Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.08.2017, Az.: 8 ME 90/17

Härte; Rückwirkung; Wohnsitzbeschränkung; Wohnsitzverpflichtung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
02.08.2017
Aktenzeichen
8 ME 90/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 54110
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 15.06.2017 - AZ: 19 B 2501/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

In Rückwirkungsfällen ist eine zur Aufhebung der Wohnsitzverpflichtung gemäß § 12a Abs. 1 Satz 1 AufenthG führende Härte grundsätzlich gegeben, wenn der Betroffene nach der Flüchtlingsanerkennung oder Erteilung der Aufenthaltserlaubnis und vor dem 6. August 2016 seinen Wohnsitz in ein anderes Bundesland verlegt hat, ohne dadurch gegen aufenthaltsrechtliche Vorschriften zu verstoßen.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 19. Kammer - vom 15. Juni 2017 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens und unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Hannover - 19. Kammer - vom 15. Juni 2017 der Streitwert des erstinstanzlichen Verfahrens vorläufigen Rechtsschutzes werden auf jeweils 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Aufhebung der Verpflichtung zur Wohnsitznahme in Niedersachsen.

Die Antragstellerin reiste 2010 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Sie erhielt Aufenthaltsgestattungen, mit denen sie nach Durchführung der Verteilung verpflichtet wurde, ihren Wohnsitz in Hameln zu nehmen. Zudem wurde der Aufenthalt bis Juni 2013 auf den Landkreis Hameln-Pyrmont beschränkt. Sie erhielt Verlassenserlaubnisse, die während der Geltungsdauer der Aufenthaltsgestattungen den vorübergehenden Aufenthalt in Bielefeld ermöglichten. Nachdem der Asylantrag rechtskräftig abgelehnt worden war, erhielt die Antragstellerin von August 2014 an Duldungen, mit denen sie zur Wohnsitznahme in Hameln verpflichtet wurde.

Auf ihren Folgeantrag hin wurde der Antragstellerin durch Bescheid des Bundesamtes vom 10. Februar 2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Im März 2016 wurde ein an die Antragstellerin in Hameln adressiertes Schreiben vom Postdienstleister mit dem Hinweis an die Antragsgegnerin zurückgesandt, es befinde sich kein Name oder ein anderer Name an Briefkasten/Klingel.

Auf ihren Antrag vom 2. Mai 2016, in dem sie als gegenwärtige Anschrift die Anschrift in Hameln angab, erhielt die Antragstellerin am 18. Mai 2016 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG ohne Nebenbestimmungen.

Zum 1. September 2016 meldete die Antragstellerin ihren Wohnsitz in Bielefeld an, wo sie in die Wohnung der Familie ihrer Schwester eingezogen war.

Im Dezember 2016 erklärte die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin, sie möchte in Bielefeld bleiben und nicht nach Hameln ziehen. Sie legte ein Attest der Orthopäden Dr. B. und Dr. C. vom 5. Januar 2017 vor, wonach ein Zustand nach Sturz auf das rechte Kniegelenk bei liegender Totalendoprothese im rechten Knie bestehe; die Behandlung dauere an. Weiter legte sie ein Schreiben des Jobcenter Bielefeld vor, wonach dieses aufgrund der Wohnsitzbeschränkung nicht für die Antragstellerin zuständig sei.

Die von der Antragsgegnerin um Zustimmung zur Übernahme der Antragstellerin ersuchte Beigeladene teilte mit, dass der Aufhebung der Wohnsitzbeschränkung nicht zugestimmt werde. Durch Bescheid vom 15. Februar 2017 lehnte der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin den Antrag auf Änderung der Wohnsitzbeschränkung ab. Die Regelungen über die Wohnsitzbeschränkung seien rückwirkend auf Ausländer anzuwenden, deren Flüchtlingsanerkennung nach dem 31. Dezember 2015 erfolgt sei. Die Antragstellerin sei zur Wohnsitznahme in Niedersachsen verpflichtet. Die Beigeladene habe das Vorliegen einer Härte nicht festgestellt. Sie verweise darauf, dass eine ärztliche Behandlung in Niedersachsen erfolgen könne. Die Erkrankung rechtfertige keine dauerhafte Pflege. Die Schwester der Antragstellerin besitze eine Niederlassungserlaubnis und könne sich in Niedersachsen aufhalten oder sogar ihren Wohnsitz gemeinsam mit der Antragstellerin begründen.

Die Antragstellerin hat am 7. März 2017 Klage erhoben und am 22. März 2017 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Schon vor der Anmeldung habe sie sich in Bielefeld aufgehalten. Sie sei auf dauerhafte Pflege angewiesen. Sie könne weitere Strecken nicht gehen, sei Analphabetin und spreche kein Deutsch. Eine Integration in den Arbeitsmarkt sei faktisch ausgeschlossen. Ihr Bruder, ihr Schwager und ihre drei Geschwister wohnten in Bielefeld. Diese könnten nicht zu ihr ziehen. Die Verwandten führen sie zum Arzt und dolmetschten dort für sie. Ihre traumatischen Erlebnisse könne sie nur im Kreis der Familie verarbeiten. In Niedersachsen habe sie keine Wohnung und erhalte keine Sozialleistungen. Die automatische Wohnsitzbeschränkung verletze Unions- und Verfassungsrecht sowie die Genfer Flüchtlingskonvention. Sie könne nur mit einzelfallbezogener Begründung angeordnet werden und setze voraus, dass durch ihren Erlass die Integration konkret gefördert werde. Die Antragstellerin könne sich in Bielefeld besser integrieren. Es sei rechtswidrig, wenn sie die Voraussetzungen einer Aufhebung nachweisen müsse. Sie genieße Vertrauensschutz, die Rückwirkung der gesetzlichen Regelung sei unzulässig. Die Wohnsitzbeschränkung verletze ihr Grundrecht auf Schutz der Familie.

