Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.08.2017, Az.: 12 ME 169/17
Widerruf einer Fahrerlaubnis nach Eintritt der Volljährigkeit aufgrund des vorherigen unbegleitenden Führens eines Kraftfahrzeuges
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.08.2017
- Aktenzeichen
- 12 ME 169/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 49505
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2017:0811.12ME169.17.00
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 48a FeV
- § 6e Abs. 2 S. 1 StVG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Der Widerruf der Fahrerlaubnis nach § 6e Abs. 2 Satz 1 StVG wird nicht durch die Vollendung des 18. Lebensjahres des Fahranfängers ausgeschlossen.
- 2.
Der in dem unbegleiteten Fahren liegende Verstoß gegen § 6e Abs. 1 Nr. 2 StVG rechtfertigt regelmäßig die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufsbescheides.
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 1. Kammer - vom 17. Juli 2017 geändert.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
Der am ... März 1999 geborene Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen den Widerruf seiner Fahrerlaubnis der Klasse B (sowie der darin eingeschlossenen Klassen AM und L), die ihm am 3. Mai 2016 nach § 48a FeV erteilt worden war.
Dementsprechend musste er bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres während des Führens eines Kraftfahrzeuges von mindestens einer namentlich benannten Person begleitet werden (§ 48a Abs. 2 FeV). Als Begleitperson war sein Vater benannt worden, der jedoch bereits im Juni 2016 verstorben ist. Am 15. Februar 2017 fuhr der Antragsteller zweimal - gegen 15.00 und gegen 16.30 Uhr - unbegleitet einen PKW. Der Antragsgegner erhielt hiervon (sowie von den deshalb erlassenen zwei Bußgeldbescheiden) durch Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 26. April und 10. Mai 2017 Kenntnis. Er hörte den Antragsteller an, widerrief danach mit Bescheid vom 13. Juni 2017 die dem Antragsteller erteilte Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung seines Bescheides an.
Dem hiergegen gerichteten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Verwaltungsgericht mit dem aus dem Tenor ersichtlichen Beschluss entsprochen. Es könne offen bleiben, ob der Widerrufsbescheid materiell rechtmäßig sei. Bedenken bestünden insoweit, weil fraglich sei, ob der Widerruf nach § 6e Abs. 2 Satz 1 StVG auch noch - wie hier - nach der Vollendung des 18. Lebensjahres des Betroffenen erfolgen dürfe. Jedenfalls sei zusätzlich ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung erforderlich, an dem es hier mangele. Für die Anordnung des Sofortvollzuges müssten Anhaltspunkte für einen Eignungsmangel des Betroffenen und eine hieran anknüpfende aktuelle Gefahr für die Verkehrssicherheit bestehen. Der Verstoß gegen die gesetzliche Auflage, nur in Begleitung einer namentlich genannten Person mit einem PKW zu fahren, stelle hingegen nach den allgemeinen straßenverkehrsrechtlichen Regelungen noch keinen für die Entziehung der Fahrerlaubnis ausreichenden Eignungsmangel dar und trage damit nicht die Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg. Aus den von ihm fristgerecht dargelegten Gründen ist der Beschluss zu ändern; der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist abzulehnen.
Der Senat beantwortet die vom Verwaltungsgericht offen gelassene Frage nach der Rechtmäßigkeit des Widerrufes der Fahrerlaubnis dahin, dass sich dieser Widerruf aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen wird.
Rechtsgrundlage hierfür ist § 6e Abs. 2 Satz 1 StVG. Danach ist eine auf der Grundlage der Rechtsverordnung nach § 6e Abs. 1 StVG, d.h. des § 48a FeV - wie hier -, erteilte Fahrerlaubnis u. a. der Klasse B (mit den darin eingeschlossen Klassen) zu widerrufen, wenn der Fahrerlaubnisinhaber entgegen einer vollziehbaren Auflage nach § 6e Abs. 1 Nr. 2 StVG ein Kraftfahrzeug ohne Begleitung durch eine namentlich benannte Person führt. Bei dem Widerruf handelt es sich eindeutig um eine zwingende Entscheidung, d.h. der Fahrerlaubnisbehörde steht beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen kein Ermessen zu. Allerdings regelt § 6e Abs. 2 Satz 1 StVG nicht eindeutig, ob danach ein Widerruf nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres - mit dem nach § 48a Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 10 Abs. 1 Nr. 5a (Satz 2) FeV diese Auflage entfällt - des betroffenen Fahranfängers zugelassen ist.
