Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.02.2024, Az.: 14 LA 117/23

Erfordernis der von § 55d Satz 4 Halbs. 1 VwGO geforderten Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit bei Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.02.2024
Aktenzeichen
14 LA 117/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 10969
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0227.14LA117.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 12.09.2023 - AZ: 4 A 47/23

Fundstellen

  • FA 2024, 154
  • RENOpraxis 2024, 115
  • ZAP EN-Nr. 229/2024
  • ZAP 2024, 311

Amtlicher Leitsatz

Zum Erfordernis der von § 55d Satz 4 Halbs. 1 VwGO geforderten Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit bei Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach.

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 12. September 2023 wird verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Kläger wendet sich mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, mit der dieses seine Klage gegen einen Kostenbeitragsbescheid vom 23. Januar 2023, den die Beklagte im Zusammenhang mit der stationären Unterbringung seines Sohnes in einer Pflegefamilie erlassen hat, abgewiesen hat.

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist bereits unzulässig, im Übrigen wäre er auch unbegründet.

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig. Der Antrag wurde nicht innerhalb der Zweimonatsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO in der gemäß § 55d VwGO erforderlichen Form begründet. Eine Begründung des Zulassungsantrags unter Nichteinhaltung der von § 55d VwGO vorgeschriebenen Form ist unwirksam und wahrt die Rechtsmittelbegründungsfrist folglich nicht (vgl. BayVGH, Beschl. v. 4.1.2024 - 6 CE 23.1766 -, juris Rn. 2; BGH, Beschl. v. 17.11.2022 - IX ZB 17.22 -, juris Rn. 5 zu § 520 Abs. 5 i.V.m. § 130d ZPO).

Nach § 55d Satz 1 VwGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die u.a. durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Eine herkömmliche Einreichung - etwa auf dem Postweg oder per Fax - ist prozessual grundsätzlich unwirksam. Nur dann, wenn eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschritten zulässig (§ 55d Satz 3 VwGO). Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen (§ 55d Satz 4 VwGO). Die Einhaltung der Vorschrift ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten; sie steht nicht zur Disposition der Beteiligten (BayVGH, Beschl. v. 4.1.2024 - 6 CE 23.1766 -, juris Rn. 3 m.w.N.).

Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts, das mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehen war, wurde dem Bevollmächtigten des Klägers ausweislich des elektronischen Empfangsbekenntnisses am 29. September 2023 zugestellt. Die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung hätte daher gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe - mithin bis zum 29. November 2023, 24:00 Uhr (vgl. § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB) beim Oberverwaltungsgericht (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO) in elektronischer Form eingehen müssen. Dies ist hier nicht geschehen. Vielmehr ist die (unterschriebene) Antragsbegründung vom 29. November 2023 am 29. November 2023 um 18:23 Uhr per Telefax beim Oberverwaltungsgericht eingegangen. Elektronisch ist die Begründung dem Gericht dagegen erst am 4. Dezember 2023 und damit nach Ablauf der Begründungsfrist übermittelt worden.

Auch die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung nach § 55d Sätze 3 und 4 VwGO liegen nicht vor. Es fehlt an der von § 55d Satz 4 Halbs. 1 VwGO geforderten Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit bei Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach. Die Glaubhaftmachung im Sinne des § 294 ZPO erfordert eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände, die zur vorübergehenden Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung aus technischen Gründen geführt hat (vgl. VGH BW, Beschl. v. 5.12.2023 - A 12 S 1719/23 -, juris Rn. 4 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 21.9.2022 - XII ZB 264/22 -, juris Rn. 15 zu § 130d ZPO; Hoppe/Ulrich, NVwZ 2023, 465, 468). Unerheblich ist, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der des Einreichenden zu suchen ist. Auch bei gerichtsbekannten Störungen oder solchen, von denen sich das Gericht ohne Weiteres Kenntnis verschaffen kann, ist eine Glaubhaftmachung - gegebenenfalls durch anwaltliche Versicherung - erforderlich, da dem Gericht der Zeitpunkt des Sendeversuchs nicht bekannt sein wird (vgl. VGH BW, Beschl. v. 5.12.2023 - A 12 S 1719/23 -, juris Rn. 4; Gädeke in: Ory/Weth, jurisPK-ERV, Stand: 7.9.2023, § 55d VwGO Rn. 36) und die gesetzlichen Regelungen in den Verfahrensordnungen insoweit keine Rückausnahmen von der Pflicht zur Glaubhaftmachung vorsehen (vgl. Hoppe/Ulrich, NVwZ 2023, 465, 468).

Die Glaubhaftmachung muss gemäß § 55d Satz 4 VwGO "bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach" erfolgen. Es kann hier offenbleiben, ob die Glaubhaftmachung bereits mit der Ersatzeinreichung zu erfolgen hatte (vgl. zum Streitstand, ob die Gleichzeitigkeit von Ersatzeinreichung und Glaubhaftmachung vorrangig ist: Anders, in: Anders/Gehle, ZPO, 82. Aufl. 2024, § 130d Rn. 9a). Denn jedenfalls sind die geltend gemachten Gründe für die Ersatzeinreichung nicht unverzüglich danach glaubhaft gemacht worden, so dass die Ersatzeinreichung jedenfalls unwirksam ist.

