Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.11.2001, Az.: 4 LB 2665/01

Voraussetzungen gem. § 2 Abs. 1 AsylbLG für die entsprechende Anwendbarkeit des BSHG auf Leistungsberechtigte nach AsylbLG; Fehlen von Ausweispapieren oder Passpapieren als Abschiebungshindernis; Verhältnis von § 2 Abs. 1 AsylbLG zu § 55 AuslG; Zumutbare Anstrengungen zur Beschaffung von Reisedokumenten

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.11.2001
Aktenzeichen
4 LB 2665/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 19005
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2001:1108.4LB2665.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 27.02.2001 - AZ: 7 A 5912/00

Fundstelle

  • InfAuslR 2002, 86-91

Verfahrensgegenstand

Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz

Prozessführer

1. Herr J. A.,
2. Frau S. A.,
3. der minderjährige M. A.,
4. die minderjährige N. A.,
5. der minderjährige A. A.,

die Kläger zu 3. - 5. vertreten durch ihre Eltern, die Kläger zu 1. und 2.
Proz.-Bev. zu 1-5: Rechtsanwälte Kues und andere, Badenstedter Straße 19, 30449 Hannover,

Prozessgegner

Landeshauptstadt Hannover - Rechts- und Standesamt -, Heiligerstraße 1, 30159 Hannover,

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 4. Senat -
am 8. November 2001
beschlossen:

Tenor:

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 7. Kammer - vom 27. Februar 2001 geändert.

Die Bescheide der Beklagten vom 7. Juni, 21. Juni, 3. August, 21. September und 24. Oktober 2000 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Hannover vom 23. November 2000 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern für die Zeit vom 1. Juni 2000 bis zum 23. November 2000 Hilfe zum Lebensunterhalt in entsprechender Anwendung des Bundessozialhilfegesetzes unter Anrechnung der bereits nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erbrachten Leistungen zu gewähren.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Insoweit ist der Beschluss vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

1

I.

Die Kläger sind nach eigenen Angaben libanesische Staatsangehörige. Die Kläger zu 1. bis 4. reisten im Juli 1993 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten die Gewährung politischen Asyls - der Kläger zu 5. wurde erst im Jahre 1994 im Bundesgebiet geboren -. Der Kläger zu 1. gab an, dass er und seine Familienangehörigen während der Reise Pässe besessen hätten, die ihnen aber danach von den Schleppern wieder abgenommen worden seien. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 26. August 1993 wurden die Asylanträge als offensichtlich unbegründet abgelehnt und festgestellt, dass die Voraussetzungen der §§ 51 und 53 Ausländergesetz (AuslG) nicht vorlägen. Zugleich wurden die Kläger unter Fristsetzung zur Ausreise aufgefordert und ihnen die Abschiebung angedroht. Am selben Tag beantragte das Bundesamt (Außenstelle O.) über die Zentralstelle zur Beschaffung von Heimreisedokumenten bei der Grenzschutzdirektion K. die Erteilung von Heimreisedokumenten für die Kläger.

2

Einen Antrag der Kläger zu 1. bis 4. auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Asylentscheidung lehnte das Verwaltungsgericht Oldenburg mit Beschluss vom 23. November 1993 (11 B 4045/93) ab.

3

Unter dem Datum des 8. September 1994 teilte die Grenzschutzdirektion K. mit, dass für die Kläger ohne Vorlage von Identitätsnachweisen ein libanesisches Passersatzpapier nicht zu bekommen sei. Zuvor hatte bereits im Januar 1994 die libanesische Botschaft in einem Rundschreiben mitgeteilt, dass sie ab sofort befugt sei, libanesische Reisepässe kurzfristig auszustellen, wenn der Antragsteller persönlich bei der Botschaft vorspreche und die erforderlichen Unterlagen vorlege (ein Original-Einzelauszug aus dem libanesischen Standesregister, nicht älter als drei Monate und vom libanesischen Außenministerium in Beirut beglaubigt; ein Original-Familienauszug aus dem libanesischen Standesregister, nicht älter als drei Monate und vom libanesischen Außenministerium in Beirut beglaubigt; alter Reisepass oder Fotokopie mit polizeilicher Passverlustanzeige; Passbilder).

4

Unter dem 13. September 1994 forderte die Beklagte die Kläger auf zu erklären, welche Anstrengungen sie bereits unternommen hätten, Identitätsnachweise zu beschaffen und an Passersatzpapiere zu kommen. Der Kläger zu 1. teilte daraufhin mit, im Libanon Angehörige nicht mehr zu haben und weder einen Reisepass noch eine Geburtsurkunde zu besitzen. Die Klägerin zu 2. erklärte, dass im Libanon noch vier Schwestern, zwei Brüder und ihre Eltern lebten, zu den Verwandten aber ein Kontakt nicht bestehe, und sie ebenfalls weder eine Geburtsurkunde noch einen Reisepass besitze.

5

Mit Urteil vom 18. September 1996 wies das Verwaltungsgericht Oldenburg die Asylklage der Kläger ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen der §§ 51 und 53 AuslG nicht vorlägen (11 A 4044/93). Das Urteil ist rechtskräftig.

6

Am 11. Dezember 1997 forderte die Beklagte die Kläger unter Fristsetzung auf, die Ausstellung von Pässen zu beantragen. Am 14. Mai 1998 forderte sie die Kläger auf, die erforderlichen Unterlagen aus dem Libanon anzufordern.

7

Mit Bescheiden vom 7. Juni und 21. Juni 2000 bewilligte die Beklagte den Klägern ab 1. Juni 2000 bzw. 1. Juli 2000 weiter Leistungen nach §§ 3 ff. Asylbewerberleistungsgesetz - AsylbLG - (und nicht gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG Leistungen in entsprechender Anwendung des BSHG). Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 15. Juni 2000 machten die Kläger daraufhin geltend: Sie verfügten nicht über Geld, um zur libanesischen Auslandsvertretung zu fahren oder gar einen Anwalt im Libanon zu beauftragen. Das Sozialamt habe eine Kostenübernahme abgelehnt. Angehörige im Libanon hätten sie nicht mehr.

