Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.11.2001, Az.: 8 LB 2106/01

Abschiebungshindernis; Abschiebungsschutz; Aschkali; Kosovo; Roma

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
22.11.2001
Aktenzeichen
8 LB 2106/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 39540
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 27.04.2001 - AZ: 7 A 589/98

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Kein Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG für Roma und Aschakli aus dem Kosovo.

Gründe

I.

1

Die 1985 bzw. 1987 in Prishtina (Kosovo) geborenen Kläger sind jugoslawische Staatsangehörige.

2

Nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland stellten sie einen Asylantrag, den das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bestandskräftig ablehnte. Unter dem 13. Oktober 1998 beantragten die Kläger erneut, sie als Asylberechtigte anzuerkennen. Diesen Antrag begründeten sie damit, dass nunmehr von einer Gruppenverfolgung der Kosovo-Albaner auszugehen sei. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte die Durchführung weiterer Asylverfahren durch Bescheid vom 9. Dezember 1998 ab; zugleich forderte es die Kläger zur Ausreise auf und drohte ihnen die Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien an.

3

Daraufhin haben die Kläger am 16. Dezember 1998 Klage erhoben und geltend gemacht, dass die serbischen Ordnungskräfte die ethnischen Albaner im Kosovo systematisch verfolgten.

4

Die Kläger haben sinngemäß beantragt,

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den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 9. Dezember 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG vorliegen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

8

Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat keinen Antrag gestellt.

9

Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 27. April 2001 die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass im Falle der Kläger Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich der Bundesrepublik Jugoslawien (Kosovo) vorliegen, den angefochtenen Bescheid aufgehoben, soweit er dem entgegensteht, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, die Kläger hätten keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte und Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, weil eine politische Verfolgung der Roma und Aschkali, zu denen die Kläger gehörten, im Kosovo nicht stattfinde. Sie könnten jedoch die Feststellung, dass hinsichtlich der Bundesrepublik Jugoslawien Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegen, beanspruchen, weil Roma und Aschkali derzeit im Kosovo einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt seien, die bei verfassungskonformer Anwendung die Annahme eines Abschiebungshindernisses gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG rechtfertige. Ihnen könne auch nicht zugemutet werden, außerhalb des Kosovo, insbesondere in Montenegro, Zuflucht zu suchen, weil ihnen dort auf Dauer ein Leben unterhalb des Existenzminimums drohen würde.

10

Gegen diese Entscheidung richtet sich die durch Senatsbeschluss vom 15. Juni 2001 zugelassene Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten, der die Auffassung vertritt, dass Roma und Aschkali im Kosovo keiner extremen allgemeinen Gefahrenlage, die ein Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG begründe, ausgesetzt seien.

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Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten beantragt sinngemäß,

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das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 7. Kammer (Einzelrichterin) - vom 27. April 2001 teilweise zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

13

Die Kläger und die Beklagte stellen keinen Antrag.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

15

Der Senat hat das mit Verfügung vom 2. November 2001 in das Verfahren eingeführte Erkenntnismaterial zum Gegenstand der Beratung gemacht und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt.

II.

16

Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist begründet. Sie führt zur teilweisen Änderung des angefochtenen Urteils und zur vollständigen Abweisung der Klage.

17

Diese Entscheidung trifft der Senat gemäß § 130 a Satz 1 VwGO durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für begründet und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur persönlichen Anhörung der Kläger nicht für erforderlich hält.

18

Eine mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren ist entbehrlich, weil die Kläger sich im Verwaltungsverfahren und im erstinstanzlichen Verfahren zu ihrem Verfolgungsschicksal geäußert haben.

19

Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben.

20

Die Kläger haben nach der im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats gegebenen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich der Bundesrepublik Jugoslawien (Kosovo) vorliegt.

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Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Da Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bei Entscheidungen nach § 54 AuslG berücksichtigt werden, setzt § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG eine erhebliche, individuell konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit voraus, die sich nicht schon aus der allgemeinen Situation im Kosovo herleiten ließe. Allgemeine Gefahren, die nicht nur dem betreffenden Ausländer, sondern zugleich der ganzen Bevölkerung oder einer Bevölkerungsgruppe drohen, begründen auch dann kein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, wenn sie den Ausländer konkret und individualisierbar treffen (BVerwG, Urt. v. 8.12.1998 - 9 C 4.98 -, BVerwGE 108, 77). Die Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG sperrt nicht die möglicherweise geringere Betroffenheit eines Einzelnen, sondern die Tatsache, dass er sein Fluchtschicksal mit vielen anderen Personen teilt, über deren Aufnahme oder Nichtaufnahme im Bundesgebiet eine politische Leitentscheidung im Sinne des § 54 AuslG befinden soll (BVerwG, Urt. v. 8.12.1998, a.a.O.). Lediglich dann, wenn dem einzelnen Ausländer keine Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2, 3, 4 oder 6 Satz 1 AuslG zustehen, er aber gleichwohl ohne Verletzung höherrangigen Verfassungsrechts nicht abgeschoben werden darf, ist bei verfassungskonformer Auslegung und Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG im Einzelfall Schutz vor der Durchführung der Abschiebung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren. Das ist der Fall, wenn die obersten Landesbehörden trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde, von ihrer Ermessensermächtigung aus § 54 AuslG keinen Gebrauch gemacht haben, einen generellen Abschiebestopp zu verfügen. Dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG, dem einzelnen Ausländer unabhängig von einer Ermessensentscheidung nach § 53 Abs. 6 Satz 2, § 54 AuslG Abschiebungsschutz zu gewähren; in solchen Fällen ist § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG verfassungskonform einschränkend dahin auszulegen, dass derartige Gefahren im Rahmen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu berücksichtigen sind (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324).

