Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.02.2024, Az.: 10 KN 54/22

Kostenverteilung bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen nach mehrfacher Änderung der Niedersächsischen Verordnung über düngerechtliche Anforderungen zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat oder Phosphat

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
01.02.2024
Aktenzeichen
10 KN 54/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 10439
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0201.10KN54.22.00

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird auf 10.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu entscheiden. Maßgebend sind grundsätzlich in erster Linie die Erfolgsaussichten des Verfahrens (Clausing in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: August 2022, § 161 Rn. 23), mithin wer die Kosten hätte tragen müssen, wenn das erledigende Ereignis nicht eingetreten wäre (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 25.12.2016 - 1 BvR 1380/11 -, juris Rn. 13). Damit entspricht es in der Regel der Billigkeit, demjenigen Beteiligten die Kosten aufzuerlegen, der ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses voraussichtlich unterlegen wäre (BVerwG, Beschluss vom 13.10.2022 - 1 B 40.22 -, juris Rn. 2). Maßgeblich ist dabei die Sach- und Rechtslage unmittelbar vor dem Eintritt des erledigenden Ereignisses (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 29. Auflage 2023, § 161 Rn. 16; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25.9.2023 - 2 M 99/23 -, juris Rn. 2; BSG, Beschluss vom 27.1.2021 - B 6 A 1/19 R -, juris Rn. 6).

Allerdings befreit der in § 161 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck kommende Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit nach Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache das Gericht von dem Gebot, anhand eingehender Erwägungen abschließend über den Streitstoff zu entscheiden (BVerwG, Beschluss vom 22.11.2022 - 7 A 5.22 -, juris Rn. 2). Sind die Erfolgsaussichten völlig offen, so sind dementsprechend die Kosten den Beteiligten je zur Hälfte aufzuerlegen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 25.12.2016 - 1 BvR 1380/11 -, juris Rn. 13) bzw. die Kosten gegeneinander aufzuheben (BVerwG, Beschluss vom 15.12.2019 - 9 A 25.18 -, juris Rn. 2, und Beschluss vom 16.11.2018 - 10 C 9.17 -, juris Rn. 2). Dies gilt auch, wenn der erledigte Rechtsstreit schwierige Fragen aufwirft (BVerwG, Beschluss vom 24.4.2019 - 2 B 49.18 -, juris Rn. 2 m.w.N.) und sich sein Ausgang aufgrund einer summarischen, d.h. überschlägigen Prüfung nicht prognostizieren lässt (BVerwG, Beschluss vom 4.4.2017 - 4 CN 1.17 -, juris Rn. 3, und Beschluss vom 3.2.2010 - 4 CN 1.09 -, juris Rn. 2). In einem solchen Fall ist es nicht die Aufgabe der Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO, die Erfolgsaussichten des Verfahrens abschließend zu prüfen und der Frage weiter nachzugehen, zu welcher Entscheidung das Gericht in einem rechtlich nicht eindeutigen Streitfall ohne das erledigende Ergebnis voraussichtlich gekommen wäre (BVerwG, Beschluss vom 16.11.2018 - 10 C 9.17 -, juris Rn. 2; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 4.4.2017 - 4 CN 1.17 -, juris Rn. 3).

