Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.11.2020, Az.: 11 ME 293/20

Beschränkung, versammlungsrechtliche; Bestimmtheit; Demonstration; Denkmal; Erlass; Feiertag; Flaggen; Provokationswirkung; Reichskriegsflagge; Versammlung; Versammlungsfreiheit; Volkstrauertag; öffentliche Ordnung; öffentliche Sicherheit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
13.11.2020
Aktenzeichen
11 ME 293/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71858
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 12.11.2020 - AZ: 5 B 320/20

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Um eine versammlungsrechtliche Beschränkung auf einen zu erwartenden Verstoß gegen die öffentliche Ordnung stützen zu können, ist die einzelfallbezogene Feststellung erforderlich, dass von der konkreten Art und Weise der Durchführung der Versammlung Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürger erheblich beeinträchtigen.
Zu einem Einzelfall, in dem eine derart erhebliche Beeinträchtigung nicht festgestellt werden kann.

2. Das Verwenden der in dem Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 1.Oktober 2020 "Hinweise zum Umgang mit dem öffentlichen Zeigen von Reichskriegsflaggen" aufgeführten Reichs(kriegs)flaggen während einer Versammlung begründet für sich gesehen weder einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit, noch eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung.

Tenor:

1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 5. Kammer - vom 12. November 2020 geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (5 A 319/20) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. November 2020 wird hinsichtlich der in Nr. 1 enthaltenen Beschränkung wiederhergestellt.

2. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 12. November 2020 - 5. Kammer - wird zurückgewiesen.

3. Die Kostenentscheidung in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 12. November 2020 - 5. Kammer - wird dahingehend abgeändert, dass der Antragsteller ¼ und die Antragsgegnerin ¾ der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen.

4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.

5. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller wendet sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen versammlungsrechtliche Beschränkungen, die die Antragsgegnerin für die vom Antragsteller angezeigte Versammlung angeordnet hat.

Unter dem 5. November 2020 zeigte der Antragsteller der Antragsgegnerin eine versammlungsrechtliche Veranstaltung an. Danach möchte der Antragsteller am Sonntag, den 15. November 2020 unter dem Motto „Für ein würdiges Gedenken gegen den Zeitgeist. Sie für uns - wir für sie - alle für Deutschland.“ in der Zeit von 16:30 bis 21:30 Uhr vor dem Obelisken am Löwenwall in Braunschweig eine stationäre Kundgebung durchführen. Als ungefähre Personenzahl gab er 50 Personen und als Versammlungsmittel „100 Fackeln, Schwarz-Weiß-Rote Fahnen, ggf. andere Fahnen, Kränze, Grablichter, ein Holzkreuz und ein Transparent“ an.

Mit Bescheid vom 11. November 2020 bestätigte die Antragsgegnerin die Anzeige der versammlungsrechtlichen Veranstaltung und ordnete insgesamt 19 versammlungsrechtliche Beschränkungen sowie deren sofortige Vollziehung an.

Die streitgegenständlichen Nrn. 1 und 10 dieser Beschränkungen lauten:

„1. Der Standort für die Versammlung wird auf den „südlichen Bereich des Löwenwalls“ mit einem – in Absprache mit den Einsatzkräften der Polizei – zeitweisen Zugang zum Obelisken auf dem Löwenwall verlegt. (siehe Anlage 1)“

„10. Das Verwenden der in Anlage 1 - 4 des Erlasses des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport vom 01.10.2020 aufgeführten Reichs(kriegs)flaggen ist verboten (siehe Anlage 2).“

Anlage 1 enthält eine kartografische Darstellung des Versammlungsbereichs. In der Anlage 2 sind insgesamt vier Flaggen mit textlichen Erläuterungen abgebildet.