Dass der Wortlaut eine so lautende Einschränkung nicht enthält, spricht aber bereits gegen ein dahingehendes einschränkendes Verständnis. Systematische sowie teleologische Überlegungen sowie die Motive des Normgebers sprechen ebenfalls gegen eine so verstandene zeitliche Befristung des Widerrufs. Danach (vgl. die Wiedergabe der Begründung bei Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 6a StVG, Rn. 4) schreibt die Vorschrift den zwingenden Widerruf bei einem Auflagenverstoß vor, ohne dass insoweit zeitliche Grenzen benannt werden. Der Anwendungsbereich der Norm würde jedoch in zahlreichen, wenn nicht sogar in der überwiegenden Zahl von Fällen gar nicht eröffnet, wenn der Widerruf nach der Vollendung des 18. Lebensjahres des Betroffenen ausschiede. Denn die Fahrerlaubnisbehörde wird von einem entsprechenden Verstoß regelmäßig - wie hier - erst durch eine Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes aus dem Fahreignungsregister nach § 30 StVG erfahren, nachdem in diesem Register gemäß § 28 Abs. 3 Nr. 3 StVG i. V. m. Nr. 3.3.2 Anlage 13 FeV die rechtskräftige Entscheidung wegen der in dem Auflagenverstoß liegenden Ordnungswidrigkeit gespeichert worden ist. Nach Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde von dem Verstoß ist der betroffene Fahrerlaubnisinhaber gemäß 28 VwVfG grundsätzlich noch anzuhören. Da eine Auflage nach § 48a Abs. 2 FeV maximal für zwölf Monate, bei erstmaliger Erteilung der Fahrerlaubnis erst nach der Vollendung des 17. Lebensjahres - wie hier - für noch weniger Monate gilt, zwischen einem Auflagenverstoß und dem möglichen Widerruf nach § 6e Abs. 2 Satz 1 StVG aus den vorgenannten Gründen jedoch regelmäßig mehrere Monate vergehen, bliebe bei einer Begrenzung des Widerrufs nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Betroffenen nur ein enger zeitlicher Anwendungsbereich der Norm. Dass dies gewollt ist, kann nicht angenommen werden und widerspräche außerdem ihrem Sinn und Zweck.
Denn durch den Auflagenverstoß hat der Fahrerlaubnisinhaber ein Fehlverhalten gezeigt, das seine Ursache in einer mangelhaften Einstellung zum erforderlichen Verhalten im Straßenverkehr findet (vgl. VG Aachen, Beschl. v. 23.4.2010 - 3 L 121/10 -, juris). Diese mangelhafte Einstellung erledigt sich nicht gleichsam automatisch mit der Vollendung des 18. Lebensjahres, mit dem die Auflage durch Zeitablauf erlischt, sondern besteht darüber hinaus fort und rechtfertigt demnach auch danach noch den Widerruf der Fahrerlaubnis. Unterstrichen wird diese Zweckbestimmung dadurch, dass die Wiederteilung der Fahrerlaubnis von der Teilnahme an einem Aufbauseminar für Fahranfänger gemäß § 2a Abs. 2 Nr. 1 StVG abhängig ist; so soll der Teilnehmer nach § 2b Abs. 1 Satz 1 StVG insbesondere eine risikobewusstere Einstellung zum Straßenverkehr entwickeln.
Schließlich verweist § 6e Abs. 2 Satz 2 StVG ausdrücklich auf § 2a Abs. 2 StVG, wonach die Fahrerlaubnisbehörde auch dann noch die Teilnahme an einem Aufbauseminar anzuordnen hat, wenn die Probezeit zwar zwischenzeitlich abgelaufen ist, die im Gesetz aufgeführten Zuwiderhandlungen aber noch innerhalb der Probezeit begangen worden waren. Diese Regelung findet ihre Rechtfertigung darin, dass zwischen der Begehung der Zuwiderhandlung und deren rechtskräftiger Ahndung bei Ausschöpfung aller Rechtsmittel so viel Zeit vergehen kann, dass inzwischen die Probezeit abgelaufen ist. Bei - wie dargelegt mindestens - gleicher Ausgangslage gilt für den Widerruf der Fahrerlaubnis nach § 6e Abs. 2 Satz 1 StVG wegen eines Auflagenverstoßes nichts anderes.
