Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 13.09.2012, Az.: 11 A 4252/12

Anrechnung; Geschäftsgebühr; Prozesskostenhilfe; Prozesskostenhilfegebühren; Verfahrensgebühr; Wahlanwaltsgebühren

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
13.09.2012
Aktenzeichen
11 A 4252/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 44483
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Geschäftsgebühr ist auch bei der Vergütung des im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr anzurechnen. Allerdings ist gem. § 58 Abs. 2 RVG die anteilige Geschäftsgebühr zunächst bei der Differenz zwischen den Prozesskostenhilfegebühren (§ 49 RVG) und den Wahlanwaltsgebühren (§ 13 RVG) zu berücksichtigen (im Anschluss an die überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung etwa OLG Oldenburg, Beschluss vom 1. September 2011 - 13 W 29/11 - Nds. Rpfl. 2012, 39; OLG Braunschweig, Beschluss vom 22. März 2011 - 2 W 18/11 - FamRZ 2011, 1683).

Tenor:

Auf die Erinnerung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird die Vergütungsfestsetzung d. U. der Geschäftsstelle vom 17. Oktober 2012 geändert: Die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird auf insgesamt 935,94 € (weitere 232,83 €) festgesetzt.

Gründe

Die nach § 56 RVG zu beurteilende Erinnerung des im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung beigeordneten Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen die Festsetzung der aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung (§ 55 RVG), ist begründet. Er kann daher die Nachzahlung des aus dem Tenor ersichtlichen Betrages verlangen.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat in seinem Vergütungsfestsetzungsantrag u.a. eine Verfahrensgebühr in Höhe von 284,70 € nebst Umsatzsteuer geltend gemacht. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat hiervon im Hinblick auf die Vorbemerkung 3 Abs. 4 des VV zum RVG die Hälfte der von der Klägerin vorgerichtlich gezahlten Geschäftsgebühr (195,65 €) nebst Umsatzsteuer abgezogen.

Diese Anrechnung ist jedoch nach Ansicht des Gerichts rechtlich zu beanstanden und hätte daher nicht vorgenommen werden dürfen. Vielmehr hätte – wie von der Erinnerung zu Recht geltend gemacht - die Hälfte der Geschäftsgebühr zunächst auf die Differenz zwischen den abgesenkten Prozesskostenhilfegebühren (§ 49 RVG) und den Wahlanwaltsgebühren gem. § 13 RVG (hier: 287,-- €) angerechnet werden müssen, so dass hier im Ergebnis kein Abzug erfolgt.

Nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 des VV zum RVG wird, soweit wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr (Nr. 2300 bis 2303 des VV Zum RVG) entsteht, diese zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens (Nr. 3100 des VV zum RVG) angerechnet. Dies gilt im Ansatz auch für die Prozesskostenhilfevergütung des beigeordneten Rechtsanwalts (vgl. § 55 Abs. 5 Satz 3 RVG; BT-Drs. 16/12717, S. 59).

In diesem Zusammenhang ist jedoch die Bestimmung des § 58 Abs. 2 RVG zu beachten. Danach sind in Angelegenheiten, in denen sich – wie hier – die Gebühren nach Teil 3 des VV bestimmen, Vorschüsse und Zahlungen, die der Rechtsanwalt vor oder nach der Beiordnung erhalten hat, auf die Vergütungen anzurechnen, für die ein Anspruch gegen die Staatskasse nicht oder nur unter den Voraussetzungen des § 50 RVG besteht.

Diese Regelung ist nach Auffassung des Gerichts die gegenüber der Vorbemerkung 3 Abs. 4 zum RVG speziellere Vorschrift für die Berechnung der Prozesskostenhilfegebühren, weil sie sich in dem Abschnitt 8 des RVG findet, der sich mit dem Vergütung des beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalts befasst. Die Gesetzesbegründung zur Änderung des § 55 Abs. 5 Satz 2 RVG durch das Gesetz vom 30. Juli 2009 (BGBl.I S. 2449) bestätigt dies (vgl. BT-Drs. a.a.O.). Danach geht der Gesetzgeber davon aus, dass die allgemeinen Vorschriften zur Anrechnung auch für die Vergütung des beigeordneten oder bestellten Anwalts gelten. Es sei deshalb in dem Vergütungsantrag anzugeben, welche Zahlungen auf etwaig anzurechnende Gebühren geleistet worden seien. Damit stünden dem Urkundsbeamten alle Daten zur Verfügung, um zu ermitteln, in welchem Umfang die Zahlungen nach § 58 Abs. 1 und 2 RVG auf die anzurechnende Gebühr als Zahlung auf die festzusetzende Gebühr zu behandeln seien.

Darüber hinaus spricht für die Anwendung des § 58 Abs. 2 RVG, dass in § 15 a Abs. 1 RVG, welcher ebenfalls durch das bereits erwähnte Gesetz vom 30. Juli 2009 eingefügt worden ist, angeordnet wird, dass der Rechtsanwalt bei Anrechnung einer Gebühr auf eine andere beide Gebühren fordern kann, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. Dadurch hat der Gesetzgeber verdeutlicht, dass im Falle einer Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr auch letztere zunächst in voller Höhe entsteht. Mithin scheidet die Anrechnung nach Maßgabe des § 58 Abs. 2 RVG nicht schon deshalb aus, weil diese Gebühr – wie noch nach der Rechtslage vor der Einführung des § 15 a RVG - von vornherein nur in der gekürzten Höhe entstehen würde.

Mit dieser Auffassung folgt das Gericht der inzwischen ganz überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 17. Oktober 2012 – 14 W 88/12 -; OLG Oldenburg, Beschluss vom 1. September 2011 – 13 W 29/11 -; OLG Brandenburg, Beschluss vom 25. Juli 2011 – 6 W 55/10 -; OLG Braunschweig, Beschluss vom 22. März 2011 – 2 W 18/11 – alle in juris; auch Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl. 2010, Rn. 44 f. zu § 58). Für sie spricht zudem, dass bei einer Anrechnung der nach § 13 RVG berechneten Geschäftsgebühr auf die Prozesskostenhilfegebühr nach § 49 RVG die unterschiedlichen Gebühren des Wahlanwalts und des beigeordneten Rechtsanwalts gegenübergestellt werden. Diese systematisch nicht überzeugende Berechnung würde – wie auch der vorliegende Fall zeigt - zu dem wenig einleuchtenden Ergebnis führen, dass die Verfahrensgebühr des beigeordneten Rechtsanwalts häufig nur noch gering ausfiele (hier: 89,05 €); ab einem Streitwert von 10 000,- € ist es sogar möglich, dass eine Verfahrensgebühr des beigeordneten Rechtsanwalts gar nicht mehr zu zahlen ist.

Die abweichende Auffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschluss vom 19. Oktober 2010 – 13 OA 130/10 – Nds. Rpfl. 2011, 24) betraf einen (Alt-) Fall, in dem der § 15 a RVG noch nicht zur Anwendung kam und kann daher für die seither geltende Rechtslage keine andere Beurteilung rechtfertigen.