In einer weiteren Beschränkung wurde die Zahl der Versammlungsteilnehmer auf 50 Personen begrenzt (Nr. 4). Zudem wurden Vorgaben zum Infektionsschutz (Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, Einhaltung eines Mindestabstands, Nrn. 2 und 3) und zu den einzusetzenden Ordnern (Nr. 6) gemacht. Ferner wurde das Mitführen von Fackeln oder fackelähnlichen Gegenständen sowie Trommeln untersagt (Nr. 7) und das Konsumieren von Alkohol verboten (Nr. 8). Des Weiteren wurde angeordnet, dass Stangen der mitgebrachten Transparente, Fahnen und Trageschilder eine maximale Länge von 2,00 m nicht überschreiten und der Querschnitt/Durchmesser von daran angebrachten runden Stangen maximal 2,50 m betragen darf (Nr. 9). In Nr. 10 der Beschränkungen wurde das Mitbringen und Verwenden von Fahnen sowie von Transparenten und Tragschildern strafbaren Inhalts untersagt. Zudem wurden weitere Verbote in Bezug auf bestimmte Kleidungsstücke (z.B. dunkle Springerstiefel, schwarze Bomberjacken, Nr. 12 und Nr. 13) angeordnet und es wurde untersagt, Parolen zu verwenden, die erkennbar darauf ausgerichtet sind, das NS-Regime, seine Organisationen und deren Folgeorganisationen sowie verbotene Parteien und Vereine einschließlich deren Folgeorganisationen zu verherrlichen, zu verharmlosen oder wieder zu beleben (Nr. 14). Schließlich wurde angeordnet, dass eine Lautstärke der Schallverstärker von maximal 75 dB nicht überschritten werden darf, gemessen in einem Meter Abstand von der Emissionsquelle (Nr. 16).

Mit Schriftsatz vom 12. November 2020 hat der Antragsteller Klage (5 A 319/20) gegen Nrn. 1 (Ortsverlegung) und 10 (Reichs(kriegs)flaggenverbot) des Bescheids der Antragsgegnerin vom 11. November 2020 erhoben, über die noch nicht entschieden worden ist. Auf den gleichzeitig gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. November 2020 die aufschiebende Wirkung der Klage insoweit wiederhergestellt, „als mit Auflage 10 das Verwenden der in der Anlage 1 - 4 des Erlasses des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 1. Oktober 2020 aufgeführten Flaggen auch in einem Umfang von einer Flagge je zehn Veranstaltungsteilnehmern verboten wird“ und den Antrag im Übrigen abgelehnt.

Mit seiner am 13. November 2020 erhobenen Beschwerde wendet sich der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, soweit es den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in Bezug auf die in Nr. 1 enthaltene versammlungsrechtliche Beschränkung abgelehnt hat.

Mit ihrer ebenfalls am 13. November 2020 erhobenen Beschwerde wendet sich die Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, soweit dieses die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. November „insoweit wiederhergestellt hat, als mit Auflage 10 das Verwenden der in der Anlage 1 - 4 des Erlasses des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 01.10.2020 aufgeführten Flaggen auch in einem Umfang von einer Flagge je zehn Veranstaltungsteilnehmern verboten wird“.

Die zulässigen Beschwerden haben aus dem im Tenor ersichtlichem Umfang Erfolg. Die Beschwerde des Antragstellers ist begründet (1.), die Beschwerde der Antragsgegnerin ist unbegründet (2.)

1. Die von dem Antragsteller vorgetragenen Beschwerdegründe, auf deren Überprüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die in Nr. 1 des Bescheids vom 11. November 2020 verfügte versammlungsrechtliche Beschränkung hat Erfolg, weil sich diese Anordnung nach der im vorliegenden Eilverfahren gebotenen Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich als rechtswidrig erweisen wird.

Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Anordnung ist § 8 Abs. 1 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes - NVersG - vom 7.Oktober 2010 (Nds. GVBl. S. 465). Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Durch diese Vorschrift wird das Grundrecht des Art. 8 GG, wonach alle Deutschen das Recht haben, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, beschränkt. Die Möglichkeit der Beschränkung der Versammlungsfreiheit ist in Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich vorgesehen.

Bei Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, müssen die Verwaltungsgerichte schon im Eilverfahren durch eine möglichst umfangreiche Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen versammlungsrechtlichen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen; im Übrigen kommt es auf eine sorgsame Interessenabwägung an (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, BVerfGE 69, 315, 363, juris). Das der zuständigen Behörde durch § 8 Abs. 1 NVersG eingeräumte Entschließungsermessen ist grundrechtlich gebunden. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechtes ergibt, dass dies zum Schutz anderer mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Die behördliche Eingriffsbefugnis setzt eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung in der vom Antragsteller beantragten Form voraus. Die „unmittelbare Gefährdung“ i.S.d. § 8 Abs. 1 NVersG setzt wiederum eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt. Außerdem müssen zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände dafür vorliegen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Das setzt nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose voraus; bloße Vermutungen reichen nicht (BVerfG, Beschl. v. 29.3.2002 - 1 BvQ 9/02 -, NVwZ 2002, 983; dasselbe, Beschl. v. 21.4.1998 - 1 BvR 2311/94 -, juris). Das aus Art. 8 Abs. 1 GG abzuleitende Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters bezieht sich dabei in der Regel auch auf Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Versammlung, kann allerdings durch Rechte anderer beschränkt sein.