Die Antragstellerin hat an Eides Staat versichert, dass die Ausführungen ihres Prozessbevollmächtigten der Wahrheit entsprächen und sie sich vor dem 6. August 2016 in Bielefeld bei ihren Familienangehörigen aufgehalten habe.

Die Antragsgegnerin hat erwidert, die Antragstellerin habe keine Bemühungen zur Integration unternommen. Da sie auch mit den Verwandten nicht Deutsch spreche, bewirke der Aufenthalt in Bielefeld eine integrationshemmende Segregationstendenz. Das Grundrecht auf Schutz der Familie sei nicht einschlägig. Mangels Zustimmung des Beigeladenen könne ein Härtefall nicht festgestellt werden.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag durch Beschluss vom 15. Juni 2017 abgelehnt. Die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf vorläufige Aufhebung der gesetzlichen Verpflichtung, ihren Wohnsitz in Niedersachsen zu nehmen. Die Regelung des § 12a AufenthG sei verfassungsgemäß. Es liege keine verfassungswidrige Rückwirkung vor. Zwar habe die Bestimmung eine echte Rückwirkung. Die Ausnahme-, Abweichungs- und Härtefallregelungen ermöglichten es aber, bereits zugezogenen Ausländern eine Ausnahme zu erteilen. Der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit sei verhältnismäßig. Eine unzulässige Ungleichbehandlung ergebe sich weder aus der Stichtagsregelung noch aus der von der Rechtslage für andere Ausländergruppen abweichenden Regelung oder der Ausgestaltungsermächtigung für die Länder. Die Qualifikationsrichtlinie stehe nicht entgegen. Sie ermögliche eine Regelung wie die in § 12a AufenthG getroffene, wenn die betroffenen Personen sich nicht in einer Situation befänden, die mit derjenigen von Drittstaatsangehörigen, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen in dem Mitgliedstaat aufhielten, vergleichbar sei. So verhalte es sich bei Ausländern, die sich aus asylrechtlichen Gründen im Bundesgebiet aufhielten. Auch mit der Genfer Flüchtlingskonvention sei die Regelung vereinbar. Ein Härtefall liege nicht vor. Die Antragstellerin habe keine Behinderung, schwere Erkrankung oder Pflegebedürftigkeit glaubhaft gemacht. Eine medizinische Behandlung könne in Niedersachsen erfolgen. Vor dem Hintergrund des Gesetzeszwecks, integrationshemmenden Segregationstendenzen entgegenzuwirken, stellten die Schwierigkeiten der Antragstellerin, sich als Analphabetin ohne deutsche Sprachkenntnisse außerhalb der Familie zurechtzufinden, keine unangemessen schwere Beeinträchtigung dar. Eine Härte sei nicht aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung anzunehmen. Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass vor der Ummeldung ein Daueraufenthalt in Bielefeld vorgelegen habe. Selbst wenn dies der Fall sei, fehle es an einer bereits begonnen Integration am neuen Aufenthaltsort. An die in Niedersachsen geltende Erlasslage, wonach in Rückwirkungsfällen vermutet werde, dass durch einen Rückumzug eine begonnene Integration unterbrochen würde, sei das Gericht nicht gebunden.

Die Antragstellerin hat am 22. Juni 2017 Beschwerde erhoben. Sie habe sich vor der Ummeldung tatsächlich in Bielefeld aufgehalten. Wenn das Verwaltungsgericht mitgeteilt hätte, dass es der eidesstattlichen Versicherung nicht folge, wäre eine Klarstellung erfolgt. Die Voraussetzungen des § 12a Abs. 1 AufenthG hätten nicht vorgelegen. Eine Wohnsitzzuweisung dürfe nur nach Einzelfallprüfung erfolgen und müsse eine bereits begonnene Integration fördern. Es liege eine unzulässige echte Rückwirkung vor. Die unions- und verfassungsrechtlichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts träfen nicht zu. Es sei unmenschlich, sie nach ihrer Flucht nicht bei der Familie wohnen zu lassen. Alter, Krankheit, Analphabetismus und fehlende Sprachkenntnisse stünden der Integration entgegen. In Hameln wäre sie hilflos. Sie komme aus einer dörflichen Umgebung und sei weit älter als in ihrem Pass vermerkt. Sie könne nicht in Niedersachsen von Verwandten versorgt werden. Die Integration könne nur im Verbund mit der Familie erfolgen. Sie erfolge dadurch, dass Verwandte ihr beibrächten, wie man eine Waschmaschine, eine Dusche und eine Toilette benutze. In Niedersachsen habe sie keine Wohnung und beziehe keine Sozialleistungen.

Sie hat an Eides Statt versichert, dass sie bereits vor der Anmeldung in Bielefeld gewohnt habe.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet.

Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist der gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO erforderliche Antrag dem Beschwerdevorbringen noch durch Auslegung zu entnehmen (vgl. Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth u.a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 146 Rn. 29). Mit der Beschwerde wird unter Aufrechterhaltung der erstinstanzlichen Anträge die vollständige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses begehrt.

Die Beschwerde ist unbegründet. Aus den mit ihr dargelegten Gründen, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu Unrecht abgelehnt hätte.