8

Mit weiterem Schriftsatz vom 27. Juni 2000 legten die Kläger Widerspruch gegen die Bescheide vom 7. und 21. Juni 2000 ein mit dem Begehren, ab Juni 2000 Leistungen in entsprechender Anwendung des BSHG zu erhalten. Für die Folgezeiträume ergingen entsprechende Bescheide, und zwar für die Zeit ab 1. August 2000 ein Bescheid vom 3. August 2000, für die Zeit ab 1. September 2000 ein Bescheid vom 21. September 2000 und für die Monate Oktober und November 2000 ein Bescheid vom 24. Oktober 2000. Gegen die Bescheide vom 21. September und 24. Oktober 2000 erhoben die Kläger am 29. September 2000 Widerspruch. Gegen den Bescheid vom 3. August 2000 legten sie Widerspruch nicht ein.

9

In einer Hausmitteilung der Beklagten vom 4. August 2000 wurde festgestellt: "Nach Erkenntnissen der Bezirksregierung Braunschweig wird ein Passersatzpapierantrag ohne die geforderten Unterlagen weder bearbeitet noch beantwortet." In einer weiteren Hausmitteilung vom 10. August 2000 wurde ausgeführt: "Herr A. wurde bei seinen Vorsprachen mehrfach aufgefordert, uns nachzuweisen, sich um die Beschaffung dieser Identitätsbeweise zu bemühen. .... Herr A. hat sich geweigert, sich um entsprechende Nachweise zu bemühen. .... Nach unserer Aktenlage war Herr A. noch nicht ein einziges Mal in seiner Heimatbotschaft vorstellig, da uns keinerlei Nachweise darüber vorliegen und er bei mehreren Befragungen unsererseits angab, dies auch nicht tun zu wollen. Die Beschaffung von Passersatzpapieren scheitert daran, dass uns Herr A. keinerlei Identitätsnachweis vorlegt und sich auch nicht darum bemüht."

10

Mit Bescheid vom 23. November 2000 wies die Bezirksregierung den Widerspruch der Kläger "gegen den Bescheid ... vom 07.06.2000 (sowie inhaltsgleiche Folgebescheide)" zurück und führte aus: "Die Abschiebung ist derzeit lediglich aus tatsächlichen Gründen nicht möglich. Passlosigkeit ist grundsätzlich ein Abschiebungshindernis, das der Ausländer selbst zu vertreten hat, da es dem Ausländer zuzumuten ist, sich um die Ausstellung von Heimreisedokumenten zu bemühen. Ihr Mandant wurde bei seinen Vorsprachen bei der Ausländerbehörde mehrfach aufgefordert, nachzuweisen, dass er sich um die Beschaffung von Identitätsnachweisen bei seiner Heimatbotschaft bemüht. Er ist auch gesetzlich verpflichtet, erforderliche Bescheinigungen und Nachweise unverzüglich beizubringen. Ihr Mandant hat sich bislang geweigert, Nachweise zu beschaffen und hat nach eigener Aussage auch nicht die Absicht, dies zukünftig zu tun. Aufgrund dieser Sachlage war eine Leistungsprivilegierung zu verneinen. ..."

11

Bereits am 28. September 2000 hatten die Kläger gegen die beiden Bescheide vom 7. Juni und 21. Juni 2000 Klage erhoben. Nach Erlass des Widerspruchsbescheides erklärten sie die Klage für erledigt. Die Beklagte schloss sich dieser Erklärung nicht an. Mit (rechtskräftig gewordenem) Gerichtsbescheid vom 16. Januar 2001 - 7 A 4867/00 - stellte das Verwaltungsgericht fest, dass die Hauptsache erledigt sei.

12

Am 5. Dezember 2000 haben die Kläger gegen die Bescheide vom 7. Juni 2000 und inhaltsgleiche Folgebescheide sowie den Widerspruchsbescheid vom 23. November 2000 Klage erhoben (7 A 5912/00). Einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 4. Januar 2001 (7 B 6092/00) abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Kläger hat der Senat mit Beschluss vom 14. März 2001 zugelassen und auf die Beschwerde die Beklagte durch einstweilige Anordnung verpflichtet, den Klägern ab dem 1. März 2001 Hilfe zum Lebensunterhalt in entsprechender Anwendung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ohne Kürzung zu gewähren.

13

Die von den Klägern erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Gerichtsbescheid vom 24. Januar 2001 und - nach Antrag der Kläger auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung - Urteil vom 27. Februar 2001 (7 A 5912/00) abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:

14

Gegenstand des Verfahrens seien die Bescheide der Beklagten vom 7. und 21. Juni, 21. September und 24. Oktober 2000, aber nicht der Bescheid vom 3. August 2000, da die Kläger gegen diesen Bescheid nicht Widerspruch eingelegt hätten und der Bescheid deshalb bestandskräftig geworden sei. Dieser Eingrenzung des Streitgegenstandes hätten sich die Prozessbevollmächtigten der Kläger mit Schriftsatz vom 3. Januar 2001 angeschlossen.

15

Die Klage sei nicht begründet. Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG sei das BSHG auf Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG nur dann entsprechend anzuwenden, wenn diese über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten, frühestens beginnend am 1. Juni 1997, Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten hätten und wenn ihre Ausreise zum einen nicht erfolgen könne und zum anderen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden könnten, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstünden. Soweit der Erlass des Niedersächsischen MI vom 28.04.2000 - VORIS 27 100 01 00 93 002 -, auf den sich die Beklagte berufe, zusätzliche Voraussetzungen benenne, fehle ihm eine rechtliche Grundlage. Die Kläger erfüllten allerdings auch die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht.

16

Zwar hätten die Kläger inzwischen mehr als 36 Monate lang Leistungen nach dem AsylbLG bezogen. Zu ihren Gunsten sei auch davon auszugehen, dass einer freiwilligen Ausreise das Fehlen entsprechender Reisedokumente entgegenstehe. Das führe dazu, dass im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG ihre Ausreise nicht erfolgen könne.

