Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.07.2003, Az.: 13 LA 155/03

atypischer Geschehensablauf; Ausweisung; Duldungsgründe; Maßgeblicher Zeitpunkt; Regelausweisung; Schutz von Ehe und Familie

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
21.07.2003
Aktenzeichen
13 LA 155/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48022
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 04.02.2003 - AZ: 4 A 71/01

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Selbst wenn der deutschen Ehefrau eines Ausländers, der wegen erheblicher Straftaten ausgewiesen werden soll, die Führung der Ehe in dessen Heimatstaat nicht zugemutet werden kann, ergibt sich daraus kein atypischer Geschehensablauf i.S.d. § 47 Abs. 2 AuslG. Es handelt sich dabei um Duldungsgründe, die für die Frage, ob eine Ausnahme vom Regelfall gegeben ist, als unerheblich angesehen werden müssen.

Der Anspruch auf Achtung des Familienlebens (Art. 8 EMRK) steht einer Ausweisung nicht entgegen, weil zu den von Art. 8 Abs. 2 EMRK gebilligten Zielen einer Aufenthaltsbeendigung der Schutz der öffentlichen Ordnung und die Verhindung von Straftaten gehören.

Gründe

1

Der Zulassungsantrag des Klägers bleibt ohne Erfolg. Die geltendgemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

2

1. Soweit der Kläger die Verwertung des Schreibens der Kriminalpolizeiinspektion B. vom 22. Februar 2001 in dem angefochtenen Urteil rügt, soll offenbar der Zulassungsgrund eines der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) geltendgemacht werden. Eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs stellt die Verwertung dieses Schreibens aber nicht dar. Zwar darf das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten (§ 108 Abs. 2 VwGO), und es lässt sich dem Protokoll der mündlichen Verhandlung nicht entnehmen, ob jenes Schreiben ausdrücklich erörtert worden ist. Indessen entscheidet gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Gegenstand der Urteilsfindung sind mithin auch die in dem Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge (so ausdrücklich auch der Tatbestand des angefochtenen Urteils, S. 5 UA). Da es in dem Verfahren entscheidend auf die strafrechtlichen Auffälligkeiten des Klägers ankommt, hätte er sich zu dem Inhalt dieses Schreibens äußern können und müssen, sofern er die inhaltliche Richtigkeit bestreiten wollte. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht das genannte Schreiben lediglich ergänzend zu den zahlreichen strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers herangezogen.

3

2. Es bestehen auch nicht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

4

Insoweit macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass die beteiligten Verwaltungsbehörden und das VG Gesichtspunkte außer acht gelassen hätten, die sich aus der mit seiner Ausweisung verbundenen Beeinträchtigung der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau und seiner deutschen Tochter ergeben. Dies trifft indessen nicht zu.

5

Der Kläger räumt mit seinem Zulassungsbegehren selbst ein, dass die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung durch das Gericht anhand der Sach- und Rechtslage zu beurteilen sei, wie sie sich im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung - 20. März 2001 - dargestellt habe. Zu diesem Zeitpunkt war die Ehefrau des Klägers hochschwanger; seine Tochter C. wurde am D. in Lüneburg geboren. Die Schwangerschaft der Ehefrau und die bevorstehende Geburt eines leiblichen Kindes des Klägers sind aber sowohl in dem Widerspruchsbescheid als auch in dem erstinstanzlichen Urteil umfassend berücksichtigt worden. Dem Umstand, dass der Kläger mit seiner deutschen Ehefrau und dem - zu erwartenden - Kind zusammenleben wollte, ist bereits durch die Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG Rechnung getragen (so ausdrücklich der Widerspruchsbescheid vom 20.3.2001). Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang ergänzt, dass auch mit Rücksicht auf die Schwangerschaft der Ehefrau des Klägers nicht ersichtlich gewesen sei, dass diese zu dem maßgeblichen Zeitpunkt auf den persönlichen Beistand des Klägers besonders angewiesen gewesen sei (S. 7 UA). Soweit der Zulassungsantrag in diesem Zusammenhang geltend macht, der Ehefrau des Klägers sei im maßgeblichen Zeitpunkt die Fortführung der Ehe im Heimatland des Klägers nicht zumutbar gewesen, handelt es sich um Duldungsgründe, die für die Frage, ob eine Ausnahme vom Regelfall i.S.d. § 47 Abs. 2 AuslG gegeben ist, als unerheblich angesehen werden muss (vgl. Hailbronner, AuslR, § 47 AuslG, RdNr. 20; and. Ansicht VGH Bad-Württ. und BayVGH, nachgewiesen bei Hailbronner, aaO). Ausnahmefälle setzen einen atypischen Geschehensablauf voraus, aufgrund dessen die Regelausweisung ohne Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalls nicht als gerechtfertigt erscheint. Das Vorliegen von Abschiebungshindernissen ist aber kein Umstand, der einen atypischen Geschehensablauf begründet (Hailbronner, aaO).Vollzugshemmnisse, die einen Duldungsgrund darstellen, sind daher im allgemeinen nach dem Willen des Gesetzgebers allenfalls im Rahmen einer Ermessensentscheidung über eine Kann-Ausweisung - § 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG - zu berücksichtigen (Hailbronner, aaO). Mithin sind die vom Kläger geschilderten Verhältnisse, die Roma im Kosovo vorfinden, ungeachtet ihrer Würdigung als beachtliche Duldungsgründe - was der Senat im Übrigen in ständiger Rechtsprechung verneint - bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Klägers nicht von Bedeutung.

6

Weitergehende in diesem Zusammenhang sich ergebende Gesichtspunkte hat das Verwaltungsgericht im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung der Sach- und Rechtslage entgegen der Auffassung des Klägers zu Recht unberücksichtigt gelassen. Dies gilt hinsichtlich des Schlaganfalles, den die Ehefrau des Klägers im weiteren Verlauf erlitten hat und auch hinsichtlich der Behauptung des Klägers, er trage wegen des Gesundheitszustandes seiner Ehefrau derzeit die überwiegende Erziehungslast in Bezug auf die Tochter. Diese letzte Behauptung des Klägers ist im Übrigen in Zweifel zu ziehen, weil die Tochter des Klägers bei der Mutter und deren Eltern lebt, so dass sich die frühere Absicht des Klägers, nach Verbüßung der Strafhaft mit seiner deutschen Ehefrau und dem Kind wieder in familiärer Lebensgemeinschaft leben zu wollen, nicht realisiert hat (Schriftsatz der Beklagten vom 3. Juni 2003). Davon, dass der Kläger die Hauptlast der Erziehung seiner Tochter trage, dürfte mithin nicht die Rede sein.

7

Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Anspruch des Klägers auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK einer Ausweisung nicht entgegenstehe, weil zu den von Art. 8 Abs. 2 EMRK gebilligten Zielen einer Aufenthaltsbeendigung der Schutz der öffentlichen Ordnung und die Verhinderung von Straftaten gehören, ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.