Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 19.02.2013, Az.: 7 A 4030/12

Gnadenhof; historische und kulturelle Zwecke; Rinderhaltung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
19.02.2013
Aktenzeichen
7 A 4030/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64453
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 19.06.2013 - AZ: 10 LA 28/13

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Haltung von Rindern auf einem Gnaden- bzw. Lebenshof, der es sich seiner Satzung nach zum Ziel gesetzt hat, Liebe und Verständnis für die Tierwelt zu wecken sowie das Wohlergehen und die artgerechten Haltung von Tieren zu fördern, erfolgt (jedenfalls im vorliegenden Einzelfall) nicht zu kulturellen und historischen Zwecken. Eine solche Haltung entspricht nicht der historischen und traditionellen Rinderhaltung in Deutschland.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Anerkennung als Betrieb zur Haltung von Rindern zu kulturellen und historischen Zwecken.

Die Klägerin betreibt in B. einen Hof als „Kuhaltersheim“, auf dem Rinder, die zuvor in der kommerziellen Tierhaltung gelebt haben und kurz vor der Schlachtung stehen, artgerecht bis zu ihrem natürlichen Tod gehalten werden.

Sie beantragte mit Schreiben vom 24. Februar 2012 beim Nds. Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung (Nds. ML) unter Verweis auf die Verordnung (EG) Nr. 644/2005 (EGV 644/2005) die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung von der Kennzeichnungspflicht mit Ohrmarken. Die Rinder würden auf ihrem Hof nicht als Nutztiere gehalten und gelangten unter keinen Umständen in die Nahrungskette. Die Markierung der Rinder mit Ohrmarken sei ein Symbol für die tierfeindliche und würdelose Behandlung der Tiere in der Nutztierhaltung. Die Identifizierung der Rinder sei in ausreichendem Maß durch die Implantation eines Hauttransponders gewährleistet.

Das Nds. ML teilte der Klägerin mit Schreiben vom 19. März 2012 mit, dass Rinder nach den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 (EGV 1760/2000) und der Viehverkehrsverordnung (VVO) mit Ohrenmarken zu kennzeichnen seien. Die EGV 644/2005 sei nicht in nationales Recht umgesetzt worden. Eine Rechtsgrundlage für die Erteilung der begehrten Ausnahmegenehmigung existiere in Deutschland nicht.

Bezugnehmend auf ein weiteres Schreiben der Klägerin erklärte das Nds. ML mit Schreiben vom 24. April 2012, der Betrieb der Klägerin sei nicht als Betrieb im Sinne der EGV 644/2005 anerkannt. Ein Antrag auf Anerkennung sei bei der örtlich zuständigen Veterinärbehörde zu stellen. Zudem erfolge die Tierhaltung auf dem Hof der Klägerin nicht zu kulturellen und historischen Zwecken.

Mit Schreiben vom 18. Mai 2012 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Anerkennung als Betrieb zur Haltung von Rindern zu kulturellen und historischen Zwecken sowie die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung von der Kennzeichnungspflicht mit Ohrmarken. Zur Begründung führte sie ergänzend zum Inhalt ihrer Schreiben vom 24. Februar 2012 und 22. März 2012 aus, dass das „Kuhaltersheim“ u.a. dazu diene, den Menschen die Auswirkungen der kommerziellen Tierhaltung und die Unterschiede zu artgerechter Haltung zu vermitteln. Insofern verfolge sie kulturelle und historische Zwecke.

Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Anerkennung als Betrieb im Sinne der EGV 644/2005 mit Bescheid vom 11. Juli 2012 ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Rinderhaltung durch die Klägerin diene nicht kulturellen und historischen Zwecken im Sinne der EGV 644/2005. Der Begriff der kulturellen Zwecke lasse sich aus der EGV 1760/2000 ableiten. Kulturelle Veranstaltungen seien aus der Kultur der jeweiligen Gesellschaften gewachsene Veranstaltungen, deren Durchführung nach Einschätzung der Länder nicht mit einer Kennzeichnung der Rinder mit Ohrmarken in Einklang zu bringen ist. Einem solchen Zweck diene die Tierhaltung der Klägerin ebenso wenig wie einem historischen Zweck. Hierbei handele es sich um die unverfälschte Erhaltung von in der Gesellschaft verwurzelten althergebrachten Bräuchen und Sitten.