17

Im Fall der Kläger lägen aber nicht Hemmnisse in Form von humanitären, rechtlichen oder persönlichen Gründen oder dem öffentlichen Interesse vor, weshalb offen bleiben könne, ob sich diese Hemmnisse nur auf die Abschiebung oder zugleich auch auf die Ausreise beziehen müssten. Hinsichtlich der Kläger zu 1. bis 4. sei mit dem Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 16.08.1993 das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 51 Abs. 1 AuslG und § 53 AuslG bestandskräftig verneint worden. Auch die aktuelle Situation im Libanon begründe Anhaltspunkte für generelle Abschiebungshindernisse dorthin nicht. Auch für den Kläger zu 5. liege ein Abschiebungshindernis nicht vor, insbesondere stehe auch seine Asthmaerkrankung einer Abschiebung nicht entgegen. Das Fehlen von Reisedokumenten der Kläger bedeute schließlich auch für die Ausländerbehörde nicht ein rechtliches Abschiebungshindernis. Das Fehlen von Reisepapieren könne lediglich eine tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung zur Folge haben. Schließlich sei auch die Erteilung von Duldungen nicht ein rechtlicher Grund im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG.

18

Gegen dieses Urteil wenden sich die Kläger mit der von dem Senat mit Beschluss vom 1. August 2001 (4 LA 1248/01) gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen "ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils" zugelassenen Berufung. Die Kläger meinen, da es ihnen nicht möglich sei, Reisepapiere zu beschaffen, seien in ihrem Fall die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG erfüllt und hätten sie Anspruch auf die Gewährung von Leistungen in entsprechender Anwendung des BSHG.

19

Die Kläger beantragen,

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das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 2000 sowie die inhaltsgleichen Bescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Hannover vom 23. November 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihnen Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG zu bewilligen.

21

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

22

die Berufung zurückzuweisen.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

24

II.

Der Senat kann gemäß § 130 a VwGOüber die Berufung durch Beschluss entscheiden, wenn er sie einstimmig für begründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beteiligten sind zu der Absicht des Senats, durch Beschluss zu entscheiden, gehört worden.

25

Die Berufung der Kläger ist begründet.

26

Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das BSHG auf Leistungsberechtigte entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten, frühestens beginnend am 1. Juni 1997, Leistungen nach § 3 erhalten haben, wenn die Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Dass die Kläger die zeitlichen Voraussetzungen des Leistungsbezuges erfüllen, ist zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig. Auch die weiteren Voraussetzungen sind gegeben. Es liegen nämlich bei den Klägern persönliche Gründe vor, aufgrund derer "die Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können".

27

Kann ein Ausländer nicht ausreisen und nicht abgeschoben werden, weil ihm Pass- oder Passersatzpapiere fehlen, rechtfertigt auch nach der Rechtsprechung des Senats ein solcher tatsächlicher Grund allein nicht die Vergünstigung des § 2 Abs. 1 AsylbLG durch Gewährung von Leistungen in entsprechender Anwendung des BSHG. Hierzu hat der Senat in seinem Beschluss vom 8. Februar 2001 - 4 M 3889/00 - (NVwZ-Beilage I 7/2001, 89 = FEVS Bd. 52, 419) u. a. ausgeführt:

"Der Senat nimmt hierbei entsprechend dem Wortlaut von § 2 Abs. 1 AuslG an, dass die Besserstellung nur erreicht werden kann, wenn aus den dort genannten Gründen sowohl eine freiwillige Ausreise nicht erfolgen kann als auch aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können (vgl. bereits Beschluss des Senats vom 16. November 2000 - 4 M 3921/00 - sowie den Beschluss vom 17. Januar 2001 - 4 M 4422/00 -). Die entgegenstehende Ansicht von Goldmann (Zur Leistungsprivilegierung des Asylbewerberleistungsgesetzes, ZfF 2000, S.121, 126) lässt sich mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbaren, auch Anhaltspunkte für ein entsprechendes "Redaktionsversehen" (so aber Oestreicher/ Schelter/Kunz/Decker, Kommentar zum BSHG, Stand 1. September 2000, § 120 Anhang Rdnr. 11) sind nicht ersichtlich. Der Senat folgt außerdem der Auffassung des Verwaltungsgerichts in der angefochtenen Entscheidung, der Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums zur "Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG); Leistungen in den Fällen gem. § 2 AsylbLG" vom 28. April 2000 setze insoweit das Gesetz nicht entsprechend seinem Regelungsgehalt um. Denn die in dem Erlass vorgenommene Erweiterung der Voraussetzungen, wonach der Leistungsberechtigte entweder eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG besitzen müsse oder aber eine Duldung auf der Grundlage des § 55 Abs. 2 AuslG erhalten haben müsse und zugleich die Tatbestandsvoraussetzungen des § 30 Abs. 3 oder 4 AuslG für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis erfüllt sein müssten, ist von § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht mehr gedeckt.

