Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.07.2003, Az.: 2 PA 177/03
Anwaltszwang; Ausschluss; Beschwerde; Bewilligung; PKH; Prozesskostenhilfe; Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren; Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren; Vertretungszwang
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 02.07.2003
- Aktenzeichen
- 2 PA 177/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48571
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 14.05.2003 - AZ: 4 B 40/03
Rechtsgrundlagen
- § 67 Abs 1 S 2 VwGO
- § 146 VwGO
- § 166 VwGO
- § 114 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zumindest nach der Aufhebung des Anwaltszwangs für das Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren zum 1. Januar 2002 (§ 67 Abs. 1 Satz 2 VwGO n. F.) ist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren ausgeschlossen.
Gründe
Eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe an den Antragsteller kommt nicht in Betracht.
Auszugehen ist davon, dass der Antragsteller nicht Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 14. Mai 2003 eingelegt hat, in dem es das Verwaltungsgericht abgelehnt hat, dem Antragsteller für die Durchführung eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens gegen die Heranziehung zu einer Studiengebühr für das Wintersemester 2002/2003 für sog. Langzeitstudenten – der Antragsteller befand sich im Wintersemester 2002/2003 im 35. Semester seines rechtswissenschaftlichen Studiums – Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Denn der Antragsteller hat innerhalb der Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO lediglich mit dem am 3. Juni 2003 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 1. Juni 2003 einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Beschwerde gegen den Beschluss vom 14. Mai 2003 gestellt, auch ergibt sich aus der Begründung des Antrages eindeutig und unmissverständlich, dass auch nur ein derartiger Antrag durch den Antragsteller gestellt werden sollte.
Dem Antragsteller kann aber die begehrte Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nicht bewilligt werden. Hierbei ergibt sich die Erfolglosigkeit dieses Prozesskostenhilfebegehrens schon aus dogmatischen Gründen. Der Senat kann daher für dieses Verfahren offen lassen, ob der Antrag des Antragstellers nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 4. Februar und 27. März 2003 hinreichende Aussicht auf Erfolg i. S. des § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO bietet; allerdings dürfte Überwiegendes dafür sprechen, dass die umstrittene Studiengebühr bei dem Antragsteller zu Recht erhoben worden ist, wie dies das Verwaltungsgericht in dem sorgfältig begründeten Beschluss vom 14. Mai 2003 im Einzelnen dargelegt hat.
Nach allgemeiner Ansicht (s. etwa BGH, Beschl. v. 30.5.1984 – VIII ZR 298/83 -, NJW 1984, 2106 = MDR 194, 931 = BGHZ 91, 311; BVerwG, Beschl. v. 22.8.1990 – BVerwG 5 ER 639.90 -, Buchholz 310 § 166 VwGO Nr. 21 = RPfleger 1991, 1991, 63 = JurBüro 1991, Sp. 570(571); Hanseatisches OVG, Beschl. v. 4.4.1990 – Bs IV 8/90 -, NVwZ 1990. 975(976); OLG Bamberg, Beschl. v. 18.10.2000 – 2 WF 159/00 -, FamRZ 2001, 922; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO. 13. Aufl. 2003, RdNr. 2 zu § 166; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl. 2003, RdNrn. 35 u. 133 zu § 114; Philippi, in: Zöller, ZPO, 22. Aufl. 2001, RdNr. 3 zu § 114) kommt nach § 114 ZPO, auf den § 166 VwGO für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Verwaltungsprozess verweist, eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren nicht in Betracht; denn unter Prozessführung i. S. des § 114 ZPO kann nicht auch das Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahren selbst, sondern nur das eigentliche Streitverfahren verstanden werden (BGH, aaO; BVerwG, aaO). Dies ist auch dogmatisch nicht gerechtfertigt, weil bei einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahren die Erfolgsaussichten des ersten Prozesskostenhilfeverfahrens und dort die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens – hier des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO – zu prüfen wären. Eine derartige Prüfung widerspräche aber dem Wesen des Prozesskostenhilfeverfahrens, welches als Nebenverfahren nur die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung eines Hauptsacheverfahrens vorbereiten soll, nicht aber selbst der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienen kann (Olbertz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Januar 2003, RdNr. 5 zu § 166).
Allerdings ist unter Geltung des § 67 Abs. 1 VwGO a. F. und des § 146 Abs. 4 VwGO a. F., die auch für das Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren den Anwaltszwang und ein vorgeschaltetes Zulassungsverfahren vorgesehen hatten, von dem 12. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschl. v. 9.11.2000 – 12 O 3707/00 u. 12 O 3876/00 -) die Auffassung vertreten worden (vgl. auch Atzler, NdsVBl. 1998, 153 u. OVG Saarland, Beschl. v. 6.8.1997 – 8 Y 10/97 -, NVwZ 1998, 413), die Vorschriften des § 67 und des § 146 VwGO a. F. müssten unter Berücksichtigung des Verfassungsgebots des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verfassungskonform in der Weise ausgelegt werden, dass ein unbemittelter Beteiligter ein Wahlrecht dahingehend habe, ob er – ohne Kostenrisiko – das Beschwerdezulassungs- und das Beschwerdeverfahren selbst betreiben oder ob er diese Verfahren nach entsprechender Bewilligung von Prozesskostenhilfe (bei hinreichender Erfolgsaussicht) mit anwaltlicher Vertretung führen wolle, ihm mithin unter Abweichung von dem o. g. Grundsatz gleichwohl Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahrens bzw. des ihm vorgeschalteten Zulassungsverfahrens bewilligt werden könnte (a. A. für den Fall einer schon bestehenden anwaltlichen Vertretung: 4. Senat des Niedersächsischen OVG, Beschl. v. 3.11.2000 – 4 O 825/00 -).
