Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.07.2003, Az.: 1 LA 277/02

Bauantrag; Baugenehmigung; Bebauungsplan; Erschließungsplan; Flächennutzungsplan; Frist; Gemeinde; Plangebiet; Planungsziel; Sonderbaufläche; Standort; Verhinderungsplanung; Vorhaben; Vorhabenplan; Windenergieanlage; Windkraftanlage; Zurückstellung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.07.2003
Aktenzeichen
1 LA 277/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48583
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 05.09.2002 - AZ: 4 A 4328/99

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Das Planungsziel einer Gemeinde, mit Hilfe eines Bebauungsplans, der sich hinsichtlich der Größe des Plangebietes an die Darstellung der Sonderbaufläche im Flächennutzungsplan anlehnt, sicherzustellen, dass sich die Zahl von 16 Windenergieanlagen, die auf der Grundlage von Festsetzungen in zwei Vorhaben- und Erschließungsplänen bzw. der Darstellung der Sonderbaufläche in dem Flächennutzungsplan errichtet wurden, nicht weiter erhöht, stellt keine unzulässige Verhinderungsplanung dar und rechtfertigt deshalb die Zurückstellung eines Baugesuches.

2. Ein Fall der Überschreitung der Frist von 12 Monaten in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB liegt nicht vor, wenn das Vorhaben der Errichtung einer Windenergieanlage von einem anderen Vorhaben, das bereits einmal zur Zurückstellung von 12 Monaten geführt hat, in Bezug auf die Maße der Windenergieanlage und hinsichtlich des in Aussicht genommenen Standortes abweicht.

Gründe

1

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Zurückstellung seines Antrages auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Windenergieanlage rechtswidrig gewesen ist.

2

Der Flächennutzungsplan der Beigeladenen in der Fassung seiner 40. Änderung, bekannt gemacht am 7. November 1997, stellt eine Sonderbaufläche für Windkraftanlagen südlich des Ortsteils B. dar. Das Grundstück des Klägers (Flurstück 88/2, Flur 21 der Gemarkung C.) liegt in dieser Sonderbaufläche. Im April 1998 beschloss die Beigeladene die Satzungen über die Vorhaben– und Erschließungspläne „D.“ und „E.“, mit denen – zusätzlich zu vier bereits in der Sonderbaufläche errichteten Anlagen – weitere 10 Standorte für Windenergieanlagen im Bereich der Sonderbaufläche festgesetzt wurden. Außerhalb der genannten Plangebiete und innerhalb der Sonderbaufläche wurden zwischenzeitlich zwei weitere Anlagen errichtet.

3

Für das genannte Flurstück 88/2 beantragte der Kläger am 28. August 1998 die Errichtung einer Windenergieanlage des Typs Enercon E 40/500 kW, 55 m Nabenhöhe und 40,3 m Rotordurchmesser.

4

Am 8. Oktober 1998 beschloss der Rat der Beigeladenen, den Bebauungsplan Nr. 100 „Windpark D.“ aufzustellen. Mit ihm beabsichtigte sie, auf der Grundlage der Darstellungen des Flächennutzungsplanes in der Fassung seiner 40. Änderung die bestehenden Windenergieanlagen zusammen mit den durch die Vorhaben– und Erschließungspläne festgesetzten Windenergieanlagen so zu sichern und zu ordnen, dass die Ziele des Flächennutzungsplanes eingehalten werden.

5

Am 9. Oktober 1998 stellte die Beigeladene bei dem Beklagten einen Antrag auf Zurückstellung der Entscheidung über die Zulässigkeit des Bauvorhabens des Klägers. Mit Bescheid vom 15. Oktober 1998 stellte der Beklagte die Entscheidung über die Zulässigkeit der von dem Kläger beantragten Windenergieanlage bis zum 15. Oktober 1999 zurück. Zur Begründung gab er an, dass das Vorhaben des Klägers die Durchführung des Bebauungsplanes Nr. 100 gefährde. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.

6

Im Klageverfahren hat der Kläger seinen Klagantrag nach Ablauf der Zurückstellungsfrist und nach Ergehen eines weiteren Bescheides des Beklagten vom 20. Oktober 1999, mit dem der Bauantrag des Klägers unter Hinweis auf eine am 15. Oktober 1999 bekannt gemachte, auch das Baugrundstück erfassende Veränderungssperre zur Sicherung der Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 100 abgelehnt wurde, auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt, soweit es das Klagverfahren gegen den Zurückstellungsbescheid betrifft.

7

Den Fortsetzungsfeststellungsantrag hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen klagabweisenden Urteil als zulässig, aber unbegründet angesehen.

8

Der Zulassungsantrag, der auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VwGO gestützt wird, ist unbegründet.

9

Die Rüge des Klägers, es bestünden gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils, greift nicht durch. Voraussetzung für den Erfolg dieses Angriffes ist, dass für das vom Zulassungsantragsteller favorisierte Entscheidungsergebnis – auf dieses, nicht auf einzelne Begründungselemente kommt es an – die „besseren Gründe“ sprechen, d. h., dass ein Obsiegen in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen (Beschluss des Senats vom 31.7.1998 – 1 L 2696/98 -, NdsVBl. 1999, 93). Mit seinem Vorbringen, das Instrument der Zurückstellung sei in rechtswidriger Weise zur Sicherung einer Verhinderungsplanung der Beigeladenen eingesetzt worden, legt der Kläger nicht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung dar.