Der Senat nimmt mit dem Verwaltungsgericht auch an, dass ausländerrechtlich das Fehlen von Pass- oder Passersatzpapieren ein tatsächlicher Grund im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG ist, aus dem die Abschiebung unmöglich ist. Daraus, dass gem. § 55 Abs. 2 AuslG Duldungen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen zu erteilen sind, während nach § 55 Abs. 3 AuslG - unter den Einschränkungen von § 55 Abs. 4 AuslG - Duldungen u.a. aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen erteilt werden können, kann jedoch nicht gefolgert werden, dass tatsächliche Gründe in ausländerrechtlicher Hinsicht nicht (auch) humanitäre oder persönliche Gründe im Hinblick auf § 2 AsylbLG sein können. Anhaltspunkte hierfür lassen sich den Regelungen des AsylbLG nicht entnehmen. Danach schließen Gründe, die einer Rückkehr nur in tatsächlicher Hinsicht entgegenstehen, zwar eine leistungsrechtliche Besserstellung aus, weil sie von § 2 AsylbLG nicht mitumfasst werden. Dies bedeutet aber nicht, dass tatsächliche Gründe nicht zugleich die Annahme eines humanitären, persönlichen oder rechtlichen Grundes rechtfertigen können (vgl. Hohm, Voraussetzungen einer leistungsrechtlichen Besserstellung nach § 2 Abs. 1 AsylbLG, NVwZ 2000, S. 772, 773) [OLG Düsseldorf 28.10.1999 - 2 U 7/99]. Unabhängig von der ausländerrechtlichen Einordnung von Gründen, die einer Abschiebung entgegenstehen, bleibt somit im Hinblick auf § 2 AsylbLG eigenständig zu prüfen, ob entweder diese Gründe auch humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe sind, aus denen die Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, oder aber neben den ausländerrechtlich für eine Duldung bereits genügenden Gründen weitere Gründe für eine Zuerkennung von Leistungen entsprechend dem BSHG gem. 2 Abs. 1 AsylbLG vorliegen (Senat, Beschl. v. 17.01.2001 - 4 M 4422/00 -).

Nach Classen (Eckpunkte zu § 2 Asylbewerberleistungsgesetz, Asylmagazin 2000, Heft 7-8, S. 31, 34) liegt ein rechtlicher Grund im Sinne von § 2 AsylbLG vor, wenn eine Abschiebung und eine freiwillige Ausreise scheitern, weil Reisedokumente fehlen, der Ausländer aber das Fehlen nicht zu vertreten hat. Classen meint, dass der Begriff der dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen oder einer freiwilligen Ausreise entgegenstehenden rechtlichen Gründe im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG weiter zu fassen sei als der Begriff der rechtlichen Duldungsgründe im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG. Dies ergebe sich bereits daraus, dass der Wortlaut des § 2 AsylbLG in der seit dem 1. Juni 1997 geltenden Fassung im Unterschied zu der vorher gültig gewesenen Fassung nicht mehr auf das Vorhandensein einer Duldung im Sinne des Ausländergesetzes und auch nicht mehr auf die maßgeblichen Gründe für eine Duldungserteilung abstellt, da nicht ausdrücklich auf bestimmte Regelungen des Ausländergesetzes verwiesen werde. Die in § 2 Abs. 1 AsylbLG verwendeten Begriffe seien zwar denen in § 55 Abs. 2 und 3 AuslG ähnlich, aber nicht mit ihnen identisch. So setze nach § 55 Abs. 3 AuslG eine Duldung "dringende" humanitäre oder persönliche Gründe oder "erhebliche" öffentliche Interessen voraus, diese Steigerungsattribute seien in § 2 AsylbLG aber nicht genannt. Die weitere Auslegung sei auch erforderlich, um den Verfassungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Sozialstaatlichkeit sowie dem Gleichbehandlungsgrundsatz gerecht zu werden. Damit könne nicht vereinbart werden, Ausländer zeitlich unbefristet mit gesenkten Leistungen dafür zu sanktionieren, dass sie nicht freiwillig zurückkehren könnten, z. B. weil ihr Herkunftsland zur Ausstellung von Reisedokumenten bzw. einer Aufnahme nicht bereit sei oder weil dorthin kein Reiseweg existiere, ohne dass die betroffenen Ausländer es in der Hand hätten, hieran irgendetwas zu ändern.