Nach diesen Grundsätzen kann die in Nr. 1 des Bescheids vom 11. November 2020 verfügte örtliche Beschränkung im Rahmen des vorliegend anzuwendenden Prüfungsmaßstabs keinen Bestand haben. Sie ist bereits nicht hinreichend bestimmt (a) und im Übrigen auch aus materiell-rechtlichen Gründen nicht gerechtfertigt (b).

a) Die Anordnung ist bereits nicht hinreichend bestimmt. Ein Verwaltungsakt muss, um hinreichend bestimmt zu sein, den Adressaten in die Lage versetzen zu erkennen, was von ihm gefordert wird, und eine geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung darstellen. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts. Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist entsprechend §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist der erklärte Wille maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. Bei der Ermittlung dieses objektiven Erklärungswertes sind alle dem Empfänger bekannten oder erkennbaren Umstände heranzuziehen, insbesondere auch die Begründung des Verwaltungsaktes (BVerwG, Urt. v. 16.10.2013 - 8 C 21/12 -, juris, Rn. 15 m.w.N.). Hinreichende Bestimmtheit liegt vor, wenn sich die Regelung aus dem gesamten Inhalt des Bescheids, insbesondere seiner Begründung, sowie den weiteren, den Beteiligten bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen unzweifelhaft erkennen lässt (BVerwG, Urt. v. 26.10.2017 - 8 C 18/16 -, a.a.O., juris, Rn. 14, m.w.N.). Verbleibende Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, 21. Aufl. 2020, § 37 VwVfG Rn. 7).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die in Nr. 1 enthaltene Anordnung nicht hinreichend bestimmt und daher auch nicht vollstreckbar. Zwar wird aus der kartografischen Darstellung in Anlage 1 des Bescheids hinreichend deutlich, was mit dem in der Anordnung in Bezug genommen „südlichen Bereich des Löwenwalls“ gemeint ist, also in welchem räumlichen Bereich der den Obelisken umgebenden Freifläche sich die Versammlungsteilnehmer aufhalten dürfen. Völlig unklar bleibt jedoch, wann, für wie lange und unter welchen Voraussetzungen den Versammlungsteilnehmern der in der Beschränkung erwähnte „zeitweise Zugang zum Obelisken“ gewährt wird bzw. zu gewähren ist. Diesbezüglich lassen sich auch der Begründung des Bescheids keine weitergehenden Anhaltspunkte entnehmen. So hat die Antragsgegnerin zur Begründung der in Nr. 1 enthaltenen Anordnung ausgeführt, dass die Durchführung der Versammlung direkt am Obelisk auf dem Löwenwall eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstelle. Unter Berücksichtigung des stillen Gedenktages, der abendlichen Veranstaltungszeit bei Dunkelheit und der Verwendung von Grablichtern und Flaggen erhalte die Veranstaltung in der Gesamtschau durch eine solche Inszenierung gerade vor dem Monument des Obelisken eine nicht mehr hinzunehmende einschüchternde Provokationswirkung. Das öffentliche Interesse an der Abwendung dieser dargestellten Gefahr für die öffentliche Ordnung habe Vorrang vor dem Interesse des Antragstellers, da die geringfügige Verlegung des Versammlungsstandorts die Versammlungsfreiheit nur unwesentlich berühre. Im Übrigen werde „zumindest zeitweise Zugang zum Obelisken gewährt“.

Damit bleibt auch unter Berücksichtigung der Begründung völlig unklar, wann, unter welchen Voraussetzungen und wie lange den Versammlungsteilnehmern am Veranstaltungstag gestattet wird, sich - wie von ihnen beabsichtigt - in die unmittelbare Nähe des Obelisken zu begeben. Durch diese Unklarheiten kann die Anordnung auch keine geeignete Grundlage für eine evtl. zwangsweise Durchsetzung darstellen. Sollten während der Versammlung vor Ort zwischen den Versammlungsteilnehmern und der Polizei Differenzen darüber entstehen, wann bzw. wie lange der unmittelbare Zugang zum Obelisken zu gewähren ist, könnten sich die Versammlungsteilnehmer stets darauf berufen, dass ihnen jedenfalls ein zeitweiser Zugang zu gewähren ist.

b) Die streitgegenständliche Anordnung erweist sich im Rahmen der hier vorzunehmenden Prüfung aber auch unter materiell-rechtlichen Gesichtspunkten als rechtswidrig, da die von der Antragsgegnerin zur Rechtfertigung dieser versammlungsrechtlichen Beschränkung angeführte Begründung, die Durchführung der Versammlung direkt am Obelisken stelle eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar, einer rechtlichen Überprüfung nicht standhält.

