Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.04.2021, Az.: 10 LB 244/20
Asylantrag; unzulässiger Asylantrag; Drittstaatenbescheid; Griechenland
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 19.04.2021
- Aktenzeichen
- 10 LB 244/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 70868
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 16.09.2020 - AZ: 5 A 363/18
Rechtsgrundlagen
- Art 3 MRK
- Art 33 Abs 2 Buchst a EURL 32/2013
- Art 4 EUGrdRCh
- § 29 Abs 1 Nr 2 AsylVfG 1992
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
In der Bundesrepublik Deutschland gestellte Asylanträge von Personen, denen in Griechenland bereits internationaler Schutz zuerkannt worden ist, dürfen derzeit nicht als unzulässig abgelehnt werden. Vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls besteht generell die ernsthafte Gefahr, dass diese Personen im Falle ihrer Rückkehr nach Griechenland ihre elementarsten Bedürfnisse für einen längeren Zeitraum nicht werden befriedigen können und damit ihre Rechte aus Art. 4 GRCH und Art. 3 EMRK verletzt werden.
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück – Einzelrichter der 5. Kammer – vom 16. September 2020 geändert, soweit die Klage abgewiesen worden ist.
Der Bescheid der Beklagten vom 26. März 2018 wird aufgehoben.
Die Beteiligten tragen jeweils die Hälfte der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 26. März 2018, mit dem ihr Asylantrag als unzulässig abgewiesen worden ist.
Die Klägerin ist syrische Staatsbürgerin und arabischer Volkszugehörigkeit. Sie reiste am 8. März 2018 gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer Schwester in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 19. März 2018 förmlich einen Asylantrag.
Die Beklagte ermittelte, dass die Klägerin in Griechenland bereits internationalen Schutz erhalten hatte (Blatt 100 der Beiakte). Mit Bescheid vom 26. März 2018 lehnte die Beklagte, vertreten durch das C., den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1) und stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen (Ziffer 2). Die Klägerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Gleichzeitig wurde die Abschiebung nach Griechenland angedroht (Ziffer 3) und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG auf 30 Monate befristet (Ziffer 4). Zur Begründung gab das Bundesamt im Wesentlichen an, aufgrund der bereits erfolgten Schutzzuerkennung in Griechenland sei der Asylantrag unzulässig. Die Lebensbedingungen für anerkannt Schutzberechtigte seien nicht derart defizitär, dass ein Abschiebungsverbot festzustellen wäre.
Gegen diesen Bescheid, der der Klägerin am 3. April 2018 zugestellt wurde, hat die Klägerin am 9. April 2018 Klage erhoben. Zur Begründung gab sie an, bei Würdigung der Erkenntnislage bestehe für einen Großteil der anerkannt Schutzberechtigten regelmäßig kein effektiver Zugang zu einer Unterkunft, zu existenzsichernder Arbeit und zu anderen Hilfen. Daher bestehe die Gefahr der Verelendung.
Die Klägerin hatte ursprünglich die Anträge angekündigt, den Bescheid vom 26. März 2018 hinsichtlich der Ziffern 1 bis 3 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass in der Person der Klägerin Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen. Nach teilweiser Klagerücknahme im Termin zur mündlichen Verhandlung am 16. September 2020 hat die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 26. März 2018 aufzuheben, sowie hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass in der Person der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf die Gründe des angefochtenen Bescheids verwiesen.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 16. September 2020 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Ablehnung eines Asylantrags gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG sei nach der Rechtsprechung des EuGH nur dann unzulässig, wenn der Antragsteller bei einer Rücküberstellung in den Mitgliedstaat, der ihm bereits internationalen Schutz zuerkannt hat, der Gefahr ausgesetzt wäre, aufgrund der Lebensumstände, die ihn in diesem Mitgliedstaat als international Schutzberechtigten erwarten würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK bzw. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: GRC) zu erfahren. Ein solches Risiko könne nur angenommen werden, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und ihre physische und psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Gemessen an diesen Kriterien habe die Klägerin keine Verletzung von Art. 3 EMRK und von Art. 4 GRC zu befürchten.
