Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.09.2018, Az.: 2 LA 1106/17

Sendebericht mit einem "OK-Vermerk" als Beleg des für die Wahrung einer Frist maßgeblichen Zugangs eines Telefaxes; Beweis des ersten Anscheins; Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.09.2018
Aktenzeichen
2 LA 1106/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 63573
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2018:0914.2LA1106.17.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Göttingen - 01.06.2017 - AZ: 3 A 388/17

Amtlicher Leitsatz

Der mit einem "OK-Vermerk" versehene Sendebericht belegt weder den für die Wahrung einer Frist maßgeblichen Zugang eines Telefaxes, noch begründet er insoweit den Beweis des ersten Anscheins. Er belegt nur das Zustandekommen der Verbindung, nicht aber die erfolgreiche Übermittlung der Signale an das Empfangsgerät (Anschluss an BVerwG, Beschl. v. 14.06.2017 - 2 B 57.16 -, juris Rn. 2; BGH, Beschl. v. 12.04.2016 - VI ZB 7/15 -, juris Rn. 7).

Tenor:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen - 3. Kammer (Einzelrichter) - vom 1. Juni 2017 wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

1

Die Kläger - syrische Staatsbürger - begehren über den zuerkannten subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Die Kläger reisten im Januar 2016 in das Bundesgebiet ein und stellten einen Asylantrag. Daraufhin erkannte ihnen die Beklagte mit Bescheid vom 9. Mai 2017 subsidiären Schutz zu und lehnte den Antrag im Übrigen ab. Der auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Klage hat das Verwaltungsgericht Göttingen mit dem angegriffenen Urteil vom 1. Juni 2017, der Beklagten zugestellt am 19. Juni 2017, stattgegeben. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, erstens aufgrund der (illegalen) Ausreise, der Asylantragstellung und des Aufenthalts im westlichen Ausland sowie zweitens aufgrund der Wehrdienstentziehung ihres Sohnes drohe den Klägern politische Verfolgung.

3

Gegen das Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrem am 3. Juli 2017 beim Verwaltungsgericht Göttingen per Fax eingegangenen Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Schriftsatz umfasste insgesamt zwölf Seiten, die im Faxsendebericht der Beklagten als ordnungsgemäß übertragen vermerkt sind. Beim Verwaltungsgericht Göttingen sind indes nur die ersten acht Seiten eingegangen. Auf diesen Umstand ist die Beklagte mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 11. Juli 2017, der Beklagten vom Gericht elektronisch übersandt am 12. Juli 2017, hingewiesen worden. Geäußert hat sie sich erstmals mit Schriftsatz vom 8. November 2017; der vollständige Zulassungsantrag liegt dem Gericht seit dem 7. Februar 2018 vor.

4

Die Beklagte meint, sie habe den vollständigen Zulassungsantrag übermittelt. Dass nur acht Seiten eingegangen seien, liege außerhalb ihres Einflussbereichs. Die Kläger sind hingegen der Auffassung, innerhalb der Monatsfrist seien nur die ersten acht Seiten eingegangen. Nur auf diese komme es an. Da die Unterschrift fehle, sei der Zulassungsantrag unzulässig. Einen Wiedereinsetzungsantrag habe die Beklagte nicht gestellt. Jedenfalls aber habe die Beklagte nicht zu einer Reflexverfolgung aufgrund der Wehrdienstentziehung des Sohnes Stellung genommen, sodass die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung des Zulassungsantrags nicht erfüllt seien.

II.

5

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) und der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) sind nicht in der gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG gebotenen Weise dargelegt.