Etwas anderes kann allerdings gelten, wenn ein Beteiligter die Erledigung der Sache selbst herbeigeführt hat (BVerwG, Beschluss vom 3.2.2010 - 4 CN 1.09 -, juris Rn. 2, und Beschluss vom 11.9.2003 - 4 CN 3.03 -, juris Rn. 3; vgl. auch Bayerischer VGH, Beschluss vom 26.11.2020 - 8 N 15.2460 -, juris Rn. 3, und Beschluss vom 16.6.2020 - 9 N 18.1591 -, juris Rn. 3; Clausing in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: März 2023, § 161 Rn. 24). Dies ist etwa der Fall, wenn der Normgeber nach Einlegung der Revision auf die vom Oberverwaltungsgericht erklärte Unwirksamkeit einer Norm mit dem Erlass einer neuen Norm reagiert und damit auch den sachlichen Einwänden des Antragstellers Rechnung getragen hat, wobei unerheblich ist, in welchem Umfang der Normgeber die Einwände des Antragstellers aufgegriffen hat; entscheidend ist, dass der Normgeber die angegriffene Norm zur Erledigung gebracht hat (BVerwG, Beschluss vom 3.2.2010 - 4 CN 1.09 -, juris Rn. 2). Hingegen entspricht es grundsätzlich nicht der Billigkeit, aus dem Neuerlass einer angegriffenen Norm, der zur Erledigung eines Normenkontrollverfahrens führt, kostenmäßige Schlüsse zu ziehen, wenn sie nicht in die Sphäre des Normgebers fällt, so etwa bei einer Änderung nationaler Regelungen (BVerwG, Beschluss vom 12.12.1990 - 4 NB 14.88 -, juris Rn. 11).

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs entspricht es vorliegend der Billigkeit, die Kosten des Verfahrens dem Antragsgegner aufzuerlegen.

Ob der Normenkotrollantrag Erfolg gehabt hätte, lässt sich nicht ohne weiteres beantworten (vgl. bereits Senatsbeschlüsse vom 9.5.2023 - 10 KN 26/22 - und - 10 KN 84/21 -, n.v.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 27.7.2023 - 13a N 23.982 -, juris Rn. 3). Es wäre eine eingehende Prüfung zahlreicher teils komplexer rechtlicher und tatsächlicher Fragen erforderlich, die nach Erledigung der Hauptsache nicht mehr geboten ist und deren Ergebnis nach dem Sach- und Streitstand im maßgeblichen Zeitpunkt nicht absehbar ist. Dennoch entspricht es in der vorliegenden Konstellation der Billigkeit, dass die Kosten des Verfahrens (dieses Mal) nicht (auch) der Antragsteller, sondern allein der Antragsgegner zu tragen hat. Der Antragsteller bzw. die von ihm genutzten Flächen waren bereits von der Niedersächsische Verordnung über düngerechtliche Anforderungen zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigungen durch Nitrat oder Phosphat (NDüngGewNPVO a.F.) vom 28. November 2019 (Nds. GVBl. 2019, S. 362) erfasst. Nachdem der Antragsteller gegen diese Verordnung einen Normenkontrollantrag gestellt hatte, setzte der Antragsgegner diese gemäß § 7 Niedersächsische Verordnung über düngerechtliche Anforderungen zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat oder Phosphat vom 3. Mai 2021 (Nds. GVBl. 2021, S. 246 - NDüngGewNPVO -) mit deren Inkrafttreten außer Kraft. Daraufhin nahm der Antragsteller den die aufgehobene Verordnung betreffenden Normenkontrollantrag