10

Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten über die Zurückstellung des Bauantrages des Klägers lagen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass das Vorhaben des Klägers dem Planungskonzept der Beigeladenen widerspricht. Die Zurückstellung eines Baugesuches gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB setzt voraus, dass die Gemeinde für den zukünftigen Geltungsbereich des Bebauungsplanes schon positive planerische Vorstellungen entwickelt hat. Eine Negativplanung, die sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben auszuschließen, reicht nicht aus (BVerwG, Beschl. vom 5.2.1990 – 4 B 191.89 -, NVwZ 1990, 558; Schmaltz, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl. 1998, § 15 RdNr. 4). Das Aufstellungsverfahren für den Bebauungsplan Nr. 100 wird von einem positiven Planungswillen der Beigeladenen getragen. Die Beigeladene will mit dem Bebauungsplan erreichen, dass sich die Zahl von 16 Windenergieanlagen, die auf der Grundlage der Darstellung der Sonderbaufläche in dem Flächennutzungsplan in der Fassung seiner 40. Änderung (6 Anlagen) und der Festsetzung von 10 Standorten in den beiden Vorhaben- und Erschließungsplänen (10 Anlagen) errichtet wurden, nicht weiter erhöht. Dass mit der geplanten Beschränkung der Zahl der Standorte für Windenergieanlagen auf 16 weitere Anlagen ausgeschlossen werden, rechtfertigt nicht den Vorwurf einer Verhinderungsplanung. Im Vordergrund der Planung steht die legitime planerische Zielsetzung der Beigeladenen, neben den planungsrechtlich festgesetzten Standorten auch die Standorte der in der Sonderbaufläche errichteten Windenergieanlagen durch Festsetzungen eines Bebauungsplans im Einklang mit den Darstellungen des Flächennutzungsplans zu sichern. Eine solche Festschreibung der vorhandenen Windenergienutzung rechtfertigt die Einleitung eines Bebauungsplanverfahrens.

11

Mit dem Zulassungsantrag wird vorgebracht, die im Flächennutzungsplan dargestellte Sonderbaufläche für die Windenergienutzung sei für mehr als 16 Anlagen aufnahmefähig. Damit wird die Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts nicht ernsthaft in Zweifel gezogen. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass auf der dargestellten Sonderbaufläche unbegrenzt weitere Anlagen ohne Verträglichkeitsprüfung mit anderen öffentlichen Belangen zugelassen werden. Die Darstellung einer Sonderbaufläche für Windenergieanlagen im Flächennutzungsplan beruht auf einem gesamträumlichen Entwicklungskonzept der Beigeladenen für das Gemeindegebiet. Soll die Darstellung einer Konzentrationszone – wie hier – die ihr zugedachte Negativwirkung für das übrige Gemeindegebiet entfalten, muss die gemeindliche Entscheidung nicht nur Auskunft darüber geben, von welchen Erwägungen die positive Standortzuweisung getragen wird, sondern muss auch deutlich werden, welche Gründe es rechtfertigen, den verbleibenden Planungsraum von Windenergieanlagen freizuhalten (BVerwG, Urt. vom 17.12.2002 – 4 C 15.01 -, ZfBR 2003, 370). Dieser komplexen Aufgabe wird die Gemeinde im Regelfall nur gerecht, wenn sie sich bei der Standortuntersuchung im Rahmen der Ausgestaltung des Planungsvorbehalts nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB darauf beschränkt, die Eignung der in Aussicht genommenen Flächen grobmaschig, also nicht unbedingt parzellenscharf, zu prüfen. Ob ein für die Errichtung einer Windenergieanlage konkret in Aussicht genommener Standort innerhalb einer Sonderbaufläche letztlich mit anderen öffentlichen Belangen, namentlich des Naturschutzes oder des Immissionsschutzes, vereinbar ist, lässt sich häufig nur auf der Ebene des Bebauungsplanes durch feinmaschige Untersuchungen, die sich auf den geplanten Standort der Anlage und dessen unmittelbare Umgebung beziehen, beantworten. Es unterliegt deshalb keinen rechtlichen Bedenken, dass die Beigeladene bei der 40. Änderung ihres Flächennutzungsplanes die Entscheidung über die tatsächliche Anlagenzahl von weiteren vertiefenden Untersuchungen, insbesondere hinsichtlich der Eingriffe in Natur und Landschaft, im Rahmen der Aufstellung von Bebauungsplänen abhängig gemacht hat.