Eine Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung von der Kennzeichnungspflicht mit Ohrmarken traf der Beklagte ausdrücklich nicht.

Die Klägerin hat am 25. Juli 2012 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und ergänzt sie ihren Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren. Die Vermittlung der Vielfältigkeit, Intelligenz und Individualität der Tiere gegenüber den Menschen stelle ein kulturelles Ziel dar. Auch die historische Komponente sei hinreichend gegeben. Die heute vorherrschende Massentierhaltung existiere erst seit etwa 100 Jahren. Zuvor seien Tiere auf andere Art – ähnlich der Tierhaltung auf ihrem Hof – gehalten und behandelt worden. Die Voraussetzungen der Haltung zu kulturellen und historischen Zwecken dienten gerade der Abgrenzung zur Haltung von Tieren zum Verzehr. Ein solcher sei auf ihrem Hof ausgeschlossen. Auch sei die ausreichende Identifizierung der Rinder durch die beabsichtige Markierung mit Transpondern ausreichend gewährleistet. Die Markierung mit Ohrmarken sei ein Symbol für die artfremde, technische und tierfeindliche Haltung der Nutztierhaltung und stehe somit im Widerspruch zu den Zwecken des Kuhaltersheims.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, den von ihr betriebenen Tierhof als „Betrieb“ im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 644/2005 anzuerkennen und den Bescheid des Beklagten vom 11. Juli 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine Ausführungen aus dem angefochtenen Bescheid.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung als „Betrieb“ im Sinne der EGV 644/2005. Der Bescheid des Beklagten vom 11. Juli 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Ein Anspruch auf die begehrte Anerkennung ergibt sich nicht aus der EGV 644/2005. Gemäß Art. 1 dieser Verordnung werden die Vorschriften für ein besonderes System zur Kennzeichnung von Rindern festgelegt, die von der zuständigen Behörde als Tiere anerkannt werden („die Tiere“), die für kulturelle und historische Zwecke in einem von dieser Behörde zu diesem Zweck anerkannten Betrieb („der Betrieb“) gehalten werden.

Die Anerkennung als „Betrieb“ im Sinne der Verordnung setzt folglich voraus, dass die dort gehaltenen Rinder für kulturelle und historische Zwecke gehalten werden. Diese beiden Voraussetzungen müssen hierbei kumulativ und nicht etwa – wie die Klägerin meint – alternativ im Sinne eines „und/oder“ vorliegen. Dies folgt aus dem Umstand, dass der europäische Normgeber in der der EGV 644/2005 zugrunde liegenden EGV 1760/2000 ebenso wie in der Vorgängerverordnung Verordnung (EG) Nr. 820/97 Ausnahmen für Rinder bzw. Bullen, die für kulturelle oder sportliche Zwecke gehalten werden, bestimmt hat, wohingegen die EGV 644/2005 diese Ausnahmen für zu kulturellen und historischen Zwecke gehaltenen Rindern vorsieht.

Eine Definition der Begriffe „kulturelle und historische Zwecke“ enthält die Verordnung nicht. Die Historie der europäischen Vorschriften zu den Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht bei Rindern verdeutlicht jedoch ebenso wie die Auslegung des Wortlauts der Vorschrift, dass die Rinder auf dem Hof des Klägers nicht zu „kulturellen und historischen Zwecken“ im Sinne der EGV 644/2005 gehalten werden.