Der Senat nimmt aus den genannten verfassungsrechtlichen Gründen, aber auch auf Grund von Sinn und Zweck der Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes die Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 AsylbLG in den von Classen erwähnten Fallkonstellationen an. In der Begründung des Gesetzesentwurfs vom 24. Oktober 1995 führten die damaligen Fraktionen von CDU/CSU und FDP aus, dass mit der Sozialhilfe dem Hilfeempfänger ein dauerhaft existentiell gesichertes und sozial integriertes Leben "auf eigenen Füßen" gewährleistet werden solle, während der Kerngedanke des Asylbewerberleistungsrechts darin liege, dass diese Leistungen auf die Bedürfnisse eines hier in aller Regel nur kurzen oder vorübergehenden Aufenthalts abzustellen seien (vgl. BT-Drucksache 13/2746, S.11). Die Einschränkungen der Leistungen nach dem BSHG durch das Asylbewerberleistungsgesetz sind demzufolge verfassungsrechtlich unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung (Art. 3 GG) auch nur gerechtfertigt, weil die in § 1 Abs. 1 AsylbLG aufgeführten Personen über ein verfestigtes Aufenthaltsrecht nicht verfügen und bei ihnen ein sozialer Integrationsbedarf fehlt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1998 - 5 B 82.97 -, NVwZ 1999, S. 669 = FEVS 49, 97; OVG Lüneburg, Beschl. v. 27.06.1997 - 12 L 5709/96 -, NVwZ-Beil. 1997, S. 95 = Nds.Rpfl. 1997, S. 269 sowie Beschl. v. 21.06.2000 - 12 L 3349/99 - NVwZ-Beil. 2001, 11). Der Gesetzgeber nahm mit der Neuregelung von § 2 AsylbLG an, dass diese Voraussetzungen bei Asylbewerbern in den ersten 36 Monaten ihres Aufenthalts gegeben sind. In diesem Zeitraum können in der Regel unbegründete Asylanträge abschließend abgewiesen werden und die Ausreise bzw. Abschiebung erfolgen, so dass der Aufenthalt bis dahin als nur kurz oder vorübergehend im Sinne der erwähnten Begründung zum Gesetzesentwurf erachtet werden kann. Verlängert sich dieser Zeitraum und damit auch eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG, etwa weil die gebotene Aufklärung schwieriger Sachverhalte eine Entscheidung über das Asylverfahren beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge oder den Verwaltungsgerichten verzögert, regelt § 2 Abs. 1 AsylbLG für Asylbewerber, dass nunmehr ein sozialer Integrationsbedarf besteht, der einer weiteren Leistungskürzung entgegen steht. Denn die weiterhin gültige Aufenthaltsgestattung steht in diesen Fällen als rechtlicher Grund sowohl einer Abschiebung als auch einer freiwilligen Ausreise entgegen. Nichts anderes kann aber für Ausländer gelten, deren Asylbegehren zwar erfolglos abgeschlossen wurde, die aber dennoch nicht abgeschoben werden können und nicht freiwillig ausreisen können, weil Gründe, die - ähnlich wie die Dauer von Asylverfahren - von ihnen nicht beeinflusst werden können, einer Ausreise und Abschiebung entgegenstehen. Der Senat erkennt vor dem dargelegten Hintergrund der gesetzgeberischen Intention im Zusammenhang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für Einschränkungen von Leistungen nach dem BSHG durch das Asylbewerberleistungsgesetz auch derartige Gründe als Gründe im Sinne von § 2 AsylbLG an. Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass nach der früheren Fassung von § 2 Abs. 1 AsylbLG das BSHG auf Leistungsberechtigte entsprechend anzuwenden war, wenn sie eine Duldung erhalten haben, weil ihrer freiwilliger Ausreise Hindernisse entgegenstehen, die sie nicht zu vertreten haben, während es nach der Neuregelung ausreicht, dass humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe (oder das öffentliche Interesse) einer freiwilligen Ausreise und dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen entgegenstehen, ohne dass hierzu gesondert hinzukommen muss, dass die Betroffenen diese Gründe nicht zu vertreten haben. Eine den Regelungsgehalt des jetzt geltenden Gesetzes einschränkende Interpretation aufgrund des Umstandes, dass das Kriterium des "Vertretenmüssens" nun nicht mehr im Wortlaut enthalten ist, berücksichtigt nicht, dass auch der sonstige Text von § 2 Abs. 1 AsylbLG geändert, insbesondere die Anbindung an die Erteilung einer ausländerrechtlichen Duldung durch eigenständige materielle Voraussetzungen ersetzt wurde. Dass im Rahmen dieser Voraussetzungen nunmehr auch wieder subjektive Kriterien wie der Umstand, ob der einer Abschiebung und Ausreise entgegen stehende Grund von dem Betroffenen beeinflusst werden kann oder nicht, von Relevanz werden können, kann weder dem Wortlaut noch Sinn und Zweck der Neufassung des Gesetzes im Unterschied zu der vorherigen Fassung entnommen werden. Ist ... eine Abschiebung oder Ausreise wegen fehlender Pass- bzw. Passersatzpapiere nicht möglich, liegen Gründe im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG folglich nur dann vor, wenn festgestellt werden kann, dass der Betroffene diese Situation nicht durch eigene Bemühungen ... beenden kann. ....".

28

An dieser Rechtsauffassung hält der Senat auch für das vorliegende Verfahren fest. Der 12. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat sich der zitierten Ansicht des beschließenden Senats zwar nicht angeschlossen und mit Beschluss vom 27. März 2001 - 12 MA 1012/01 - (NVwZ-Beilage I 7/2001, 91 = FEVS Bd. 52, 367) hierzu ausgeführt:

"Um zu beschreiben, wie § 2 Abs. 1, Halbs. 2 AsylbLG n.F. die Gründe auffasst, aus denen die Ausreise nicht erfolgen kann und wegen derer aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können (humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse) sind diese Begriffe nicht aufgrund einer reinen Wortinterpretation auszulegen; denn insoweit knüpft diese Bestimmung unmittelbar an § 55 AuslG an (und indirekt an

§ 30 AuslG, soweit sich diese Bestimmung wiederum auf § 55 AuslG bezieht).

Diese Betrachtung drängt sich bereits aufgrund eines Wortlautvergleichs zwischen § 2 Abs. 1 AsylbLG und § 55 AuslG auf und wird dadurch unterstrichen, dass aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift (BT-Drs. 13/2746) zu entnehmen ist, dass § 2 Abs. 1 AsylbLG an ausländerrechtliche Begriffe anknüpfen wollte, weil der ausländerrechtliche Status des Leistungsberechtigten im Mittelpunkt der Überlegungen des Änderungsvorschlags stand (BT-Drs. 13/2746, S. 11 ff.). So bezieht sich die Einzelbegründung zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Entwurfes (S. 15) unmittelbar auf § 55 AuslG und bezeichnet die Ausländer mit einer Duldung gemäß § 55 AuslG, die "auch zwei Jahre nach erstmaliger Erteilung einer Duldung immer noch den Status der Duldung besitzen, weil ihre Ausreise nicht erfolgen kann oder aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, da humanitäre rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen".

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Auf dieser Grundlage ist von Bedeutung, dass § 2 Abs. 1, Halbs. 2 AsylbLG die Bestimmung des § 55 AuslG nicht vollständig widerspiegelt, sondern nur bestimmte in § 55 AuslG bezeichnete Ausreisehindernisse aufnimmt. Während § 55 Abs. 2 AuslG auf die Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen abhebt und § 55 Abs. 3 AuslG dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen aufführt, greift § 2 Abs. 1, Halbs. 2 AsylbLG nicht auf, dass tatsächliche Gründe der Ausreise oder aufenthaltsbeendenden Maßnahmen entgegenstehen können. Diesem Wortlaut ist Bedeutung beizumessen, da die gebotene - wörtliche - Auslegung nicht darüber hinweggehen darf, dass trotz der geschilderten Anknüpfung an § 55 AuslG bestimmte Tatsachenmerkmale dieser Vorschrift in § 2 Abs. 1, Halbs. 2 AsylbLG nicht aufgegriffen worden sind. Die Differenzierung zwischen den einzelnen Tatbestandsmerkmalen in § 2 Abs. 1 Halbs. 2 AsylbLG, der die Begrifflichkeit des § 55 AuslG aufnimmt, ist auch erforderlich, da § 55 AuslG - wenn auch bei nicht auszuschließenden Überschneidungen - deutlich zwischen den verschiedenen Merkmalen unterscheidet (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AuslR, Stand: Januar 2000, RdNrn. 18 ff. zu § 55; Renner, AuslR, 7.Aufl. 1999, RdNrn. 1 ff zu § 55 AuslG). So liegt die rechtliche Unmöglichkeit vor, wenn sich aus einfachem Gesetzesrecht oder Verfassungsrecht ein zwingendes Abschiebungsverbot ergibt, ob mithin eine Abschiebung aus Rechtsgründen möglich ist, kann ausschließlich aus den rechtlichen Verhältnissen und Beziehungen zwischen dem Ausländer und der Bundesrepublik Deutschland, die den Aufenthalt beenden will, abgeleitet werden. Die tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung ist dann gegeben, wenn diese aus Gründen scheitert, die im Tatsächlichen nicht behoben werden können, etwa wenn kein aufnahmebereiter Drittstaat vorhanden ist oder erforderliche Ausweispapiere fehlen (Funke-Kaiser, aaO, RdNrn. 39 ff.; Hailbronner, AuslR, Stand: Juli 2000, RdNrn. 18 ff. zu § 55 AuslG). Humanitäre und persönliche Gründe sind solche, die noch nicht das Gewicht haben, um aus Rechtsgründen einer Abschiebung entgegenzustehen, die aber geeignet sind, gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer an sich möglichen und zulässigen Aufenthaltsbeendigung zu überwiegen (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O, RdNr. 51).