12

Dagegen wendet der Kläger zu Unrecht ein, die Beigeladene habe bereits durch die beiden Vorhaben– und Erschließungspläne die aus ihrer Sicht auf der Ebene des Bebauungsplanes noch abwägungsbeachtlichen Belange aufgegriffen und zum Ausgleich gebracht. Der Geltungsbereich beider Pläne umfasst jeweils nur die 5 Standorte für die Windenergieanlagen, die Flächen für die Zufahrten und Erschließungsanlagen sowie die unentbehrlichen Montageflächen an den Anlagen. Mit der Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 100 verfolgt die Beigeladene das Planungsziel, das zukünftige Plangebiet hinsichtlich seiner Größe an die Darstellung der Sonderbaufläche anzulehnen. Dadurch soll – flächendeckend für die Konzentrationszone – erreicht werden, dass die Interessen, eine weitere Beeinträchtigung des Landschaftsbildes zu vermeiden und für die angrenzende Wohnbebauung angemessenen Immissionsschutz zu gewährleisten, in der Abwägung Berücksichtigung finden (vgl. auch die Begründung, S. 3, zu dem inzwischen in Kraft getretenen Bebauungsplan Nr. 100). Eine solche Konzeption rechtfertigt es, den bisher nicht überplanten Bereich der Sonderbaufläche in die Planung einzubeziehen und die bestehenden Vorhaben– und Erschließungspläne überzuleiten, auch wenn sich dadurch im Verhältnis zu den vorhabenbezogenen Plänen das Plangebiet deutlich vergrößert. Angesichts der dargestellten planerischen Zielsetzung kann von einer kritikwürdigen restriktiven Steuerung (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.2002 – 4 C 15.01 –, a.a.O.), die von vornherein rechtlich unzulässig erscheint, keine Rede sein.

13

Der Zurückstellungsbescheid des Beklagten ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht wegen Überschreitung der in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB genannten Frist von 12 Monaten rechtswidrig. Der Kläger macht geltend, der Beklagte habe mit Bescheid vom 11. Januar 1995 die Entscheidung über eine von ihm im November 1994 eingereichte Bauvoranfrage zurückgestellt, die sich auf eine nahezu identische Windenergieanlage mit einem Standort bezogen habe, der im Bauantragsverfahren lediglich um wenige Meter verschoben worden sei. Diese Zurückstellung um 12 Monate in dem Bescheid vom 11. Januar 1995 sei anzurechnen, so dass eine erneute Zurückstellung um 12 Monate nicht zulässig sei. Dieses Zulassungsvorbringen führt nicht zur Zulassung der Berufung. Die Frist in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist zwar eine Höchstfrist, die nicht überschritten werden darf (Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl 2002, § 15, RdNr. 6). Bei Identität des im November 1994 zur Voranfrage gestellten Vorhabens mit dem im Bauantrag vom 28. August 1998 zur Genehmigung gestellten Vorhaben wäre deshalb die Jahresfrist überschritten, weil Zeiten mehrerer Zurückstellungen zu addieren sind (Lemmel, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl. 2002, § 13, RdNr. 13). Hier liegt aber nicht eine wiederholte Zurückstellung vor.

14

Das mit Bauantrag vom 28. August 1998 zur Genehmigung gestellte Vorhaben unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von dem Inhalt der Bauvoranfrage, so dass die von dem Kläger angenommene Identität nicht gegeben ist. Mit dem Bauantrag bestimmt der Bauherr, was das Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB ist und legt damit den Gegenstand der planungsrechtlichen Beurteilung fest (BVerwG, Urt. vom 4.7.1980 – 4 C 99.77 -, BRS 36, Nr. 158). Im Bauantrag des Klägers vom 28. August 1998 wird eine Windenergieanlage zur Genehmigung gestellt, die im Vergleich zu der Anlage aus der Bauvoranfrage etwas höher ist (75,15 m statt 74,05 m), einen um 2,70 m größeren Rotordurchmesser aufweist und über eine geringere Nennleistung verfügt (500 kW statt 600 kW). Der Standort für die Windenergieanlage wurde auf dem Baugrundstück um 40 m verschoben. Eine  Identität der Vorhaben ist danach nicht gegeben. Dabei kann offen bleiben, ob einzelnen Änderungen für sich genommen die vom Kläger abgesprochene bodenrechtliche Relevanz zukommt. Bei der anzustellenden Gesamtschau sind beide Vorhaben nicht deckungsgleich. Insbesondere die Verschiebung des Standortes führt dazu, dass die „Genehmigungsfrage“ erneut aufgeworfen wird. Zu prüfen ist insbesondere, ob sich die Errichtung einer Windenergieanlage an dem durch den Bauantrag festgelegten Standort mit den Belangen des Naturschutzes und des Immissionsschutzes vereinbaren lässt. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass bereits ein lediglich um 40 m abgesetzter Stellplatz Einfluss auf die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens hat.

15

Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nicht vor. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten wirft die Rechtssache nach dem Vorgesagten nicht auf.

16

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.

17

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Der Höhe nach orientiert sich der Senat an den Streitwertannahmen der beiden Bausenate des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts für Verfahren ab 1. Januar 2002 (NordÖR 2002, 197 = NdsVBl. 2002, 192, dort Nr. 3 lit. g i. V. m. Nr. 13 und Nr. 19).