Mit der EGV 820/97 führte die Europäische Gemeinschaft ein europaweites System zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern ein. Dieses System beruhte insbesondere auf der Kennzeichnung der Rinder mit Ohrmarken. Ausnahmen von der Kennzeichnung der Rinder mit Ohrmarken sah die Verordnung vor für „Bullen, die für kulturelle oder sportliche Veranstaltungen (mit Ausnahme von Messen und Ausstellungen) bestimmt sind“. Bereits der Umstand, dass Ausnahmen nur für Bullen, nicht aber für Rinder im Allgemeinen vorgesehen waren, verdeutlichte den Willen des europäischen Gesetzgebers, Ausnahmen mit Rücksicht auf die Stierkampftradition einiger Mitgliedsstaaten zuzulassen. Folgerichtig erließ die Kommission der Europäischen Gemeinschaften gestützt auf die EGV 820/97 auf Antrag Spaniens, Portugals und Frankreichs die Verordnung (EG) Nr. 2680/1999 (EGV 2680/1999) zur Genehmigung eines Systems zur Kennzeichnung von Stieren, die für kulturelle oder sportliche Veranstaltungen bestimmt sind. Da die antragstellenden Länder „traditionsbedingte Schwierigkeiten“ bzgl. der Kennzeichnung von für kulturelle oder sportliche Veranstaltungen bestimmten Stieren hätten, seien Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht mit Ohrmarken für die in den Zuchtbüchern der in Art. 1 der Verordnung genannten Organisationen eingetragenen Stiere zuzulassen. Bei diesen Organisationen handelt es sich ausnahmslos um solche, die Stiere für den Stierkampf züchten. Andere ausdrückliche Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht mit Ohrmarken regelte der europäische Gesetzgeber nicht. Zwar erließ die Kommission der europäischen Gemeinschaften mit der EGV 644/2005 eine weiter gefasste Verordnung, die Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht nicht nur für die in der EGV 2680/1999 abschließend aufgeführten Stierrassen und Organisationen in bestimmten Mitgliedsstaaten, sondern allgemein für „zu kulturellen und historischen Zwecken“ gehaltene Rinder zuließ. Allerdings sind dem Gericht auch nach umfangreicher Internetrecherche weitere zugelassene Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht nicht bekannt. Auf Antrag der Niederlande entschied die Kommission am 22. Oktober 2004 (Amtsblatt Nr. L 339 vom 16/11/2004 S. 0009 – 0010), dass die Frist zur Ohrmarkung von Rindern, die allein zum Zwecke des Naturschutzes und der Landschaftserhaltung in anerkannten Naturschutzgebieten gehalten werden, auf zwölf Monate verlängert werden kann. Eine vollständige Ausnahme von der Markierung der Rinder mit Ohrmarken, wie sie der Kläger i. E. begehrt, ist auch in diesem Fall nicht zugelassen worden.

Der Zweck der Rinderhaltung im Betrieb des Klägers ist mit den vom europäischen Normgeber bislang zugelassenen Ausnahmen (Zuchtstiere für den Stierkampf) nicht vergleichbar. Es mag zwar rechtspolitisch fragwürdig sein, dass von gemeinschaftsrechtlicher Seite die Haltung von Rindern zu nach deutschem Recht tierschutz- und gesetzeswidrigen Zwecken gegenüber tierfreundlich motivierter Tierhaltung im Hinblick auf die Kennzeichnungspflicht privilegiert wird. Gleichwohl ist die Tierhaltung des Klägers objektiv betrachtet unter den Kriterien „kulturell“ und „historisch“ nicht mit den privilegierten Betrieben vergleichbar. Die heutige Art des Stierkampfes wurde im frühen 18. Jahrhundert entwickelt und wird seit den 1796 entwickelten Regeln bis heute im Wesentlichen unverändert durchgeführt (http://de.wikipedia.org/wiki/Stier-kampf#Geschichte). Eine historische und kulturelle Bedeutung des Stierkampfs in einzelnen Mitgliedsstaaten lässt sich bei allen tierschutzrechtlichen Bedenken nicht leugnen.

