Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.07.2003, Az.: 2 ME 147/03

Erhöhung; Hochschule; Kindererziehungszeit; Studiengebühr; Studienguthaben; Studienguthabenverbrauch; Studium; Zweitstudium

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
24.07.2003
Aktenzeichen
2 ME 147/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48576
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 14.04.2003 - AZ: 6 B 1377/03

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bei einem Zweitstudium ist die Erhöhung des Studienguthabens nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 NHG um Kindererziehungszeiten grundsätzlich nicht ausgeschlossen

Gründe

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Die Beschwerde, mit der sich die Antragsgegnerin gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 14. April 2003 wendet, in der das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der von der Antragstellerin gegen den Studiengebührenbescheid der Antragsgegnerin („wegen Studienguthabenverbrauchs“) vom 13. Dezember 2002 (i. d. G.  des Widerspruchsbescheides v. 11.3.2003) erhobenen Klage – 6 A 1376/03 - angeordnet hat, bleibt erfolglos; denn auch nach Auffassung des Senats bestehen nach dem Kenntnisstand dieses Eilverfahrens an der Rechtmäßigkeit des Studiengebührenbescheides vom 13. Dezember 2002 ernstliche Zweifel  i. S.  des § 80 Abs. 4 Satz 3, 1. Altn. VwGO, so dass in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO zu Recht die aufschiebende Wirkung der gegen den Gebührenbescheid erhobenen Klage angeordnet worden ist.

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Der Senat teilt in diesem Eilverfahren die Einschätzung des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss vom 14. April 2003, wonach an der Rechtmäßigkeit des Gebührenbescheids der Antragsgegnerin, mit der diese gegenüber der Antragstellerin für das Sommersemester 2003 wegen Verbrauchs des der Antragstellerin zustehenden Studienguthabens eine Studiengebühr in Höhe von 500 € festgesetzt hat, ernstliche Zweifel bestehen; denn die Antragstellerin verfügt für das Sommersemester 2003 noch über ein Studienguthaben, weil auf ihr Studienguthaben, mag die Antragstellerin auch ein Zweitstudium betreiben, auch die Erhöhungsvorschrift des § 11 Abs. 3 Nr. 1 des Niedersächsischen Hochschulgesetzes (Art. 1 des Gesetzes zur Hochschulreform in Niedersachsen,

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v. 24.6.2002, Nds.GVBl. S. 286 – NHG - ) für Kindererziehungszeiten Anwendung findet. Der Senat verweist daher gem. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die tragenden Gründe des Beschlusses vom 14. April 2003, zu denen er ergänzend und mit Rücksicht auf das Vorbringen der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren Folgendes bemerkt:

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Wie das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend hervorgehoben hat, ist nach Wortlaut und Bedeutungszusammenhang des § 11 NHG nichts dafür ersichtlich, weshalb die Erhöhungsregelung des § 11 Abs. 3 Nr. 1 NHG nur bei einem (berufsqualifizierenden) Erststudium und nicht auch auf ein (berufsqualifizierendes) Zweitstudium zumindest dann Anwendung finden soll, wenn wie hier für das Zweitstudium erstmals eine Erhöhung des Studienguthabens für Kindererziehungszeiten in Betracht kommt. Denn die Bestimmung des § 11 Abs. 3 Nr. 1 NHG ordnet allgemein und ohne irgendwelche Einschränkungen auf ein (berufqualifizierendes) Erststudium eine Erhöhung des Studienguthabens an. Auch aus § 11 Abs. 1 NHG lässt sich entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht ableiten, die Erhöhungsregelung des § 11 Abs. 3 Nr. 1 NHG solle nur bei einem Erststudium zur Anwendung gelangen. Soweit die Antragsgegnerin meint, die Begrenzung des Anwendungsbereichs der Erhöhungsregelung des § 11 Abs. 3 Nr. 1 NHG ergebe sich daraus, dass in § 11 Abs. 1 Satz 1 NHG nur von einem einmaligen Studienguthaben gesprochen werde, besagt dies nur, dass ein Studierender durch ein Zweit- oder Drittstudium nicht beliebig viele Studienguthaben (mit vier sog. Toleranzsemestern) begründen kann. Um die Begründung mehrerer Studienguthaben geht es bei der hier interessierenden Frage der Anwendung des § 11 Abs. 3 Nr. 1 NHG auf ein Zweitstudium aber nicht. Vielmehr ist allein die Frage zu beantworten, ob den Bestimmungen des § 11 Abs. 3 Nr. 1 NHG und des § 11 Abs. 1 NHG die Aussage entnommen werden kann, eine Erhöhung des einem Studierenden (nur) zustehenden einmaligen Studienguthabens um Kindererziehungszeiten sei dann ausgeschlossen, wenn der Studierende ein Zweitstudium betreibe (und hierbei erstmals eine Erhöhung des Studienguthabens um Kindererziehungszeiten geltend macht). Diese einschränkende Aussage kann aber weder § 11