6

Der Senat geht zu Gunsten der Beklagten davon aus, dass mit dem innerhalb der Monatsfrist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG beim Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsatzteil von acht Seiten ungeachtet der fehlenden Unterschrift ein formgerechter Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt worden ist. Dieser Antrag erfüllt die Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG jedoch nicht. Denn dieser Schriftsatzteil befasst sich nahezu ausschließlich mit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund aufgrund der (illegalen) Ausreise, der Asylantragstellung und des Aufenthalts im westlichen Ausland und legt insofern dar, dass das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Senats abgewichen sei bzw. grundsätzliche Bedeutung vorliege. Mit dem zweiten, selbstständig tragenden Grund des Urteils - einer Reflexverfolgung aufgrund der Wehrdienstentziehung ihres Sohnes - setzt sich der Schriftsatzteil indes nicht auseinander. Er beschreibt lediglich auf Seite 3 zur Frage einer Divergenz, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auch auf eine Wehrdienstentziehung des Sohnes gestützt hat und zitiert im Folgenden aus der Pressemitteilung des Senats zu seinem Urteil vom 27. Juni 2017 (- 2 LB 91/17 -, juris). Das genügt den Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz nicht; insofern wären die aufgestellten Rechtssätze zu bezeichnen gewesen. Deshalb hat die Beklagte nicht dargelegt, dass bezüglich aller tragenden Gründe des Urteils Divergenz bzw. grundsätzliche Bedeutung vorliegen.

7

Die weiteren vier Seiten des Zulassungsantrags, die dem Senat erstmals am 7. Februar 2018 zugegangen sind und die die Frage der Wehrdienstentziehung ansprechen, sind nicht zu berücksichtigen. Das Gleiche gilt für die Ausführungen dazu im Schriftsatz vom 8. November 2017. Zum Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht war in beiden Fällen die Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG verstrichen.

8

Soweit die Beklagte meint, sie habe mit der Absendung des Schriftsatzes angesichts des den "OK-Vermerk" tragenden Sendeberichts alles Erforderliche getan, trifft das zwar zu. Der mit einem "OK-Vermerk" versehene Sendebericht belegt jedoch weder den für die Wahrung der Frist maßgeblichen Zugang des Zulassungsantrags beim Verwaltungsgericht, noch begründet er insoweit den Beweis des ersten Anscheins. Er belegt nur das Zustandekommen der Verbindung, nicht aber die erfolgreiche Übermittlung der Signale an das Empfangsgerät (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.06.2017 - 2 B 57.16 -, juris Rn. 2; BGH, Beschl. v. 12.04.2016 - VI ZB 7/15 -, juris Rn. 7). Aus dem vom Verwaltungsgericht übermittelten Empfangsbericht des dortigen Faxgeräts ergibt sich jedoch, dass dort am maßgeblichen Tag innerhalb der in Betracht kommenden Zeitspanne lediglich drei Telefaxe der Beklagten mit acht, vierzehn und sechzehn Seiten, keines aber mit zwölf Seiten eingegangen ist. Damit steht fest, dass der vollständige Zulassungsantrag das Verwaltungsgericht nicht erreicht hat.

9

Dieses Ergebnis ist auch nicht unbillig und verstößt insbesondere nicht gegen das Gebot eines fairen Verfahrens. Denn die Beklagte hatte aufgrund des ihr am 12. Juli 2017 übermittelten Schriftsatzes des Klägervertreters vom Vortag samt entsprechendem Hinweis des Senats noch innerhalb der laufenden Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG Kenntnis davon, dass ein Übermittlungsfehler aufgetreten war. Sie hätte daher den Fehler noch innerhalb der Frist korrigieren können. Sollte ihr dies aus Gründen, die dem Senat nicht bekannt sind, nicht möglich gewesen sein, hätte sie einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) stellen können. Dies hat die Beklagte jedoch nicht getan; bei ihrer ersten Äußerung am 8. November 2017 waren alle diesbezüglichen Fristen - auch die Wiedereinsetzungsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO - bereits verstrichen.

10

Die nach Fristablauf eingegangenen Stellungnahmen sind auch nicht vor dem Hintergrund berücksichtigungsfähig, dass Zulassungsgründe nach Ablauf der Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 VwGO noch ergänzt werden können. Denn eine solche Ergänzung setzt voraus, dass der konkrete, zu ergänzende Zulassungsgrund innerhalb der Frist bereits den Mindestanforderungen entsprechend dargelegt wurde (vgl. BayVGH, Beschl. v. 14.06.2016 - 14 ZB 14.1508 -, juris Rn. 9). Daran fehlt es hier.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

12

Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

13

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).