30

Eine solche Auslegung verlangt auch der Sinn und Zweck des § 2 Abs. 1 AsylbLG; denn im Hinblick auf den Zweck der Regelung - sie trägt dem Umstand Rechnung, dass nach längerem Aufenthalt im Bundesgebiet die (höheren) Leistungen entsprechend dem Bundessozialhilfegesetz gewährt werden sollen (BT-Drs. 13/2746, S. 12) - ist die Unmöglichkeit der Ausreise oder der Beendigung des Aufenthalts aus tatsächlichen Gründen nicht maßgeblich, weil solchen Gründen - typischerweise - der Charakter des nur Zeitweiligen oder Vorübergehenden anhaftet, da sich die tatsächlichen Umstände - etwa das Fehlen von für die Ausreise erforderlichen Flugverbindungen - häufig und jederzeit ändern können. An dieser Typik des tatsächlichen Umstandes, zu dem regelmäßig auch die Passlosigkeit zählt, ist auch dann festzuhalten, wenn die Unmöglichkeit der Ausreise oder der Beendigung des Aufenthaltes über längere Zeit hinweg besteht.

31

Geboten ist diese Auslegung auch deshalb, weil bei einer anderweitigen Betrachtung der Zweck des § 2 Abs. 1, Halbs. 2 AsylbLG nicht erfüllt werden könnte, die Vorschrift liefe leer. Stellte man darauf ab, das - letztlich - jeder tatsächliche, die Ausreise hindernde Umstand einen humanitären, rechtlichen oder persönlichen Grund abgibt, wäre die Einschränkung des Gesetzes, nicht auf tatsächliche Gründe abzuheben, sinnentleert. Eine solche dem Gesetz seinen Inhalt nehmende Auslegung ist unzulässig, mit dieser Auslegung wäre § 2 Abs. 1, Halbs. 2 AsylbLG als ungeschrieben zu betrachten (vgl. auch Hauk, Leistungsanspruch nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bei der Möglichkeit freiwilliger Ausreise, ZFSH/SGB 1999, 650). Im Ergebnis kann der Umstand, dass jeder humanitäre, rechtliche oder persönliche Grund eine Basis im Tatsächlichen haben muss, nicht dazu führen, dass alle tatsächlichen Umstände nur als Hintergrund der rechtlichen, persönlichen oder humanitären Gründe betrachtet werden.

32

Das vom 4. Senat vorgelegte Auslegungsergebnis, das an Classen (Eckpunkte zu § 2 AsylbLG, Asylmagazin Nr. 7 - 8/2000, 31, 34) anknüpft, wird den aufgezeigten Kriterien nicht gerecht. Das Hauptargument, das der 4. Senat von Classen übernimmt - gebotene verfassungskonforme Auslegung -, trifft so nicht zu. Das Bundesverwaltungsgericht (Beschl. v. 29.09.1998 - BVerwG 5 B 82.97 -, FEVS 49, 97) hat vornehmlich nicht darauf abgehoben, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz dürften deshalb gemindert werden, weil sich der Asylbewerber - typischerweise - nur vorübergehend im Geltungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes aufhalte. Vielmehr hat das Bundesverwaltungsgericht festgehalten, es treffe nicht zu, dass das Existenzminimum durch die Regelsatzleistungen des Bundessozialgesetzes konkretisiert würde, und hat in diesem Sinne die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE, 87, 153, 171) interpretiert. Das Bundesverwaltungsgericht (aaO) hat ausdrücklich festgehalten, dass die Regelsatzleistungen nicht mit der verfassungsrechtlich gebotenen Mindesthilfe gleichgesetzt werden dürfen.

33

Auch Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es nicht, die vom Gesetzgeber gebildeten Gruppen von Ausländern, die höhere Leistungen erhalten, zu modifizieren - etwa im Hinblick auf den Bedarf wegen der nach längerem Aufenthalt wünschenswerten Sozialintegration -; denn die Gruppenbildung ist nicht willkürlich, sondern knüpft an sachgerechte Kriterien an und trennt so die Gruppe der Ausländer, deren Abschiebung oder Ausreise - nur - tatsächliche Gründe entgegenstehen, von der Gruppe der Ausländer, deren Abschiebung oder Ausreise die in § 2 Abs. 1, Halbs. 2 AsylbLG bezeichneten Gründe hindert. Die tatsächlichen Gründe sind - typischerweise - nämlich vorübergehender Art. Der Umstand, dass ein solcher Grund - etwa Passlosigkeit - typwidrig auch längere Zeit nicht zu beheben ist, zwingt den Gesetzgeber unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht, die Gruppenbildung dahin zu differenzieren, bestimmte nur im Tatsächlichen wurzelnde Umstände als Anlass für die Leistungserhöhung heranzuziehen und verbietet es damit den Gerichten im Wege verfassungskonformer Reduzierung den Wortlaut des Gesetzes zu relativieren.