1. Das Verwaltungsgericht hat ohne Verfahrensfehler entschieden. Der Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, wurde nicht verletzt. Das Verwaltungsgericht war nicht gehalten, vor der Entscheidung mitzuteilen, wie es den Vortrag zu Krankheit und Hilfebedürftigkeit oder den Inhalt der eidesstattlichen Versicherung bewerten werde. Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör liegt unter dem Aspekt der Überraschungsentscheidung nur vor, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte, weil dies im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen kann (Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 4.7.2017 - 5 LA 194/15 -, juris Rn. 57 m.w.N.). Die Antragstellerin musste damit rechnen, dass das Verwaltungsgericht prüfen würde, ob sie Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht hatte, die den Begriff der Härte i.S.d. § 12a Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erfüllten. Dies war eine der zentralen Fragen des Rechtsstreits.

2. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat keinen Erfolg.

Gegenstand der Beschwerde ist nur der sinngemäß gestellte Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Verpflichtung zur Wohnsitznahme in Niedersachsen aufzuheben. Die Beschwerde macht nicht geltend, dass auch ein - denkbarer - Antrag auf vorläufige Feststellung gestellt worden sei, dass die Antragstellerin nicht verpflichtet sei, ihren Wohnsitz in Niedersachsen zu nehmen. Dass die Verpflichtung zur Wohnsitznahme gemäß § 12a Abs. 1 AufenthG entstanden ist, ist demnach nicht unmittelbar Streitgegenstand. Nur klarstellend weist das Gericht darauf hin, dass diese Verpflichtung von Gesetzes wegen eingetreten ist und nicht auf einer Behördenentscheidung beruht. Der Vortrag, die Behörde habe hierbei den Einzelfall nicht hinreichend gewürdigt, geht ins Leere.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet. Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht.

a. Anspruchsgrundlage ist § 12a Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Nach dieser Vorschrift ist eine Verpflichtung oder Zuweisung nach § 12a Abs. 1 bis 4 AufenthG auf Antrag des Ausländers zur Vermeidung einer Härte aufzuheben. Eine Härte liegt nach § 12a Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c) AufenthG insbesondere vor, wenn für den Betroffenen aus sonstigen Gründen mit den in Buchst. a) und b) geregelten Fällen vergleichbare unzumutbare Einschränkungen entstehen.

b. Der Begriff der Härte bedarf für Rückwirkungsfälle einer verfassungskonformen Auslegung; im Übrigen ergeben sich aus höherrangigem oder Völkerrecht keine Auslegungsdirektiven.

aa. Eine Härte besteht, wenn die durch die Wohnsitzverpflichtung berührten Belange in auch bei Beachtung des Gewichts der mit der Wohnsitzbeschränkung verfolgten Zwecke unzumutbarer Weise beeinträchtigt werden. In Betracht kommen berechtigte persönliche Interessen aller Art. Diese müssen einiges Gewicht haben und ähnlich schwer wiegen wie insbesondere der in § 12a Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) AufenthG geregelte Fall einer Beeinträchtigung von Leistungen und Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe. Es muss sich aber nicht um eine besondere oder gar außergewöhnliche Härte oder einen atypischen Fall handeln. Diese Auslegung ergibt sich aus Wortlaut und Systematik des § 12a Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AufenthG (vgl. auch BT-Drs. 18/8615, S. 46; Hailbronner, Ausländerrecht, § 12a Rn. 51 ff. (Aug. 2016); Maor, in: BeckOK AuslR, § 12a AufenthG Rn. 40 ff. (Mai 2017)).

bb. In Rückwirkungsfällen werden die Belange des von einer Wohnsitzbeschränkung gemäß § 12a Abs. 1 AufenthG Betroffenen in unzumutbarer Weise beeinträchtigt, wenn dieser im Vertrauen auf die Freizügigkeit, die mit der Gewährung internationalen Schutzes oder mit der Erteilung einer der in dieser Vorschrift genannten Aufenthaltserlaubnisse verbunden war, seinen Wohnsitz vor Inkrafttreten des § 12a AufenthG außerhalb des Bundeslandes genommen hat, auf dessen Gebiet § 12a Abs. 1 AufenthG die Wohnsitznahme nunmehr beschränkt.

(1) Wendete man § 12a Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht in dieser Weise an, verletzte § 12a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 7 AufenthG das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG.

Art. 2 Abs. 1 GG schützt die freie Entfaltung der Persönlichkeit im Sinne einer allgemeinen Handlungsfreiheit (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.10.2016 - 1 BvR 458/10 -, NVwZ 2017, 461 Rn. 57). Darin wird durch die Beschränkung der Wohnsitznahme auf das Gebiet eines Landes eingegriffen. Dieser Eingriff ist gerechtfertigt, soweit die ihn anordnende Gesetzesbestimmung der verfassungsmäßigen Ordnung angehört. Erfassten § 12a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 7 AufenthG den bezeichneten Personenkreis, ohne dass die Wohnsitzbeschränkung auf Antrag aufgehoben würde, wäre das nicht der Fall.

Der verfassungsmäßigen Ordnung gehören alle formell und materiell verfassungsgemäßen Rechtsnormen an. Eine Rechtsnorm ist u.a. verfassungswidrig, wenn sie gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot verstößt.