Die Klägerin erhalte als anerkannt Schutzberechtigte keine wohnungsbezogenen Sozialleistungen. Eine Anmietung von Wohnraum auf dem freien Wohnungsmarkt sei möglich, in der Praxis aber häufig erschwert. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen böten Unterstützung bei der Wohnungsfindung, der Überwindung von Sprachbarrieren und der Orientierung im griechischen System an. Staatliche Obdachlosenunterkünfte stünden nur im begrenzten Umfang zur Verfügung. Dass trotz dieses Umstandes Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen in Athen kein augenscheinliches Massenphänomen darstelle, sei auf die Bildung von eigenen Strukturen und Vernetzung innerhalb der jeweiligen Landsmannschaften zurückzuführen. Voraussetzung für den Erhalt von Sozialleistungen sei neben dem Einreichen verschiedener Dokumente, die nach Feststellungen der Stiftung ProAsyl extrem schwierig zu erlangen seien, ein mindestens einjähriger legaler Aufenthalt in Griechenland, der ebenfalls schwer nachzuweisen sei. Für bereits anerkannte Schutzberechtigte sei ein Neueintritt in das sogenannte CashCard-Programm des Flüchtlingshilfswerks UNHCR als Alternative zur staatlichen sozialen Grundsicherung nicht möglich. Die Sicherung des Lebensunterhalts durch Erwerbstätigkeit sei schwierig. Die staatliche griechische Arbeitsagentur habe bereits für griechische Staatsangehörige kaum Ressourcen für die aktive Arbeitsvermittlung. Verschiedene Nichtregierungsorganisationen unterhielten Suppenküchen, in denen Bedürftige warme Mahlzeiten erhalten könnten. Diese Maßnahmen bildeten ein „elementares Auffangnetz gegen Hunger und Entbehrungen“. Bezüglich der medizinischen Versorgung seien anerkannt Schutzberechtigte mit Inländern gleichgestellt.
Ausgehend von diesen Erkenntnissen drohe der Klägerin keine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC. Die Klägerin könne zwar nach ihrer Rückkehr nicht in einer griechischen Flüchtlingsunterkunft oder in einer durch den UNHCR geförderten Unterkunft unterkommen. Sofern es der Klägerin nicht gelänge, jedenfalls vorübergehend einen Platz in einer Obdachlosenunterkunft zu erhalten, sei sie auf informelle Unterkünfte angewiesen. Ein Zugang zur sozialen Grundsicherung bestehe wegen des nicht erfüllten Mindestaufenthalts nicht. Gleichwohl stehe die Klägerin nicht der sicheren Obdachlosigkeit gegenüber. Hierfür spreche, dass Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen nach den zitierten Erkenntnismitteln nicht vermehrt auftrete. Die Klägerin werde nach Auffassung der Kammer zunächst mit Hilfe von Hilfsorganisationen oder über informelle Netzwerke eine Unterkunft finden müssen, aber auch finden können. Eine Versorgung mit Lebensmitteln und den nötigsten Dingen des täglichen Bedarfs werde sich anfangs nur über Nichtregierungsorganisationen oder informelle Netzwerke sicherstellen lassen.
Auf Antrag der Klägerin hat der Senat mit Beschluss vom 18. November 2020 die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen.
