Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.07.2003, Az.: 4 LB 564/02

Eingliederungshilfe; Teilnahme am Leben in Gesellschaft; Hinreichende Freizeitaktivitäten; Kostenübernahme für Gemeinschaftsreise; Pflichtgemäße Ermessensausübung; Individueller Hilfebedarf; Vereinbarkeit der Auslegung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.07.2003
Aktenzeichen
4 LB 564/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 15014
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2003:0723.4LB564.02.0A

Fundstellen

  • FEVS 2004, 221-225
  • NDV-RD 2004, 39-41

Amtlicher Leitsatz

Eingliederungshilfe zur Teilnahme eines behinderten Menschen an einer Gemeinschaftsreise kommt auch dann in Betracht, wenn die Einrichtung, in der er betreut wird, sonstige Freizeitaktivitäten anbietet, an denen er teilnimmt oder die er auf Grund seiner Persönlichkeitsstruktur ablehnt.

Redaktioneller Leitsatz

Mit § 19 EingliederungshilfeVO ist eine Auslegung dahingehend, dass die Förderung einer Gemeinschaftsreise fehlende Außenkontakte voraussetze, nicht vereinbar. Auch geht eine Auslegung fehl, die annimmt, ein Behinderter, der die angebotenen Aktivitäten nicht wahrnehme, habe keinen Anspruch auf die Förderung einer Gemeinschaftsreise.

Es kommt hierbei vielmehr auf die besonderen Umstände des Einzelfalls an, wie etwa den Grad der Isolierung oder die angebotenen Freizeitaktivitäten.

Tatbestand

1

Der 1967 geborene Kläger begehrt die Feststellung, dass die Ablehnung der Übernahme der Kosten für die Teilnahme an einer Gemeinschaftsreise aus Mitteln der Eingliederungshilfe durch den Beklagten rechtswidrig gewesen ist.

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Er lebt seit dem 31. August 1999 in der Einrichtung C. in D.. Bereits in den vorangegangenen Jahren lebte er in verschiedenen Einrichtungen. In dem Entwicklungsbericht des Wohn- und Pflegeheims E. vom 20. März 1998 wird ausgeführt, dass bei dem Kläger Alkoholabhängigkeit, Minderbegabung nach fraglich erlittenem frühkindlichen Hirnschaden sowie schwer wiegende Persönlichkeitsstörungen bestehen. Der Kläger ist seelisch wesentlich behindert. Eine Tätigkeit in der Werkstatt für Behinderte lehnte er ab, nahm aber arbeitstherapeutische Maßnahmen im Hausmeisterbereich wahr. Die Kosten der Unterbringung und Betreuung trägt der Beklagte im Wege der Eingliederungshilfe. Mit Schreiben vom 22. März 2000 beantragte der Verein F. e.V. für den Kläger die Übernahme der Kosten für eine sozialtherapeutische Erlebnis- und Gemeinschaftsreise in der Zeit vom 28. Juli 2000 bis 10. August 2000 in Höhe von insgesamt 1.875,33 DM. Unter dem 12. Juli 2000 teilte der Verein F. e.V. mit, dass die Reise auf den Zeitraum vom 22. September bis 5. Oktober 2000 verlegt worden sei. Die Beklagte wandte sich daraufhin an den Landsitz C. mit der Bitte, einen Entwicklungsbericht für den Kläger zu übersenden, in dem auch dazu Stellung genommen werden sollte, welche Außenkontakte er pflege und an welchen Freizeitangeboten er teilnehme. In dem dem Beklagten übersandten Entwicklungsbericht vom 18. April 2000 wird u.a. ausgeführt:

"Hinführung zu beruflicher Integration: Herr A. geht einer festen Tagesstruktur nach. Von Montag bis Freitag unterstützt er den Hausmeister des Hauses, soweit es sein Gesundheitszustand zulässt. Oftmals reichen ein bis zwei arbeitsfreie Tage und Herr A. fühlt sich soweit genesen, seine Tätigkeit beim Hausmeister wieder aufnehmen zu können.

