Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.12.2010, Az.: 4 OA 135/10
Erledigungsgebühr des Rechtsanwalts bei Vornahme einer Selbstanzeige der Mandanten wegen zu Unrecht bezogener BAföG-Leistungen
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 06.12.2010
- Aktenzeichen
- 4 OA 135/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 29524
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:1206.4OA135.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 15a Abs. 2 RVG
- Nr. 1002 VV-RVG
Fundstelle
- JurBüro 2011, 132-133
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil das Verwaltungsgericht die Erinnerung des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 25. März 2010 zu Recht zurückgewiesen hat.
Der Senat stimmt mit dem Verwaltungsgericht darin überein, dass bei der Festsetzung der von dem Beklagten an den Kläger gemäß Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 25. November 2009 zur Hälfte zu erstattenden außergerichtlichen Kosten die mit Kostenfestsetzungsantrag vom 5. Februar 2010 geltend gemachte Erledigungsgebühr nicht zu berücksichtigen gewesen ist. Denn diese Gebühr ist entgegen der Annahme des Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht zur Entstehung gelangt.
Die Entstehung der Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV-RVG (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) setzt voraus, dass sich ein Rechtsstreit durch anwaltliches Mitwirken, und zwar durch eine besondere, auf Beilegung der Sache ohne Entscheidung des Gerichts gerichtete und zur Erledigung nicht nur unwesentlich beitragende Tätigkeit des Rechtsanwalts, erledigt. Hierfür sind besondere Bemühungen mit dem Ziel der Erledigung der Rechtssache erforderlich, die über eine "normale", durch die Tätigkeitsgebühren abgegoltene Prozessführung hinausgehen. Grund hierfür ist, dass die Erledigungsgebühr eine Erfolgsgebühr ist, die die Entlastung des Gerichts und das erfolgreiche anwaltliche Bemühen um eine Herstellung des Rechtsfriedens ohne gerichtliche Sachentscheidung honoriert (vgl. Senatsbeschl. v. 12.2.2009 - 4 OA 78/08 -).
Vorliegend hat der Beklagte seinen Bescheid über die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen nach dem BAföG und über die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen zurückgenommen, nachdem die Eltern des Klägers gegenüber dem Finanzamt für Fahndung und Strafsachen Oldenburg eine Selbstanzeige vorgenommen hatten und der Beklagte dieses zum Anlass genommen hatte, seine ursprüngliche Einschätzung hinsichtlich der Zuordnung des bei der Raiffeisenbank eG B. geführten Festgeldkontos zum Vermögen des Klägers zu ändern. Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers ihn bzw. seine Eltern über die Möglichkeiten einer Selbstanzeige beraten hat, handelt es sich jedoch nicht um eine über das normale Maß hinausgehende Mitwirkung an der Erledigung des Verfahrens. Es handelt sich insoweit vielmehr um eine übliche Beratungstätigkeit im Rahmen der ordnungsgemäßen Verfahrens- bzw. Prozessführung, die mit der Geschäftsgebühr und im Klageverfahren mit der Verfahrensgebühr abgegolten wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 4.9.2008 - 5 C 12.08 -, NVwZ 2009, 395) ist der Treuhandcharakter eines Kontos oder Depots nur anzunehmen, wenn eine entsprechende Treuhandabrede zivilrechtlich wirksam zustande gekommen und dies von dem insoweit darlegungspflichtigen Auszubildenden auch nachgewiesen worden ist. Dem Auszubildenden obliegt insoweit bei der Aufklärung von Tatsachen, die seiner Sphäre zuzuordnen sind, eine gesteigerte Mitwirkungspflicht. Wird die Bewilligung von Ausbildungshilfe wegen Vermögens des Auszubildenden zurückgenommen und die gewährte Ausbildungshilfe zurückgefordert, ist die Darlegung von Umständen, die auf eine von dem Auszubildenden in diesem Zusammenhang geltend gemachte wirksame Treuhandabrede schließen lassen, erforderlich, um einer dagegen gerichteten Klage Erfolgsaussichten zu verschaffen. Die Beratung im Zusammenhang mit einer Selbstanzeige gegenüber dem Finanzamt, die ein Indiz für das Vorliegen einer wirksamen Treuhandabrede sein kann, gehört daher zu einer ordnungsgemäßen Verfahrens- bzw. Prozessführung des Anwalts, die regelmäßig in einer Konstellation wie vorliegend geboten und daher nicht als besondere, auf die Erledigung des Rechtsstreits abzielende Tätigkeit zu bewerten ist. Soweit der Kläger mit seiner Beschwerde vorgebracht hat, dass die hier erfolgte Beratung durch seinen Prozessbevollmächtigten hinsichtlich einer Selbstanzeige mit der Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung zu vergleichen sei, ist zu entgegnen, dass auch die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung für sich genommen nicht eine besondere Bemühung darstellt, sondern der Glaubhaftmachung des eigenen Vorbringens im Rahmen der Begründung des eingelegten Rechtsbehelfs dient, die mit der Verfahrensgebühr bereits abgegolten ist.