Demgegenüber weist die Tierhaltung der Klägerin eine solche historische und kulturelle Komponente nicht in einem vergleichbaren Maß auf. Maßgeblich für diese Einschätzung ist insbesondere, dass die Vorschrift aufgrund ihres Wortlauts („historisch und kulturell“) nur eine historisch verwurzelte kulturelle Zwecksetzung der Rinderhaltung erfasst. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Die Klägerin verfolgt gemäß ihrer Satzung (§ 2: Stiftungszweck) den Zweck, „durch Aufklärung und gutes Beispiel Liebe und Verständnis für die Tierwelt zu wecken und das Wohlergehen und eine artgerechte Haltung von Tieren zu fördern“ durch die Aufnahme von Tieren, „die vom Menschen verfolgt, gequält oder ausgebeutet wurden, die wegen Unfalls, Krankheit, Behinderung, Überzüchtung usw. ohne die Hilfe des Menschen nicht überlebensfähig wären“. Für diese Tiere werde ein Ort geschaffen, „an dem Tiere ein würdiges Dasein leben dürfen“. Die Klägerin „beschützt diese Tiere und gibt ihnen bis an ihr natürliches Lebensende ein Zuhause, an denen es ihnen wohlergeht“. Dem Stiftungszweck zufolge handelt es sich bei dem Hof der Klägerin somit um einen Gnaden- bzw. „Lebenshof“, der zudem eine Art Bildungs- und Aufklärungsauftrag verfolgt. Zwar sind Gnadenhöfe mittlerweile in Deutschland und im europäischen Ausland durchaus verbreitet. Gleichwohl ist eine kulturelle und historische Bedeutung dieser Einrichtungen nicht anzunehmen. Insbesondere fehlt es hier an der historischen Komponente. Weder entspricht die konkrete Tierhaltung auf dem Hof der Klägerin der historischen und traditionellen Rinderhaltung in Deutschland – was die Klägerin nach ihrer Satzung auch nicht bezweckt - noch dient die Tierhaltung – ausweislich der Regelung zum Stiftungszweck in der Satzung der Klägerin – der Erhaltung oder Vermittlung der historischen und traditionellen Rinderhaltung in Deutschland. Traditionell diente die Haltung von Kühen der Deckung des Eigenbedarfs der Halter an Fleisch und Milch, dazu der Verwendung als Zugtier und der Verkauf von Ochsen zum Zug oder Schlachten. Später (ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts) entstand in der Bevölkerung eine erhöhte Nachfrage für Nahrungsmittel wie Fleisch, Milch und Butter, so dass vermehrt Rinder gewerblichen zur Erzeugung dieser Lebensmittel gehalten wurden (leicht veränderter Auszug aus: Wilhelm Brilling, Rinderzucht im Wandel, in: Der Goldene Pflug, hrsg. vom Förderverein Deutsches Landwirtschaftsmuseum, H 12, Stuttgart 2001, S. 21-29, http://www.schule-bw.de/unterricht/faecheruebergreifende_themen/landeskunde/modelle/ verbuende/geowissenschaften/landwirtschaft/pfitzingen/d2.pdf). Diese Entwicklung setzte sich bis heute fort. Eine Haltung der Rinder zum Zwecke der „Aufklärung“, der Weckung von „Liebe und Verständnis für die Tierwelt“ und der Förderung des Wohlergehens und der artgerechten Haltung von Tieren ist vor diesem Hintergrund zwar ethisch und moralisch begrüßenswert, jedoch historisch in Deutschland nicht verankert.

Ein Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung besteht auch nicht nach den Vorschriften der Viehverkehrsverordnung (ViehVerkV). Die Klägerin hat einen entsprechenden Antrag bei dem Beklagten nicht gestellt. Zudem ist zuständige Behörde für die Erteilung eine Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 2 ViehVerkV das Nds. Landwirtschaftsministerium und nicht der Beklagte (Ausführungshinweise zur Viehverkehrsverordnung, RdErl. d. ML v. 3.8.2011 - 203-42120-170 – Nds.MBl. Nr.31/2011 S.587 –, zu § 45).