Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.11.2001, Az.: 4 MA 3282/01
Ermessen; Existenzgefährdung; Frist; Rückforderung; Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabe
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 20.11.2001
- Aktenzeichen
- 4 MA 3282/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 39546
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 17.09.2001 - AZ: 7 B 3536/01
Rechtsgrundlagen
- § 45 Abs 4 S 2 SGB 10
- § 47 Abs 2 S 5 SGB 10
- § 15 Abs 2 SchwbAV
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Nach §§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 VwGO (i. d. F. des 6. VwGO-Änderungsgesetzes vom 1. November 1996, BGBl. I S. 1626) ist die Beschwerde nur zuzulassen,
1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses bestehen,
2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. wenn der angefochtene Beschluss von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senates der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Beschwerdegerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Hier liegt ein Zulassungsgrund nicht vor.
Der Senat hat - entgegen der Auffassung des Antragstellers - nicht "ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses". Bei der Beurteilung, ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen, kommt es nicht darauf an, ob die von dem Gericht für seine Entscheidung angeführten Gründe zutreffen; notwendig sind vielmehr ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des von dem Verwaltungsgericht gefundenen Ergebnisses (Beschl. d. Sen. v. 12. November 2001, 4 LA 310/01, V. n. b.). Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom August 2001 (diesem zugestellt am 31. August 2001), zu Recht abgelehnt. Der Senat macht sich die tragenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses vom 17. September 2001 (Az.: 7 B 3536/01) zu eigen und verweist deshalb auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Antragsvorbringen rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht.
Den Maßstab der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO hat das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung zutreffend dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierauf ebenfalls Bezug genommen.
Bei der danach vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides. An dessen Rechtmäßigkeit hat der Senat keine ernstlichen Zweifel.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers geht der Senat ebenso wie das Verwaltungsgericht davon aus, dass der Antragsgegner an dem (teilweisen) Widerruf des Zuwendungsbescheides vom 23. April 1997 nicht aufgrund der Regelung über die Ausschlussfrist in § 47 Abs. 2 Satz 5 SGB X i. V. m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X gehindert war. Nach diesen Vorschriften darf die Behörde den Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nur innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen, die einen Widerruf nach § 47 Abs. 2 SGB X rechtfertigen, widerrufen. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X beginnt, wenn der Leistungsträger sämtliche für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig kennt (Pickel, SGB X, Kommentar, Stand: Oktober 2001, § 45 SGB X Rdnr. 208). Zu den für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen gehören die Umstände, deren Kenntnis es der Behörde objektiv ermöglicht, ohne weitere Sachaufklärung unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Rücknahme zu entscheiden (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 17. Februar 2000, 8 S 1817/99, NVwZ-RR 2001, 6 ff. [VerfGH Berlin 21.02.2000 - VerfGH 122/99]). Dies entspricht dem Zweck der Jahresfrist als einer Entscheidungsfrist, die sinnvoller weise erst anlaufen kann, wenn der zuständigen Behörde alle für die Rücknahmeentscheidung bedeutsamen Tatsachen bekannt seien (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19. Dezember 1984, Gr. Sen. 1, 2/94, BVerwGE 70, 356 ff., 362 f.).
