Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.04.2013, Az.: 13 OA 276/12
Anrechnung einer bereits gezahlten Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 03.04.2013
- Aktenzeichen
- 13 OA 276/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 34660
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2013:0403.13OA276.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 27.11.2012 - AZ: 11 A 3060/12
Rechtsgrundlagen
- § 15a Abs. 1 RVG
- § 33 Abs. 3 S. 2, 3 RVG
- § 56 Abs. 2 RVG
- § 58 Abs. 2 RVG
- Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG
Fundstellen
- NJW 2013, 1618-1619
- NVwZ 2013, 6
- RENOpraxis 2013, 155
Redaktioneller Leitsatz
Der Anwendung der in § 15a Abs. 1 RVG näher ausgestalteten Anrechnungsvorschrift der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG steht § 58 Abs. 2 RVG nicht entgegen. § 58 Abs. 2 RVG bestimmt lediglich die Reihenfolge, in der Vorschüsse und Zahlungen auf den Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts anzurechnen sind.
Beschluss
I.
Das Verwaltungsgericht hat dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligt. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Festsetzung einer aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung von 623,20 € nach einem Streitwert von 5.000 € beantragt. Darin ist u.a. eine Verfahrensgebühr von 284,70 € zuzüglich Mehrwertsteuer enthalten. Der Prozessbevollmächtigte hat angegeben, in derselben Angelegenheit eine Geschäftsgebühr von 188,67 € zzgl. MwSt. erhalten zu haben. Die Kostenbeamtin des Verwaltungsgerichts hat die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf 510,95 € festgesetzt und den darüber hinausgehenden Antrag mit der Begründung abgelehnt, die Geschäftsgebühr sei zur Hälfte (94,33 € zzgl. MwSt.) auf die Verfahrensgebühr anzurechnen. Auf die Erinnerung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin hat das Verwaltungsgericht die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf 623,20 € festgesetzt, da der anzurechnende Betrag gemäß § 58 Abs. 2 RVG zunächst auf die Differenz zwischen der Wahlanwaltsvergütung und der Prozesskostenhilfevergütung (hier 188,60 €) anzurechnen sei. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage hat es die Beschwerde zugelassen.
II.
Die nach § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 2 und 3 RVG zulässige Beschwerde, über die der Senat gemäß § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG nach Übertragung durch den Einzelrichter in voller Besetzung entscheidet, hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die dem Prozessbevollmächtigten aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung zu Unrecht um weitere 112,25 Euro auf 623,20 Euro erhöht.
Gemäß § 15a Abs. 1 RVG kann ein Rechtsanwalt, wenn nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vorgesehen ist, beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. Bei einer vorgerichtlichen Tätigkeit des später beigeordneten Rechtsanwalts sieht die in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG enthaltene Anrechnungsvorschrift vor, dass eine wegen desselben Gegenstands nach den Nummern 2300 bis 2303 entstandene Geschäftsgebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet wird.
Der Prozessbevollmächtigte hat im vorliegenden Fall gegen den Kläger einen Anspruch auf Zahlung einer nach der Tabelle in § 13 RVG bemessenen (vgl. dazu: Beschl. des. Senats v. 19. Oktober 2010 - 13 OA 130/10 -, [...], Rdnrn. 8 ff., 21) Geschäftsgebühr in Höhe von 188,67 Euro (§ 7 Abs. 2 RVG: ein Drittel der für von drei Mandanten zu einem Streitwert von 15.000 Euro geschuldeten Gebühr). Gegenüber der Staatskasse kann er als im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordneter Rechtsanwalt einen Anspruch auf eine Verfahrensgebühr nach der Tabelle in § 49 RVG - hier 284,70 Euro - geltend machen, auf den gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG die Hälfte der Geschäftsgebühr (94,34 Euro) anzurechnen ist, so dass sich dieser Anspruch auf 190,37 Euro reduziert. Hinzuzurechnen ist die Einigungsgebühr in Höhe von 219 Euro sowie die Post- und Telekommunikationspauschale von 20 Euro. Daraus ergibt sich der von der Urkundsbeamtin zutreffend ermittelte Nettobetrag von 429,37 Euro, der zuzüglich Mehrwertsteuer 510,95 Euro beträgt.
