Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.09.2018, Az.: 10 LA 343/18

Anforderungen an eine ärztliche Bescheinigung bei den Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.09.2018
Aktenzeichen
10 LA 343/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 32220
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - 30.07.2018

Fundstellen

  • AUAS 2018, 236-238
  • InfAuslR 2019, 82-84
  • ZAR 2018, 404

Amtlicher Leitsatz

Die Anforderungen an eine ärztliche Bescheinigung gemäß § 60a Abs. 2c Sätze 2 und 3 AufenthG sind auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen. Dies schließt die zusätzliche Heranziehung von Attesten von Psychotherapeuten oder Psychologen im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbildung nicht aus.

Tenor:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - Einzelrichter der 8. Kammer - vom 30. Juli 2018 wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen, hat keinen Erfolg. Denn der von ihr geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht hinreichend dargelegt worden bzw. liegt nicht vor.

Eine Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (GK-AsylG, Stand: Oktober 2017, § 78 AsylG Rn. 88 ff. m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Mai 2017, § 78 AsylG Rn. 15 ff. m.w.N.; Bergmann, in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 12. Aufl. 2018, § 78 AsylG Rn. 11 ff. m.w.N.).

Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG verlangt daher nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (zuletzt u.a. Senatsbeschluss vom 11.07.2018 - 10 LA 290/18 -):

1. dass eine bestimmte Tatsachen- oder Rechtsfrage konkret und eindeutig bezeichnet,

2. ferner erläutert wird, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und

3. schließlich dargetan wird, aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren.

Ob eine als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage entscheidungserheblich ist, ist anhand der Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts zu prüfen, soweit gegen diese keine begründeten Verfahrensrügen erhoben worden sind (ständige Rechtsprechung des Senats: zuletzt u.a. Senatsbeschluss vom 11.07.2018 - 10 LA 290/18 -; ebenso: Niedersächsisches OVG, 9. Senat, Beschluss vom 29.04.2015 - 9 LA 201/13 - m.w.N., und 4. Senat, Beschluss vom 29.10.2014 - 4 LA 110/14 - m.w.N.; Bergmann in Bergmann/Dienelt, a.a.O., Rn. 16; GK-AsylVfG, a.a.O., Rn. 153). Diese Tatsachenfeststellungen sind im Zulassungsverfahren bindend und unterliegen dort anders als in einem Berufungsverfahren keiner Richtigkeitskontrolle (Senatsbeschluss vom 11.07.2018 - 10 LA 290/18 -; Niedersächsisches OVG, 9. Senat, Beschluss vom 29.04.2015 - 9 LA 201/13 - m.w.N., und 4. Senat, Beschluss vom 29.10.2014 - 4 LA 110/14 - m.w.N.).

Die Beklagte hat zur Begründung dieses Zulassungsgrunds zunächst die folgende Rechtsfrage aufgeworfen:

"Ob eine Stellungnahme einer psychologischen Psychotherapeutin, also keine, die durch einen Facharzt für Psychiatrie erstellt wurde, den Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c AufenthG genügt."

