Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 28.10.2008, Az.: 2 A 251/07

Anwendbarkeit; Gebührenbefreiung; NDR; Norddeutscher Rundfunk; Rundfunk; Rundfunkanstalt; Rundfunkgebühren; Rundfunkgebührenbefreiung; Verwaltungsverfahrensgesetz

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
28.10.2008
Aktenzeichen
2 A 251/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 55109
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG - 23.12.2009 - AZ: 4 LA 357/08

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Das Verwaltungsverfahrensgesetz findet auf die im Zusammenhang mit der Erhebung von Rundfunkgebühren stehende Tätigkeit des Norddeutschen Rundfunks in Niedersachsen Anwendung.

Tatbestand:

1

Der Kläger ist mit einem Hörfunk- und einem Fernsehgerät als Rundfunkteilnehmer beim Beklagten gemeldet. Bis zur Reform des Rundfunkgebührenbefreiungsrechts im April 2005 war er wegen geringen Einkommens von der Rundfunkgebührenpflicht befreit; er bezog bis zum 25. Mai 2005 Arbeitslosengeld I, danach II. Im Zusammenhang mit der fortlaufenden Antragstellung legte er im August 2006 einen SGB II Bescheid der Stadt F. vom 2. März 2006 vor. Aus der Begründung dieses Bescheides ergab sich, dass der Kläger bis zum 25. Mai 2007 einen Zuschlag nach § 24 Abs. 1 SGB II erhielt. Mit Bescheid vom 2. November 2006 befreite der Beklagte den Kläger vom 1. November 2006 bis 30. April 2007 von der Rundfunkgebührenpflicht.

2

Am 19. März und 16. April 2007 stellte der Kläger weitere Anträge auf Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht und legte einen aktuellen SGB II Bescheid der Stadt F. vom 23. März 2007 für die Zeit vom 1. Mai bis 30. Oktober 2007 bei. Mit Bescheid vom 3. Mai 2007 lehnte der Beklagte den Antrag vom 19. März 2007 ab, weil der Kläger einen Zuschlag nach § 24 SGB II erhalte. Es folgten mit anwaltlichem Schriftsatz vom 20. Juni 2007 und auf Formblatt im Oktober 2007 weitere Befreiungsanträge.

3

Mit Bescheid vom 12. Oktober 2007 befreite der Beklagte den Kläger daraufhin zunächst für die Zeit vom 1. November 2007 bis 30. April 2008 von der Rundfunkgebührenpflicht. Auf dessen Widerspruch hin bewilligte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. November 2007 schließlich Rundfunkgebührenbefreiung auch vom 1. Juni bis 31. Oktober 2007. Für Mai 2007 könne Befreiung nicht gewährt werden, weil der Kläger hier den Zuschlag nach § 24 SGB II noch bezogen habe.

4

Unter dem 22. November 2007 stellte der Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Beklagten Kosten in Höhe von 309,40 Euro in Rechnung. Mit Bescheid vom 27. November 2007 lehnte der Beklagte die Kostenerstattung ab. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten sei nicht notwendig gewesen. Der Verfahrensgegenstand sei weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht schwierig im Sinne von § 80 VwVfG gewesen. Dem Kläger sei es selbst zuzumuten gewesen, mitzuteilen, dass er bereits am 16. April 2007 einen Antrag auf Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht gestellt habe.

5

Hiergegen hat der Kläger am 19. Dezember 2007 Klage erhoben.

6

Zu deren Begründung trägt er vor, die Voraussetzungen des § 80 VwVfG lägen vor. Er habe der GEZ alles Erforderliche mitgeteilt; trotzdem sei der - teilweise - ablehnende Bescheid vom 12. Oktober 2007 ergangen.

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Der Kläger beantragt,

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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 27. November 2007 zu verpflichten, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er ist der Ansicht § 80 VwVfG finde auf seine Verwaltungstätigkeit keine Anwendung. Sollte dies doch anders sein, lägen die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift nicht vor. Die Mitteilung, dass sein Antrag vom 16. April 2007 noch nicht beschieden sei, hätte der Kläger selbst machen können. Eigentlich sei der Bescheid vom 12. Oktober 2007 korrekt gewesen und hätte infolgedessen der teilweise dem dagegen gerichteten Widerspruch stattgebende Widerspruchsbescheid nicht ergehen dürfen, sondern hätte der Widerspruch zurückgewiesen werden müssen.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.

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Der Kläger hat Anspruch darauf, dass der Beklagte die Zuziehung seines Anwalts im Vorverfahren für notwendig erklärt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

15

Anspruchsgrundlage für diesen Anspruch ist § 80 Abs. 2 VwVfG. Diese Vorschrift findet auf die Verwaltungstätigkeit des Beklagten in Niedersachsen Anwendung.