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Einer derartigen extremen Gefahrenlage würden die Kläger nach dem vom Senat in das Verfahren eingeführten und ausgewerteten Erkenntnismaterial im Kosovo, der nach wie vor Teil der Bundesrepublik Jugoslawien ist (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 17.3.2000 - A 14 S 1167/98 - u. Beschl. v. 26.5.2000 - A 14 S 709/00 -; Nds. OVG, Urt. v. 24.2.2000, a.a.O.; VGH Kassel, Urt. v. 15.2.2000, a.a.O.; OVG Münster, Beschl. v. 15.5.2000 - 5 A 5355/99.A -; Thür. OVG, Urt. v. 17.5.2000 - 3 KO 202/97 -; AA,  Lageberichte v. 21.11.2000 u. v. 8.12.1999), nicht ausgesetzt sein. Dabei kann dahinstehen, ob sie Kosovo-Albaner oder Roma sind.

23

Im Kosovo wird ein Leben über dem Existenzminimum durch die Zivilpräsenz der UNO, die Aktivitäten von über 300 Hilfsorganisationen und die KFOR - Truppen gewährleistet. Deren Einsatz hat zur Folge, dass die in den Kosovo zurückkehrenden Kosovo-Albaner  nicht in eine ausweglose Situation geraten.

24

Der Aufbau einer zivilen Übergangsverwaltung und die Wiederherstellung kommunaler Strukturen in Umsetzung der UN-Resolution machen erkennbare Fortschritte. Die Mission der Vereinten Nationen im Kosovo - UNMIK -, die inzwischen in drei Säulen gegliedert ist, hat auf der Grundlage der UN-Resolution de facto die Verantwortung für das gesamte öffentliche Leben im Kosovo übernommen und ist in den Verwaltungen aller Landkreise vertreten. Sie hat durch den Sonderbeauftragten des Generalsekretärs der UN, Kouchner, verschiedene Verordnungen erlassen, die den rechtlichen Rahmen ihrer Tätigkeit regeln. Nach der Verordnung Nr. 1 vom 25. Juli 1999 ist die gesamte gesetzgebende und vollziehende Gewalt in bezug auf den Kosovo auf die UNMIK übergegangen, die durch den Sonderbeauftragten des Generalsekretärs der UN ausgeübt wird. Durch eine weitere Verordnung der UNMIK ist das vor 1989 geltende Recht wieder eingeführt worden, soweit es nicht dem Zweck der UN-Resolution widerspricht oder die UNMIK anderslautende Verordnungen erlässt. Am 15. Dezember 1999 haben Vertreter der UNMIK und die albanische Seite außerdem ein gemeinsames Abkommen unterzeichnet, in dem die Bildung eines gemeinsamen Regierungsrates mit maßgeblichen albanischen Führern vereinbart wurde, der seitdem unter dem Vorsitz eines UN-Vertreters tagt. Schließlich hat die UNMIK Wahlen für die Gemeinderäte in den 30 Gemeinden des Kosovo, die die Gemeindevorsitzenden und die Verwaltungschefs wählen, organisiert, die am 28. Oktober 2000 bei einer Wahlbeteiligung von ca. 79 % stattfanden und zu einer Stärkung  der gemäßigten Kräfte geführt haben, da die LDK unter dem Vorsitz von Ibrahim Rugova 58 % der Stimmen, die Partei des früheren Führers der UCK, Thaci, aber lediglich 27, 3 % der Stimmen erhielt (AA, Lagebericht v. 21.11.2000; UNHCR, Bericht v. 9.12.1999 zur Lage im Kosovo; dpa v. 15.12.1999 u. 6.11.2000; Nürnberger Zeitung v. 16.3.2000; Süddeutsche Zeitung v. 16.3.2000, 26.10.2000 u. 30.10.2000; Die Welt v. 30.10.2000; Neue Zürcher Zeitung v. 31.10.2000).

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Der Wiederaufbau der Infrastruktur des Kosovo und die Entwicklung der Wirtschaft zeigt ebenfalls deutliche Fortschritte. Die Weltbank hat für einen Zeitraum von 18 Monaten 25 Millionen Dollar von insgesamt 60 Millionen Dollar dafür bewilligt. Die EU-Kommission hat beschlossen, für die Region im Kosovo bis zum Jahr 2006 insgesamt 5,5 Milliarden Euro aufzubringen. Für die Umsetzung des von der EU finanzierten Wiederaufbauprogramms ist am 1. Februar 2000 eine Wiederaufbau-Agentur eingerichtet worden, die zusammen mit der ihr vorgeschalteten EU-Task Force wichtige Wiederaufbauprojekte auf dem Weg gebracht hat (AA, Lagebericht v. 21.11.2000). Seit Juni 1999 wurde im Rahmen einer großen internationalen Hilfsoperation, an der neben den Organisationen der Vereinten Nationen und anderen internationalen humanitären Organisationen mehr als 250 Nichtregierungsorganisationen unter der Koordination der UNMIK beteiligt waren, mehr als 850.000 in das Kosovo zurückgekehrten Menschen dabei geholfen, ihr Leben wieder aufzubauen (UNHCR, Lagebericht v. September 2000; UNMIK, Positionspapier zur Rückkehr v. Oktober 2000).