Diese Frage begründet keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, da sie nicht entscheidungserheblich ist. Dies folgt zwar nicht schon daraus, dass dem erstinstanzlichen Urteil kein ausländerrechtlicher Rechtsstreit auf Erteilung einer Duldung nach § 60a AufenthG zugrunde liegt. Die Beklagte erstrebt die Zulassung der Berufung, weil sie sich inhaltlich gegen die in dem asylrechtlichen Urteil ausgesprochene Verpflichtung, zugunsten der Klägerin zu 2. ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Albanien festzustellen, wendet. Zu Recht unterstellt die von der Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage, dass die Anforderungen an ein ärztliches Attest gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen sind (so auch die Rechtsprechung mehrerer Oberverwaltungsgerichte; vgl. insbesondere Bayerischer VGH, zuletzt Beschluss vom 26.04.2018 - 9 ZB 18.30178 -, juris Rn. 6 f.; siehe auch OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28.09.2017 - 2 L 85/17 -, juris Leitsatz und Rn. 5 ff.; OVG Bremen, Beschluss vom 13.06.2018 - 2 LA 50/17 -, juris Leitsatz und Rn. 7). Die von der Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage ist jedoch bereits deswegen nicht entscheidungserheblich, weil sich der Einzelrichter für seine Annahme, dass bei der Klägerin zu 2. eine posttraumatische Belastungsstörung, gepaart mit einer generalisierten Angststörung, vorliege, die einer dauerhaften und intensiven ärztlichen bzw. psychotherapeutischen Betreuung bedürfe und die im Fall einer Rückkehr in ihre Heimat unabhängig von möglichen Behandlungsmöglichkeiten psychischer Erkrankungen in Albanien wegen der Gefahr einer Retraumatisierung zu einer konkreten und erheblichen Gefahr für Leib und Leben der Klägerin führen werde, nicht allein auf die Psychotherapeutische Stellungnahme einer Psychologischen Psychotherapeutin vom 20. Juli 2018 (Bl. 117-122 GA) gestützt hat. Ausweislich der Urteilsgründe beruht die gerichtliche Überzeugung auf einer Auswertung sämtlicher in der Gerichtsakte enthaltenen ärztlichen Stellungnahmen, mithin auch auf der Nervenärztlichen Bescheinigung eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 5. April 2016 (Bl. 52 GA), einem weiteren Nervenärztlichen Attest vom 30. Juni 2016 (Bl. 51 GA) und einer Nervenärztlichen Bescheinigung desselben Arztes vom 16. Juli 2018 (Bl. 108-109 GA) sowie den von diesem ausgestellten Medikationsplänen vom 5. Juli 2016 (Bl. 53 GA), 26. Januar 2017 (Bl. 86 GA), 29. Mai 2017 (Bl. 88 GA), 8. August 2017 (Bl. 92 GA), 4. Dezember 2017 (Bl. 94 GA) und 19. Juni 2018 (Bl. 106 GA). Auf die Tragfähigkeit der von dem Einzelrichter aus den ärztlichen Stellungnahmen gezogenen Schlussfolgerungen kommt es vorliegend nicht an. Denn Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zählen nicht zu den Gründen, aus denen die Berufung gemäß § 78 Abs. 3 AsylG zuzulassen ist.

Ungeachtet dessen ist nicht klärungsbedürftig eine Frage, deren Beantwortung sich ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt (Senatsbeschlüsse vom 23.01.2018 - 10 LA 21/18 -, juris Rn. 32, und vom 13.01.2014 - 10 LA 48/12 -, juris Rn. 29, jeweils m.w.N.; Bergmann in Bergmann/Dienelt, a.a.O., Rn. 13; Kopp/Schenke, VwGO, Komm., 24. Aufl. 2018, § 124 Rn. 10). Nach dem Wortlaut der Vorschrift fordert § 60a Abs. 2c Sätze 2 und 3 AufenthG zur Glaubhaftmachung einer Reiseunfähigkeit eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung. Das Attest einer Psychologischen Psychotherapeutin genügt hiernach ausdrücklich nicht (vgl. Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 60a AufenthG Rn. 45). Auch den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass eine ärztliche Bescheinigung im Sinne von § 60a Abs. 2c AufenthG mit einer Bescheinigung eines approbierten Arztes gleichzusetzen ist (vgl. Sächsisches OVG, Beschluss vom 09.05.2018 - 3 B 319/17, juris Rn. 6 unter Verweis auf BT-Drs.18/7538, S. 19). Allerdings schließt § 60a Abs. 2c AufenthG eine zusätzliche Heranziehung von Attesten von Psychotherapeuten oder Psychologen im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbildung auch nicht aus.

Die Beklagte hat zur Begründung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zudem folgende Rechtsfrage angeführt:

"Ob den Verwaltungsgerichten die erforderliche medizinische Sachkunde zur Beurteilung der psychischen Verfassung und einem daraus folgenden Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG fehlt."

Auch diese Frage ist nicht entscheidungserheblich. Die von der Beklagten zugrunde gelegte Prämisse, das erstinstanzliche Gericht habe eine Stellungnahme von einer Psychologischen Psychotherapeutin und seine eigene Beurteilung vom Zustand der Klägerin für die Glaubhaftmachung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG ausreichen lassen, trifft nämlich nicht zu. Der Einzelrichter hat sich zur Aussagekraft der Psychotherapeutischen Stellungnahme der Psychologischen Psychotherapeutin vom 20. Juli 2018 geäußert und dabei auch auf seinen eigenen Eindruck von der Klägerin zu 2. aus der mündlichen Verhandlung abgestellt. Die Überzeugung, dass der Klägerin zu 2. bei einer Rückkehr in ihr Heimatland eine erhebliche krankheitsbedingte individuelle Gefahr drohe, ist jedoch, wie dargelegt, auf eine Auswertung sämtlicher in der Gerichtsakte enthaltenen ärztlichen Stellungnahmen gestützt.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

Die Kostenentscheidung in dem nach § 83b AsylG gerichtskostenfreien Verfahren folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).