zurück. Das Verfahren wurde sodann eingestellt und die Kosten dem Antragsteller auferlegt (Senatsbeschluss vom 22.6.2021 - 10 KN 253/20 -, n.v.). Der Antragsteller, dessen Flächen auch von der neuen Verordnung erfasst wurden, musste daher einen neuen Normenkontrollantrag gegen die neue Verordnung stellen, wenn er die Rechtmäßigkeit der ihm durch die Verordnung auferlegten Pflichten und Beschränkungen überprüfen lassen wollte. Dies ist mit dem streitgegenständlichen Verfahren auch erfolgt. Während des erneuten und noch laufenden gerichtlichen Verfahrens hat der Antragsgegner die NDüngGewNPVO wieder geändert, mit der Folge, dass die vom Antragsteller genutzten Flächen nicht mehr in der Gebietskulisse enthalten sind und er den Rechtstreit dementsprechend für erledigt erklärte. Da der Antragsteller bereits einen Teil der Kosten des Verfahrens betreffend die NDüngGewNPVO vom 28. November 2019 tragen musste, nachdem er deren Rechtmäßigkeit nicht mehr gerichtlich überprüfen lassen konnte, weil der Antragsgegner diese aufgehoben und durch eine neue Verordnung ersetzt hatte, der Antragsteller aber gleichwohl wieder den sich aus der NDüngGewNPVO ergebenden Beschränkungen unterliegen sollte und so für eine gerichtliche Überprüfung ein weiteres mit einem Kostenrisiko verbundenes Verfahren anstrengen musste, ist unter Billigkeitsgesichtspunkten nunmehr von einer erneuten Auferlegung von Kosten abzusehen, nachdem die Verordnung wieder geändert worden ist und dadurch der Anlass für das gerichtliche Verfahren für den Antragsteller erneut aus nicht aus seiner Sphäre stammenden Gründen nachträglich entfallen ist. Der Antragsgegner hatte ihm mit den beiden NDüngGewNPVOen jeweils Beschränkungen bzw. Verpflichtungen auferlegt, die der Antragsteller rechtlich überprüfen lassen wollte. Diese grundsätzlich vorgesehene Möglichkeit wurde ihm nunmehr zwei Mal während bereits angestrengter gerichtlicher Verfahren genommen, beim ersten Mal durch den Erlass einer neuen Verordnung unter Aufhebung der alten Verordnung und beim zweiten Mal durch eine Änderung der Verordnung unter Wegfall der ihm damit zuvor auferlegten Verpflichtungen bzw. Beschränkungen. Der Antragsteller ist damit Kostenrisiken eingegangen, die sich zum Teil bereits realisiert haben, letztlich ohne dass er daraus einen Nutzen - im Sinne einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der ihn betreffenden Regelungen - gewinnen konnte. Letztlich steht er nach der erneuten Änderung der Verordnung und zwei von ihm angestrengten, allerdings in der Sache nicht abgeschlossen gerichtlichen Verfahren wieder so, wie vor dem Erlass der Verordnung vom 28. November 2019. Auf den Wegfall der Überprüfungsmöglichkeit bzw. - erforderlichkeit hatte der Antragsteller auch keinen Einfluss. Es wäre daher nicht billig, ihn mit weiteren Kosten zu belasten (so auch bereits u.a. Senatsbeschluss vom 9. Mai 2023 - 10 KN 26/22 -, n.v. nach Kostenaufhebung bei beidseitiger Erledigungserklärung im früheren Verfahren).