Unverzüglich - und somit ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) - ist die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments nur, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt. Dabei ist - anders als etwa bei § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB - keine gesonderte Prüfungs- und Überlegungszeit zu gewähren, sondern der Rechtsanwalt hat die Glaubhaftmachung gegenüber dem Gericht abzugeben, sobald er Kenntnis davon erlangt, dass die Einreichung an einer technischen Störung gescheitert ist und er zu einer geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände in der Lage ist (vgl. BGH, Beschl. v. 21.6.2023 - V ZB 15/22 -, juris Rn. 21 m.w.N. zu § 130d ZPO). Hierbei ist in die Abwägung einzustellen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Glaubhaftmachung möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen und die Nachholung der Glaubhaftmachung auf diejenigen Fälle beschränkt sein soll, bei denen der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen (BT-Drucks. 17/12634 S. 28; BGH, Beschl. v. 21.6.2023 - V ZB 15/22 -, juris Rn. 21 m.w.N.; OVG RP, Beschl. v. 8.8.2022 - 8 A 10330/22 -, juris Rn. 10 f.).

Der Zeitraum des unverschuldeten Zögerns im Sinne von § 55d Satz 4 VwGO ist nach alledem eng zu fassen (vgl. BGH, Beschl. v. 21.6.2023 - V ZB 15/22 -, juris Rn. 22 m.w.N. zu § 130d ZPO). Hierbei hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, innerhalb welcher Zeitspanne die Glaubhaftmachung zu erfolgen hat (BGH, Beschl. v. 21.6.2023 - V ZB 15/22 -, juris Rn. 22 zu § 130d ZPO; OVG RP, Beschl. v. 8.8.2022 - 8 A 10330/22 -, juris Rn. 10).

In Abwägung der Umstände im vorliegenden Einzelfall kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Schriftsatz vom 4. Dezember 2023 (Montag) - also drei Arbeitstage nach der Übersendung per Telefax am 29. November 2023 (Mittwoch) - nicht mehr unverzüglich im oben erläuterten Sinne eingereicht wurde. Es ist kein nachvollziehbarer Grund dargetan, warum die Glaubhaftmachung der - dem Prozessbevollmächtigten des Klägers seit dem 29. November 2023 bekannten - technischen Störung erst mit diesem Schriftsatz erfolgte und nicht zumindest am auf den 29. November folgenden Arbeitstag, also am Donnerstag, dem 30. November 2023. § 55 d S. 4 VwGO bietet angesichts der verschuldensunabhängig ausgestalteten Privilegierung der einreichenden Partei unkompliziert die Möglichkeit, einen an sich unzulässigen Schriftsatz in zulässiger Weise nachzureichen. Es ist für die einreichende Person zudem ein Leichtes und angesichts dieser Privilegierung ohne Weiteres zumutbar, den Umstand der technischen Störung zu erklären und zugleich mit der Einreichung oder zumindest unverzüglich danach glaubhaft zu machen (OVG RP, Beschl. v. 8.8.2022 - 8 A 10330/22 -, juris Rn. 11). Die Glaubhaftmachung muss zudem nicht über beA versandt werden und setzt somit auch nicht voraus, dass die technische Störung behoben ist (vgl. OVG RP, Beschl. v. 8.8.2022 - 8 A 10330/22 -, juris Rn. 10).

2. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wäre auch unbegründet.

Der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor bzw. ist nicht dargelegt.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung sind zu bejahen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (BVerfG, Beschl. v. 18.6.2019 - 1 BvR 587/17 -, juris Rn. 32 und v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, juris Rn. 96). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, juris Rn. 9). Eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, dass und warum Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des erkennenden Verwaltungsgerichts bestehen sollen. Hierzu bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 17.6.2015 - 8 LA 16/15 -, juris Rn. 10; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 206 jeweils m.w.N.).

Nach diesen Maßgaben kommt die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht in Betracht.

Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit dem Einwand auseinandergesetzt, dass er dem Beklagten als zuständige Behörde mit Schreiben vom 21. September 2018 die generelle Freigabe zur Adoption seines Sohnes - also nicht nur für eine Adoption durch Onkel und Tante, die dann geprüft und durch die Familiengerichte abgelehnt worden sei - erteilt habe. Der Beklagte habe diesbezüglich zu keiner Zeit Bemühungen unternommen. Wäre der Beklagte jedoch dieser Verpflichtung nachgekommen und hätte die Adoptionsvermittlung seines Sohnes durchgeführt, wäre im streitgegenständlichen Zeitraum seine Kostenbeitragspflicht wohl bereits entfallen und auf die Adoptiveltern übergegangen. Aus der Untätigkeit des Beklagten ergebe sich hier für ihn eine besondere Härte im Sinne des § 92 Abs. 5 SGB VIII, eine Belastung mit einem Kostenbeitrag sei ihm nicht mehr zumutbar gewesen.

Damit zeigt der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der erstinstanzlichen Entscheidung auf. Der Kläger legt bereits nicht ansatzweise dar, woraus sich ein subjektives Recht von Eltern auf Adoptionsvermittlung ihres Kindes ergeben soll, dafür ist auch nichts ersichtlich. Seine diesbezügliche Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg (Az.: 4 A 248/19) hat der Kläger auch wieder zurückgenommen. Da der Beklagte jedenfalls dem Kläger gegenüber zu keiner Adoptionsvermittlung verpflichtet war, kann auch aus einer unterstellten - vom Beklagten im Übrigen auch substantiiert bestrittenen - Untätigkeit keine besondere Härte folgen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).