Kontakt zu Angehörigen: Herr A. hat keinen Kontakt zu Angehörigen, da er sehr zurückhaltend in Bezug auf menschliche Nähe ist. Sein Betreuer besucht ihn regelmäßig.

Gruppenkontakte/Kommunikationsfähigkeit: Herr A. hat kaum Kontakt zu Mitbewohnern/innen oder Betreuer/innen im Hause. Er ist sehr schüchtern und bleibt lieber allein in seinem Appartement. An den vom Haus angebotenen Gruppengesprächen nimmt er regelmäßig teil.

Haushaltstraining/lebenspraktischer Bereich: Herr A. ist Selbstversorger, d.h. er kauft selbstständig ein und kocht sein Essen selbst. Seine Wäsche versorgt er weitgehend selbstständig, ebenso die Reinigung des Appartements. Daher ist es ausreichend, dass die Mitarbeiterinnen der Hauswirtschaft einmal in der Woche das Appartement reinigen.

Beschäftigungstherapie/Freizeitgestaltung: Herr A. lehnt die Teilnahme an der BT, die vom Haus angeboten wird, strikt ab: Darauf hätte er keine Lust. Die von der Einrichtung angebotenen Freizeitaktivitäten nimmt er nicht wahr. Ausnahme ist die bevorstehende Erholungsreise in den Bayerischen Wald. Wir sehen die Gemeinschaftsreise als sehr sinnvoll bezüglich der Förderung der sozialen Kontakte und des Umgangs mit nicht Behinderten an. Diese Reise soll auch der engeren Kontaktförderung untereinander dienen."

3

Mit Bescheid vom 9. Mai 2000 lehnte der Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme mit folgender Begründung ab: Kosten zur Durchführung von Gemeinschaftsreisen könnten nur übernommen werden, soweit die Heimbewohner die Freizeitangebote außerhalb der Einrichtung aus persönlichen Gründen objektiv nicht nutzen könnten (fehlende Außenkontakte). Dies gelte für die Fälle, bei denen die jeweiligen Einrichtungen entsprechende Freizeitaktivitäten nicht vorsehen und bei denen der einzelne Behinderte objektiv an den angebotenen Freizeitaktivitäten nicht teilnehmen könne. Aus dem Entwicklungsbericht des Landsitzes C. gehe hervor, dass der Kläger Selbstversorger sei. Das bedeute u.a., dass er sein Essen selber koche und die hierfür nötigen Einkäufe selbst erledige. Er verfüge somit über Außenkontakte im näheren Umfeld des Heimes. Er habe kürzlich Kontakt mit dem Beklagten aufgenommen. Abgesehen von seinem Alkoholproblem habe er hierbei einen sehr selbstständigen Eindruck gemacht.

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Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 29. Mai 2000 Widerspruch ein. Seinen gleichzeitig gestellten Antrag auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Juli 2000 (Az.: 9 B 2511/00) zurückgewiesen.

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Den Widerspruch wies das Niedersächsische Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben mit Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 2001 zurück. Zur Begründung führte es aus: Die Geeignetheit der Maßnahme in der beantragten Form werde nicht in Zweifel gezogen. Die Übernahme der Kosten komme jedoch nur in Betracht, wenn die Reise erforderlich sei, um das Ziel der Eingliederungshilfe zu erreichen. Die Einrichtung, die der Kläger bewohne, biete hinreichende Freizeitaktivitäten. Der Kläger habe nicht erklärt, weshalb er an diesen Aktivitäten nicht teilnehme. Er habe auch die Möglichkeit, bei seinen Einkäufen Außenkontakte zu knüpfen. Der Entwicklungsbericht des Heimes vom 18. April 2000 zeige, dass er weitgehend zu einer selbstständigen Lebensführung in der Lage sei. Es sei nicht ersichtlich, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei, die angebotenen oder objektiv notwendigen Außenkontakte zu knüpfen. Weitere Maßnahmen zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft seien daher nicht erforderlich.

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Mit der am 19. Februar 2001 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt.