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Albanische Volkszugehörige, die in den Kosovo zurückkehren, müssen nicht auf Dauer mit völlig unzureichenden Wohnverhältnissen oder mit Obdachlosigkeit rechnen. Zwar wurden im Zuge des Kosovo-Krieges fast 120.000 Häuser in Mitleidenschaft gezogen und 100.000 Häuser schwer beschädigt. Die Wiederaufbaumaßnahmen und die Bereitstellung von umfangreichen Kontingenten an Wohncontainern sind inzwischen jedoch weit vorangeschritten. Zahlreiche Hilfsorganisationen, u.a. das Technische Hilfswerk, haben Baumaterialien zur Verfügung gestellt, die den Wiederaufbau beschleunigen (vgl. UNHCR v. 9.12.1999 an OVG Lüneburg; AA, Lageberichte v. 21.11.2000 u. 8.12.1999; Gesellschaft für bedrohte Völker, Bericht v. 17.8.1999 und Bericht v. 1.2.2000; SFH v. 8.12.1999 an VGH Mannheim; UNHCR v. 7.3.2000 an OVG Lüneburg). Inzwischen konnten nach Angaben von UNHCR und UNMIK ca. 17.000 Häuser repariert werden (AA, Lagebericht v. 21.11.2000). Außerdem konnten schon vor Einbruch des Winters 1999/2000  etwa 400.000 Menschen winterfeste Räume zur Verfügung gestellt werden. Zusätzlich wurden temporäre Sammelunterkünfte bereitgestellt (UNHCR, Lagebericht v. September 2000). Daher haben die im Jahr 2000 in den Kosovo zurückgekehrten Personen bis auf wenige Ausnahmen Unterkunft finden können (UNHCR, Lagebericht v. September 2000; UNMIK, Positionspapier zur Rückkehr v. Oktober 2000). Inzwischen werden längerfristig angelegte Programme zum Wiederaufbau von Wohnraum von der Abteilung für Wiederaufbau der UNMIK, der JIAS, und Entwicklungshilfeorganisationen durchgeführt und koordiniert. Abteilungen der JIAS haben auch die Bereitstellung von Notunterkünften, die Bedürftigen zur Verfügung stehen, übernommen (UNHCR, Lagebericht v. September 2000). Die Einschätzung, dass im Kosovo trotz der großen Zahl der Rückkehrer und der mittlerweile weitgehend erschöpften Unterbringungskapazitäten (UNHCR, Lagebericht v. September 2000; UNMIK, Positionspapier zur Rückkehr v. Oktober 2000; SFH v. 5.9.2000 an VG Frankfurt) eine Wohnraumsicherung gewährleistet werden kann, teilen der VGH Bad.-Württ. (Urt. v. 17.3.2000 u. Beschl. v 26.5.2000, a.a.O.), der 12. Senat des Nds. OVG (Urt. v. 24.2.2000, a.a.O.) und der VGH Kassel (Urt. v. 15.2.2000, a.a.O.).

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Im Kosovo ist die Versorgung mit Lebensmitteln und sonstigen Bedarfsgütern ebenfalls gewährleistet. Alle Nahrungsmittel sind in den Lebensmittelgeschäften wieder verfügbar. Auf den Märkten werden Obst, Gemüse, Plastikwaren, Installationsbedarf und Baumaterialien angeboten. Zusätzliche Nahrungsmittellieferungen erfolgen durch die humanitären Organisationen, die aus dem Ausland zahlreiche Unterstützung erhalten. Zusätzliche Verteilungsorganisationen wie etwa die Organisation "Mutter Theresa" und die orthodoxe Kirche haben dazu beigetragen, dass eine ausreichende Versorgung der im Kosovo lebenden Bevölkerung mit den notwendigen Nahrungsmitteln gesichert ist (AA, Lageberichte v. 21.11.2000 u. 18.5.2000; UNHCR v. 2.12.1999 an OVG Lüneburg; Bericht der UNMIK "Die UN im Kosovo"; SFH v. 8.12.1999 an VGH Mannheim; Gesellschaft für bedrohte Völker v. 1.2.2000; UNHCR v. 7.3.2000). Die Gesundheits- und Sozialbehörde der UN-Verwaltung für den Kosovo hat zudem mit dem Aufbau eines Sozial( hilfe )systems begonnen, das seit Juni 2000 vorerst von Familien, die kein arbeitsfähiges Mitglied und keine anderen Einkunftsquellen haben, in Anspruch genommen werden kann (UNHCR, Lagebericht v. September 2000). Nach dem teilweisen Rückzug der internationalen Hilfsorganisationen aus der Nahrungsmittelhilfe erfolgt diese inzwischen auch über die Sozialfürsorge (UNHCR, Lagebericht v. September 2000; UNHCR, Aufbau eines Sozial( hilfe )systems, September 2000; UNHCR v. 6.11.2000 an VG Schleswig u. VG Regensburg).