Die Klägerin ist der Ansicht, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts drohe ihr im Falle einer Rücküberstellung eine Verletzung ihrer aus Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC resultierenden Rechte. Staatlicherseits werde ihr keine Unterkunft gestellt. Dass sie in einem kommunalen Obdachlosenheim unterkommen könnte, sei auf der Grundlage der Erkenntnismittel mit Blick auf die dort nur sehr begrenzten Kapazitäten nicht anzunehmen. Eine Unterkunft werde zudem nur für einen zeitlich begrenzten Zeitraum, zum Teil nächteweise, höchstens für eine Dauer von bis zu 6 Monaten, gewährt. Viele Rücküberstellte lebten in verlassenen Häusern oder überfüllten, oft untervermieteten Wohnungen unter erbärmlichen Verhältnissen. Andere staatliche Unterkünfte stünden nur Asylbewerbern zur Verfügung. Anerkannt Schutzberechtigte seien damit bei der Suche nach einer dauerhaften Unterkunft auf den privaten Wohnungsmarkt angewiesen, auf den sie jedoch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit faktisch keinen Zugriff hätten. Der Klägerin würden für die Anmietung einer Unterkunft auch die finanziellen Mittel fehlen. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und der Auswirkungen der Corona-Pandemie sei es für die Klägerin sehr schwer, in Griechenland tatsächliche Arbeit zu finden. Die Aufnahme einer legalen Erwerbstätigkeit sei einerseits vom Nachweis eines Wohnsitzes abhängig. Andererseits sei die Anmietung einer Wohnung ohne Nachweis eines regelmäßigen Einkommens unrealistisch. Auf die danach verbleibenden, illegalen, unversicherten Tätigkeiten in der Schattenwirtschaft, in der sie der ständigen Gefahr der Ausbeutung ausgesetzt seien, müssten sich die anerkannt Schutzberechtigten nicht verweisen lassen. Existierende informelle Wohnprojekte bestünden häufig in der Form besetzter Gebäude, die der Klägerin angesichts der dort herrschenden, menschenunwürdigen Zustände und der Illegalität nicht zuzumuten seien. Anerkannt Schutzberechtigte hätten aufgrund der Voraussetzung eines 2-jährigen legalen Mindestaufenthalts im Inland auch keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen. Für wohnungsbezogene Sozialleistungen gelte ein 5-jähriger Mindestaufenthalt, der von rückgeführten Schutzberechtigten ebenfalls nicht nachgewiesen werden könne.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 16. September 2020 den Bescheid der Beklagten vom 26. März 2018 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung umfänglich zu der Situation in Griechenland vorgetragen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass unter Berücksichtigung der in der Person der Klägerin gegebenen Bedingungen als junge, gesunde, arbeitsfähige Frau ohne Unterhaltslast davon auszugehen sei, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil aufrecht zu erhalten sei. Der Klägerin sei grundsätzlich ein hohes Maß an Eigenbemühungen und ihr seien auch deutliche Einschnitte in ihren sozialen Belangen zuzumuten. Es obliege hierbei zuvörderst der Klägerin, persönliche Umstände, die gegen die Anlegung eines solchen Zumutbarkeitsmaßstabes sprächen, vorzutragen. Das sei weder gegenüber dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren im Detail erfolgt. Denn nur dann, wenn sie aufgrund einer besonderen Verletzbarkeit unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geriete, könne dies im vorliegenden Verfahren nach dem Maßstab des Europäischen Gerichtshofs berücksichtigt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 26. März 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
1. Die Beklagte hat den Asylantrag der Klägerin zu Unrecht als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1). Sie kann ihren Bescheid nicht auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG stützen. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedsstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Der Klägerin wurde durch die Republik Griechenland bereits internationaler Schutz gewährt. Dennoch rechtfertigt dies im Falle der Klägerin nicht die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig, da der Klägerin bei Rücküberstellung nach Griechenland eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 4 GRC droht. Dieses Grundrecht garantiert, dass niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf.