Das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetze beruht auf den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Es schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte. Eine Rechtsnorm entfaltet „echte“ Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll („Rückbewirkung von Rechtsfolgen“). Normen mit echter Rückwirkung sind grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig. Erst mit der Verkündung, das heißt mit der Ausgabe des ersten Stücks des Verkündungsblattes, ist eine Norm rechtlich existent. Bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss, müssen von einem Gesetz Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen können, dass ihre auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird. Eine unechte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet, so wenn belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung“). Sie ist grundsätzlich zulässig. Allerdings können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen der Zulässigkeit ergeben. Diese Grenzen sind erst überschritten, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.10.2012 - 1 BvL 6/07 -, BVerfGE 132, 302 Rn. 41 ff.) § 12a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 7 AufenthG hat keine echte (so VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 10.2.2017 - 8 L 2836/16 -, juris Rn. 15; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 12a Rn. 10 (April 2017); wohl auch Schlotheuber/Röder, Asylmagazin 2016, 364, 365 Fn. 10), sondern unechte Rückwirkung (Hailbronner, Ausländerrecht, § 12a AufenthG Rn. 26 (Aug. 2016); Thym, Deutscher Bundestag, Ausschuss-Drs. 18(11)680, S. 124; Wissenschaftliche Dienste des Bundestages, Ausarbeitung WD 3-3000-157/16, S. 12). Die Vorschrift ist am 6. August 2016 in Kraft getreten (vgl. Art. 5 Abs. 1 Integrationsgesetz, BGBl. 2016 I, 1939). Aus § 12a Abs. 7 ergibt sich, dass sie auf Personen Anwendung findet, bei denen die Anerkennung oder die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 12a Abs. 1 AufenthG vom 1. Januar 2016 an erfolgte. Vom 6. August 2016 an galt für diesen Personenkreis die Wohnsitzbeschränkung, weil sich bei ihnen vor Inkrafttreten der Regelung der Tatbestand der Anerkennung oder Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vollzogen hatte. Damit wurden nicht Rechtsfolgen rückbewirkt, sondern es erfolgte eine tatbestandliche Rückanknüpfung. Die Wohnsitzbeschränkung wurde nicht für Zeiten vor dem Inkrafttreten angeordnet, sondern gilt seit diesem Zeitpunkt für die Zukunft und verlangt grundsätzlich in der Zeit nach dem Inkrafttreten einen Rückumzug. Dass die Betroffenen dadurch behandelt würden, als hätten sie sich bereits vor dem Inkrafttreten an einem anderen Ort aufhalten müssen, vermag das Gericht nicht zu erkennen.

Die Rückwirkung ist damit grundsätzlich zulässig, soweit sie verhältnismäßig ist. Das ist hinsichtlich derjenigen, die bis zum Inkrafttreten des § 12a AufenthG von einer bestehenden Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hatten, der Fall. Soweit Betroffene aber ihren Wohnsitz nach Anerkennung und vor Inkrafttreten der Vorschrift in ein anderes Bundesland verlegt hatten, wäre die Rückwirkung ohne Aufhebungsmöglichkeit unverhältnismäßig. Zur Erreichung des Integrationsziels (näher u. cc.(1)) ist sie zwar geeignet und im Sinne des Fehlens eines gleich geeigneten Mittels auch erforderlich, aber nicht angemessen. Der Integrationszweck wird auch dann im Wesentlichen verwirklicht, wenn diejenigen, die vor Inkrafttreten des § 12a AufenthG von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, nicht zum Rückumzug verpflichtet werden. Der zusätzliche Nutzen der Einbeziehung auch dieses Personenkreises in die Wohnsitzbeschränkung hat geringeres Gewicht als die entstehende Beeinträchtigung. Diese ergibt sich zum einen daraus, dass der Aufwand für den erfolgten Wegzug aus dem bisherigen Bundesland nutzlos wird. Zum anderen fiele im Falle der Pflicht zur Wohnsitznahme in dem in § 12a Abs. 1 AufenthG bezeichneten Bundesland weiterer Aufwand für die Wohnungssuche und den Rückumzug an. Soweit am neuen Wohnsitz bereits Integrationsschritte erfolgt sind, etwa durch Schulbesuch und Arbeitssuche, wären auch diese vergeblich gewesen.

(2) Zur Vermeidung einer Grundrechtsverletzung ist der Begriff der Härte in Rückwirkungsfällen in dem oben bezeichneten Sinn zu verstehen (vgl. auch BT-Drs. 18/8615, S. 46; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 10.2.2017 - 8 L 2836/16 -, juris Rn. 27, 60; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 12a Rn. 62 (April 2017); Schlotheuber/Röder, Asylmagazin 2016, 364, 372; Thym, Deutscher Bundestag, Ausschuss-Drs. 18(11)680, S. 124; Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 7.11.2016, 14.11-12230/1-8 (§12a)). Im Einzelnen setzt das voraus, dass der Betroffene seinen Wohnsitz i.S.d. § 12a Abs. 1 AufenthG vor dem 6. August 2016 in ein anderes Bundesland verlegt hat. Dies muss nach der Anerkennung oder Erteilung der Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 12a Abs. 1 AufenthG erfolgt sein. Zudem liegt eine Vertrauensbetätigung nur vor, wenn die Wohnsitzverlegung nicht gegen aufenthaltsrechtliche Vorschriften, insbesondere § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, verstieß.

Sollte der Gemeinsame Runderlass des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales und des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Inneres und Kommunales zur vorläufigen Umsetzung des § 12a AufenthG vom 28. September 2016 (MAIS IV A 3-9211, MIK 122-39.01.05) dahin zu verstehen sein, dass eine Härte in Rückwirkungsfällen nur unter engeren Voraussetzungen anzunehmen ist, teilt das Gericht diese Auslegung nicht; einer Verpflichtung niedersächsischer Behörden zur Aufhebung nach § 12a Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AufenthG steht eine auf diesen Runderlass gestützte Verweigerung der Zustimmung durch die Zuzugs-Ausländerbehörde nicht entgegen.

cc. Weitergehende Vorgaben für die Auslegung des Begriffs der Härte in § 12a Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ergeben sich nicht aus höherrangigem oder Völkerrecht. § 12a Abs. 1 AufenthG steht mit den einschlägigen Rechtsnormen im Einklang.