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Abs. 1 noch Abs. 3 Nr. 1 NHG entnommen werden. Auch der Umstand, dass in § 11

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Abs. 3 Nr. 1, 2. Halbs. NHG lediglich die Sätze 1 und 2 des Absatz 1 in Bezug genommen werden, nicht aber auch der Satz 3, kann zumindest im Falle der Antragstellerin und dem hier nur interessierenden Sommersemester 2003 nicht dazu führen, die Anwendung der Erhöhungsregelung auszuschließen. § 11 Abs. 1 Satz 3 NHG betrifft nämlich nur den Fall, dass sich das Studienguthaben durch ein Restguthaben aus einem Erststudium (oder einem Master-, Aufbau-, Zusatz- oder Ergänzungsstudiengang) erhöht; diese Erhöhung soll aber bei der für Kindererziehungszeiten ohnehin erfolgenden Erhöhung nicht berücksichtigt werden, weshalb in § 11 Abs. 3 Nr. 1, 2. Halbs. NHG für die Begrenzung des Erhöhungsanspruchs nicht auch auf § 11 Abs. 1 Satz 3 NHG verwiesen wird.

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In diesem Sinne dürften auch die von der Antragsgegnerin zitierten Aussagen des Abgeordneten Dr. B., der für die damalige Mehrheitsfraktion, die SPD-Fraktion, die Änderung des heutigen § 11 Abs. 3 Nr. 1 NHG im Rahmen des Erlasses des Hochschulreformgesetzes begründete (Niederschrift über die 80. Sitzung des Ausschusses für Wissenschaft und Kultur v. 30.5.2002, S. 4 – zu § 10/1 Abs. 3 Nr. 1 des Entwurfs – sowie Anlage 1 der Niederschrift zur 80. Sitzung) zu verstehen sein. Der Senat kann in diesem Eilverfahren aber letztlich offen lassen, ob den für sich genommen mehrdeutigen Äußerungen des Abgeordneten Dr. B. lediglich die Bedeutung zukommt, man habe bei der Begrenzungsregelung des § 11 Abs. 3 Nr. 1, 2. Halbs. NHG eine weitere Erhöhung durch Restguthaben verhindern wollen oder ob damit – so die Antragsgegnerin – bei einem Zweitstudium generell eine Erhöhung des Guthabens durch Kindererziehungszeiten ausschließen wollen. Denn selbst wenn die Äußerungen des Abgeordneten in letzterem Sinne zu verstehen sein sollten, hat diese Intention als Wille des Gesetzgebers nicht den erforderlichen klaren Ausdruck im Gesetz gefunden. Auch wenn die (protokollierten) Vorstellungen der an der Vorbereitung und Abfassung einer gesetzlichen Vorschrift beteiligten Personen für den „Willen des Gesetzgebers“ im Einzelfall, und zwar für die Auslegung einer mehrdeutigen Gesetzesbestimmung Bedeutung gewinnen können (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. 1983, S. 316f.), bedeutet dies nicht, dass sie für die Gerichte eine bindende Anleitung für die Ausdeutung dieser Norm sind (BVerfG, Beschl. v. 11.6.1980 – 1 BvR 194/78 -, BVerfGE 54, 277(298)). Hinzu kommt, dass die genannten Vorstellungen allenfalls in Auslegungsfragen, wenn also Wortsinn und Bedeutungszusammenhang einer Norm keine klaren Antworten vermitteln können, Bedeutung gewinnen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 7. März 1995 – BVerwG 9 C 389.94 -, Buchholz 402.25 § 26 AsylVfG Nr. 2). Hier lassen Wortsinn und Bedeutungszusammenhang aber gerade nicht die von der Antragsgegnerin (und möglicherweise von dem Abgeordneten Dr. B.) gewünschte Ausdeutung des § 11 NHG in dem Sinne eines generellen Verbots der Erhöhung des Studienguthabens im Falle eines Zweitstudiums zu.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die weitere Nebenentscheidung über den Streitwert auf § 13 Abs. 2, 14, 20 Abs. 3 GKG, wobei der Senat wie das Verwaltungsgerichts nach den Empfehlungen des sog. Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit lediglich ein Viertel der streitigen Gebühr als Streitwert festsetzt (vgl. Albers, in: Hartmann, Kostengesetze, 27. Aufl. 1997, RdNr. 7 des Anh. I B zu § 13 GKG).

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Der Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO/§ 25 Abs. 3 Satz 2 GKG nicht anfechtbar.