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Er hat vorgetragen: Er habe dem Grunde nach einen Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe. Der Beklagte habe über Form und Maß der Sozialhilfe nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die getroffene Entscheidung sei ermessensfehlerhaft. Nach dem Rundschreiben des Niedersächsischen Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben vom 27. November 1997 sei der Sozialhilfeträger verpflichtet, die Kosten für eine Gemeinschaftsreise zu übernehmen, wenn ein auf Eingliederungshilfe angewiesener Heimbewohner die Freizeitangebote außerhalb der Einrichtung aus persönlichen Gründen objektiv nicht nutzen könne. Hier sei das auszuübende Ermessen auf Null reduziert. Der Abschlussbericht des Landsitzes C. vom 31. August 2000 zeige, dass er keinen Kontakt zu seiner Familie habe. Der einzige Kontakt bestehe zu seinem Betreuer. Er habe manchmal das Gespräch mit dem Personal gesucht. An Gruppengesprächen habe er nur sehr unregelmäßig teilgenommen. Zu seinen Mitbewohnern habe ein loser Kontakt bestanden. Die Teilnahme an der Beschäftigungstherapie lehne er mit Nichtinteresse ab. Die Motivation seitens des Heimes sei negativ ausgefallen. Auch an den angebotenen Freizeitaktivitäten nehme er nicht teil. Entgegen der Auffassung des Beklagten habe er während seiner Einkäufe keine Möglichkeit, Außenkontakte zu knüpfen. Soweit er mit dem Beklagten Kontakt aufgenommen habe, sei dies vornehmlich dann geschehen, wenn er stark alkoholisiert und die Hemmschwelle zur Kontaktaufnahme deshalb niedriger gewesen sei. Tatsächlich sei er auf Grund seiner Erkrankung nicht in der Lage gewesen, die angebotenen Freizeitaktivitäten wahrzunehmen bzw. ausreichende Außenkontakte zu entwickeln.

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Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 9. Mai 2000 in der Form des Widerspruchsbescheides des Niedersächsischen Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben vom 6. Februar 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Kosten für die sozialtherapeutische Erlebnis- und Gemeinschaftsreise vom 28. Juli bis 10. August 2000 nach G. zu übernehmen.

9

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Er hat ergänzend zu den Gründen der angefochtenen Bescheide geltend gemacht: Der Kläger sei einmal eine gesamte Woche aus eigenem Antrieb der Einrichtung ferngeblieben. Er sei in dieser Zeit somit auf eigenständige Außenkontakte angewiesen gewesen.

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 24. August 2001 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

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Der Anspruch auf Eingliederungshilfe sei lediglich ein Anspruch dem Grunde nach; über Form und Maß der Sozialhilfe sei nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, soweit im Einzelfall nichts anderes bestimmt sei. Dieser Bereich sei der Regelung durch Verwaltungsvorschriften zugänglich. Nach dem Rundschreiben des NLZSA sei der Sozialhilfeträger verpflichtet, die Kosten für eine Gemeinschaftsreise zu übernehmen, wenn ein auf Eingliederungshilfe angewiesener Heimbewohner die Freizeitangebote außerhalb der Einrichtung aus persönlichen Gründen objektiv nicht nutzen könne (fehlende Außenkontakte). Bei Anwendung dieser Richtlinien stehe dem Kläger ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Gemeinschaftsreise nicht zu. Der Entwicklungsbericht des Heimes vom 18. April 2000 lasse erkennen, dass die Einrichtung hinreichende Freizeitaktivitäten anbiete. Hierzu habe der Kläger sich nicht weiter geäußert und auch nicht erklärt, weshalb er an diesen Aktivitäten nicht teilnehme. Außerdem habe er die Möglichkeit, bei seinen Einkäufen Außenkontakte zu knüpfen. Der Entwicklungsbericht des Heimes weise eine weitgehend selbstständige Lebensführung des Klägers aus. Das Vorbringen des Klägers lasse nicht hinreichend erkennen, weshalb er trotz dieser Fähigkeiten keine hinreichenden Kontakte mit nicht behinderten Personen knüpfen könne. Das Wunsch- und Wahlrecht des Hilfe Suchenden verpflichte den Sozialhilfeträger für sich allein nicht, die Kosten für eine Gemeinschaftsreise zu übernehmen. Es bestehe kein Anspruch auf Beihilfe zu jeder Maßnahme, die die Eingliederung des Behinderten in die Gemeinschaft fördere. Maßgebend sei vielmehr der konkrete Hilfebedarf des einzelnen Hilfe Suchenden. Dem werde die ermessensbindende Richtlinie des NLZSA nach der derzeitigen Verwaltungspraxis dadurch hinreichend gerecht, dass das Vorhandensein ausreichender Außenkontakte bzw. die Möglichkeit zur Wahrnehmung dieser Kontakte einzelfallbezogen zu prüfen sei. Diese Prüfung habe hier ergeben, dass der Kläger über ausreichende Kontakte verfüge und es deshalb nicht geboten sei, seine Fähigkeit zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft durch Übernahme der Kosten der Gemeinschaftsreise zu fördern.