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Albanischen Volkszugehörigen drohen auch keine sonstigen Nachteile und Gefahren bei einer Rückkehr in den Kosovo, die sie in eine ausweglose Lage bringen könnten. Dies gilt insbesondere für die Minengefährdung als Folge des Kosovo-Krieges. Ursprünglich waren 3.500 Gebiete als minengefährdet bezeichnet worden - insbesondere im Westen des Kosovo (SFH v. 8.12.1999 an VGH Mannheim). Seit August 1999 sind die Unfälle mit Minen und aufgrund ausgelöster Kampfmittel jedoch zurückgegangen. Inzwischen gibt es zahlreiche Minenräumprogramme, die der Sicherung von Gebäuden und Schulen sowie der Freiräumung von Einrichtungen der Stromversorgung dienen (SFH v. 8.12.1999 an VGH Mannheim; AA, Lagebericht v. 8.12.1999; UNHCR v. 9.12.1999 an VGH Mannheim; AA v. 18.10.1999 an VG München). An diesen Programmen wirken 16 Organisationen mit (AA, Lagebericht v.21.11.2000). Darüber hinaus gibt es seit Sommer 1999 mehrere Informationsprogramme im ganzen Kosovo zur Minengefahr, so dass die Schweizerische Flüchtlingshilfe den Rückgang von Unfällen auch darauf zurückführt, dass die Bevölkerung durch diese Programme ausreichend in Kenntnis gesetzt worden ist. Bei Beachtung dieser Hinweise erscheint die Gefährdung hinreichend beherrschbar (SFH v. 8.12.1999, a.a.O.; vgl. ferner VGH Bad.-Württ., Urt. v. 17.3.2000, a.a.O.; OVG Münster, Urt. v. 5.5.2000, a.a.O.), zumal die wichtigsten Räumaufgaben inzwischen abgeschlossen sein sollen und eine vollständige Räumung nach Einschätzung von Experten innerhalb von zwei Jahren erfolgen kann (AA, Lageberichte v. 21.11.2000 u. 18.5.2000).

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Ferner hat sich die im Jahr 1999 teilweise festzustellende Gewaltbereitschaft im Kosovo inzwischen erheblich reduziert. Dies beruht einerseits auf dem Einsatz der KFOR-Streitkräfte, die mittlerweile über mehr als 40.000 Soldaten verfügen, und andererseits auf der Tätigkeit zusätzlicher Polizeikräfte aus dem Ausland. Inzwischen besteht eine internationale Polizeitruppe, die eine Vielzahl von Stationen und Unterstationen im Kosovo errichtet hat. Von den benötigten 4.700 Vollzugskräften sind knapp 4.000 vor Ort. Außerdem ist mit dem Aufbau einer lokalen multi-ethnischen Polizei begonnen worden; im August 2000 hatten bereits 1.681 Männer und Frauen die Ausbildung abgeschlossen, in der Ausbildung befinden sich weitere ca. 560 angehende Polizisten. Der Aufbau des Justizsystems geht ebenfalls voran; bislang wurden ca. 400  Richter und Staatsanwälte aus allen ethnischen Gruppen ernannt. Vor diesem Hintergrund besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für den Kläger, Opfer von Gewalttätigkeiten im Kosovo zu werden. Zwar können die KFOR-Truppen und die Polizei Zusammenstöße zwischen Serben und Albanern nicht überall im Kosovo vollständig verhindern. Albanische Volkszugehörige müssen sich aber nicht an den entsprechenden Brennpunkten den dort vorhandenen Gefahren aussetzen, sondern können sich ihnen in zumutbarer Weise entziehen (vgl. u.a.: AA, Lageberichte v. 21.11.2000 u. 8.12.1999; SFH v. 20.11.1999; Süddeutsche Zeitung v. 23.3.2000; Frankfurter Rundschau v. 15.3.2000; Die Welt v. 24.3.2000; Neue Zürcher Zeitung v. 12.9.2000; dpa v. 22.11.2000).

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Albanischen Volkszugehörigen, die in den Kosovo zurückkehren, drohen auch nicht gesundheitliche Risiken  und Gefahren, die nicht beherrschbar wären und sie in eine existenzielle Notlage bringen könnten. Der Gesundheitssektor ist durch den Kosovo-Krieg im Sommer 1999 zwar erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden. Inzwischen aber haben die medizinischen Versorgungseinrichtungen im Kosovo in den meisten Orten das Vorkriegsniveau erreicht. Zahlreiche albanische Ärzte sind in die Kliniken und in die Praxen zurückgekehrt. Außerdem bemühen sich die internationalen Hilfsorganisationen um die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung. Alle Kliniken sind inzwischen wieder in Betrieb. Das  internationale Rote Kreuz stellt  den regionalen Hospitälern in Djakovica, Gyjilane, Mitrovica, Pec, Prishtina und Prizren im Rahmen eines Hilfsprogramms die technische Grundausstattung zur Verfügung. Die Versorgung mit Medikamenten, die in der Universitätsklinik in Prishtina am besten ist, lässt allerdings noch zu wünschen übrig. Die internationale Gemeinschaft kann aber in der Regel jedes Medikament beschaffen, wenn es die Finanzlage zulässt. Notfallpatienten werden außerdem in den medizinischen Einrichtungen der KFOR, die vorrangig der Truppe zur Verfügung stehen, behandelt. Für Patienten, die mangels unzureichender Ausstattung oder Kapazitäten weder in den Krankenhäusern noch in den Feldhospitälern der KFOR-Truppen behandelt werden können, besteht die Möglichkeit zur Evakuierung. Die medizinische Infrastruktur im ländlichen Raum wurde ebenfalls verbessert. Die medizinische Grundversorgung und die Versorgung in akuten Notfällen ist daher für jedermann grundsätzlich gewährleistet, wenngleich die Situation weiterhin als kritisch einzustufen ist, was die Versorgung mit Medikamenten, medizinischen Apparaturen und qualifiziertem Personal sowie die Behandlungsmöglichkeiten bestimmter akuter oder chronischer Krankheiten angeht (AA, Lageberichte v. 21.11.2000, 18.5.2000 u. 8.12.1999; AA v. 15.2.2000 an VG Sigmaringen; SFH v. 20.11.1999 u. 5.9.2000; Berichte des Büros des zivilen Koordinators für Kosovo v. 27.10.1999, 18.12.1999 u. 29.1.2000; UNHCR v. 7.3.2000 u. 11.10.2000 an VG Schleswig; SFH v. 30.3.2000).