34

Die weiteren Argumente von Classen, die der 4. Senat gleichfalls übernommen hat, greifen ebenfalls nicht durch. Ein Wortlautvergleich zwischen § 2 AsylbLG n.F. und der vorher gültig gewesenen Fassung ist unergiebig, da er nicht die Entstehungsgeschichte von § 2 Abs. 1 AsylbLG n.F. aufgreift und bewertet, der - ebenso wie die alte Fassung - an die Begrifflichkeit von § 55 AuslG anknüpft (s.o.). Auch das weitere Argument, die in dem § 2 Abs. 1 AsylbLG verwendeten Begriffe seien denen in § 55 Abs. 2 und 3 AuslG ähnlich, aber nicht mit ihnen identisch, führt angesichts der aufgezeigten Folgerung aus der Entstehungsgeschichte und der Wortlautinterpretation nicht weiter.

35

Entsprechendes gilt für die Überlegungen des 4. Senats zu Sinn und Zweck der Regelung von § 2 Abs. 1 AsylblG, die so nicht aus der Entstehungsgeschichte abzuleiten sind; zwar ist in der BT-Drs. 13/2746 (S. 11) darauf abgehoben, ein Asylbewerber halte sich typischerweise nur vorübergehend im Bundesgebiet auf, daraus folgt aber nicht, der Gesetzgeber habe die von ihm gewählte Unterscheidung zwischen tatsächlichen und anderen Hindernissen nicht beachtet wissen wollen."

36

Der Senat hält aber, wie gesagt, an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest. Denn entgegen der Ansicht des 12. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts können bei der Bestimmung persönlicher oder humanitärer Gründe im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht alle die Umstände, die zur Erteilung einer Duldung aus tatsächlichen Gründen nach § 55 Abs. 2 AuslG führen, ausgeschlossen werden, weil in § 55 Abs. 3 AuslG humanitäre und persönliche Gründe ebenfalls Erwähnung finden, die in § 55 Abs. 2 enthaltenen tatsächlichen Gründe in § 2 AsylbLG aber nicht erwähnt werden. Nach § 55 Abs. 3 AuslG kann eine Duldung u. a. dann erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe die weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Demgegenüber wird (bindend) gemäß § 55 Abs. 2 AuslG eine Duldung erteilt, solange eine Abschiebung u. a. aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Diese Struktur schließt im Ausländerrecht eine Entscheidung der Frage, ob tatsächliche Gründe im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG auch humanitäre oder persönliche Gründe im Sinne von § 55 Abs. 3 AuslG sein können, aus. Denn immer dann, wenn tatsächliche Gründe einer Abschiebung entgegenstehen, ist eine Duldung zu erteilen, ohne dass noch zu prüfen ist, ob der Umstand, aus dem sich ein tatsächlicher Grund im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG ergibt, auch ein humanitärer oder persönlicher Grund im Sinne von § 55 Abs. 3 AuslG ist. Die Frage, ob tatsächliche Gründe auch humanitäre und persönliche Gründe sein können, bleibt wegen der Struktur von § 55 AuslG im Ausländerrecht unbeantwortet, weil sie wegen der dargelegten Stufenfolge nicht beantwortet werden muss.

37

Zur Entscheidung der materiellen Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen tatsächliche Gründe im Sinne des § 55 Abs. 2 AuslG auch persönliche oder humanitäre Gründe im Sinne von § 55 Abs. 3 AuslG oder § 2 Abs. 1 AsylbLG sind, ist deshalb nicht darauf abzustellen, dass in § 2 Abs. 1 AsylbLG im Unterschied zu § 55 Abs. 2 AuslG tatsächliche Gründe nicht benannt werden. Eine derartige Sichtweise orientiert sich nicht am Wortlaut der Regelungen, sondern differenziert allein nach den Wörtern in den Regelungen, ohne die inhaltliche Struktur und den Regelungszusammenhang von § 55 AuslG einerseits und § 2 Abs. 1 AsylbLG andererseits zu beachten. Daraus, dass das AsylbLG hier nicht auf tatsächliche Gründe abstellt, ergibt sich unter Beachtung dieser rechtssystematischen Zusammenhänge, dass nur solche Umstände, die als ausschließlich tatsächliche Gründe beurteilt werden können, nicht berücksichtigt werden. Die entscheidende Frage, wann konkrete Umstände nicht nur tatsächliche Gründe im Sinne von § 55 Abs. 3 AuslG, sondern zusätzlich auch humanitäre oder persönliche Gründe im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG und § 2 Abs. 1 AsylbLG sein können, stellt sich demgegenüber im Ausländerrecht nicht und ist im Rahmen der Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 AsylbLG originär zu prüfen. Deshalb trifft auch die Vermutung des 12. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts nicht zu, es werde damit der Wortlaut des Gesetzes durch eine verfassungskonforme Reduzierung relativiert. Vielmehr geht es um die systematische Interpretation des Gesetzeswortlauts, die nicht durch den Verweis darauf verhindert werden kann, dass in der einen Regelung - § 2 Abs. 1 AsylbLG - einzelne Tatbestände einer anderen Regelung - die tatsächlichen Gründe in § 55 Abs. 3 AuslG - nicht enthalten sind, wenn beide Vorschriften daneben identische Tatbestände - persönliche und humanitäre Gründe - enthalten, deren Regelungsbereiche sich (teilweise) mit dem nicht identischen Tatbestand überschneiden können. Der 12. Senat sieht zwar diese Überschneidungen, nicht aber ihren zentralen Stellenwert in der hier zu entscheidenden Frage. Stattdessen wird die vor diesem Hintergrund gebotene und in dem Beschluss des Senats vom 8. Februar 2001 (a. a. O.) vorgenommene Bestimmung des materiellen Gehalts der persönlichen und humanitären Gründe in § 2 Abs. 1 AsylbLG (und in § 55 Abs. 3 AuslG, obwohl - wie dargelegt - dort nicht von ausländerrechtlicher Bedeutung) ersetzt durch die aus den genannten Gründen nicht durchgreifende Behauptung, bei Umständen, die eine Duldung aus tatsächlichen Gründen erforderten, gebe bereits der Wortlaut der Regelungen vor, dass Leistungen in entsprechender Anwendung des Bundessozialhilfegesetzes nach § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht zu gewähren seien. Der beschließende Senat merkt ergänzend an, dass zur inhaltlichen Bestimmung der persönlichen und humanitären Gründe im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG auch der vom 12. Senat in den Vordergrund gerückte typischerweise nur zeitweilige und vorübergehende Charakter tatsächlicher Gründe wenig beitragen kann, da nach § 55 Abs. 1 AuslG die Abschiebung eines Ausländers nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4 "zeitweise" ausgesetzt werden kann, der Charakter des vorübergehenden also strukturell bei allen Duldungsgründen vorliegt und zu einer weiteren Differenzierung innerhalb der einzelnen Tatbestände des § 55 Abs. 2-4 AuslG ungeeignet ist.