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Gegen dieses Urteil des Verwaltungsgerichts wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat mit Beschluss vom 28. November 2002 zugelassenen Berufung. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein bisheriges Vorbringen. Ergänzend weist er darauf hin, dass die Gemeinschaftsreise seinerzeit für die gesamte Gruppe abgesagt worden sei, weil der Beklagte die Übernahme der Kosten abgelehnt habe.

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Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 24. August 2001 zu ändern und festzustellen, dass der Bescheid des Beklagen vom 9. Mai 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Niedersächsischen Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben vom 6. Februar 2001 rechtswidrig gewesen ist.

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Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

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Er führt aus: Entgegen der bisher in dem Beschluss über die Zulassung der Berufung vom 28. November 2002 vertretenen Auffassung komme bereits in dem Wortlaut des Absatzes 2 der Ziffer 2 des Rundschreibens des NLZSA zum Ausdruck, dass es nicht lediglich das Ziel des Gesetzgebers gewesen sei, das Erhalten und Knüpfen von Kontakten zu nahe stehenden Personen zu ermöglichen. Vielmehr würden ausdrücklich Außenkontakte im näheren Umfeld der Wohnung oder des Heimes genannt. Die Regelung enthalte außerdem den ausdrücklichen Hinweis, dass dies "im Regelfall" gelten solle, sodass in jedem Einzelfall individuell geprüft werden müsse, ob der Betroffene über hinreichende Außenkontakte verfüge. Das Heim habe hinreichende Freizeitaktivitäten angeboten, die der Kläger jedoch nicht wahrgenommen habe, weil er dazu "keine Lust" gehabt habe. Wieso er nur speziell durch die Gemeinschaftsreise Kontakte knüpfen könne, nicht aber durch die zahlreichen anderen angebotenen Aktivitäten, sei nicht nachvollziehbar.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

19

Die Feststellungsklage ist zulässig. An der begehrten Feststellung, dass der angefochtene Bescheid des Beklagten rechtswidrig gewesen ist, hat der Kläger ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, da diese der Durchsetzung seiner Ansprüche für die Zukunft dient. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergibt sich hier unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr. Der Kläger muss damit rechnen, dass der Beklagte auch künftig die Übernahme der Kosten für die Teilnahme an einer Gemeinschaftsreise mit einer im Wesentlichen unveränderten Begründung ablehnt.

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Die Feststellungsklage ist auch begründet. Die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