Unter dem Begriff der öffentlichen Ordnung, wie er etwa § 8 Abs. 1 NVersG und § 15 Abs. 1 VersG zugrunde liegt, ist die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln zu verstehen, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets anzusehen ist (st. Rspr, vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 23.6.2004 - 1 BvQ 19/04 -, BVerfGE 111, 147, juris, 21; BVerwG, Urt. v. 26.2.2014 - 6 C 1/13 -, juris, Rn. 15). Beschränkende Verfügungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung sind verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn und soweit sich die in § 8 Abs. 1 NVersG vorausgesetzte Gefahr nicht aus dem Inhalt der Äußerung, sondern aus der äußeren Art und Weise der Durchführung der Versammlung ergibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, NVwZ 2008, 671, juris, Rn. 30; dasselbe, Beschl. v. 26.1.2006 - 1 BvQ 3/06 -, juris, Rn. 12 und 16). Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung infolge der Art und Weise der Durchführung einer Versammlung kann beispielsweise bei einem aggressiven und provokativen, die Bürger einschüchternden Verhalten der Versammlungsteilnehmer bestehen, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentiellen Gewaltbereitschaft erzeugt wird. Ein Anlass für Beschränkungen der Versammlungsfreiheit unter Berufung auf das Schutzgut der öffentlichen Ordnung kann ferner gegeben sein, wenn Rechtsextremisten einen Aufzug an einem speziell der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust dienenden Feiertag so durchführen, dass von seiner Art und Weise Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen. Gleiches gilt, wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert. Art. 8 GG schützt zwar Aufzüge, nicht aber Aufmärsche mit paramilitärischen oder in vergleichbarer Weise aggressiven und einschüchternden Begleitumständen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, a.a.O., juris Rn. 31; dasselbe, Beschl. v. 23.6.2004 - 1 BvQ 19/04 -, juris, Rn. 23; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 7.1.2020 - 15 A 4693/18 -, juris, Rn. 14, jeweils m.w.N.). Kommt einem bestimmten Tag in der Gesellschaft ein eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zu, darf dieser Sinngehalt bei einer Versammlung an diesem Tag nicht in einer Weise angegriffen werden, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt werden (BVerwG, Urt. v. 26.2.2014 - 6 C 1/13 -, juris, Rn. 15). Demgegenüber reicht es für eine Versammlungsbeschränkung aus Gründen der öffentlichen Ordnung nicht aus, dass die Durchführung der Versammlung an einem Gedenktag in irgendeinem, beliebigen Sinne als dem Gedenken zuwiderlaufend zu beurteilen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.2.2014 - 6 C 1/13 -, juris, Rn. 16, das in Bezug auf den „Holocaust-Gedenktag“ am 27.1. eine Gefahr für die öffentliche Ordnung verneint hat). Störungen des sittlichen Empfindens der Bürger ohne Provokationscharakter oder Störungen, die, obgleich provokativen Charakters, kein erhebliches Gewicht aufweisen, ergeben als solche keinen verhältnismäßigen Anlass für eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit (BVerwG, Urt. v. 26.2.2014 - 6 C 1/13 -, juris, Rn. 16). Erforderlich ist vielmehr die Feststellung, dass von der konkreten Art und Weise der Durchführung der Versammlung Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürger erheblich beeinträchtigen (BVerwG, Urt. v. 26.2.2014 - 6 C 1/13 -, juris, Rn. 16).