38

Der beschließende Senat hält somit - zusammengefasst - an seiner bisherigen Auffassung fest, dass dann, wenn eine Abschiebung oder Ausreise wegen fehlender Pass- bzw. Passersatzpapiere nicht möglich ist, Gründe im Sinne des § 2 Abs. 1 letzter Halbsatz AsylbLG nur dann vorliegen, wenn festgestellt werden kann, dass der Betroffene diese Situation nicht durch eigene Bemühungen beenden kann (ebenso Beschl. v. 25.04.2001 - 4 PA 1166/01 -, V. n. b.). Diese Feststellung ist hier zugunsten der Kläger zu treffen. Es ist in ihrem Fall nicht ersichtlich, dass und wie sie Passersatzpapiere beschaffen könnten bzw. durch eigene Bemühungen daran mitwirken könnten.

39

Die Kläger haben seit ihrer Einreise geltend gemacht, gültige Reisedokumente nicht (mehr) zu besitzen. Die Richtigkeit dieser Angaben hat auch die Beklagte nicht in Zweifel gezogen.

40

Die Beschaffung von Passersatzpapieren ist den Klägern ohne die Vorlage entsprechender Identitätsnachweise nicht möglich (Rundschreiben der libanesischen Botschaft vom Januar 1994, Mitteilung der Grenzschutzdirektion K. vom 8. September 1994, Hausmitteilung der Beklagten vom 4. August 2000). Der Kläger zu 1. hat wiederholt erklärt, Familienangehörige, mit deren Unterstützung er Identitätsnachweise beschaffen könnte, im Libanon nicht mehr zu haben. Dass insoweit ein Bemühen des Klägers zu 1. durch Familienangehörige seiner Ehefrau erfolgen könnte, hat die Beklagte bisher nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich angesichts dessen, dass die Klägerin zu 2. angibt, zu ihrer Familie Kontakte nicht mehr zu haben. Derartige Dokumente können aus dem Libanon auch nicht durch Einschaltung der dortigen deutschen Botschaft beschafft werden. Die von libanesischer Seite als hierfür allein zuständig bezeichnete libanesische Botschaft in Deutschland hat sich nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes in der Vergangenheit gegenüber derartigen Ersuchen "überwiegend unkooperativ gezeigt" (Bericht des Auswärtigen Amtes vom 7. April 2000 über die asyl- und abschiebungsrelevante Situation im Libanon, Abschnitt V Nr. 4). Diese Umstände sprechen dafür, dass es den Klägern aus persönlichen Gründen nicht möglich ist, die für eine Ausreise (oder Abschiebung) notwendigen Passersatzpapiere zu beschaffen. Die Beklagte hat sich im Verwaltungsverfahren und auch im gerichtlichen Verfahren bisher darauf beschränkt, den Kläger zu 1. zu Bemühungen um die Beschaffung von Identitätsnachweisen bzw. Passersatzpapieren aufzufordern, ohne in Kenntnis der genannten Schwierigkeiten hierfür einen tatsächlich gangbaren Weg aufzuzeigen. Unter diesen Umständen erfüllen die Kläger die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen in entsprechender Anwendung des BSHG nach § 2 Abs. 1 AsylbLG.

41

Der von dem Klagebegehren erfasste Leistungsanspruch der Kläger erstreckt sich über den gesamten von der Beklagten mit den angegriffenen Bescheiden bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides geregelten Leistungszeitraum, also die Zeit vom 1. Juni 2000 bis zum 23. November 2000. Der Zeitraum August 2000 ist dabei mit umfasst. Die Kläger haben mit Schriftsatz vom 27. Juni 2000 gegen die die Monate Juni und Juli 2000 betreffenden Bescheide vom 7. und 21. Juni 2000 Widerspruch eingelegt. Es braucht hier nicht erörtert zu werden, ob sie danach gegen den inhaltsgleichen Bescheid vom 3. August 2000 für den Zeitraum August 2000 nochmals Widerspruch hätten einlegen müssen. Denn jedenfalls der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Hannover vom 23. November 2000 betrifft den Widerspruch der Kläger "gegen den Bescheid der Landeshauptstadt Hannover vom 07.06.2000 (sowie inhaltsgleiche Folgebescheide"und erfasst damit sämtliche im Anschluss an den Bescheid vom 7. Juni 2000 bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides ergangenen weiteren inhaltsgleichen Bescheide der Beklagten. Dem entspricht es, dass die Kläger ihre Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 2000 sowie die inhaltsgleichen Folgebescheide gerichtet haben. Dem Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 3. Januar 2001 ist insoweit nicht eine Beschränkung des Klagebegehrens zu entnehmen.

42

Die Berufung der Kläger ist somit begründet mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

43

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

44

Die Zulassung der Revision beruht auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Klay
Willikonsky
Berthold