(1) Die Vorschrift verstößt nicht gegen Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU (Anerkennungsrichtlinie). Nach dieser Bestimmung gestatten die Mitgliedstaaten die Bewegungsfreiheit von Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in ihrem Hoheitsgebiet unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten.

Die Auslegung dieser Bestimmung ist der Rechtsprechung des EuGH zu entnehmen. Der EuGH hatte sich mit einer Wohnsitzauflage zu beschäftigen, die Personen mit subsidiärem Schutzstatus im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen erteilt wurde. Die nationale Regelung sah hingegen nicht vor, dass eine solche Maßnahme Drittstaatsangehörigen auferlegt wurde, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten und die genannten Leistungen bezogen. Wurde die Wohnsitzauflage mit dem Ziel erteilt, die Integration von Drittstaatsangehörigen in den Mitgliedstaat, der den subsidiären Schutz gewährt hatte, zu erleichtern, so stand Art. 33 der Anerkennungsrichtlinie nicht entgegen, sofern sich die Personen mit subsidiärem Schutzstatus nicht in einer Situation befanden, die im Hinblick auf das genannte Ziel mit der Situation von Drittstaatsangehörigen, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhielten, objektiv vergleichbar war. Dies zu prüfen, war Sache des vorlegenden Gerichts (EuGH, Urt. v. 1.3.2016 - C-443/14 und C-444/14 -, juris Rn. 64). Zudem hat der EuGH festgestellt, dass in Bezug auf Art. 33 der Anerkennungsrichtlinie Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus derselben Regelung unterliegen (EuGH, Urt. v. 1.3.2016 - C-443/14 und C-444/14 -, juris Rn. 34).

Daraus ist abzuleiten, dass § 12a Abs. 1 AufenthG mit Art. 33 der Anerkennungsrichtlinie im Einklang steht, wenn er die Integration von Personen, die internationalen Schutz genießen, erleichtern soll, und bezogen auf diesen Integrationszweck objektive Unterschiede zu Ausländern mit anderem Aufenthaltszweck als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen bestehen, mit anderen Worten international Schutzberechtigte sich größeren Integrationsschwierigkeiten gegenübersehen als andere Ausländergruppen (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 12a Rn. 3 (April 2017); Hailbronner, Ausländerrecht, § 12a AufenthG Rn. 16 (Aug. 2016); Thym, Deutscher Bundestag, Ausschuss-Drs. 18(11)680, S. 123; Zabel, NJW 2016, 1057, 1058). Wie sich auch daraus ergibt, dass der EuGH diesbezüglichen Ausführungen des Generalanwalts (GA Cruz Villalón, Schlussanträge v. 6.10.2015 - C-443/14 -, juris Rn. 98) nicht gefolgt ist, ist eine Individualprüfung, die auf die Umstände des Einzelfalls bezogen ist, nicht erforderlich (Hailbronner, Ausländerrecht, § 12a AufenthG Rn. 16 (Aug. 2016); Thym, Deutscher Bundestag, Ausschuss-Drs. 18(11)680, S. 123).

Die sich aus der Rechtsprechung des EuGH ergebenden Voraussetzungen sind erfüllt (vgl. VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 10.2.2017 - 8 L 2836/16 -, juris Rn. 27, 60; Hailbronner, Ausländerrecht, § 12a AufenthG Rn. 17 ff. (Aug. 2016); Maor, in: BeckOK AuslR, § 12a AufenthG Rn. 3 (Mai 2017); Thym, Deutscher Bundestag, Ausschuss-Drs. 18(11)680, S. 123).

Die Wohnsitzbeschränkung nach § 12a AufenthG soll die Integration der darin bezeichneten Personen erleichtern (vgl. BT-Drs. 18/8615, S. 42, 44). Die Vorschrift bewirkt, dass die Betroffenen in allen Bundesländern gemäß dem im Asyl- oder Aufnahmeverfahren verwendeten Aufnahmeschlüssel ansässig werden und in den ersten drei Jahren nicht umziehen. Dies verbessert die Planbarkeit von Integrationsmaßnahmen. Einer Konzentration von Gruppen gleicher Staatsangehörigkeit oder ethnischer Zugehörigkeit auf einzelne Bundesländer über das in der Verteilung angelegte Maß hinaus wird entgegengewirkt. Dies ist geeignet, insbesondere interethnische Kontakte und den Spracherwerb zu forcieren. Es wirkt einer integrationshemmenden Segregation entgegen. Zugleich kann damit gerechnet werden, dass sich die Aufnahmebereitschaft der aufnehmenden Gesellschaft erhöht.

Der erfasste Personenkreis ist im Hinblick auf seine Integrationsschwierigkeiten objektiv mit Ausländern, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, nicht vergleichbar (vgl. BT-Drs. 18/8615, S. 43). Zu Recht geht der Gesetzgeber davon aus, dass diese Personen aufgrund ihrer Fluchterlebnisse und Verfolgungsschicksale vor besonderen Herausforderungen stehen, was ihre Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und die Gesellschaft angeht. Anders als beispielsweise Arbeitsmigranten oder Familiennachzügler können sie ihre Einreise und ihren Aufenthalt nicht planen und vorbereiten. Ihre Voraussetzungen hinsichtlich Sprache, Qualifikation und Motivation unterscheiden sich wesentlich von denen anderer zugewanderter Drittstaatsangehöriger. Drittstaatsangehörige, die nicht zu den in § 12a Abs. 1 AufenthG genannten Schutzbedürftigen zählen, haben sich häufig bereits längere Zeit im Voraus und nicht unter dem Druck von Krieg oder Verfolgung vor ihrer Einreise nach Deutschland mit den hiesigen Bedingungen vertraut machen können und sich zum Teil einen Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz verschafft sowie mit dem Spracherwerb begonnen. Damit haben sie einen signifikanten Integrationsvorsprung gegenüber Menschen, die kurzfristig und ohne die Möglichkeit einer integrationsfördernden Vorbereitung im Bundesgebiet Schutz suchen.

