Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.11.2020, Az.: 8 OB 106/20

abdrängende Sonderzuweisung; Amtsgerichte; Bußgeld; Erstattung; Erstattungsanspruch; nachträglicher Rechtsschutz; öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch; Rechtsschutz; Rechtsweg; Rückerstattung; Rückzahlung; Verwarnung; Verwarnungsgeld; Verweisung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.11.2020
Aktenzeichen
8 OB 106/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71877
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 15.09.2020 - AZ: 1 A 237/20

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Für den öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Erstattung eines ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verwarnungsgeldes ist der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet.

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen - 1. Kammer - vom 15. September 2020 wird zurückgewiesen

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die weitere Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Beschwerde gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem es die Rechtssache nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das Amtsgericht als das für Bußgeldsachen zuständige Gericht verwiesen hat, ist im Ergebnis unbegründet.

Der Kläger führt, anders als vom Verwaltungsgericht offenbar missverstanden, allerdings keinen Rechtsbehelf im Sinne von § 62 Abs. 1 Satz 1 OWiG gegen die straßenverkehrsrechtliche Verwarnung, der – obgleich nicht statthaft – dem Bußgeldverfahren zuzuordnen sei, sondern macht nach seinem insoweit eindeutigen Vorbringen einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch auf Rückzahlung eines von ihm am 2. Juli 2020 gezahlten Verwarnungsgeldes in Höhe von 55 € geltend, den er mit der Nichtigkeit der 54. Änderung der Bußgeldkatalog-Verordnung vom 20. April 2020 wegen Verstoßes gegen das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG) begründet.

Bei dem vom Kläger geltend gemachten Rückerstattungsanspruch aufgrund der – seines Erachtens rechtsgrundlosen – Zahlung eines Verwarnungsgeldes handelt es sich um eine öffentlich-rechtlichen Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art im Sinne von § 40 Abs. 1 VwGO. Maßgeblich für die Bestimmung des Rechtsweges ist indes die Natur des streitigen Rechtsverhältnisses und nicht dessen rechtliche Einordnung durch die Partei (BVerwG, Beschl. v. 31.5.2011 – 8 AV 1/11 –, juris Rn. 16), so dass auch für die Entscheidung über einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch die Zuständigkeit einer anderen Gerichtsbarkeit begründet sein kann (siehe z.B. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.11.2012 – V-4 Kart 3/12 –, juris Rn. 36; AG Potsdam, Urt. v. 30.10.2009 – 35 C 106/08 –, juris Rn. 16). Nach § 40 Abs. 1 VwGO sind für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten die Verwaltungsgerichte zuständig, soweit die Streitigkeit nicht durch eine abdrängende (bundesgesetzliche) Sonderzuweisung einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist. Eine derartige Zuweisung an das Amtsgericht, in dessen Bezirk die für das Bußgeldverfahren zuständige Verwaltungsbehörde ihren Sitz hat, wird hier durch § 68 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 62 OWiG begründet.

Die im Ordnungswidrigkeitengesetz geregelte Verwarnung selbst ist ein Verwaltungsakt (BVerfG, Beschl. v. 4.7.1967 – 2 BvL 10/62 –, juris Rn. 25; BVerwG, Beschl. v. 25.3.1966 – VII C 157/64 –, NJW 1966, 1426 u. v. 25.3.1966 – VII C 111.65 –, BeckRS 1966, 31301785). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehört die Verwarnung mit Verwarnungsgeld allerdings zum Bußgeldverfahren im weiteren Sinne, mit der Folge, dass die gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Verwarnung nach den genannten Vorschriften dem Amtsgericht zugewiesen ist (BVerwG, Beschl. v. 5.3.1993 – 11 ER 400/93 –, juris Rn. 4). Bereits in seiner Entscheidung vom 27. September 1962 hat das Bundesverwaltungsgericht zudem ausgeführt, dass den Amtsgerichten nicht nur die Entscheidung über die Anfechtung nicht rechtskräftiger Bußgeldbescheide übertragen, sondern ihre Zuständigkeit auch in den Fällen begründet ist, in denen die Festsetzung eines Bußgeldes im Unterwerfungsverfahren formell rechtskräftig geworden ist, von dem Betroffenen aber die Nichtigkeit der Unterwerfung geltend gemacht wird (BVerwG, Urt. v. 27.9.1962 – I C 51.61 –, juris Rn. 8ff.)

Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar 1987 entschieden, dass die anderweitigen Zuweisungen nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz, wie auch aus § 62 Abs. 1 Satz 2 OWiG ersichtlich sei, voraussetzen, dass sie sich auf ein schwebendes Bußgeldverfahren beziehen (BVerwG, Beschl. v. 7.5.1987 – 3 C 53/85 –, juris Rn. 18). Überwiegender Auffassung entspricht auch, dass bei behördlichen Maßnahmen im Vorfeld eines Bußgeldverfahrens („Drohen eines Straf- oder Bußgeldverfahrens“) eine Feststellungs- oder Unterlassungsklage bei den Verwaltungsgerichten zulässig sein kann (BVerwG, Urt. v. 13.1.1969 – I C 86.64 –, juris Rn. 18; OVG Bremen, Beschl. v. 12.1.2012 – 1 B 289/11 –, juris Rn. 8; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 31.1.1996 – 13 A 6644/95 –, juris Rn. 1; a. A. VG Oldenburg, Beschl. v. 28.6.2012 – 7 A 4182/12 –, juris Rn. 8 unter Hinweis auf VG Stuttgart, Beschl. v. 18.8.2006 – 10 K 4317/05 –, juris Rn. 8; abw. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 29.4.2014 – 12 S 23.14 –, juris Rn. 2 = Speicherung von Fotos), auch wenn hieraus keine Bindungswirkung für das Straf- und Bußgeldverfahren erwächst (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.1.1969 – I C 86.64 –, juris Rn. 19). Kennzeichnend für diese Fallgestaltungen ist, dass eine Klärung der Rechtmäßigkeit und des Umfangs der sich aus der Verbotsnorm ergebenden Pflichten angestrebt wird. Für Rechtsbehelfe, die nach Abschluss eines Bußgeldverfahrens anhängig gemacht werden, wird in der Instanzrechtsprechung, ebenso wie bei Klagen während eines laufenden Bußgeldverfahrens (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 31.3.2016 – 3 O 66/16 –, juris Rn. 3, 6 u. v. 22.4.2010 – 1 O 63/10 –, juris Rn. 6), jedoch ganz überwiegend die Zuständigkeit der Amtsgerichte angenommen (vgl. z.B. Bayerischer VGH, Urt. v. 9.5.1985 – 26 B 85 A. 505 –, BayVBl. 1986, 244; VG München, Beschl. v. 5.2.2020 – 28 K 19.5754 –, juris Rn. 5, 13f.; VG Saarland, Beschl. v. 27.5.2013 – 10 K 548/13 –, juris Rn. 1f.; VG Braunschweig, Beschl. v. 28.8.2006 – 6 A 228/06 –, juris Rn. 2f.).

Gegenteilig mutet zwar der Beschluss des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. April 2011 an, in dem über einen Antrag auf Zulassung der Berufung wegen einer Klage auf Rückerstattung eines unter Vorbehalt gezahlten Verwarnungsgeldes entschieden wurde (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 11.4.2011 – 8 A 589/10 –, juris Rn. 4). Nachdem vom Verwaltungsgericht Köln erstinstanzlich seine Zuständigkeit für den Rechtsstreit offenbar angenommen worden war, hatte das Rechtsmittelgericht die Zulässigkeit des Rechtsweges indes nicht mehr zu prüfen (§ 17a Abs. 5 GVG), was das Fehlen von Ausführungen zur Rechtswegfrage nachvollziehbar macht.

Ausgehend von der im Anschluss an die o.a. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wohl einhellig vertretenen weiten Auslegung der Zuständigkeitsbestimmungen des Ordnungswidrigkeitengesetzes sind nach Auffassung des Senats auch Streitigkeiten um die Rückerstattung eines Verwarnungsgeldes, dem eine Selbstunterwerfung des ordnungswidrig Handelnden durch Zahlung zugrunde liegt, der Zuständigkeit der Amtsgerichte zuzuordnen (ebenso VG Düsseldorf, Beschl. v. 4.4.2018 – 6 K 17287/17 –, juris Rn. 5f., 8; s. auch AG Potsdam, Urt. v. 30.10.2009 – 35 C 106/08 –, juris Rn. 1, 16). Dafür spricht, dass der Rechtsgrund für die Zahlung, deren Erstattung der Kläger begehrt, in den Normen des Ordnungswidrigkeitenrechts zu suchen ist, über deren Gültigkeit oder Nichtigkeit – hier: aufgrund einer möglichen Verfassungswidrigkeit des Bußgeldkatalogs aus formellen Gründen – die nach §§ 62, 68 OWiG zuständigen Gerichte sich im Rahmen ihrer Rechtsanwendung im Bußgeldverfahren zu vergewissern haben.