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Der Kläger hat gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG dem Grunde nach Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe für Behinderte, da er - unstreitig - nicht nur vorübergehend seelisch wesentlich behindert ist. Die Aufgabe der Eingliederungshilfe liegt darin, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Zu den Maßnahmen der Eingliederungshilfe gehört u.a. die Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft (§ 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG). Diese Hilfe umfasst vor allem Maßnahmen, die geeignet sind, den Behinderten die Begegnung und den Umgang mit nicht behinderten Menschen zu ermöglichen, zu erleichtern oder diese vorzubereiten (§ 19 Abs. 1 EingliederungshilfeVO). Auf solche Maßnahmen hat der Behinderte einen Rechtsanspruch dem Grunde nach; insoweit ist dem Hilfeträger Ermessen nicht eingeräumt (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.05.1975 - BVerwG V C 19.74 -, Buchholz 436.0 § 40 BSHG Nr. 6 zur "Hilfe zu einer angemessenen Schuldbildung"). Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BSHG besteht auf Sozialhilfe ein Anspruch, soweit das BSHG bestimmt, dass die Hilfe zu gewähren ist. Über Form und Maß der Sozialhilfe ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, soweit das BSHG das Ermessen nicht ausschießt. Mit dem Maß der Hilfe ist deren Umfang gemeint. Darunter fällt damit die Frage, welche konkreten Hilfemaßnahmen im Einzelfall zu gewähren sind. Nach § 3 Abs. 1 BSHG richteten sich Art, Form und Maß der Sozialhilfe nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach der Person des Hilfeempfängers, der Art seines Bedarfs und den örtlichen Verhältnissen (Individualisierungs- und Bedarfsdeckungsgrundsatz); Wünschen des Hilfeempfängers, die sich auf die Gestaltung der Hilfe richten, soll entsprochen werden, soweit sie angemessen sind (§ 3 Abs. 2 Satz 1 BSHG). Daraus folgt, dass der Sozialhilfeträger sein pflichtgemäßes Ermessen (nur) hinsichtlich der Frage auszuüben hat, welche Eingliederungshilfemaßnahmen nach § 19 EingliederungshilfeVO nach den besonderen Umständen des Einzelfalles, also nach dem individuellen Hilfebedarf des Hilfeempfängers, und unter Berücksichtigung seiner angemessenen Wünsche gewährt werden.

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Die von dem Beklagten getroffene Entscheidung war ermessensfehlerhaft. Denn sein Ermessen war hier darauf reduziert, die Kosten für die Gemeinschaftsreise zu übernehmen. Die Ermessensentscheidung war bereits deshalb fehlerhaft, weil sie sich maßgeblich an den Vorgaben des Rundschreibens 22/97 des NLZSA vom 27. November 1997 orientiert hat. Dort wird unter Ziffer 2 Absatz 1 aufgeführt:

"Das Land Niedersachsen als überörtlicher Träger der Sozialhilfe übernimmt Kosten zur Durchführung von Gemeinschaftsreisen entsprechend der Regelung unter Ziffer 5 für Heimbewohner in seiner sachlichen Zuständigkeit, die die Freizeitangebote außerhalb der Einrichtungen aus persönlichen Gründen objektiv nicht nutzen können (fehlende Außenkontakte). Dieses gilt für die Fälle, bei denen die jeweilige Einrichtung (Heim) entsprechende Freizeitaktivitäten nicht vorsieht, oder, bei denen der einzelne Behinderte objektiv an den angebotenen Freizeitaktivitäten nicht teilnehmen kann. In diesen Fällen ist der Sozialhilfeträger verpflichtet, dem Behinderten die Begegnung mit nicht behinderten Personen zu ermöglichen, auch durch die Kostenübernahme für eine Gemeinschaftsreise."