31

Die Kläger können sich aber auch dann, wenn sie Roma sein sollten, nicht mit Erfolg auf das Bestehen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG berufen, weil das Erkenntnismaterial keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine extreme allgemeine Gefahrenlage für die Volksgruppe der Roma bietet.

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Wie schon dargelegt kann dem einzelnen Ausländer wegen allgemeiner Gefahren in seinem Heimatland Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nur gewährt werden, wenn die oberste Landesbehörde von der Ermächtigung in § 54 AuslG, einen generellen Abschiebestopp zu verfügen, keinen Gebrauch gemacht hat, obwohl eine extreme allgemeine Gefahrenlage vorliegt, in der jeder einzelne Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wäre (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995, a.a.O.). Eine derartige Situation ist bezüglich der Roma und Aschkali jedoch nicht gegeben. Zwar hat die oberste Landesbehörde für diesen Personenkreis keinen generellen Abschiebestopp angeordnet, weil es sich bei dem Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 13. Juni 2001, demzufolge Abschiebungen von Angehörigen ethnischer Minderheiten aus dem Kosovo aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und die Duldungen für diesen Personenkreis für sechs Monate zu erneuern sind, nicht um eine Anordnung i.S.d. § 54 AuslG handelt. Nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial kann aber trotz der Übergriffe auf  Roma und Aschkali im Kosovo nicht angenommen werden, dass jeder Angehörige dieser Volksgruppe bei einer Abschiebung in den Kosovo gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde.

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Die Bevölkerungsgruppe der Roma, zu der die Romani sprechenden ethnischen Roma, die albanisch sprechenden ashkaelischen Roma und die ebenfalls albanisch sprechenden sogenannten "Ägypter", die von der albanischen Bevölkerung den Roma zugerechnet werden, gehören (AA, Lagebericht v. 21.11.2000), war nach der Rückkehr der vor der ethnischen Vertreibung durch die Serben in die Nachbarländer geflohenen albanischen Bevölkerung in den Kosovo massiven gewalttätigen Übergriffen von Zivilisten ausgesetzt (AA, Lageberichte v. 21.11.2000 u. v. 8.12.1999; UNHCR v. 1.3.2000 an VG Karlsruhe; SFH v. 25.1.2000 an VG Schleswig; GfbV v. 10.4.2000 an VG Köln; Frankfurter Rundschau v. 11.11.2000). Die Tatsache, dass ein Teil der Roma die Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo unterstützt hat und einzelne Roma an Greueltaten beteiligt waren, wurde von einem Teil der albanischen Bevölkerung ungeachtet der unterschiedlichen Loyalitäten und sprachlichen sowie religiösen Traditionen undifferenziert auf alle Roma-Gruppierungen übertragen. Diese Übergriffe wie Überfälle mit teilweise tödlichem Ausgang, Entführungen, Vergewaltigungen, Bedrohungen, Sachbeschädigungen, Plünderungen und Brandstiftungen erreichten im Spätsommer/Herbst 1999 ihren Höhepunkt, ereignen sich aber auch heute noch, wenngleich sie zahlenmäßig deutlich zurückgegangen sind. Dass weniger Übergriffe stattfinden, ist aber nicht nur auf eine Verbesserung der Sicherheitslage, sondern auch darauf zurückzuführen, dass viele Angehörige dieser Minderheiten unter dem Einfluss des Geschehens außerhalb des Kosovo Zuflucht gesucht haben. Nach Einschätzung der Hochkommissarin für Menschenrechte sollen mehr als die Hälfte der Roma und Aschkali seit Mitte Juni 1999 den Kosovo verlassen haben. Die Gesellschaft für bedrohte Völker geht sogar davon aus, dass mittlerweile mehr als drei Viertel der Roma und Aschkali den Kosovo verlassen haben oder vertrieben wurden (zu Vorstehendem: UNHCR v. 1.3.2000 u. 20.4.2000 an VG Karlsruhe; v. 27.10.2000 an OVG Lüneburg; Lagebericht v. September 2000; GfbV v. 5.4.2000 an VG Karlsruhe u. v. 10.4.2000 an VG Köln; SFH v. 25.1.2000 an VG Schleswig; AA, Lageberichte v. 21.11.2000 u. 8.12.1999; AA v. 28.10.1999 an VG Düsseldorf; Frankfurter Rundschau v. 11.11.2000; v. Holtey, Bericht zur Reise v. 28.5. - 1.6.2000). Obwohl sich die Sicherheitslage nach der Etablierung der internationalen Präsenz verbessert hat,  ist auch gegenwärtig davon auszugehen, dass Roma und Aschkali insbesondere außerhalb ihrer Siedlungen Opfer spontaner feindseliger Attacken albanischer Zivilisten, die sie aufgrund ihres Aussehens als Roma bzw. Aschkali erkennen, oder Opfer gezielter Übergriffe extremistischer Kräfte werden können, was einen weiteren Rückzug der Roma und Aschkali in monoethnische Enklaven zur Folge hat, in denen die Sicherheitslage besser ist. Aber auch dort kann die Sicherheit der Roma und Aschkali trotz der Bemühungen von KFOR-Truppen und UNMIK nicht immer zuverlässig gewährleistet werden, so dass die Situation weiterhin als besorgniserregend bezeichnet wird (zu Vorstehendem: UNHCR v. 20.12.2000 an VG Ansbach; UNHCR v.  4.10.2000 an OVG Lüneburg; UNHCR, Lagebericht v. September 2000; SFH v. 25.1.2000 an VG Schleswig; GfbV v. Juli 2000 u. v. 10.4.2000 an VG Köln; Frankfurter Rundschau v. 11.11.2000; v. Holtey, Bericht zur Reise v. 28.5. - 1.6.2000).

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Nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial kann gleichwohl nicht angenommen werden, dass jeder Angehörige dieser Volksgruppe bei einer Abschiebung in den Kosovo gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde. Dem steht entgegen, dass UNMIK und KFOR nicht nur durchweg bereit, sondern in weiten Bereichen auch in der Lage sind, den Roma und Aschkali Schutz zu gewähren. Die KFOR sichert - wie bereits erwähnt - Siedlungen der Roma und Aschkali. Sie kontrolliert auch Zufahrtsstraßen und eskortiert Bustransporte sowie Konvois privater Fahrzeuge, die es Angehörigen der Minderheit ermöglichen, ihre Enklaven zu verlassen, um Märkte oder Gesundheitseinrichtungen aufzusuchen. Außerdem reagiert die KFOR mit verschärften Sicherheitsvorkehrungen und verstärkten Patrouillen, wenn es zu Anschlägen auf Roma und Aschkali kommt. Dies hat dazu geführt, dass Übergriffe auf Angehörige dieser Volksgruppe in den Gebieten, in denen eine erhöhte KFOR-Präsenz besteht, deutlich vermindert werden konnten, wenngleich die Sicherheit für Roma und Aschkali selbst in ethnischen Enklaven nicht immer zuverlässig gewährleistet ist (AA, Lageberichte v. 21.11.2000 u. 8.12.1999; AA v. 28.10.1999 an VG Düsseldorf; GfbV v. 10.4.2000 an VG Köln; UNHCR/OSZE, Zur Situation ethnischer Minderheiten (Februar bis Mai 2000)). Die UNMIK bemüht sich außerdem darum, die Sicherheit und Bewegungsfreiheit nicht-albanischer Minderheiten zu verbessern. Eine ad-hoc-Arbeitsgruppe veranlasst dazu konkrete Maßnahmen, zu denen die Umsiedlung gefährdeter Personen an sichere Orte im Kosovo und die Beobachtung der Situation von Rückkehrern gehören. Sie führt auch längerfristige vertrauensbildende Maßnahmen mit dem Ziel durch, ein Umfeld zu schaffen, das die Rückkehr der Angehörigen nicht-albanischer Gruppen begünstigt (UNHCR, Lagebericht v. September 2000). UNMIK, UNHCR und OSZE, deren Maßnahmen zum Schutz der Minderheiten in einer "Task-force"  koordiniert werden, üben zudem Druck auf albanische Führer aus, damit diese Schikanen und Gewalt verhindern (UNHCR v. 9.12.1999 an VGH Mannheim; AA, Lagebericht v. 21.11.2000). Schließlich ist die Sicherheitslage im Kosovo auch nicht einheitlich zu beurteilen. Vielmehr bietet sich für die Roma und Aschkali ein von Ort zu Ort unterschiedliches Bild. So gibt es Orte, in denen die Haltung der Albaner gegenüber Roma und Aschkali weniger feindselig ist; teilweise lebt die albanische Bevölkerungsmehrheit mit den Roma und Aschkali sogar relativ friedlich zusammen. In den Orten, in denen KFOR-Einheiten präsent sind, ist die Sicherheitslage zudem deutlich besser (GfbV v. 10.4.2000 an VG Köln; AA v. 28.10.1999 an VG Düsseldorf; UNHCR v. 20.4.2000 an VG Karlsruhe; UNHCR v. 27.10.2000 an OVG Lüneburg; UNHCR/OSZE, Einschätzung der Situation ethnischer Minderheiten (Juni bis September 2000); Die Tageszeitung v. 10.5.2000). Folglich gibt es im Kosovo Gebiete, in denen Roma und Aschkali vor Übergriffen ethnischer Albaner relativ sicher sind. Daher lässt sich - obwohl die Sicherheitslage trotz der durch die KFOR- und UNMIK-Präsenz erreichten Verbesserungen nach wie vor angespannt ist - nicht feststellen, dass Roma und Aschkali bei einer Abschiebung in den Kosovo eine extreme allgemeine Gefahrenlage erwartet, die jeden Einzelnen von ihnen gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde.

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Das neueste Erkenntnismaterial rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Bericht des UNHCR und der OSZE zur "Beurteilung der Situation ethnischer Minderheiten im Kosovo" vom 26. März 2001 zeigt zwar zahlreiche Übergriffe auf Angehörige von Minderheiten und ihr Eigentum zwischen Oktober 2000 und Februar 2001 auf und gelangt zu der Einschätzung, dass es zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage im Berichtszeitraum gekommen sei. Der UNHCR weist auch in seiner Auskunft vom 20. April 2001 an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht darauf hin, dass die Sicherheit ethnischer Minderheiten im Kosovo weiterhin ernsthaft bedroht sei. Daraus ergibt sich aber ebenfalls nicht, dass jeder Roma oder Aschkali im Kosovo gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wäre. UNHCR und OSZE weisen vielmehr darauf hin, dass die ständige und nicht nachlassende Schikanierung der Minderheiten deren Gefühl von Sicherheit und Wohlbefinden beeinträchtigt und sie dazu bewegt, ihre Zukunft im Kosovo in Frage zu stellen. Außerdem ist nach Darstellung des Auswärtigen Amtes (AA v. 8.5.2001 an Nds. OVG) die Anzahl der schweren Anschläge gegen Roma im Verhältnis zur Gesamtzahl der Roma gering. Das Auswärtige Amt betont, dass von einer flächendeckenden Bedrohung daher nicht gesprochen werden könne, und hebt hervor, dass in den Enklaven und Siedlungsbezirken der Roma unter dem Schutz der KFOR und UNMIK-Polizei generell die Sicherheit gegeben sei, die landesweit unter den angespannten politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen jedem im Kosovo zugute komme. Nach der genannten Auskunft des Auswärtigen Amtes ist zudem zwischen "albanischen" und "nicht-albanischen" Roma zu unterscheiden. Die albanisch sprechenden "albanischen" Roma würden von den ethnischen Albanern als eine Art Albaner "zweiter Klasse" angesehen, letztlich aber als die ihren betrachtet. Das gelte insbesondere für den heutigen Hauptsiedlungsraum Prizren, in dem ca. 4.500 Roma, u.a. der gewählte Führer der albanischen Roma, lebten. Auch dies steht der Annahme entgegen, dass jeder albanisch sprechende Roma bei einer Rückkehr in den Kosovo gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde.

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Eine im Rahmen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu berücksichtigende extreme allgemeine Gefahrenlage ergibt sich auch nicht aus der wirtschaftlichen Situation der Roma und Aschkali im Kosovo. Obwohl die vorhandenen Versorgungseinrichtungen grundsätzlich allen Bewohnern des Kosovo unabhängig von ihrer Volkszugehörigkeit offen stehen (UNHCR v. 6.11.2000 an VG Schleswig), ist die Versorgung mit Lebensmitteln für Roma und Aschkali, die sich im Kosovo nicht ungehindert bewegen können, problematischer als für albanische Volkszugehörige. Angehörige der Roma und Aschkali sind daher in großem Maße auf Nahrungsmittelhilfe und humanitäre Unterstützung angewiesen.  Diese Hilfe leisten insbesondere internationale humanitäre Organisationen, wenngleich sie die Betroffenen nicht immer erreicht oder ausreichend ist. Die humanitären Organisationen erbringen auch andere Hilfen für die Minderheiten, die in Enklaven leben. Außerdem unterstützt der UNHCR den Betrieb geschützter Buslinien, um die Bewegungsfreiheit der Roma und Aschkali zu verbessern und ihnen auch den Zugang zu Lebensmittelmärkten und anderen Einrichtungen der Grundversorgung zu ermöglichen (zu Vorstehendem: GfbV v. 1.2.2000 an VG Karlsruhe; GfbV v. Juli 2000; UNHCR v. 4.10.2000 an VG Kassel; UNHCR, Lagebericht v. September 2000; UNHCR v. 1.3.2000 an VG Karlsruhe; UNHCR/OSZE, Zur Situation ethnischer Minderheiten (Februar bis Mai 2000)).

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Die medizinische Versorgung Angehöriger ethnischer Minderheiten wie der Roma und Aschkali bereitet ebenfalls erhebliche Schwierigkeiten. So ist die für die ethnische Mehrheit verfügbare spezifische medizinische Versorgung ethnischen Minderheiten nicht zugänglich. Da sie sich im Kosovo in der Regel nicht frei bewegen können, wird ihnen auch der Zugang zu öffentlichen Einrichtungen der Gesundheitsvorsorge beschnitten. Angehörige der Minderheiten fürchten sich zudem, trotz Sicherheitseskorte Spitäler aufzusuchen, zumal gerade Roma mit Diskriminierungen durch das Krankenhauspersonal rechnen müssen. Eine Basisversorgung ist in den meisten Fällen jedoch gewährleistet, zumal die medizinische Infrastruktur im ländlichen Raum verbessert worden ist und Roma und Aschkali durchweg von serbischen Ärzten behandelt werden. Die problematische Situation wird außerdem durch besondere medizinische Einrichtungen für Minderheiten aufgefangen, die insbesondere die internationalen Organisationen und die KFOR zur Verfügung stellen (UNHCR/OSZE, Zur Situation ethnischer Minderheiten (Februar bis Mai 2000); UNHC/OSZE, Einschätzung der Situation ethnischer Minderheiten (Juni bis September 2000); UNHCR v. 4.10.2000 an OVG Lüneburg; UNHCR, Lagebericht v. September 2000; SFH v. August 2000; GfbV v. Juli 2000). Da demnach zumindest die medizinische Grundversorgung in den meisten Fällen gesichert ist (UNHCR/OSZE, Update zur Situation der ethnischen Minderheiten Juni 2000, Annex 2 zu SFH v. August 2000), lässt sich eine extreme allgemeine Gefahrenlage auch insoweit nicht feststellen.

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Eine Gesamtschau des Erkenntnismaterials führt daher zu dem Ergebnis, dass eine extreme allgemeine Gefahrenlage, die bei verfassungskonformer Auslegung und Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG im Rahmen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu berücksichtigen wäre, im Kosovo auch für Roma und Aschkali nicht besteht (ebenso Nds. OVG, Beschl. v. 30.3.2000, a.a.O.; Beschl. v. 7.2.2001 - 12 LA 631/01 -).

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Selbst wenn dies anders wäre, wäre die Beklagte nicht zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich der Bundesrepublik Jugoslawien vorliegt, weil Schutz vor der Durchführung einer Abschiebung in verfassungskonformer Auslegung des § 53 Abs. 6 AuslG nur dann zu gewähren ist, wenn dies - was vorliegend nicht der Fall ist - zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke erforderlich ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 12. Juli 2001 (1 C 2.01) dazu Folgendes ausgeführt:

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"Geboten ist die verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG auf jeden Fall dann, wenn der einzelne Asylbewerber sonst gänzlich schutzlos bliebe, d.h. wenn seine Abschiebung in den gefährlichen Zielstaat ohne Eingreifen des Bundesamts oder der Verwaltungsgerichte tatsächlich vollzogen würde. Mit Rücksicht auf das gesetzliche Schutzkonzept ist sie aber auch dann zulässig, wenn der Abschiebung zwar anderweitige - nicht unter § 53 Abs. 1, 2, 4 oder 6 Satz 1 oder § 54 AuslG fallende - Hindernisse entgegenstehen, diese aber keinen gleichwertigen Schutz bieten. Gleichwertig ist der anderweitige Schutz nur, wenn er dem entspricht, den der Ausländer bei Vorliegen eines Erlasses nach § 54 AuslG hätte oder den er bei Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erreichen könnte. Wird ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG festgestellt, ist die Abschiebung in den betreffenden Staat - ohne Aufhebung der Androhung und der Ausreisepflicht - in widerruflicher Weise für die Dauer von zunächst drei Monaten ausgesetzt (§ 41 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG); nach Ablauf der drei Monate entscheidet die Ausländerbehörde - unter Beachtung der Bindungswirkung der Entscheidung zu § 53 Abs. 6 AuslG nach § 42 AsylVfG - über die Erteilung einer Duldung (§ 41 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG). Ist der Asylbewerber anderweitig in einer Form vor Abschiebung geschützt, die diesem Schutz (oder dem durch einen Erlass nach § 54 AuslG) entspricht, so bedarf er nicht des zusätzlichen Schutzes durch verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG ...... Daraus folgt zunächst, dass ebenso wie bei einem Erlass nach § 54 AuslG, der nicht auf die Gewährung von verfassungsrechtlich gebotenem humanitärem Abschiebungsschutz beschränkt ist, auch jede andere ausländerrechtliche Erlasslage die Durchbrechung der Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG hindert, weil und sofern sie dem einzelnen Ausländer einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt. Ebenso wie bei § 54 AuslG kommt es ausschließlich darauf an, ob der Erlass im maßgeblichen Zeitpunkt besteht und anwendbar ist. ..... Dagegen setzt die Zuerkennung von Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG stets sowohl das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage als auch das Nichtbestehen von anderweitigem Abschiebungsschutz aufgrund eines Erlasses voraus".

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Davon ausgehend hätten die Kläger selbst dann keinen Anspruch auf die Feststellung des Bestehens eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, wenn eine extreme allgemeine Gefahrenlage für die Volksgruppe der Roma und Aschkali bestünde und die Kläger tatsächlich Roma wären. Nach dem in Niedersachsen derzeit geltenden Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 13. Juni 2001 (45.22-12235/12-38-3) ist die Abschiebung von Angehörigen ethnischer Minderheiten aus dem Kosovo aus tatsächlichen Gründen unmöglich. Der Erlass bestimmt daher, dass die diesem Personenkreis erteilten Duldungen grundsätzlich für sechs Monate zu erneuern sind. Damit vermittelt dieser Erlass Angehörigen der Volksgruppe der Roma und Aschkali einen Abschiebungsschutz, der in seiner Wirksamkeit nicht hinter dem zurücksteht, den Roma und Aschkali bei Bestehen eines auf § 54 AuslG gestützten Abschiebstopp-Erlasses erhielten. Da dieser Erlass auch auf die Kläger - sollte sie Roma sein - anwendbar wäre, kann den Klägern kein Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Auslegung des § 53 Abs. 6 AuslG gewährt werden.

42

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG.

43

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

44

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Fälle des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.