Für den Beginn der Frist reicht es hier nicht aus, dass ausweislich eines Schreibens des Finanzamtes Alfeld/Leine vom 16. Dezember 1999 an das Finanzamt Hannover - Steuerfahndung - der Antragsgegner bereits im Dezember 1999 Kenntnis von Ermittlungstätigkeiten der Finanzverwaltung hatte. Denn in dem Schreiben ist ausgeführt, dass hinsichtlich des gewährten Zuschusses des Antragsgegners die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen seien; es würden noch Rückfragen beim Antragsgegner eingeholt. Hiermit steht ein Schreiben des Finanzamtes Alfeld/Leine vom 16. Dezember 1999 an den Antragsgegner im Einklang worin mit der Begründung, "um die komplexen steuerlichen Sachverhalte klären zu können", der Antragsgegner um Übersendung aller Förderakten des Antragstellers bzw. der Gesellschaften gebeten wird. Die Ermittlungen der Steuerbehörden befanden sich zu diesem Zeitpunkt offensichtlich noch im Anfangsstadium. Ähnlich war die Situation für den Antragsgegners auch noch im Februar 2000. Zwar wurde nach dem Einleitungsvermerk des Finanzamtes für Fahndung und Strafsachen Hannover - Steuerfahndung - vom 10. Februar 2000 am 9. Februar 2000 ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller wegen des Verdachtes des Subventionsbetruges eingeleitet. Aus einem Aktenvermerk des Finanzamtes für Fahndung und Strafsachen Braunschweig vom 22. Februar 2000 über eine Besprechung mit Mitarbeitern des Antragsgegners ergibt sich aber lediglich, dass diesen mitgeteilt worden sei, bei der Prüfung bei der Firma T. GmbH seien Tatsachen bekannt geworden, die den Verdacht des Subventionsbetruges im Sinne des § 264 StGB durch den Geschäftsführer der Firma T. und diverse Kunden dieser Firma begründeten. Die in dem Aktenvermerk ebenfalls enthaltene Bemerkung, dass aufgrund der von der Steuerfahndung geschilderten Fallkonstellationen mindestens die gewährten Preisnachlasse zurückzufordern seien, ist hingegen als allgemeine Erklärung über eine voraussichtliche Vorgehensweise zu werten. Erst mit Schriftsatz vom 12. September 2000 teilte das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen Hannover - Steuerfahndung - der zuständigen Staatsanwaltschaft in Braunschweig mit, dass sich nach den Ermittlungen der Verdacht auf Subventionsbetrug gegen den Antragsteller erhärtet habe. Die Ermittlungen bezüglich des Alfelder Studios seien abgeschlossen. Die Ermittlungsakte werde der Staatsanwaltschaft zur weiteren Veranlassung übersandt. Von diesem Ergebnis hat der Antragsgegner offensichtlich aber erst durch Einsichtnahme in die Akten der Staatsanwaltschaft Braunschweig, Zentralstelle für Wirtschaftsstrafsachen, Anfang Juli 2001 Kenntnis erlangt. Es kann für die Fristberechnung gemäß § 47 Abs. 2 Satz 5 SGB X i. V. m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X hier jedoch dahingestellt bleiben, ob der Antragsgegner früher in die Akten der Staatsanwaltschaft Braunschweig hätte Einsicht nehmen müssen, um so eher Kenntnis über die für den Widerruf maßgeblichen Tatsachen zu erlangen. Denn selbst wenn für den Beginn der Frist auf den Abschluss des Ermittlungsverfahrens durch das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen Hannover - Steuerfahndung - im September 2000 abgestellt wird, ist der Widerruf mit Bescheid vom August 2001, dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zugestellt am 31. August 2001, noch binnen der Jahresfrist erfolgt.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat der Senat auch keine ernstlichen Zweifel an der Höhe des Rückforderungsbetrages. Der Antragsgegner hat sich offensichtlich bei der Berechnung an den Ermittlungsergebnissen des Finanzamtes für Fahndung und Strafsachen Hannover - Steuerfahndung - orientiert. Die Grundlagen für den Rückforderungsbetrag in Höhe von 146.661,77 DM sind in einem in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners befindlichen Vermerk vom 3. Juli 2001 dargelegt. Der Antragsgegner hat sich im Anhörungsverfahren mit den vom Antragsteller mit Schriftsatz vom 15. August 2001 vorgebrachten Einwendungen hinsichtlich der Höhe der Rückforderung detailliert auseinandergesetzt. Dies ergibt sich nachvollziehbar anhand der sich in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners befindlichen Rechnungen und Quittungen, die mit entsprechenden handschriftlichen Vermerken und Berechnungen versehen sind. Diese einzelnen Berechnungen hat der Antragsgegner dem Antragsteller zwar nicht bekannt gegeben; der Antragsteller hätte sich aber durch Einsichtnahme in die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners, die vom Verwaltungsgericht beigezogen worden sind, Kenntnis von diesen Berechnungen verschaffen können.