Ausgehend von diesen Grundsätzen kann vorliegend entgegen der von der Antragsgegnerin und dem Verwaltungsgericht vertretenen Ansicht nicht festgestellt werden, dass ohne die in Nr. 1 des Bescheids vom 11. November 2020 verfügte Beschränkung von der Art und Weise der von dem Antragsteller angezeigten Versammlung unter Berücksichtigung der weiteren in dem Bescheid vom 11. November 2020 enthaltenen, vom Antragsteller nicht (mehr) angegriffenen Beschränkungen eine Provokation ausginge, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen würde. Eine solche Beeinträchtigung lässt sich insbesondere nicht mit der unmittelbaren räumlichen Nähe der Versammlung zu dem Obelisken begründen. Der Obelisk ist ein Ehrenmal für die in den Befreiungskriegen gegen Napoleon I. gefallenen Braunschweiger Herzöge und steht damit in keinem Zusammenhang mit der Zeit der Nationalsozialisten und dem in dieser Zeit begangenen Unrecht. Zudem handelt es sich bei der von dem Antragsteller angezeigten Versammlung nicht um einen Aufzug, dem durch sein Gesamtgepräge durch paramilitärische oder in vergleichbarer Weise aggressive und einschüchternde Begleitumstände eine einschüchternde Wirkung anderer Bürger zukommt, sondern um eine stationäre Versammlung. Aufgrund der in den Nrn. 4 und 7 bis 16 enthaltenen Beschränkungen wird zudem hinreichend gewährleistet, dass die Versammlung keinen einschüchternden, paramilitärischen Charakter erlangen kann. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass das Mitführen von Fackeln oder fackelähnlichen Gegenständen sowie von Trommeln untersagt wurde (Beschränkung Nr. 7), und die Lautstärke von Schallverstärkern auf maximal 75 dB begrenzt wurde (Beschränkung Nr. 16). Zudem wurde die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken (z.B. dunkle Springerstiefel, schwarze Bomberjacken etc., Nr. 12 und Nr. 13) unterbunden. Zugleich wurde verboten, Parolen zu verwenden, die erkennbar darauf ausgerichtet sind, das NS-Regime, seine Organisationen und deren Folgeorganisationen sowie verbotene Parteien und Vereine einschließlich deren Folgeorganisationen zu verherrlichen, zu verharmlosen oder wieder zu beleben (Beschränkung Nr. 14). Anders als noch im Kooperationsgespräch hat der Antragsteller mittlerweile sämtliche dieser Beschränkungen akzeptiert. Durch die Gesamtheit dieser Beschränkungen und die diesbezügliche Akzeptanz des Antragstellers wird somit auch ohne die in Nr. 1 enthaltene Beschränkung in ausreichender Weise sichergestellt, dass von der Versammlung kein paramilitärischer oder vergleichbar aggressiver Charakter mit einer die Bürgerinnen und Bürger erheblich einschüchternden Wirkung ausgeht. Zugleich wird dadurch der Gefahr entgegengewirkt, dass ein Klima der Gewaltdemonstration und der potentiellen Gewaltbereitschaft erzeugt wird.

Gegen eine erheblich einschüchternde Provokationswirkung spricht zudem, dass die Versammlung zu einem Zeitpunkt stattfinden soll, zu dem der - an sich unbeleuchtete - Ort höchstens vereinzelt von Bürgerinnen und Bürgern frequentiert wird, so dass der Veranstaltung auch unter diesem Gesichtspunkt nur eine geringe Außenwirkung zukommen dürfte. Hinzu kommt, dass die Anzahl der Versammlungsteilnehmer auf 50 Personen beschränkt wurde, so dass sich eine einschüchternde Wirkung auch nicht mit der Vielzahl der Versammlungsteilnehmer begründen lässt.

Eine einschüchternde Provokationswirkung kann schließlich auch nicht darauf gestützt werden, dass die Versammlung am Volkstrauertag und damit an einem sog. „stillen Feiertag“ stattfinden soll. Der Volkstrauertag wurde erstmals im Jahr 1920 begangen und dient dem Gedenken der im Ersten Weltkrieg getöteten Soldaten sowie - im erweiterten Sinne - der Kriegstoten und Opfer von Gewaltherrschaft. Ein irgendwie gearteter Bezug des Volkstrauertags zum Nationalsozialismus und dem in dieser Zeit begangenen Unrecht lässt sich somit nicht feststellen. Ein solcher Zusammenhang wird auch von der Antragsgegnerin nicht angeführt, vielmehr räumt diese ausdrücklich ein, dass es sich beim Volkstrauertag nicht „um einen explizit auf die Opfer des Nationalsozialismus ausgelegten Feiertag“ handelt. Soweit die Antragsgegnerin darauf verweist, dass der Volkstrauertag in der Vergangenheit insbesondere durch Gruppen des rechten politischen Spektrums für ihre Anliegen genutzt worden sei, lässt sich auch damit nicht die für die Rechtfertigung einer versammlungsrechtlichen Beschränkung erforderliche Gefahr für die öffentliche Ordnung begründen. Entsprechendes gilt, soweit die Antragsgegnerin in der zum Versammlungszeitpunkt herrschenden Dunkelheit eine „verängstigende Wirkung“ beimessen will. Denn diese Gesichtspunkte sind weder für sich gesehen noch gemeinsam geeignet, eine provozierende Wirkung von erheblichem Gewicht zu begründen.