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Die zitierte Vorgabe in dem genannten Rundschreiben ist aber rechtsfehlerhaft, soweit dort bestimmt wird, dass eine Verpflichtung zur Übernahme der Kosten für die Durchführung einer Gemeinschaftsreise nur für Heimbewohner besteht, denen die dort näher definierten Außenkontakte fehlen. Diese Maßgabe beruht - ebenso wie diejenige der Ziffer 2 Absatz 2 (vgl. hierzu Urt. d. Sen. v. 31.10.2002 - 4 LB 286/02 -, NDV-RD 2003, 33 V.n.b.) - auf einem nicht zutreffenden Verständnis der Vorschriften des BSHG, aus denen sich der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Eingliederungshilfe dem Grunde nach ergibt. Eingliederungshilfe in Form der Ermöglichung oder der Erleichterung der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft bedeutet nämlich eine Förderung von Kontakten auch und gerade zu nicht behinderten Menschen, und zwar nicht nur zu nahe stehenden Personen wie Familienangehörigen, sondern darüber hinaus zu allen Personen, die auf Grund gemeinsamer Interessen und Bedürfnisse dem Behinderten helfen können, das Gefühl menschlicher Isolierung zu überwinden (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 23.05.2002 - 12 LA 344/02 -, V.n.b., unter Hinweis auf die amtliche Begründung zu Nr. 14 der Änderungsverordnung vom 15. Januar 1975 <= § 19 EingliederungshilfeVO a.F.>, abgedruckt bei Giese, in: Gottschick/Giese, BSHG, 9. Aufl. 1985, Rdnr. 2 zu § 19 EingliederungshilfeVO). Gemeinschaftsreisen kommt daher als Maßnahme der Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft im Sinne des § 19 Nr. 1 EingliederungshilfeVO in besonderem Maße Bedeutung zu. Denn die Teilnahme hieran eröffnet den Behinderten, die sonst fast ausschließlich und damit isoliert in einer Einrichtung leben, die Möglichkeit, mit nicht behinderten Personen in Kontakt zu treten. Die Behinderten erwerben hierdurch neues Selbstvertrauen und können lernen, mit ihrer Behinderung in der Gemeinschaft ihrer Mitmenschen als gleichberechtigte Partner zu leben (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 23.05.2002, a.a.O. m.w.N.). Eine Auslegung der Vorschriften über die Eingliederungshilfe, die für die Förderung einer Gemeinschaftsreise voraussetzt, dass ein behinderter Heimbewohner über keinerlei Außenkontakte verfügt, ist daher gerade nicht mit § 19 Nr. 1 EingliederungshilfeVO vereinbar. Vielmehr kommt es erheblich auf die besonderen Umstände des Einzelfalles an, die bei dem jeweiligen Behinderten vorliegen. Von Bedeutung sind hierbei der Grad der bereits eingetretenen Isolierung etwa auf Grund eines langen Heimaufenthalts, die dem Behinderten durch das Heim oder durch andere Personen gebotenen Freizeitaktivitäten, seine Einbindung in die Außenwelt etwa auf Grund von Betätigungen außerhalb der Einrichtungen und die Möglichkeiten des Behinderten, angebotene Aktivitäten wahrzunehmen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 23.05.2002, a.a.O.).

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Die Maßgabe der Ziffer 2 Absatz 1 des Runderlasses wird damit dem Regelungsgehalt der §§ 39 Abs. 3 Satz 1, 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG, § 19 Nr. 1 EingliederungshilfeVO nicht gerecht. Denn sie beruht offenkundig auf der unzutreffenden Annahme, dass behinderte Heimbewohner, die die Freizeitangebote außerhalb der Einrichtung nutzen oder aus subjektiven - möglicherweise behinderungsbedingten - Gründen nicht nutzen, keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Gemeinschaftsreise haben. Diese Annahme steht im Widerspruch zu den dargelegten Vorteilen von Gemeinschaftsreisen als Maßnahmen der Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft im Sinne des § 19 Nr. 1 EingliederungshilfeVO. Denn die Teilnahme an diesen Gemeinschaftsreisen, die zeitlich regelmäßig über sonstige Freizeitangebote hinausgehen, stellt erhöhte Anforderungen an die Behinderten und bietet damit gleichzeitig Möglichkeiten, mit nicht behinderten Personen in Kontakt zu treten, die bei sonstigen Freizeitangeboten nicht gegeben sind. Durch die mit einer solchen Reise an die Behinderten gestellten erhöhten Anforderungen wird gleichzeitig ihre Fähigkeit gesteigert, in der Gemeinschaft ihrer Mitmenschen als gleichberechtigte Partner zu leben.