Art. 4 GRC verbietet ebenso wie der ihm entsprechende Art. 3 EMRK ausnahmslos jede Form unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und hat mit seiner fundamentalen Bedeutung allgemeinen und absoluten Charakter (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 –, juris Rn. 78). Daher ist hinsichtlich in einem Mitgliedsstaat schutzsuchender Personen für die Anwendung von Art. 4 GRC irrelevant, wann diese bei ihrer Rücküberstellung in den für ihr Asylverfahren zuständigen Mitgliedsstaat bzw. den Mitgliedsstaat, der ihnen bereits internationalen Schutz gewährt hat, einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wären, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren. Die Gewährleistung von Art. 4 GRC gilt auch nach dem Abschluss des Asylverfahrens, insbesondere auch im Fall der Zuerkennung internationalen Schutzes (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 –, juris Rn. 88 f.; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 07.10.2019 – 2 BvR 721/19 –, juris Rn. 19 f.). Hat ein Schutzsuchender oder eine als schutzberechtigt anerkannte Person hinreichend dargelegt, dass tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ihr nach einer Rücküberstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, ist das mit der Rechtssache befasste Gericht – wie auch zuvor die mit der Sache befassten Behörden – verpflichtet, die aktuelle Sachlage aufzuklären, und die deutschen Behörden haben gegebenenfalls Zusicherungen der Behörden des zuständigen Mitgliedsstaates einzuholen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 –, juris 15 f. und 18 f.). Das Gericht hat auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 –, juris Rn. 90). Solche Schwachstellen erreichen allerdings erst dann die für die Annahme einer Verletzung von Art. 4 GRC bzw. des ihm entsprechenden Art. 3 EMRK besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not gerät, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist (EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 –, juris Rn. 91 f.). Dies ist im Allgemeinen insbesondere der Fall, wenn die rückzuüberstellende Person in dem zuständigen Mitgliedsstaat ihren existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basis- bzw. Notbehandlung erhalten würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 – 1 C 45.18 –, juris Rn. 12). Die Mindestbedürfnisse werden auch schlagwortartig mit „Brot, Bett und Seife“ zusammengefasst. Bei Familien mit Kindern kann sich eine Gefährdung der durch Art. 4 GRC geschützten Rechte auch daraus ergeben, dass der bzw. die Betroffene(n) nicht zugleich die eigene Existenz und die seiner bzw. ihrer Familie sichern können würden (BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 – 1 C 45.18 –, juris Rn. 25 bis 28; zu allem Vorstehenden vgl. bereits Senatsbeschluss vom 20.12.2019 – 10 LA 192/19 –, juris Rn. 21).
Bei einer in dieser Weise drohenden Verletzung von Art. 4 GRC ist es den Mitgliedstaaten untersagt, von der durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen (vgl. ausdrücklich EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u.a., Hamed u.a. - Rn. 35; s.a. Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim u.a. - Rn. 88). Damit ist geklärt, dass Verstöße gegen Art. 4 GRC im Mitgliedstaat der anderweitigen Schutzgewährung nicht nur bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung zu berücksichtigen sind, sondern bereits zur Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung führen (BVerwG, Urteil vom 17.6.2020 – 1 C 35.19 –, juris Rn. 23).
Bei der Gefahrenprognose, ob einer rücküberstellten Person im Zielland eine Verletzung von Art. 4 GRC droht, stellt der EuGH auf das Bestehen einer ernsthaften Gefahr („serious risk“) ab. Dies entspricht dem Maßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“) in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK bzw. der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im nationalen Recht (BVerwG, Urteil vom 17.6.2020 – 1 C 35.19 –, juris Rn. 27). Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat sich der Tatrichter in einem Hauptsacheverfahren die volle Überzeugung von der Richtigkeit sowohl der Prognosebasis als auch der anhand des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu treffenden Prognose zu verschaffen (BVerwG, a.a.O., Rn. 28). Hierbei handelt es sich um eine tatrichterliche Aufgabe, bei der auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen ist, ob im Zielland entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen, die gerade die rückzuüberstellende Person als anerkannten Flüchtling der Art. 4 GRC verletzenden Gefahr extremer materieller Not aussetzen würden (BVerwG, a.a.O., juris Rn. 29 m.w.N.).