Schließlich verhält sich die Antragsgegnerin widersprüchlich und inkonsequent, wenn sie den Zugang zum Obelisken - wohl aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten - „zeitweise“ erlaubt. Denn wenn von der Durchführung der Versammlung in unmittelbarer Nähe zum Obelisken - wie von der Antragsgegnerin angenommen - eine gegen die öffentliche Ordnung verstoßende einschüchternde Provokationswirkung ausginge, dürfte die Versammlung dort auch nicht „zeitweise“ stattfinden.

Da somit nicht festgestellt werden kann, dass durch die Durchführung der Versammlung in unmittelbarer Nähe zum Obelisken die Schutzgüter der öffentlichen Ordnung bedroht sind, überschreitet die in Nr. 1 des Bescheids vom 11. November 2020 enthaltene Beschränkung nicht nur die einfachgesetzliche Ermächtigung in § 8 Abs. 1 NVersG, sondern verstößt zugleich gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.2.2014 - 6 C 1/13 -, juris, Rn. 16).

2. Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg. Die von ihr vorgetragenen Beschwerdegründe, auf deren Überprüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen nicht die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Das Verwaltungsgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass die Klage des Antragstellers gegen die von der Antragsgegnerin in Nr. 10 des Bescheid vom 11. November 2020 verfügte Beschränkung, während der für den 15. November 2020 geplanten Versammlung die in dem Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport (MI) vom 1. Oktober 2020 mit der Überschrift „Hinweise zum Umgang mit dem öffentlichen Zeigen von Reichskriegsflaggen“ in der Anlage 1 bis 4 durch Bilder näher beschriebenen Flaggen nicht zu verwenden, voraussichtlich erfolgreich sein wird, soweit die Antragsgegnerin die Verwendung der in dem Erlass erwähnten Flaggen vollständig verboten hat. Soweit das Verwaltungsgericht entschieden hat, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers insoweit wiederherzustellen, als mit der Beschränkung in Nr. 10 des Bescheids das Verwenden der in der Anlage 1 bis 4 des Erlasses des MI aufgeführten Flaggen auch in einem Umfang von einer Flagge je zehn Versammlungsteilnehmern verboten wird, ist die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin unbegründet.

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin kann die Beschränkung in Nr. 10 nicht auf § 8 Abs. 1 NVersG gestützt werden. Das Verwenden der in dem Erlass des MI vom 1. Oktober 2020 aufgeführten Flaggen im Rahmen der angezeigten Versammlung führt weder zu einem Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit (a), noch zu einer Gefahr für die öffentliche Ordnung (b).

a) Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, a.a.O., juris; Senatsurt. v. 29.5.2008 - 11 LC 138/06 -, NordÖR 2008, 441, juris, Rn. 44).

aa) Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit wäre hier anzunehmen, wenn das Verwenden der in der bezeichneten Anlage zu dem Erlass des MI vom 1. Oktober 2020 genannten Flaggen während der Kundgebung gegen Strafgesetze verstoßen und damit die Rechtsordnung verletzen würde. Nach dem Erlass sind Reichskriegsflaggen die Kriegsflagge des Norddeutschen Bundes/Deutschen Reiches von 1867 bis 1921 (Anlage 1), die Kriegsflagge des Deutschen Reiches von 1922 bis 1933 (Anlage 2), die Kriegsflagge des Deutschen Reiches von 1933 bis 1935 (Anlage 3) und die Reichsflagge ab 1892/Flagge des „Dritten Reiches“ von 1933 bis 1935 (Anlage 4).

Bei der Beurteilung, ob eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit eintreten kann, ist zu berücksichtigen, dass mit dem Verwenden von symbolträchtigen Gegenständen wie einer Flagge in der Regel von der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht wird. Beschränkungen, die mit dem Inhalt der während der Versammlung zu erwartenden Meinungsäußerungen begründet werden, sind am Maßstab des Art. 5 Abs. 2 GG zu beurteilen (vgl. BVerfG, Entsch. v. 29.3.2002 - 1 BvQ 9/02 -, juris, Rn. 15). Eine inhaltliche Begrenzung von Meinungsäußerungen kommt, soweit sie nicht dem Schutze der Jugend oder dem Recht der persönlichen Ehre dient, nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG in Betracht. In den allgemeinen Gesetzen, insbesondere den Strafgesetzen, hat der Gesetzgeber Beschränkungen des Inhalts von Meinungsäußerungen an konkrete tatbestandliche Voraussetzungen gebunden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.6.2004 - 1 BvQ 19/04 -, juris, Rn. 21). Daran gemessen ist zunächst festzustellen, dass der Antragsteller im Rahmen der Versammlungsanzeige mitgeteilt hat, bei der geplanten Veranstaltung schwarz-weiß-rote Fahnen, gegebenenfalls „andere Fahnen“ verwenden zu wollen. Er hat damit zu erkennen gegeben, dass diese Gegenstände Teil der während der geplanten Veranstaltung zu erwartenden Meinungsäußerungen sein sollen.