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Es ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls auch nicht ersichtlich, dass der individuelle Bedarf des Klägers an Hilfe zur Teilnahme in der Gemeinschaft in dem hier erheblichen Zeitraum anders als durch die Teilnahme an der Gemeinschaftsreise gedeckt werden konnte. Das ergibt sich aus den Feststellungen in den Entwicklungsberichten des Heimes des Klägers vom 18. April 2000 und 31. August 2000. In dem Bericht vom 18. April 2000 wird ausgeführt, dass er kaum Kontakt zu Mitbewohnern oder Betreuern im Hause habe. Er sei sehr schüchtern und bleibe lieber allein in seinem Appartement. An den vom Haus angebotenen Gruppengesprächen nehme er regelmäßig teil. Die Teilnahme an der Beschäftigungstherapie lehne er strikt ab und nehme an den angebotenen Freizeitaktivitäten nicht teil. Ausnahme sei die bevorstehende Reise in den Bayerischen Wald. Diese Reise werde als sehr sinnvoll bezüglich der Förderung der sozialen Kontakte und des Umgangs mit nicht Behinderten angesehen. Sie solle auch der engeren Kontaktförderung untereinander dienen. In dem Bericht vom 31. August 2000 wird ausgeführt, dass der Kläger keinen Kontakt zu seiner Familie habe, der einzige Kontakt bestehe zu seinem Betreuer. Er habe sehr zurückgezogen gelebt und manchmal das Gespräch mit dem Personal gesucht. An den Gruppengesprächen habe er nur sehr unregelmäßig teilgenommen. Die Motivation zur Teilnahme an der Beschäftigungstherapie sei negativ ausgefallen. Auch an den angebotenen Freizeitaktivitäten habe er nicht teilgenommen. Diese Ausführungen zeigen, dass es dem Bedarf des Klägers - der seit vielen Jahren unter Persönlichkeitsstörungen leidet - entsprach, an der Gemeinschaftsreise teilzunehmen. Den Berichten ist zu entnehmen, dass er allenfalls in sehr geringem Umfang Kontakt zu nicht behinderten Menschen hatte. Die Ziele einer Gemeinschaftsreise sind - wie in dem Rundschreiben des NLZSA vom 27. November 1997 unter Ziffer 1.2 zutreffend ausgeführt wird - das Zusammenleben in einer Gemeinschaft unter veränderten Bedingungen kennen zu lernen, einzuüben und die Sozialisationsfähigkeit zu fördern, die Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit zu fördern, die Orientierungsfähigkeit in einer anderen als der sonst gewohnten Umgebung zu entwickeln oder zu stärken und die Fähigkeit der Teilnehmer zur Kontaktaufnahme und zur Herstellung neuer Beziehungen zu fördern oder zu stärken. Das zeigt, dass gerade im Falle des Klägers, der insbesondere in diesen Bereichen erhebliche Defizite aufweist, die Gemeinschaftsreise geeignet war, seinen Bedarf an Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu decken.

26

Das Vorbringen des Beklagten im Berufungsverfahren führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Soweit er vorträgt, das Heim habe hinreichende Freizeitaktivitäten angeboten, ist bereits ausgeführt worden, dass dem individuellen Hilfebedarf dadurch nicht Rechnung getragen worden ist, weil es sich bei der Gemeinschaftsreise um eine qualitativ andere Maßnahme handelt, die nicht durch die "regulären" Freizeitaktivitäten ersetzt werden kann. Im Übrigen ist der Kläger, wie sich aus den Entwicklungsberichten ergibt, auf Grund seiner Persönlichkeitsstruktur und damit letztlich behinderungsbedingt gehindert gewesen, die meisten dieser Freizeitangebote anzunehmen. Solche Gründe sind den in dem Rundschreiben genannten "objektiven" Hinderungsgründen gleichzustellen. Nach Auffassung des Senats liegt es auch auf der Hand und bedarf deshalb keiner weiteren Vertiefung, dass der Kläger nicht darauf verwiesen werden konnte, Kontakte mit nicht behinderten Menschen im Rahmen von Einkäufen zu knüpfen. Angesichts der Ausführungen in den zitierten Entwicklungsberichten ist auch nicht ersichtlich, dass dem Bedarf des Klägers hier entgegen gehalten werden könnte, dass er eigenständig Kontakt mit dem Beklagten aufgenommen hat, um z.B. Angelegenheiten seiner Unterbringung zu besprechen, zumal er bei diesen Gelegenheiten nach seinem eigenem Vorbringen alkoholisiert gewesen ist.

27

Nach alledem konnte der Beklagte das ihm eröffnete Ermessen pflichtgemäß nur dahingehend ausüben, die Kosten für die Durchführung der Gemeinschaftsreise im Rahmen der Eingliederungshilfe zu übernehmen, sodass die begehrte Feststellung zu treffen ist.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.