Der beschließende Senat kann offen lassen, ob der Ansicht des 12. Senats zu einem für einen unbemittelten Prozessbeteiligten bestehenden Wahlrecht unter Geltung der §§ 67, 146 VwGO a. F. zu folgen ist oder ob nach dem bisherigen Recht stattdessen für das Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren ein Anwaltszwang nicht bestanden hat (so z. B. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 23.7.1997 – 3 S 1544/97 -, VBlBW 1997, 425(426); Beschl. v. 25.1.2000 – 6 S 2641/99 -, VGHBW-Ls 96/2000; Beschl. v. 22.5.2001 – 7 S 646/01 -, NVwZ-RR 2001, 802(803)). Denn zumindest nach Änderung des §§ 67 Abs. 1 VwGO und des § 146 VwGO durch das Rechtsmittelbereinigungsgesetz (Gesetz zu Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess v. 20.12.2001, BGBl. I S. 3987) zum 1. Januar 2002, wonach im Beschwerdeverfahren ein Zulassungsverfahren generell nicht mehr stattfindet und das Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren nicht mehr dem Anwaltszwang unterliegt (§ 67 Abs. 1 Satz 2 a. E. VwGO), besteht für eine verfassungskonforme Auslegung der §§ 67, 146 VwGO (im Sinne einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahren) keine Notwendigkeit mehr. Der unbemittelte Beteiligte hat vielmehr seit dem 1. Januar 2002 nach Aufhebung des Anwaltszwangs für das Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren (wieder) die Möglichkeit, - ggf. nach Inanspruchnahme von Beratungshilfe und durch Antragstellung zu Protokoll der Geschäftsstelle - selbst gegen einen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vorzugehen und im Wege der Beschwerde um die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nachzusuchen, wobei das Oberverwaltungsgericht in diesem Beschwerdeverfahren die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung von Amts wegen zu prüfen hat (BVerwG, Beschl. v. 22.8.1990, aaO, S. 2); denn die (einschränkende) Bestimmung des § 146 Abs. 4 VwGO, insbesondere die des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO findet auf das Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren keine Anwendung. Mithin bestehen für einen unbemittelten Beteiligten zumindest seit dem 1. Januar 2002 im Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren keine Nachteile (mehr), die unter Abweichung von dogmatischen Grundsätzen (vgl. Philippi, aaO) im Interesse einer effektiven Rechtsschutzgewährung (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) durch die Anerkennung einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahren auszugleichen wären (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.8.1990, aaO).
Nach § 166 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO kommt eine Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht in Betracht.
2. Soweit der Antragsteller in seinem Schriftsatz vom 1. Juni 2003 hilfsweise gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 14. Mai 2003 Gegenvorstellungen erhoben hat, sind diese zurückzuweisen.
Gegenvorstellungen sind Bitten und Anregungen an das Gericht, dieses möge eine von ihm nach der Prozessordnung unanfechtbare Entscheidung von Amts wegen im Wege der Selbstkontrolle ändern oder aufheben (vgl. Meyer-Ladewig, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, aaO, RdNr. 13 der Vorbem. vor § 124 m. w. Nachw.). Dabei kommt eine Änderung von Entscheidungen in Betracht, die im offensichtlichen Widerspruch zum Gesetz stehen, insbesondere auf einem Verfassungs- und Grundrechtsverstoß beruhen und andernfalls nur über den ‘Umweg’ einer Verfassungsbeschwerde korrigiert werden könnten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.1.1983 - 2 BvR 964/82 - , NJW 1983, 1900 u. Beschl. v. 25.3.1986 – 1 BvL 5/80 u. a. - , BVerfGE 72, 84 (88) sowie Meyer-Ladewig, aaO, RdNr. 18). Hier sind die Gegenvorstellungen des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts schon deshalb zurückzuweisen, weil es sich bei dem Beschluss vom 14. Mai 2003 nicht um eine (unanfechtbare) Entscheidung des Senats selbst handelt. Vielmehr hätte der Antragsteller durchaus die Möglichkeit gehabt, mit seinem Schriftsatz vom 1. Juni 2003 noch am 3. Juni 2003, dem Tag des Ablaufs der Beschwerdefrist, (selbst; s. o.) den zulässigen Rechtsbehelf, die Beschwerde, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts einzulegen, zumal er in der zutreffenden Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses hierauf auch hingewiesen worden war.