Dass durch das Mitführen und Zeigen der angezeigten schwarz-weiß-roten Flaggen, soweit sie den in der Anlage zu dem Erlass des MI aufgeführten Flaggen entsprechen, ein Straftatbestand verwirklicht werden könnte, ist nicht ersichtlich.Es wird ohne das Hinzutreten weiterer Umstände weder der Tatbestand der Volksverhetzung des § 130 StGB noch der Straftatbestand des § 86 aAbs. 1 Nr. 1 StGB, der die Verwendung von Kennzeichen bestimmter politischer Organisationen unter Strafe stellt, erfüllt. Das bloße Zeigen derschwarz-weiß-roten Flagge des Deutschen Kaiserreichs kann nicht der für eine Strafbarkeit nach § 130 StGB notwendige Erklärungsgehalt entnommen werden, dass dadurch zum Hass aufgestachelt wird (VGH Baden-Württemberg,Beschl. v. 15.6.2005 - 1 S 2718/04 -, NJW 2006, 635, juris, Rn. 21-23; VG Bremen, Beschl. v. 15.10.2020 - 5 V 2212/20 -, V.n.b.). Es ist vorliegend weder vorgetragen worden noch erkennbar, dass im Zuge der Kundgebung anlässlich der Verwendung der angezeigten Flaggen weitere Umstände hinzutreten, die eine Strafbarkeit nach § 130 StGB begründen. Anders als die Reichskriegsflagge in seiner Fassung ab 1935 mit abgebildetem Hakenkreuz kann in dem Zeigen der im Erlass vom 1. Oktober 2020 aufgenommenen Flaggen, deren Ursprünge und überwiegende staatliche Verwendung im Kaiserreich liegen, auch nicht das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gesehen werden (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 16.10.2020 - 1 B 323/20 -, juris, Rn. 6, zu einem vergleichbaren Erlass im Bundesland Bremen).

bb) Der „Hinweise zum Umgang mit dem öffentlichen Zeigen von Reichskriegsflaggen“ enthaltene Erlass des MI vom 1. Oktober 2020 stellt mangels Gesetzesqualität kein die streitgegenständliche Beschränkung rechtfertigendes allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG dar. Der an die Landkreise, kreisfreien Städte, große selbstständige Städte, die Region Hannover, die Polizeibehörden und das Landeskriminalamt adressierte Erlass ist keine Rechtsvorschrift. Es handelt um eine verwaltungsinterne, ermessensleitende Anweisung zur Auslegung des § 118 OWiG und zur Vornahme polizeirechtlicher Maßnahmen (Senatsbeschl. v. 11.11.2020 - 11 MN 285/20 -, V.n.b.; vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 16.10.2020 - OVG 1 B 323/20 -, juris, Rn. 7, zu einem vergleichbaren Erlass im Bundesland Bremen).

cc) Eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit lässt sich auch nicht aus drohenden Verstößen gegen § 118 Abs. 1 OWiG herleiten. Nach dieser Bestimmung handelt ordnungswidrig, wer eine grob ungehörige Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen. Die Antragsgegnerin hat das Verbot des Verwendens der in der Anlage 1 bis 4 des Erlasses des MI vom 1. Oktober 2020 aufgeführten Flaggen in Anlehnung an die Hinweise in dem Erlass in ihrem Bescheid damit begründet, dass das Verwenden solcher Flaggen eine nachhaltige Beeinträchtigung der Voraussetzungen für ein geordnetes und friedliches staatsbürgerliches Zusammenleben und damit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstelle. Die Reichsflagge aus Anlage 4 des Erlasses stehe heute in der öffentlichen Wahrnehmung eindeutig für die rechte Szene. Das Zeigen der Flagge begründe eine Ordnungswidrigkeit nach § 118 OWiG, wenn unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls eine konkrete Provokationswirkung gegenüber der Allgemeinheit bestehe. Dies sei etwa der Fall, wenn die Flagge an einem bestimmten Tag, dem ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukomme, wie etwa dem Volkstrauertag, öffentlich gezeigt werde, so dass dem Zeigen der Fahne eine friedensstörende Wirkung zukomme. Auch das Zeigen der Flaggen an historischen Orten mit besonderer Symbolkraft, hier dem Obelisken am Löwenwall, dem Ehrenmal für die in den Befreiungskriegen gegen Napoleon gefallenen Braunschweiger Herzöge, begründe die Provokationswirkung.