Dem weiteren Einwand des Antragstellers, der Antragsgegner habe bei seiner Berechnung des Rückforderungsbetrages einen zu hohen Eigenanteil in Ansatz gebracht, vermag sich der Senat ebenfalls nicht anzuschließen. In dem Zuwendungsbescheid des Antragsgegners vom 23. April 1997 ist der Eigenanteil mit 96.819,-- DM festgelegt worden. In den Nebenbestimmungen des Bescheides ist keine Regelung getroffen worden, dass dieser Eigenanteil (im nachhinein) zu reduzieren sei, sofern in Abweichung des Kosten- und Beschaffungsplanes der Antragsteller tatsächlich später geringere Investitionen tätige. Die Annahme eines "prozentualen Eigenanteils" folgt auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Zuwendung. In § 15 Abs. 2 der Zweiten Verordnung zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes (Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung - SchwbAV -) vom 28. März 1988 (BGBl. I S. 484) ist geregelt, dass Leistungen an Arbeitgeber zur Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen für Schwerbehinderte nur erbracht werden sollen, wenn sich der Arbeitgeber in einem angemessenen Verhältnis an den Gesamtkosten beteiligt. Hieraus ergibt sich aber nicht die Verpflichtung, einen prozentualen Eigenanteil in Ansatz zu bringen. Vielmehr soll - wie hier auch geschehen - nach den Umständen des Einzelfalles (§ 15 Abs. 2 Satz 3 SchwbAV) ein angemessener Eigenanteil erbracht werden. Im übrigen dürfte der Antragsgegner aufgrund des verbindlichen Kosten- und Beschaffungsplanes davon ausgehen, dass der Antragsteller tatsächlich Gesamtinvestitionen in Höhe von 336.819,-- DM tätigt. Wenn der Antragsteller hier offensichtlich wesentlich geringere Investitionen vorgenommen hat, folgt daraus nicht, dass der festgelegte Eigenanteil im nachhinein zu reduzieren ist. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner bei der Berechnung des Rückforderungsbetrages an dem ursprünglich festgelegten Eigenanteil in Höhe von 96.819,-- DM festhält. Andernfalls käme es zu dem Ergebnis, dass sich das abredewidrige Verhalten des Antragstellers letztlich zu seinen Gunsten auswirken würde.
Der Rückforderungsbescheid leidet auch nicht an einem Ermessenfehler. Auch insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 17. September 2001 Bezug genommen. Der Antragsgegner hat sich in seinem Rückforderungsbescheid mit dem Vorbringen des Antragstellers im Anhörungsverfahren, insbesondere dem Inhalt seines Schriftsatzes vom 15. August 2001, auseinandergesetzt. Aus dem Rückforderungsbescheid wird deutlich, dass der Antragsgegner das Für und Wider einer Rückforderung abgewogen hat. Im übrigen kann der Antragsgegner die Ermessenserwägungen im Widerspruchsverfahren und seit der Neufassung des § 41 Abs. 2 SGB X (durch Art. 10 Nr. 4 des 4. Euro-Einführungsgesetzes vom 21.12.2000, BGBl I 1977, 2000) auch noch spätestens bis zum Abschluss der letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz weiter vertiefen (vgl. hierzu: von Wulffen, SGB X, Kommentar, 4. Aufl. 2001, § 45 Rdnr. 6).
Schließlich spricht im Rahmen der hier vorzunehmenden Interessenabwägung gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung des Rückforderungsbescheides auch nicht die von dem Antragsteller behauptete Existenzgefährdung bzw. -vernichtung. Für die Frage, ob die aufschiebende Wirkung eines Widerspruches gegen einen Rückforderungsbescheid wiederherstellt wird, sind wirtschaftliche Folgen der Rückforderung mit in die Interessenabwägung einzubeziehen. Der Antragsteller hat aber drohende einschneidende wirtschaftliche Konsequenzen nicht glaubhaft gemacht. Die Angaben in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 6. September 2001 sind vage und nicht substantiiert. So behauptet er, dass mit der Einforderung und ggf. Vollstreckung der vom Antragsgegner verlangten 187.000,-- DM "möglicherweise" eine Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz verbunden sei. Weiter behauptet er, dass seine Liquidität durch die geforderte Zahlung von rd. 187.000,-- DM in einer "ernsthaft existenzgefährdenden Weise" belastet werde. Diese Angaben sind unzureichend. Der Antragsteller hätte nachvollziehbar und detailliert darlegen müssen, welche wirtschaftlichen Konsequenzen ihm bei Durchsetzung des Rückforderungsbetrages konkret drohen. Auch kann er sich nicht mit Erfolg auf eine durch die Rückforderung möglicherweise eintretende Gefährdung der Arbeitsplätze der beschäftigten Schwerbehinderten berufen. Der Antragsgegner kann deren Interessen auch noch im Vollstreckungsverfahren berücksichtigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Da es sich um einen Rechtsstreit aus dem Sachgebiet der Schwerbehindertenfürsorge handelt, werden Gerichtskosten gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.