Zwar ist auch der erneuten Änderung der NDüngGewNPVO wieder eine Änderung bzw. Neufassung der Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung von mit Nitrat belasteten und eutrophierten Gebieten (AVV GeA) des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vorausgegangen. Angesichts der obigen Erwägungen kommt diesem Gesichtspunkt jedoch keine ausschlaggebende Bedeutung mehr zu, zumal im Gegensatz zu den Umständen im vorangegangenen Verfahren die Flächen des Antragstellers nach der nunmehrigen Änderung der NDüngGewNPVO nicht mehr der Gebietskulisse der geänderten Verordnung unterfallen und überdies die vom Antragsgegner gewählte Abgrenzungsmethodik wohl auch auf den aktuellen, aber grundsätzlich abänderbaren tatsächlichen landesspezifischen Gegebenheiten, wie etwa der Messstellendichte, beruht (vgl. § 15 Abs. 2 AVV GeA 2022). Ob der Antragsgegner mit der Änderung der NDüngGewNPVO auch den Einwänden der Antragsteller Rechnung getragen hat, ist nach alledem ebenfalls nicht in einer entscheidenden Weise maßgeblich. Mitnichten ist die Änderung der Gebietskulisse auch, wie der Antragsgegner allerdings meint, auf eine ohnehin turnusmäßig vorhergesehene Überprüfung und Anpassung nach § 14 AVV GeA 2022 zurückzuführen. Eine solche Überprüfung der Gebietsausweisung war bereits in § 17 AVV GeA 2020 vorgesehen. Vielmehr wurden mit der AVV GeA 2022 die bundesrechtlichen von der Europäischen Kommission bemängelten Vorgaben zur Vereinheitlichung des Verfahrens der Gebietsausweisung geändert (vgl. BR-Drs. 275/22, S. 20), vgl. etwa § 3 AVV GeA 2020, § 5 Abs. 2 AVV GeA 2020 und § 4 Abs. 2 AVV GeA 2022 und insbesondere auch die Vorgaben zur immissionsbasierten Abgrenzung der Gebiete sowie die Übergangsregelung zur Abgrenzung der nitratbelasteten Gebiete. Die Berücksichtigung dieser neuen Vorgaben der AVV GeA 2022 hatte die neuerliche Gebietsausweisung zur Folge. Das Vorgehen bei der Gebietsausweisung durch den Antragsgegner berücksichtigt entgegen seiner Auffassung auch jedenfalls insoweit landesspezifische Besonderheiten, als er mangels in Niedersachsen noch nicht (die Frist zum Ausbau endet gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 AVV GeA 2022 am 31. Dezember 2024) ausreichend vorhandener Messstellen von der Übergangsregelung in § 15 AVV GeA 2022 Gebrauch gemacht hat und nicht das geostatistische Regionalisierungsverfahren (§ 5 Abs. 2 AVV GeA 2022) anwendet, sondern das deterministische Regionalisierungsverfahren bzw. IDW-Verfahren nach § 15 Abs. 2 Sätze 2 und 3 i.V.m. Anlage 3 AVV GeA 2022.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. Das Interesse an der Ungültigerklärung einer im Rang unter dem Landesrecht stehenden Rechtsvorschrift ist mit dem doppelten Auffangwert im Sinne des § 52 Abs. 2 GKG, mithin 10.000 EUR, in der Regel ausreichend bemessen (so auch bereits Senatsbeschlüsse vom 9.5.2023 - 10 KN 26/22 - und - 10 KN 84/21 -, n.v.; vgl. auch Bayerischer VGH, Beschluss vom 27.7.2023 - 13a N 23.982 -, juris Rn. 8). Diese Höhe berücksichtigt auch die Empfehlung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11) in den Nrn. 29.2 und 9.8.1 (vgl. dazu auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.3.2023 - 13 S 3646/21 -, juris Rn. 6 m.w.N.). Mit der Befugnis, den Streitwert gemäß § 52 Abs. 1 GKG "nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen, soweit nichts anderes bestimmt ist", ist dem Gericht im Interesse der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung die Möglichkeit eingeräumt, den Wert des Streitgegenstands zu schätzen, sich einer weitgehenden Schematisierung und Typisierung für gleichartige Streitigkeiten zu bedienen und zu pauschalieren (Senatsbeschluss vom 5.9.2023 - 10 OA 103/23 -, juris Rn. 3 m.w.N.). Damit ist eine andere Bestimmung der Höhe des Streitwerts im Einzelfall zwar nicht ausgeschlossen. Konkrete Umstände, die eine Abweichung vom Regelfall rechtfertigen würden, sind vorliegend jedoch nicht gegeben. Insbesondere genügt für die endgültige Festsetzung eines abweichenden Streitwerts insoweit nicht die pauschale Angabe des Antragstellers in der Antragsschrift, "geringere Erträge, mindere Qualitäten und zusätzliche Kosten führen zu Einkommenseinbußen von geschätzt mind. EUR 200,00 pro ha und Jahr", die er im Nachgang nicht weiter substantiiert hat. Maßgebend für die Bedeutung der Sache für den Rechtsschutzsuchenden ist das sich bei objektiver Beurteilung aus der Antragsbegründung ergebende wirtschaftliche und gegebenenfalls auch ideelle (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 15.9.2015 - 9 KSt 2.15 -, juris Rn. 2 m.w.N.) Interesse an der angestrebten gerichtlichen Entscheidung, nicht die Bedeutung, die ihr subjektiv beigemessen wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7.9.2016 - 5 KSt 6.16 -, juris Rn. 2; Senatsbeschluss vom 5.9.2023 - 10 OA 103/23 -, juris Rn. 3 m.w.N.) zumal der Antragsteller in der Antragsschrift selbst einräumt, dass es schwierig sein dürfte, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Verordnung genauer zu ermitteln.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).