(2) § 12a Abs. 1 AufenthG verletzt nicht das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG, sondern gehört zur verfassungsmäßigen Ordnung. Insbesondere ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt (vgl. VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 10.2.2017 - 8 L 2836/16 -, juris Rn. 37 ff.; Thym, Deutscher Bundestag, Ausschuss-Drs. 18(11)680, S. 123 f.; Zabel, NJW 2016, 1057, 1058; Wissenschaftliche Dienste des Bundestages, Ausarbeitung WD 3-3000-157/16, S. 8 ff.; vgl. auch BVerfG, Urt. v. 17.3.2004 - 1 BvR 1266/00 -, BVerfGE 110, 177, 196).

Die Wohnsitzbeschränkung dient dem oben (1) bezeichneten Zweck, die Integration des von der Vorschrift erfassten Personenkreises zu erleichtern. Hierzu ist die Vorschrift geeignet. Sie erhöht die Planbarkeit von Integrationsmaßnahmen und wirkt Zusammenballungen einzelner Ausländergruppen in einem Bundesland entgegen. Allerdings ist denkbar, dass eine solche Zusammenballung neben den für die Integration nachteiligen auch gewisse vorteilhafte Wirkungen haben kann. In einer solchen Situation vielfältiger Wirkungsursachen liegt es aber im Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, den nachteiligen Wirkungen größere Bedeutung beizumessen und ihnen entgegenzuwirken. Gleich geeignete, mildere Mittel als die Wohnsitzbeschränkung sind nicht ersichtlich.

Zur Erreichung des Integrationszwecks ist die Wohnsitzbeschränkung angemessen. Die Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit hat einiges Gewicht. Die Betroffenen werden daran gehindert, außerhalb des in § 12a Abs. 1 AufenthG festgelegten Bundeslandes ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen. Die Wahl dieses Ortes ist für die persönliche Lebensgestaltung von erheblicher Bedeutung. Eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts ist damit allerdings nicht verbunden. Die Belastung besteht für den noch überschaubaren Zeitraum von drei Jahren. Sie tritt nicht ein, wenn bereits erste Integrationsschritte insbesondere durch Aufnahme einer Ausbildung oder Beschäftigung erfolgt sind. In weiteren Fällen, in denen der Einfluss der Wohnsitzbeschränkung auf die Lebensumstände besonders weitgehend sein könnte, ermöglicht § 12a Abs. 5 AufenthG deren Aufhebung. Die Anforderungen an einen in diesem Rahmen berücksichtigungsfähigen Härtefall sind moderat; einer besonderen oder außergewöhnlichen Härte bedarf es nicht.

Demgegenüber wiegt das Integrationsinteresse schwerer. Angesichts der besonderen Integrationsschwierigkeiten ist es von ganz erheblicher Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, dass die Angehörigen der von § 12a AufenthG erfassten Personengruppe Deutsch lernen, sich im Alltag zurechtfinden und eine Berufstätigkeit aufnehmen können. Hierzu bedarf es einer effektiven Nutzung der Integrationskapazitäten und einer Abschwächung gegenläufiger Effekte, wie sie sich insbesondere im Falle der Segregation ergeben können. Das Gewicht dieses Belangs wird noch gesteigert, wenn der Integrationsdruck durch starke Zuwanderung besonders groß ist. Dies hat der Gesetzgeber für die seit 2015 festzustellende Zuwanderung plausibel bejaht. Es handelt sich zudem nicht nur um einen Gemeinwohlbelang, sondern die Verbesserung der Integrationschancen der Betroffenen eröffnet diesen auch Möglichkeiten der persönlichen Lebensgestaltung, die sonst nicht bestünden.

(3) Der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, ist nicht verletzt.

Allerdings wird der von § 12a Abs. 1 AufenthG erfasste Personenkreis anders behandelt als andere Ausländergruppen, die keiner Wohnsitzbeschränkung unterliegen. Es bestehen aber Unterschiede zwischen den Personengruppen, zwischen denen differenziert wird, von solcher Art und von solchem Gewicht, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können (vgl. zum Maßstab BVerfG, Beschl. v. 7.5.2013 - 2 BvR 909/06 -, juris Rn. 73 ff. m.w.N.). Diese ergeben sich aus den besonderen Integrationsschwierigkeiten und dem daraus abzuleitenden besonderen Integrationsbedarf derjenigen, die in den persönlichen Anwendungsbereich der Vorschrift fallen (s.o. (1); vgl. VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 10.2.2017 - 8 L 2836/16 -, juris Rn. 46; Hailbronner, Ausländerrecht, § 12a Rn. 7 (Aug. 2016); Zabel, NJW 2016, 1057, 1058; Wissenschaftliche Dienste des Bundestages, Ausarbeitung WD 3-3000-157/16, S. 13 f.; vgl. auch BVerfG, Urt. v. 17.3.2004 - 1 BvR 1266/00 -, BVerfGE 110, 177, 198 f.).