Der Widerruf ist demnach nicht mit Vollendung des 18. Lebensjahres des Fahranfängers ausgeschlossen (ebenso VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 6.9.2016 - 10 S 1404/16 - juris, Rn. 11; Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 48a FeV, Rn. 22, m. w. N.; Trésoret, in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl. 2016, § 48a FeV, Rn. 57).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Widerrufs liegen demnach aller Voraussicht nach vor. Dem am ... März 1999 geborenen Antragsteller wurde am 3. Mai 2016 eine Fahrerlaubnis der Klasse B mit der Auflage erteilt, dass er bis zur Vollendung seines 18. Lebensjahres nur in Begleitung seines Vaters ein Kraftfahrzeug führen darf. Hiergegen hat er (wenigstens) zweimal am 15. Februar 2017 vorsätzlich verstoßen. Seine Einlassung, (jedenfalls nach dem Umzug) auf den täglichen Gebrauch des PKW angewiesen zu sein, indiziert zudem eine Vielzahl weiterer Verstöße, da er seinen PKW nur in Begleitung seines bereits im Juni 2016 verstorbenen Vaters führen durfte und er seitdem keine Änderung der "benannten" Begleitperson beantragt hatte.
Ist der Widerrufsbescheid des Antragsgegners vom 13. Juni 2017 damit aller Voraussicht nach rechtmäßig und beruht dieser Widerruf auf der Annahme des Gesetzgebers, dass in dem zugrunde liegenden Auflagenverstoß eine noch mangelhafte Einstellung des jugendlichen Fahranfängers zu den Regeln des Straßenverkehrs zum Ausdruck kommt, so ist in aller Regel (vgl. VGH Bad.-Württ., a. a. O., Rn. 12; Trésoret , a. a. O., Rn. 141) zugleich auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs nach § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO gerechtfertigt. Andernfalls würde zu Unrecht die vorübergehende weitere Teilnahme eines insoweit als nicht hinreichend qualifiziert angesehenen Fahranfängers im Straßenverkehr hingenommen; zudem wäre es sinnwidrig, in einem solchen Fall den Widerruf der Fahrerlaubnis ungeachtet einer evtl. zwischenzeitlich unbeanstandeten Teilnahme am Straßenverkehr und der erfolgreichen Teilnahme an einem Aufbauseminar erst mit der ggf. deutlich späteren Bestandskraft des Widerrufsbescheides wirksam werden zu lassen. Dass in dem Auflagenverstoß nicht zugleich auch ein Eignungsmangel i. S. d. § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG liegen muss, steht dem nicht entgegen. Es obliegt dem Gesetzgeber, an Fahranfänger, die nach § 48a FeV frühzeitig, dann aber nur unter Auflagen zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt sind, besondere Anforderungen zu stellen. Das grundsätzlich erforderliche besondere Vollzugsinteresse wird also in einem solchen Fall durch das Interesse am Erlass des der Gefahrenabwehr dienenden Widerrufsbescheides indiziert (vgl. allgemein Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 80, Rn. 87; Külpmann, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl., Rn. 759, jeweils m. w. N.). Aus der auszugsweise vom Verwaltungsgericht zitierten neueren Rechtsprechung des Senats (vgl. ergänzend Beschl. v. 7.3.2017 - 12 ME 12/17 -) ergibt sich nicht anderes. Soweit danach die Feststellung eines besonderen öffentlichen Vollziehungsinteresses eine eigenständige gerichtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordert, fällt diese zu Lasten des Antragstellers aus. Denn er hat durch den zweifachen Auflagenverstoß sowie durch sein länger andauerndes Unterlassen, statt seines verstorbenen Vaters (mindestens) eine andere Begleitperson i. S. d. § 48a Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Nr. 3 (Satz 2) FeV zu benennen, deutlich seine mangelhafte Einstellung zu den im Straßenverkehr als Fahranfänger zu beachtenden Regeln zum Ausdruck gebracht. Die Teilnahme an einem Aufbauseminar lässt dieses Vollzugsinteresse für den Widerruf nicht entfallen, sondern schafft nach der Entscheidung des Gesetzgebers nur die Grundlage für eine etwaige Neuerteilung der Fahrerlaubnis.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und Nrn. 1.5, 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).