Diese Begründung rechtfertigt nicht das Verbot des Verwendens der Reichsflagge bzw. der Reichskriegsflaggen. Wie bereits ausgeführt, ist das Verwenden der streitgegenständlichen Flaggen Teil der zu erwartenden Meinungsäußerungen während der geplanten Veranstaltung. Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung als Grundlage einer versammlungsrechtlichen Beschränkung scheidet aus, soweit die Gefahr im Inhalt einer Meinungsäußerung gesehen wird (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, a.a.O., 671, juris, Rn. 26). Das Recht der freien Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG wird, soweit es den Inhalt der Meinung betrifft, allein durch die Strafgesetze beschränkt. Eine weitere Einschränkung der Meinungsfreiheit durch einen Rückgriff auf die Kategorie der öffentlichen Ordnung ist nicht zulässig (OVG Bremen, Beschl. v. 16.10.2020 - OVG 1 B 323/20 -, juris, Rn. 8).

b) Das Verwenden der in dem Erlass des MI vom 1. Oktober 2020 aufgeführten Flaggen im Rahmen der angezeigten Versammlung begründet auch keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung. Wie bereits oben im Rahmen der gegen die in Nr. 1 enthaltene Anordnung gerichteten Beschwerde des Antragstellers ausgeführt, kann eine Gefahr für die öffentliche Ordnung eine versammlungsrechtliche Beschränkung nur dann rechtfertigen, wenn sich diese Gefahr nicht aus dem Inhalt der Meinungsäußerungen, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung ergibt, etwa wenn von der Versammlung eine erhebliche Provokationswirkung ausgeht und ein Klima der Gewaltdemonstration und potentiellen Gewaltbereitschaft erzeugt wird (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 -, a.a.O., juris, Rn. 31).

Für eine solche Gefahrenlage sind hier auch in Bezug auf die Verwendung der in Nr. 10 des Bescheids vom 11. November 2020 erwähnten Flaggen keine ausreichenden Anhaltspunkte ersichtlich. Der Vortrag der Antragsgegnerin, die Verwendung der Flaggen diene dazu, ein Klima der Einschüchterung und eine Zurschaustellung der eigenen Macht zu erzeugen, ist in Bezug auf die vom Antragsteller beabsichtigte Versammlung und unter Berücksichtigung der von ihm akzeptierten zahlreichen Beschränkungen (s.o.) nicht ausreichend, um eine Provokationswirkung von erheblichem Gewicht darzulegen. Soweit die Antragsgegnerin zur Begründung der Beschränkung auch angeführt hat, dass dem Zeigen der Flaggen per se eine „friedensstörende Wirkung“ zukomme, wird nicht ersichtlich, auf welche Tatsachengrundlage sie diese Annahme stützt und wieso genau und in welchem Umfang sie aufgrund des Zeigens der Flaggen von einem unfriedlichen Versammlungsverlauf ausgeht. Sollte die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang mögliche Gegendemonstrationen im Blick gehabt haben, ist dieser Gesichtspunkt ebenfalls nicht geeignet, die Versammlungsfreiheit des Antragstellers einzuschränken. Vielmehr obliegt es grundsätzlich der Versammlungsbehörde, einem möglicherweise mit Gewalttätigkeiten verbundenen Zusammentreffen mit Gegendemonstranten durch eine räumliche Trennung der Versammlungen Rechnung zu tragen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 28.4.2011 - 1 S 1250/11 -, juris, Rn. 23). Darüber hinaus lässt sich auch nicht feststellen, dass von dem Mitführen der in der Beschränkung Nr. 10 erwähnten Flaggen unter Berücksichtigung des Zeitpunkts der Versammlung (nach Eintritt der Dunkelheit am Volkstrauertag) bzw. des Versammlungsorts (unmittelbare Nähe zum Obelisken) eine erhebliche Provokationswirkung ausgeht. Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf obige Ausführungen hinsichtlich der in Nr. 1 verfügten Ortsverlegung verwiesen, die für die Verwendung der in der Beschränkung Nr. 10 erwähnten Flaggen entsprechend gelten.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 154 Abs. 2 VwGO. Sie berücksichtigt das jeweilige Obsiegen bzw. Unterliegen der Beteiligten in beiden Instanzen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).