Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.08.2017, Az.: 7 OB 52/17

Aussetzung des Verfahrens; Vorgreiflichkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.08.2017
Aktenzeichen
7 OB 52/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 54151
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 08.06.2017 - AZ: 1 A 302/16

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Vorgreiflichkeit im Sinne des § 94 VwGO liegt nur dann vor, wenn die Entscheidung in einem anhängigen Verfahren kraft Gesetzes oder rechtslogisch von dem Bestehen oder Nichtbestehen des in dem anderen Verfahren anhängigen Rechtsverhältnisses abhängt. Um eine Vorgreiflichkeit handelt es sich nicht, wenn in dem anderen Verfahren nur über dieselbe oder vergleichbare Rechtsfrage, zum Beispiel die Auslegung einer Rechtsnorm, zu entscheiden ist.

Tenor:

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen - Berichterstatterin der 1. Kammer - vom 08. Juni 2017 aufgehoben.

Gründe

I.

Der Kläger hat vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 23. November 2016 erhoben, mit dem die Beklagte ihn zu den Kosten für die Beseitigung eines Tierkadavers herangezogen hat. Der Heranziehung lag zugrunde, dass der Kläger am 08. November 2013 auf der Bundesstraße B 247 zwischen Rollshausen und Gieboldehausen mit einem Kraftfahrzeug ein Wildtier (Waschbär) überfahren hatte, welches nach der Kollision - wohl - im Straßenseitenraum verendet war. Das den Unfall aufnehmende Polizeikommissariat Duderstadt hatte gegenüber der Straßenmeisterei Herzberg unter dem 08. November 2013 eine entsprechende Meldung über ein verendetes Wildtier abgegeben.

Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit mit Beschluss der Berichterstatterin vom 08. Juni 2017 ausgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Aussetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung des § 94 VwGO geboten sei. Der Kläger wende sich gegen die Inanspruchnahme für Kosten, die der Beklagten im Zusammenhang mit einem Wildunfall entstanden seien. Ein vergleichbarer Fall sei durch das Verwaltungsgericht Hannover mit Urteil vom 29. März 2017 zum Aktenzeichen 7 A 7748/16 entschieden worden. Das Verwaltungsgericht Hannover habe der Klage stattgegeben und die Berufung gegen das Urteil zugelassen. Die Beklagte habe von dem Rechtsmittel Gebrauch gemacht. Es sei zu erwarten, dass die weitere(n) Entscheidung(en) in jenem Verfahren für das vorliegende Klageverfahren vorgreiflich ist/sind. Solange in dem Verfahren des Verwaltungsgerichts Hannover keine rechtskräftige Entscheidung ergangen sei, werde voraussichtlich im vorliegenden Verfahren von dem unterliegenden Beteiligten eine Entscheidung des erkennenden Gerichts nicht akzeptiert und ebenfalls der weitere Weg zum Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht beschritten werden. Es sei deshalb ermessensgerecht, von der Aussetzungsbefugnis nach § 94 VwGO analog Gebrauch zu machen.

II.

Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts eingelegte Beschwerde des Klägers ist gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet, denn die Voraussetzungen für eine Aussetzung des erstinstanzlichen Klageverfahrens sind nicht gegeben.

Nach § 94 VwGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Vorgreiflichkeit im Sinne dieser Regelung liegt nur dann vor, wenn die Entscheidung in einem anhängigen Verfahren kraft Gesetzes oder rechtslogisch von dem Bestehen oder Nichtbestehen des in dem anderen Verfahren anhängigen Rechtsverhältnisses abhängt (Nds. OVG, Beschl. v. 22.07.2013 - 5 OB 146/13 -, juris, und Beschl. v. 20.05.2015 - 7 OB 18/15 -, juris). Um eine Vorgreiflichkeit handelt es sich nicht, wenn in dem anderen Verfahren nur über dieselbe oder eine vergleichbare Rechtsfrage, z. B. die Auslegung einer Rechtsnorm, zu entscheiden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.02.2009 - 2 A 7.06 -, NVwZ 2009, 787; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 28.10.2011 - OVG 1 L 85.11 -, NVwZ-RR 2012, 296 [OVG Nordrhein-Westfalen 17.10.2011 - 6 E 1013/11]; Stuhlfauth in Bader, VwGO, 6. Aufl., § 94 Rdnr. 5; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl., § 94 Rdnr. 4 a). So liegt es hier. In dem vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Berufungsverfahren gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 29. März 2017 (zum Aktenzeichen 7 LC 34/17 des Senats) stellt sich unter anderem die auch im vorliegenden Verfahren zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob Kosten für die vom Träger der Straßenbaulast veranlasste Beseitigung von Tierkadavern nach Wildunfällen im Straßenverkehr gegenüber den am Unfall beteiligten Verkehrsteilnehmern auf der Grundlage des § 7 Abs. 3 FStrG bzw. im Anwendungsbereich des Niedersächsischen Straßengesetzes gemäß § 17 NStrG erhoben werden können. Die Beurteilung dieser Frage steht einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts in dem bei ihm anhängigen Klageverfahren nicht entgegen. Eine kraft Gesetzes oder rechtslogisch bestehende Abhängigkeit von dem beim Senat anhängigen Berufungsverfahren besteht für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht.

Für eine analoge Anwendung des § 94 VwGO ist kein Raum. Eine Gesetzeslücke, die durch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift geschlossen werden könnte, liegt nicht vor (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 28.10.2011, a. a. O.; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Oktober 2016, § 94 Rdnr. 43). Sofern prozessökonomische Gründe dafür sprechen, zunächst den Ausgang des bezeichneten Berufungsverfahrens abzuwarten, steht dafür als prozessuales Mittel die Anordnung des Ruhens des Verfahrens auf Antrag der Beteiligten gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V .m. § 251 ZPO zur Verfügung. Dass die Anordnung hier daran gescheitert ist, dass der Kläger sie nicht beantragt, vielmehr dem Ruhensantrag der Beklagten ausdrücklich nicht zugestimmt hat, führt nicht dazu, dass nunmehr das Verfahren in analoger Anwendung des § 94 VwGO ausgesetzt werden kann.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG wäre eine Gerichtsgebühr nur im Falle einer Verwerfung oder Zurückweisung der Beschwerde zu erheben. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es daher ebenfalls nicht (vgl. Beschl. des Senats vom 20.05.2015, a. a. O.).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).