ist. Die Vorschrift verhindert, dass das Rechtsmittelgericht allein wegen der Kosten in eine Sachprüfung eintritt. Zugleich soll ein Widerspruch zwischen der nicht mehr anfechtbaren Hauptsacheentscheidung und der zweitinstanzlichen Begründung der Kostenentscheidung vermieden werden. Dieser Zweck ist auch bei einer Erledigung des Rechtsmittels von Bedeutung.
Eine Unbilligkeit liegt darin nicht. Die erstinstanzliche Kostenentscheidung beruht auf richterlicher Prüfung. Dass nach Erledigung des Rechtsmittels keine weitere Instanz eröffnet ist, um eine weitere richterliche Entscheidung herbeizuführen, trifft den Kostenschuldner nicht schwer. Art. 19 Abs. 4 GG verpflichtet nicht zur Eröffnung einer Rechtsmittelinstanz, so dass deren Ausschluss durch § 158 Abs. 1 VwGO verfassungsgemäß ist.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).