Der Anwendung der in § 15a Abs. 1 RVG näher ausgestalteten Anrechnungsvorschrift der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG steht § 58 Abs. 2 RVG nicht entgegen. Nach dieser Bestimmung sind Vorschüsse und Zahlungen, die der Anwalt vor oder nach der Beiordnung erhalten hat, zunächst auf die Vergütungen anzurechnen, für die ein Anspruch nicht oder nur unter den Voraussetzungen des § 50 RVG besteht. § 58 Abs. 2 RVG bestimmt auf diese Weise lediglich die Reihenfolge, in der Vorschüsse und Zahlungen auf den Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts anzurechnen sind. Dabei sind die Zahlungen zunächst auf den Teil seiner Vergütung zu verrechnen, der geringer gesichert ist, weil ihm kein Entschädigungsanspruch gegen die Staatskasse entspricht. Eine Aussage über Entstehung und Höhe der jeweils zustehenden Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis trifft die Vorschrift des § 58 Abs. 2 RVG hingegen nicht (vgl. bereits Beschl. des Senats v. 19. Oktober 2010, a.a.O., Rdnr. 17; OLG Frankfurt, Beschl. v. 12. Februar 2010 - 18 W 3/10 -, [...], Rdnr.19; jew. m.w.N.). Die Einfügung des § 15a Abs. 1 RVG hat daran nichts geändert. Diese Bestimmung hat allerdings die Modalitäten der nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG vorzunehmenden Anrechnung einer Gebühr auf eine andere dadurch verändert, dass nunmehr beide Gebühren zunächst als in voller Höhe entstanden anzusehen sind, der dem Anwalt aus den beiden Gebühren zustehende Gesamtbetrag aber zugleich der Höhe nach gedeckelt wird. Insgesamt soll der Anwalt aus den beiden Gebühren nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag generieren können. § 58 Abs. 2 RVG verhält sich demgegenüber weder zur Höhe der dem Anwalt insgesamt zustehenden Vergütung noch dazu, wie mit Anrechnungsbeträgen im Sinne des § 15a RVG zu verfahren ist, sondern beschäftigt sich nur mit der Zuordnung von Vorschüssen und Zahlungen auf die zustehende Vergütung. Diese zu trennenden Regelungsbereiche vermengt die in der Zivilrechtsprechung vordringende Auffassung (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 17. Oktober 2012 - 14 W 88/12 - [...]; OLG Oldenburg, Beschl. v. 1. September 2011 - 13 W 29/11 -, [...]; OLG Braunschweig, Beschl. v. 22. März 2011 - 2 W 18/11 -, [...]; jew. m.w.N.), derzufolge der anzurechnende Teil der Geschäftsgebühr nach § 58 Abs. 2 RVG zunächst auf die Differenz zwischen der - jeweils insgesamt im gerichtlichen Verfahren entstandenen - Wahlanwaltsvergütung und Prozesskostenhilfevergütung zu verrechnen sei. Aus welchem Grunde eine geleistete Zahlung des Mandanten schon bei der Entstehung und nicht erst im Rahmen der Tilgung Einfluss auf die Höhe des Anspruchs seines Prozessbevollmächtigten gegen die Staatskasse haben sollte, erschließt sich dem Senat nicht. § 58 Abs. 2 RVG betrifft die Tilgung, nicht die Entstehung und die Berechnung der zustehenden Höhe des Vergütungsanspruchs. Darüber hinaus führt diese Vorgehensweise regelmäßig zu einer Deckung der Wahlanwaltsgebühren durch die Staatskasse über die in § 49 RVG geregelte Prozesskostenhilfevergütung hinaus. Dass ein Rechtsanwalt aufgrund dieser Differenzberechnung unter Berücksichtigung der weiteren im gerichtlichen Verfahren anfallenden Gebühren neben einer vorprozessual entstandenen und vom Mandanten beglichenen Geschäftsgebühr im Ergebnis aus Mitteln der Staatskasse eine nur geringfügig oder ungekürzte Verfahrensgebühr und damit aus diesen beiden Gebühren einen höheren Gesamtbetrag erhalten würde, als ihm nach § 15a Abs. 1 RVG zusteht, ist mit dem Zweck des § 58 Abs. 2 RVG als Tilgungsvorschrift nicht vereinbar.
Auch der Gesetzesbegründung lässt sich dafür nichts entnehmen. Mit der Einfügung des § 15a RVG hat der Gesetzgeber lediglich die früher umstrittene Frage entschieden, ob bei anzurechnenden Gebühren beide Gebührenansprüche grundsätzlich unangetastet bleiben, also zunächst in voller Höhe entstehen (vgl. BT-Drs. 16/12717, S. 58). Aus dieser Festlegung ist für die Frage der Anrechnung einer Zahlung nichts gewonnen. Auch die gleichzeitig erfolgte Ergänzung des § 55 Abs. 5 RVG weist keine andere Richtung. Dazu heißt es in der Gesetzesbegründung: "Die allgemeinen Vorschriften zur Anrechnung gelten auch für die Vergütung des Rechtsanwalts, der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet oder als Prozesspfleger bestellt ist. Im Antrag auf Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung ist deshalb auch die Angabe erforderlich, welche Zahlungen auf etwaige anzurechnende Gebühren geleistet worden sind, wie hoch diese Gebühren sind und aus welchem Wert diese Gebühren entstanden sind. Damit stehen dem Urkundsbeamten für die Festsetzung der Vergütung alle Daten zur Verfügung, die er benötigt, um zu ermitteln, in welchem Umfang die Zahlungen nach § 58 Abs. 1 und 2 RVG auf die anzurechnende Gebühr als Zahlung auf die festzusetzende Gebühr zu behandeln sind" (BT-Drs. 16/12717, S. 59). Danach soll die Neufassung dem Kostenbeamten durch die aufgeführten verpflichtenden Angaben die Durchführung der Anrechnung nach § 58 Abs. 1 und 2 RVG auch bei anzurechnenden Gebühren im Sinne des § 15a RVG ermöglichen. Eine Anwendung des § 58 Abs. 2 RVG bereits bei der Frage der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr lässt sich daraus nicht schließen. Vielmehr geht nach Auffassung des Senats auch die Gesetzesbegründung von einem Zusammenspiel von § 15a RVG und § 55 Abs. 5 RVG aus, nicht aber von einer Änderung des Regelungsgehalts des im Gesetzgebungsverfahren unverändert gebliebenen § 58 Abs. 2 RVG.
Der Regelung des § 58 Abs. 2 RVG ist Genüge getan, wenn der vom Kläger auf die Kostennote seines Prozessbevollmächtigten vom 11. April 2012 gezahlte Betrag von 188,67 auf die in gleicher Höhe nach der Tabelle in § 13 RVG entstandene Geschäftsgebühr in voller Höhe angerechnet wird. Ein Anspruch gegen die Staatskasse besteht insoweit von vornherein nicht.