Auch die Stichtagsregelung in § 12a Abs. 7 AufenthG ist gerechtfertigt. Die verfassungsrechtliche Beurteilung von Übergangs- und Stichtagsvorschriften ist allgemein auf die Prüfung beschränkt, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Spielraum in sachgerechter Weise ausgeübt sowie die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und ob die gefundene Lösung sich im Hinblick auf den Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachgerechte Gründe rechtfertigen lässt und insbesondere nicht willkürlich erscheint (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.6.2016 - 2 BvR 290/10 -, juris Rn. 42 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die Vorschrift. Der Stichtagsregelung liegt die willkürfreie Erwägung zugrunde, dass vom 1. Januar 2016 an aufgrund des starken Zustroms von Schutzsuchenden insbesondere im Herbst 2015 der dringende Bedarf zur Wohnsitzregelung nach integrationspolitischen Maßgaben entstanden sei (vgl. BT-Drs. 18/8615, S. 46).

(4) § 12a Abs. 1 AufenthG steht nicht im Widerspruch zu Art. 26 GFK. Nach dieser Vorschrift wird jeder vertragschließende Staat den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in seinem Gebiet befinden, das Recht gewähren, dort ihren Aufenthalt zu wählen und sich frei zu bewegen, vorbehaltlich der Bestimmungen, die allgemein auf Ausländer unter den gleichen Umständen Anwendung finden.

Die Vorschrift macht Beschränkungen der Freizügigkeit nicht von einer Ausländergleichbehandlung schlechthin, sondern von einer Gleichbehandlung mit Ausländern, bei denen die Beschränkung unter den gleichen Umständen erfolgt, abhängig. Der Ausdruck „unter den gleichen Umständen“ ist gemäß Art. 6 GFK dahingehend zu verstehen, dass die betreffende Person alle Bedingungen erfüllen muss (einschließlich derjenigen, die sich auf die Dauer und die Bedingungen des vorübergehenden oder des dauernden Aufenthalts beziehen), die sie erfüllen müsste, wenn sie nicht Flüchtling wäre, um das in Betracht kommende Recht in Anspruch zu nehmen, mit Ausnahme der Bedingungen, die ihrer Natur nach ein Flüchtling nicht erfüllen kann. Damit werden insbesondere Differenzierungen nach dem Aufenthaltszweck ermöglicht (vgl. BVerwG,Urt. v. 15.1.2008 - 1 C 17/07 -, BVerwGE 130, 148 Rn. 23). Wie sich auch aus der Entstehungsgeschichte ergibt, schließt die Vorschrift aber auch ein spezifisches Eingehen auf Problemlagen nicht aus, die sich aus der Wohnsitznahme gerade von Flüchtlingen und Personen in einer vergleichbaren Lage ergeben können (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 12a Rn. 12 (Aug. 2016)). Eine Differenzierung aufgrund der Verfolgung migrationspolitischer Ziele erscheint danach möglich, wenn sie durch Besonderheiten gerade der Personengruppe veranlasst ist, der die betroffenen Flüchtlinge angehören (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.1.2008 - 1 C 17/07 -, BVerwGE 130, 148 Rn. 23; a.A. Wissenschaftliche Dienste des Bundestages, Ausarbeitung WD 2-3000-084/16, S. 9 f.). Diese Erwägung liegt auch der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 33 der Anerkennungsrichtlinie zugrunde (s.o. (1); vgl. Zabel, NJW 2016, 1057, 158).

Die von § 12a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfassten Flüchtlinge halten sich in Bezug auf die mit dieser Vorschrift verfolgten migrationspolitischen Ziele nicht unter den gleichen Umständen wie andere Ausländer im Bundesgebiet auf. Die oben dargestellten Integrationsschwierigkeiten haben einerseits die von § 12a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erfassten Personen gemeinsam; es wird nicht etwa an die Flüchtlingseigenschaft als solche angeknüpft, sondern an Integrationsschwierigkeiten, die Flüchtlinge mit susidiär Schutzberechtigten und Inhabern von Aufenthaltserlaubnissen nach § 22, § 23 oder § 25 Abs. 3 AufenthG gemeinsam haben. Andererseits unterscheiden diese Integrationsschwierigkeiten den erfassten Personenkreis von den übrigen im Bundesgebiet lebenden Ausländern und machen die Wohnsitzbeschränkung zur Erreichung des Integrationsziels erforderlich (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 12a Rn. 11, 13 (Aug. 2016)).

(5) Die Vorschrift verletzt ebenfalls nicht Art. 2 des 4. Zusatzprotokolls zur EMRK und Art. 12 IPbpR (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 12a Rn. 20 ff. (Aug. 2016); Thym, Deutscher Bundestag, Ausschuss-Drs. 18(11)680, S. 124; Zabel, NJW 2016, 1057, 1058; Wissenschaftliche Dienste des Bundestages, Ausarbeitung WD 2-3000-084/16, S. 5 f.). Es liegt zwar ein Eingriff in die in den Absätzen 1 der beiden Vorschriften geschützte freie Wahl des Wohnsitzes vor. Dieser ist jedoch nach den Absätzen 3 dieser Vorschriften gerechtfertigt. Er ist gesetzlich vorgesehen und dient dem Integrationsinteresse und damit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt (s.o. (2)).

b. Im Fall der Antragstellerin liegt keine Härte i.S.d. § 12a Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vor.

aa. Ein Rückwirkungsfall ist nicht gegeben. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie ihren Wohnsitz i.S.d. § 12a Abs. 1 AufenthG nach der Flüchtlingsanerkennung und vor dem 6. August 2016 in ein anderes Bundesland verlegt hat.