Soweit der Kläger dagegen vorträgt, im Fall des Verwaltungsgerichts Düsseldorf habe der dortige Kläger sich (lediglich) gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung nach § 103 Satz 1 Nr. 1 OWiG gewandt und die Nichtigkeit des Bußgeldbescheides wegen Zustellungsmängeln geltend gemacht, „… welche tatsächlich vom Bußgeldgericht zu klären (sei)“, ist darauf hinzuweisen, dass eine Nichtigkeit des zugrunde liegenden Bußgeldbescheides – egal, aus welchem Rechtsgrund sie gegeben ist – nicht nur dessen Vollstreckung betrifft, sondern in gleicher Weise auch die hier geforderte Rückerstattung eines Verwarnungsgeldes. Dass auf diese Weise eine Doppelspurigkeit des Rechtsschutzes – einerseits Rechtsbehelfe gegen Bußgeldentscheidungen und deren Vollstreckung vor den Amtsgerichten, andererseits nachträgliche Feststellung der Nichtigkeit von Verwarnungs- oder Bußgeldbescheiden und Erstattung von geleisteten Zahlungen vor den Verwaltungsgerichten – eintreten würde, kann daher auch nicht mit dem Argument in Abrede gestellt werden, „… das Gericht (vermöge) … in jedem einzelnen Fall festzustellen, ob dem Rechtsbehelf des Klägers ordnungswidrigkeitenrechtliche Gründe (zugrunde lägen), … oder ob er … (vortrage), dass die Rechtsgrundlage wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht in Gänze richtig (sei)“. Der Einwand des Klägers, dass ihm (nachträglicher) Rechtsschutz ansonsten verwehrt werde, „… weil die Voraussetzungen eines … Einspruchs gegen einen … Bußgeldbescheid und … das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zum OLG nicht gegeben (seien)“, da durch §§ 79 Abs. 1 Nr. 1, 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG ausgeschlossen, muss sich entgegenhalten lassen, dass der Gesetzgeber in den genannten Vorschriften die Voraussetzungen abschließend festgelegt hat, unter denen eine Rechtsbeschwerde gegen die im Bußgeldverfahren getroffenen Entscheidungen statthaft ist (Bär, in: BeckOK, OWiG, 27. Edition 1.7.2020, § 79 Rn. 2, § 80 Rn. 4) und denen zugleich im Umkehrschluss der Bereich entnommen werden kann, der einer Nachprüfung regelmäßig entzogen sein soll (Hadamitzky, in: Karlsruher Kommentar z. OWiG, 5. Auflage 2018, § 79 Rn. 1, § 80 Rn. 1). Die Rechtsmittelbeschränkung entspricht einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, die der Entlastung der Beschwerdegerichte dienen sollte (vgl. Hadamitzky, in: Karlsruher Kommentar z. OWiG, 5. Auflage 2018, § 79 Rn. 2ff.; s. auch Bär, in: BeckOK, OWiG, 27. Edition 1.7.2020, § 80 Rn. 1ff.). Es kann angesichts dessen nicht als zulässig angesehen werden, einen weiteren Rechtsweg zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwarnungsgeldes oder Bußgeldes vor den Verwaltungsgerichten, auch nicht im Wege der Rückforderungsklage wegen Nichtigkeit des Bußgeldkataloges, zu eröffnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Anfechtung der Entscheidung über die Verweisung löst ein selbständiges Rechtsmittelverfahren aus, in dem nach den allgemeinen Vorschriften über die Kosten zu befinden ist (BVerwG, Beschl. v. 20.9.2012 – 7 B 5.12 –, juris Rn. 7 u. v. 18.5.2010 – 1 B 1/10 –, juris Rn. 12). Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden daher nicht nach § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG Teil der Kosten, die bei dem Gericht erwachsen, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG sind nicht gegeben.

Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil für das Beschwerdeverfahren eine Festgebühr nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG).