Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.08.2017, Az.: 5 LA 29/17
Rechtsstreit um die Anrechnung einer Rente auf einen gewährten Unterhaltsbeitrag; Verfassungsmäßigkeit der Anrechnung der Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen auf den Unterhaltsbeitrag sogenannter "nachgeheirateter" Ehepartner i.S.d. § 26 Abs. 1 S. 2 NBeamtVG
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 16.08.2017
- Aktenzeichen
- 5 LA 29/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 49484
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2017:0816.5LA29.17.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Braunschweig - 20.12.2016 - AZ: 7 A 394/15
Rechtsgrundlagen
- § 22 Abs. 1 BeamtVG
- Art. 3 GG
- Art. 33 Abs. 5 GG
- Art. 6 Abs. 1 GG
- § 23 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BeamtVG ND 2013
- § 26 Abs. 1 BeamtVG ND 2013
Amtlicher Leitsatz
Gegen die Regelung des § 26 Abs. 1 Satz 2 NBeamtVG, wonach Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen in angemessenem Umfang auf den Unterhaltsbeitrag sogenannter "nachgeheirateter" Ehepartner anzurechnen sind, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 7. Kammer (Einzelrichter) - vom 20. Dezember 2016 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 17.511,12 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die 1941 geborene Klägerin wendet sich gegen die Anrechnung ihrer Rente auf einen ihr gewährten Unterhaltsbeitrag.
Sie heiratete im Juni 2012 den im Jahr 1920 geborenen Ruhestandsbeamten Dr. C. D., der zum E. 1983 in den Ruhestand versetzt worden war und im April 2015 verstarb.
Mit Bescheid vom 22. Juli 2015 setzte die Funktionsvorgängerin des Beklagten, die Oberfinanzdirektion Niedersachsen, für die Klägerin einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 228,86 EUR fest. Sie ging hierbei von einem Unterhaltsbeitrag in Höhe von 945,20 EUR vor der Anrechnung eigenen Einkommens aus. Die Rentenbezüge der Klägerin in Höhe von 996,53 EUR berücksichtigte sie gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 NBeamtVG in der Weise, dass sie einen Betrag in Höhe von 30 Prozent der Mindestwitwenversorgung von monatlich 933,95 EUR (= 280,19 EUR) anrechnungsfrei ließ und das verbleibende Einkommen (= 716,34 EUR) auf den Unterhaltsbeitrag (945,20 EUR) anrechnete.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Oberfinanzdirektion Niedersachsen mit Widerspruchsbescheid vom F. 2015 zurück.
Die Klägerin hat am 19. November 2015 Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 20. Dezember 2016 das Klageverfahren eingestellt, soweit die Klage ursprünglich auch darauf gerichtet war, den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin einen Unterhaltsbeitrag auch ohne Anrechnung ihrer Betriebsrente zu gewähren. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.
Hiergegen richtet sich der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig angesehen, soweit die Klägerin beantragt hat, den Beklagten zu verurteilen, ihr Verzugszinsen ab dem 1. Oktober 2015 zu zahlen sowie "die anfallende Steuerdifferenz von der Splitting-Tabelle zur Steuerklasse I" zu erstatten. Hiergegen erhebt die Klägerin mit ihrem Zulassungsvorbringen keine Einwände.
Das Verwaltungsgericht hat weiter festgestellt, dass der Klägerin ein Anspruch auf einen höheren Unterhaltsbeitrag nicht zustehe und die Festsetzung des Unterhaltsbeitrags unter Anrechnung der Rentenbezüge der Klägerin bei der Deutschen Rentenversicherung rechtmäßig sei. Dies ergebe sich aus § 26 Abs. 1 Satz 2 NBeamtVG, wonach bei der Berechnung der Höhe des Unterhaltsbeitrags Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen in angemessenem Umfang anzurechnen seien.
Diese Feststellung des Verwaltungsgerichts ist auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens nicht zu beanstanden.
Nach § 26 Abs. 1 NBeamtVG ist in den Fällen des § 23 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NBeamtVG sowie des § 23 Abs. 2 NBeamtVG in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NBeamtVG ein Unterhaltsbeitrag in Höhe des Witwen- oder Witwergeldes zu gewähren, soweit die besonderen Umstände des Falles keine volle oder teilweise Versagung rechtfertigen. Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen sind in angemessenem Umfang anzurechnen. Wird ein Erwerbsersatzeinkommen nicht beantragt, auf ein Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen verzichtet oder an deren Stelle eine Kapitalleistung, Abfindung oder Beitragserstattung gezahlt, so ist der Betrag zu berücksichtigen, der ansonsten zu zahlen wäre. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NBeamtVG erhält die Witwe eines Ruhestandsbeamten kein Witwengeld, wenn die Ehe erst nach dem Eintritt oder der Versetzung des Beamten in den Ruhestand geschlossen worden ist und der Ruhestandsbeamte zur Zeit der Eheschließung die Altersgrenze nach § 35 Abs. 2 NBG bereits erreicht hatte.
Gegen die Vorschrift des § 26 Abs. 1 Satz 2 NBeamtVG bestehen entgegen der Ansicht der Klägerin keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
a) Insbesondere greift der Vortrag der Klägerin, diese Regelung verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil sie, die Klägerin, die als Witwe einen Unterhaltsbeitrag erhalte, erheblich schlechter gestellt werde als eine Witwe, der Witwengeld gewährt werde, nicht durch.
Art. 3 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten verschieden behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine diese Ungleichbehandlung rechtfertigenden Unterschiede bestehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1.3.2010 - 1 BvR 2584/06 -, juris Rn. 10).
Dies ist hier nicht der Fall. Zweck der Hinterbliebenenversorgung ist der Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten und des dadurch bedingten Wegfalls seines Einkommens nicht mehr gezahlt werden kann. Damit soll die Versorgung insbesondere demjenigen Ehegatten, der während einer längeren Zeitspanne - gegebenenfalls unter Verzicht auf den Erwerb eigenen Einkommens und originär eigener Versorgungsansprüche - die Arbeit des anderen Ehegatten mitgetragen hat, zugute kommen. Eine Regelung, die die Gewährung von Hinterbliebenenrente dem Grunde oder der Höhe nach davon abhängig macht, ob und in welchem Umfang der Wegfall von Unterhaltsleistungen kompensiert werden muss, kann sich daher auf einen legitimen, im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG hinreichenden Differenzierungsgrund berufen. Entsprechend hat das Bundesverfassungsgericht gebilligt, dass die Höhe der Hinterbliebenenrente von der Dauer der Ehe abhängig gemacht wird oder von dem Ausmaß, in dem das Erwerbseinkommen des Versicherten oder seine Versichertenrente Grundlage des gemeinsamen Lebensbedarfs war. Dabei ist der Normgeber befugt, die möglichen Sachverhalte typisierend zu erfassen (BVerfG, Beschluss vom 1.3.2010, a. a. O., Rn. 13zum Ausschluss einer sog. nachgeheirateten Witwe von der Witwenrente eines ärztlichen Versorgungswerks).
Das Bundesverfassungsgericht hat weiter ausgeführt, dass der Grund für die Kompensation des Wegfalls des Unterhalts nach dem Tod des Beamten nicht nur dann entfällt oder sich verringert, wenn der überlebende Ehegatte selbst Erwerbseinkommen erzielt, sondern auch, wenn der Ehegatte bereits von der Erwerbstätigkeit des Versicherten nicht profitiert hat und auch nicht im Rahmen frei gewählter Aufgabenverteilung auf eigene Erwerbstätigkeit und den Erwerb eigener Versorgungsansprüche verzichtet hat. Dann besteht zwischen dem Fehlen eigener Versorgungsansprüche einerseits und dem Eheschluss andererseits kein kausaler Zusammenhang. So verhält es sich, wenn die Eheschließung erst nach Beendigung des Berufslebens des Versicherten erfolgt. Dies rechtfertigt es, den Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung davon abhängig zu machen, dass der Versicherte und der Hinterbliebene bereits während der Erwerbstätigkeit des Versicherten miteinander verheiratet gewesen sind (so BVerfG, Beschluss vom 1.3.2010, a. a. O., Rn. 14 m. w. N.).
Diese Ausführungen sind übertragbar auf die hier streitgegenständliche Regelung im Beamtenversorgungsrecht. Die Vorschrift des § 26 Abs. 1 NBeamtVG in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NBeamtVG knüpft typisierend an das Erwerbs- bzw. Erwerbsersatzeinkommen des Hinterbliebenen und an den Zeitpunkt der Eheschließung an. Dies ist im Hinblick auf den dargelegten Zweck der Hinterbliebenenversorgung und den sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung von Hinterbliebenen, die einen Beamten nach seinem Eintritt in den Ruhestand in höherem Alter geheiratet haben, und solchen, die bereits während des aktiven Berufslebens mit diesem verheiratet waren, nicht zu beanstanden (siehe auch EGMR, Entscheidung vom 1.2.2005 - 73711/01 -, DÖD 2006, 22, 24 [OVG Thüringen 31.01.2005 - 2 EO 1170/03] zu §§ 19, 22 BeamtVG; vgl. BVerwG, Urteil vom 27.5.2009 - 8 CN 1.09 -, juris Rn. 19 zu einer Regelung in einem berufsständischen Versorgungswerk; vgl. auch GKÖD, Bd. I, Versorgungsrecht Teil 3b, § 19 Rn. 37).
Hiergegen wendet die Klägerin ohne Erfolg ein, die Ungleichbehandlung stehe im Widerspruch zu der gestiegenen Lebenserwartung. Die gestiegene Lebenserwartung der Bevölkerung führe dazu, dass auch Eheschließungen im höheren Alter als beispielsweise noch vor 50 Jahren und mehr Zweitehen geschlossen würden. Auch sogenannte Spätehen könnten unter Berücksichtigung der gestiegenen Lebenserwartung durchaus einige Jahre Bestand haben. Die derzeitige Regelung bedeute, dass - je nachdem ob die Ehe mit einem Beamten kurz vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze oder kurz danach geschlossen werde - ein Anspruch auf Witwengeld oder lediglich auf Zahlung eines Unterhaltsbeitrags bestehe.
Selbst wenn man annimmt, dass eine im Ruhestand des Beamten geschlossene Ehe heutzutage aufgrund der höheren Lebenserwartung länger dauern könnte, stünde dies nicht dem dargelegten Unterscheidungskriterium entgegen, nämlich dass davon ausgegangen wird, dass der überlebende Ehegatte einer sogenannten Frühehe anders als der einer Spätehe während einer längeren Zeitspanne gegebenenfalls unter Verzicht auf den Erwerb eigenen Einkommens und originär eigener Versorgungsansprüche - etwa wegen der Betreuung von Kindern - die Arbeit des anderen, im aktiven Berufsleben stehenden Ehegatten mitgetragen hat. Soweit die Klägerin meint, es sei nicht mehr zeitgemäß, auf dieses Kriterium abzustellen, hat sie dies nicht substantiiert erläutert. Ihr wiederholter Hinweis auf die höhere Lebenserwartung ist - wie dargelegt - nicht geeignet, den aufgezeigten sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung zu widerlegen (vgl. im Übrigen auch Bay. VGH, Beschluss vom 30.7.2015 - 14 ZB 14.1891 -, juris Rn. 6; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 5.7.2016 - 2 A 10463/16 -, juris Rn. 5).
b) Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG liegt ebenfalls nicht vor. Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Aus Art. 6 Abs. 1 GG kann jedoch kein Anspruch auf Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung hergeleitet werden, weil Art. 6 Abs. 1 GG den Staat nicht verpflichtet, jegliche die Ehe oder die Familie treffende Belastung auszugleichen. Vielmehr steht dem Staat Gestaltungsfreiheit bei der Gewährung von bestimmten staatlichen Leistungen zu (BVerwG, Urteil vom 27.5.2009 - 8 CN 1.09 -, juris Rn. 28 m. w. N.; vgl. auch GKÖD, a. a. O., § 19 Rn. 37 a. E.). § 26 Abs. 1 Satz 2 NBeamtVG verletzt daher nicht Art. 6 Abs. 1 GG.
c) Auch im Übrigen bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift des § 26 Abs. 1 Satz 2 NBeamtVG. Durch die Gewährung des Unterhaltsbeitrags an die nachgeheiratete Witwe soll gewährleistet sein, dass die ihr nach dem Tode des Versorgungsberechtigten für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung stehenden Mittel wirtschaftlich nicht hinter der Höhe der Versorgungsbezüge zurückbleiben, die ihr als Witwe mit Anspruch auf Witwengeld zuständen. Durch die - über die allgemeinen Anrechnungsregelungen hinausgehende - Anrechnung der Einkünfte wird der Nachrang des Unterhaltsbeitrags zum Ausdruck gebracht, der selber keine alimentationsrechtliche Versorgung ist und es gestattet, dass der Dienstherr seine Pflicht durch anderweite wirtschaftliche Sicherung als erfüllt ansieht. Der Unterhaltsbeitrag hat Auffüllungsfunktion und soll dem Ausgleich von Härten dienen, die sich daraus ergeben, dass das Gesetz in derartigen Fällen eine volle Witwenversorgung versagt.Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen hiergegen schon deshalb nicht, weil der Anspruch der nachgeheirateten Witwe nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG gehört (BVerwG, Urteil vom 24.10.1984 - BVerwG 6 C 148.81 -, juris Rn. 20 zu § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG).
2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO oder wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Die von der Klägerin aufgeworfene Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 26 NBeamtVG lässt sich anhand der oben unter Ziffer 1 dargelegten höchstrichterlichen Rechtsprechung eindeutig beantworten. Die Frage ist deshalb weder besonders rechtlich schwierig noch bedarf sie einer grundsätzlichen Klärung.
3. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts und ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Ziff. 10.4 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anh. § 164 Rn. 14) und in Verbindung mit der sogenannten Teilstatusrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.9.1999 - BVerwG 2 B 53.99 -, juris: zweifacher Jahresbetrag der Differenz zwischen dem innegehabten und dem erstrebten Teilstatus).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).