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Anders als in anderen Bundesländern, u.a. auch Bremen und Hamburg, ist die Landesrundfunkanstalt in Niedersachsen nicht von dem Anwendungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes ausgenommen. Soweit der Beklagte für seine Argumentation u.a. auf die Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg verweist (Beschluss vom 19.6.2008 -2 S 1431/08-), ist dieser Hinweis unbehelflich, weil die Rechtslage nach dortigem Landesrecht insofern eine andere ist als die Landesrundfunkanstalt vom Anwendungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes ausdrücklich ausgenommen ist. In Niedersachsen gibt es einen derartigen Ausschluss nicht, so dass es bei der Grundnorm des § 1 Abs. 1 NVwVfG bleibt. Danach gilt u.a. für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der der Aufsicht des Landes unterstehenden Anstalten das Verwaltungsverfahrensgesetz (hiervon geht ohne weitere Begründung auch das Nds. Oberverwaltungsgericht aus: vgl. Beschluss vom 7.5.2007 -4 LA 521/07-, NVwZ-RR 2007, 575). Im Bereich des Rundfunkgebührenrechts (Erhebung und Befreiung von Gebühren) unterliegt der Beklagte einer derartigen Aufsicht, denn er nimmt in diesem Bereich eine hoheitliche Aufgabe mit der Befugnis wahr, in die Rechte der Rundfunkempfänger einzugreifen. In diesem Bereich der dualen Rundfunkordnung kann sich der Beklagte nicht auf sein Grundrecht der Freiheit der Berichterstattung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG berufen, das Anlass für die Herausnahme seiner Tätigkeit aus dem Anwendungsbereich einiger (Landes-) Verwaltungsverfahrensgesetze gewesen ist. Denn er wird hier, wie die anderen in § 1 Abs. 1 NVwVfG genannten Körperschaften hoheitlich tätig. Hieraus ergibt sich, dass entgegen der Auffassung des Beklagten auch Sinn und Zweck der in anderen Ländern geltenden Regelung, Rundfunkanstalten aus dem Anwendungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes herauszunehmen, nicht dafür herangezogen werden können, dies müsse in Niedersachsen auch ohne entsprechende gesetzliche Regelung im Wege der Auslegung zum selben Ergebnis führen. Da der Beklagte im Gebührenrecht hoheitlich tätig wird und nicht im Rahmen der Freiheit der Berichterstattung, spricht der Sinn und Zweck, der hinter den abweichenden Länderregelungen steht, gerade gegen eine Herausnahme der Verwaltungstätigkeit der Rundfunkanstalten aus dem Anwendungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes (vgl. auch Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. § 2 rn. 15 ff.). Folgerichtig und der Argumentation des Beklagten entgegengesetzt hat das OVG Münster die nordrhein-westfälische Regelung in § 2 Abs. 1 VwVfG NRW, wonach dieses Gesetz nicht für Tätigkeiten der Landesrundfunkanstalt (WDR) gilt, im Bereich der Heranziehung zu Rundfunkgebühren einschränkend dahin ausgelegt, dass sie hier nicht gilt (Urteil vom 29.4.2008 -19 A 368/04-, zitiert nach juris).

17

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig. Notwendig ist die Zuziehung, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und nach den Umständen der vorgefundenen Sach- und Rechtslage nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen, wobei Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit des Bürgers nicht überschätzt werden dürfen (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., § 80 Rn. 39 m.w.N.). Daran gemessen, bedurfte der Kläger der rechtskundigen Unterstützung. Denn einerseits hatte es der Beklagte in der Vergangenheit, nämlich mit Bescheid vom 3. Mai 2007, und auch mit dem Bescheid vom 12. Oktober 2007 unter Berufung darauf, der Kläger beziehe einen Zuschlag nach § 24 SGB II abgelehnt, diesen von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien, obwohl er diesen Zuschlag ab Juni 2007 nicht mehr bezog. Kenntnis hiervon hätte der Beklagte aufgrund des in seinen Verwaltungsvorgängen befindlichen Bescheides der Stadt F. vom 2. März 2006 haben können. Wenn er diese Kenntnis nicht sachgerecht in die Bescheiderteilung umsetzt, gibt er dem Kläger damit objektiv zu verstehen, dass er ohne anwaltlichen Beistand nicht zu seinem Recht kommen wird. Andererseits hatte der Beklagte in der Vergangenheit, nämlich mit Bescheid vom 2. November 2006, eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht auch für einen Zeitraum ausgesprochen, in dem der Kläger einen Zuschlag nach § 24 SGB II erhielt. Das Verhalten des Beklagten war daher für den rechtsunkundigen Kläger nicht berechenbar; ein weiterer Grund rechtskundige Hilfe in Anspruch zu nehmen. Schließlich ist hinsichtlich des Erkenntnishorizonts des Klägers zu bedenken, dass er nicht dem deutschen Sprachraum entstammt und daher sowohl sprachliche wie auch sachkundige Unterstützung im Umgang mit dem Beklagten benötigte.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Als Annexentscheidung zu einer Sache wegen Rundfunkgebührenbefreiung teilt die Entscheidung über die Zuziehung das kostenrechtliche Schicksal der Befreiungsentscheidung; Gerichtskosten entstehen mithin nicht.

19

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.