Der Zeitpunkt, zu dem die Antragstellerin ihren Wohnsitz nach Bielefeld verlegt hat, ist nicht bekannt. Es ist möglich, dass dies nach der Anerkennung als Flüchtling durch Bescheid des Bundesamtes vom 10. Februar 2016 und vor Inkrafttreten des § 12a AufenthG erfolgt ist. Mindestens ebensogut möglich ist aber auch, dass die Antragstellerin schon vor der Flüchtlingsanerkennung und damit nicht im Vertrauen auf diese oder erst nach dem 6. August 2016 erfolgt ist. Für diese letzte Möglichkeit spricht die Anmeldung eines Wohnsitzes in Bielefeld am 8. September 2016 mit Angabe des Einzugsdatums 1. September 2016. Zudem hat die Antragstellerin in ihrem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 8. Mai 2016 als gegenwärtige Anschrift diejenige in Hameln angegeben. Andererseits war im März 2013 ein Brief an dieser Anschrift nicht zustellbar.

Die von der Antragstellerin abgegebene eidesstattliche Versicherung hat keine Aussagekraft. Wann sie den Wohnsitz in Hameln tatsächlich aufgegeben hat, wird darin nicht angegeben. Die Möglichkeit, dass dies vor der Flüchtlingsanerkennung erfolgt ist, wird schon nach dem Wortlaut der eidesstattlichen Versicherung nicht ausgeschlossen. Auch die Angabe, sie habe bereits vor der Anmeldung in Bielefeld dort gewohnt und habe sich vor dem 6. August 2016 ausnahmslos in Bielefeld aufgehalten, genügt zur Glaubhaftmachung nicht. Es ist unverständlich, warum der Zeitpunkt, zu dem der Wohnsitz in Hameln aufgegeben worden sein soll, nicht konkretisiert wird. Auch sonst ergeben sich aus der eidesstattlichen Versicherung keinerlei Details, die zur Glaubhaftigkeit der Behauptung führen könnten. Es wird nicht berichtet, wann und auf welche Weise der Mietvertrag über die bisherige Wohnung gekündigt wurde, ab wann keine Mietzahlungen mehr erfolgt sind und wie die Wohnung geräumt und ein etwaiger Umzug bewerkstelligt wurden. Mögliche Auskunftspersonen werden nicht benannt.

bb. Auch aus dem weiteren Vortrag ergibt sich nicht, dass die Belange der Antragstellerin durch die Wohnsitzbeschränkung in auch bei Beachtung des Gewichts der mit der Wohnsitzbeschränkung verfolgten Zwecke unzumutbarer Weise beeinträchtigt würden.

Dies ist nicht aus Analphabetismus, fehlenden Sprachkenntnissen und kultureller Prägung der Antragstellerin abzuleiten. Diese bewirken gerade einen hohen Integrationsbedarf. Soweit die Antragstellerin vortragen lässt, sie könne grundlegende Alltagstechniken nur durch ihre Angehörigen vermittelt bekommen, die ihr beibrächten, wie man eine Waschmaschine, Dusche und Toilette benutze, ist das nicht glaubhaft gemacht. Die Bezugnahme der eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin auf die gesamten Ausführungen ihres Prozessbevollmächtigten ist dazu nicht geeignet (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 294 Rn. 4). Es ist angesichts des etwa siebenjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet auch in keiner Weise plausibel.

Ein Härtegrund ergibt sich nicht aus Alter und Krankheit der Antragstellerin. Die Antragstellerin hat bei ihrer Einreise angegeben, 1962 geboren zu sein. Danach hat sie das Geburtsdatum 19. Juli 1963 geführt. Sie ist demnach höchstens 55 Jahre alt. Soweit sie vortragen lässt, sie sei älter, als in ihrem Pass angegeben, teilt sie nicht mit, wie alt sie in Wahrheit sein will. Hinsichtlich ihrer Erkrankungen ist durch ärztliches Attest lediglich belegt, dass das rechte Kniegelenk mit einer Totalendoprothese versorgt wurde, derentwegen sie im Januar 2017 nach einem Sturz noch behandelt werden musste. Auch wenn man die Angaben der Antragstellerin hinzunimmt, wonach auch am linken Kniegelenk eine Operation erfolgt ist und Operationen an den Füßen nötig waren, so dass sie keine weiteren Strecken gehen kann, und zusätzlich Bluthochdruck gegeben ist, ist weder eine Pflegebedürftigkeit noch eine krankheitsbedingte Unfähigkeit zur Selbstversorgung dargelegt. Gar nicht glaubhaft gemacht ist eine Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet, so dass sich aus der Behauptung, die Antragstellerin benötige die Gegenwart ihrer Verwandten, um erlittene Traumatisierungen zu bewältigen, keine Härte ergibt. Zudem ist unklar, woraus sich die Traumatisierung ergeben soll. Die Antragstellerin hatte im Asylverfahren lediglich angegeben, sie habe Angst gehabt, weil in der Woche vor ihrer Ausreise manchmal nachts Leute an ihr Haus gekommen seien und an die Tür geklopft hätten.

Soweit die Antragstellerin geltend macht, sie könne in Hameln keine Sozialleistungen beziehen, ergibt sich das ersichtlich daraus, dass sie von dort seit dem 1. September 2016 einwohnermelderechtlich abgemeldet ist. Eine Härte in Bezug auf die Wohnsitzbeschränkung folgt daraus nicht.

Schließlich ist ein Härtefall auch nicht wegen der familiären Verbundenheit der Antragstellerin zu ihren Geschwistern sowie deren Ehegatten und Kindern gegeben. Diese leisten ihr zwar faktisch Beistand. Es ist aber nicht glaubhaft gemacht, dass sie auf diesen Beistand angewiesen wäre oder dass aus sonstigen Gründen eine familiäre Verbundenheit bestünde, die die Wohnsitznahme in Niedersachsen unzumutbar machte.