Es ist entgegen der von dem Kläger mit seiner Beschwerde vorgebrachten Auffassung auch nicht zu beanstanden, dass im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25. März 2010 die entstandene Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG für die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des Klägers im vorangegangenen Verwaltungsverfahren gemäß Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG auf die gerichtliche Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG mit einem Gebührensatz von 0,75 angerechnet worden ist.
Nach § 15a Abs. 2 RVG kann sich ein Dritter (im Sinne des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes), hier also der Beklagte, auf eine im Vergütungsverzeichnis vorgesehene Anrechnung zwar nur unter den dort aufgezählten, hier nicht vorliegenden Ausnahmen berufen. Diese am 5. August 2009 in Kraft getretene Regelung findet hier jedoch keine Anwendung, da dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 26. März 2008 und damit vor Inkrafttreten des § 15a RVG der Auftrag zur Klageerhebung erteilt worden ist. Aufgrund der Übergangsbestimmung des § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt sich die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Rahmen der Kostenfestsetzung daher nach bisherigem Recht. Der Rechtslage vor Inkrafttreten des § 15a RVG entspricht es, die entstandene Geschäftsgebühr auf die in derselben Angelegenheit entstehende Verfahrensgebühr anzurechnen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.7.2009 - 9 KSt 4/08 -, JurBüro 2009, 594; ferner Senatsbeschl. v. 8.10.2008 - 4 OA 510/07 -). Sofern der Kläger mit seiner Beschwerde unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des 9. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (Beschl. vom 11.3.2010 - IX ZB 82/08 -) die Auffassung vertritt, dass es sich bei der Vorschrift des § 15a RVG um keine Neuregelung, sondern um eine gesetzgeberische Klarstellung handele mit der Folge, dass auch in sog. Altfällen § 15a Abs. 2 RVG Anwendung finde, ist dem nicht zu folgen. Zur Begründung nimmt der erkennende Senat Bezug auf die Beschlüsse des 13. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschl. v. 27.10.2009 - 13 OA 134/09 - und 19.10.2010 - 13 OA 130/10 -) sowie des 10. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschl. v. 8.9.2010 - 10 OA 99/10 -), die sich in den Entscheidungsgründen mit der jüngeren, in dieser Frage abweichenden Rechtsprechung mehrerer Zivilsenate des Bundesgerichtshofes eingehend und überzeugend auseinandersetzen.
Schließlich begegnet die im Kostenfestsetzungsbeschluss erfolgte Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr auch ihrer Höhe nach - hier mit einem Gebührensatz von 0,75 - keinen Bedenken. Nach Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG wird, soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 entsteht, diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Die Geschäftsgebühr beträgt nach Nr. 2300 VV-RVG 0,5 bis 2,5. Es handelt sich bei ihr um eine Rahmengebühr, deren Höhe der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen hat (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG). Dass die Bestimmung der Höhe der Geschäftsgebühr danach im Ermessen des Rechtsanwalts steht und daher grundsätzlich nicht durch das Gericht erfolgen kann, hat zur Folge, dass die Höhe der erstattungsfähigen Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren nur dann nach Maßgabe der Anrechnungsregelung in Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG konkret ermittelt werden kann, wenn der Rechtsanwalt Angaben zu der Höhe der von ihm bestimmten Geschäftsgebühr gemacht hat. Unterbleiben in Kostenfestsetzungsverfahren trotz der Nachfrage des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle - wie im vorliegenden Fall - diesbezügliche Angaben, weiß der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle nämlich nicht, in welcher Höhe die Geschäftsgebühr entstanden ist; kennt er die Höhe dieser Gebühr aber nicht und darf er sie - wie bereits ausgeführt - auch nicht selbst bestimmen, ist er nicht in der Lage, die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr konkret nach Maßgabe von Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG vorzunehmen, weil er die Hälfte der Geschäftsgebühr nicht ermitteln kann und daher auch nicht feststellen kann, ob die Hälfte dieser Gebühr den maximal anzurechnenden Gebührensatz von 0,75 überschreitet oder unterschreitet. In einem derartigen Fall ist die Verfahrensgebühr bei der Kostenfestsetzung zu Lasten des Erstattungsberechtigten unter Berücksichtigung des maximalen Anrechnungssatzes von 0,75 in Ansatz zu bringen (im Ergebnis ebenso der 13. Senat des Nds. OVG, Beschl. v. 25.4.2008 - 13 OA 63/08 -, ferner OVG Hamburg, Beschl. v. 20.8.2009 - 4 So 79/09 -). Nach § 173 VwGO i.V.m. § 104 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist es nämlich Sache des Erstattungsberechtigten, die festzusetzenden Kosten und damit auch das Bestehen einer höheren als der sich bei einer maximalen Anrechung der Geschäftsgebühr ergebenden Verfahrensgebühr glaubhaft zu machen und damit auch darzulegen, was hier nicht geschehen ist. Abgesehen davon ist die von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommene maximale Anrechung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr zu Lasten des Klägers auch deshalb gerechtfertigt, weil das dafür ursächliche Fehlen von Angaben zur Höhe der von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers bestimmten Geschäftsgebühr allein in die Sphäre des Klägers und nicht in die des erstattungspflichtigen Beklagten fällt.