Gemessen daran besteht für die Klägerin, der in Griechenland bereits internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die Gefahr einer gegen Art. 4 GRC verstoßenden Behandlung. Denn der Senat ist nach Auswertung aller herangezogenen Erkenntnismittel zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in Griechenland in eine Situation extremer materieller Not geraten und ihre elementarsten Bedürfnisse (“Bett, Brot, Seife“) für einen längeren Zeitraum nicht befriedigen können wird (ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.1.2021 – 11 A 1564/20.A –, juris Rn. 30 ff.; a. A. OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 6.9.2019 – 4 LB 17/18 –, juris).
a) Es besteht die ernsthafte Gefahr, dass die Klägerin bei einer Rücküberstellung nach Griechenland dort keine menschenwürdige Unterkunft finden und über einen längeren Zeitraum obdachlos sein wird, weil ihr von der Republik Griechenland keine Unterkunft gestellt (dazu unter aa)), sie keine wohnungsbezogenen Sozialleistungen erhalten (dazu unter bb)), sie auch bei nichtstaatlichen Stellen keine nennenswerte Chance auf den Erhalt bzw. die Vermittlung von Wohnraum haben (dazu unter cc)), sie auch auf dem freien Wohnungsmarkt keinen Wohnraum anmieten können (dazu unter dd)), sie aber auch nicht die Möglichkeit haben wird, sich auf dem Rechtsweg eine Unterkunft zu verschaffen und damit Obdachlosigkeit zu vermeiden (dazu unter ee)), und sie aus diesen Gründen konkret von Obdachlosigkeit bedroht sein wird (dazu unter ff)).
aa) Staatliche Unterkunftsgewährung
Anerkannt Schutzberechtigte, die aus dem Ausland nach Griechenland rücküberstellt werden, haben keinen Anspruch auf Unterbringung in einer staatlichen Unterkunft. In Griechenland existieren zwar verschiedene staatlicherseits zur Verfügung gestellte Unterkunftsarten. Dazu zählen Camps, die aus Notunterbringungen hervorgegangen sind, Hotels, Apartments und Einrichtungen die von Nichtregierungsorganisationen geführt werden (AIDA, Country Report: Greece, Stand: 31.12.2019, Seite 148, https://bit.ly/36lduPV, Abruf: 28.1.2021, im Folgenden: AIDA). Ein Platz in einer solchen Unterkunft wird jedoch selbst für Personen, die nach Anerkennung internationalen Schutzes das Land nicht verlassen haben, nach der Anerkennung nicht mehr gewährt. Davon sind auch alle Bewohner einer im Rahmen des sogenannten ESTIA-Programms zur Verfügung gestellten Wohnung betroffen. Im Rahmen dieses Programms wurde Asylbewerbern für die Zeit des Asylverfahrens eine Unterkunft gestellt. Nach Zuerkennung internationalen Schutzes haben die so Untergebrachten aber keinen Anspruch mehr darauf, in dieser Unterkunft zu verbleiben. Vielmehr müssen diese Personen wie auch alle anderen in den oben genannten Unterkünften untergebrachten Personen nach einer Gesetzesänderung, die am 1. Januar 2020 in Kraft trat, innerhalb von 6 Monaten ab dem Zeitpunkt der Anerkennung der Schutzberechtigung die Unterkünfte für Asylsuchende ohne Verzögerung verlassen. Diese Frist wurde durch eine weitere Änderung des Asylgesetzes im März 2020 auf 30 Tage verkürzt. Seit Anfang Juni 2020 setzt die griechische Regierung diese Vorschrift um (ProAsyl/RSA, Stellungnahme: Zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, https://bit.ly/2QtHSSV, Abruf: 15.4.2021, im Folgenden: Stellungnahme April 2021; Auskunft des Auswärtigen Amtes (im Folgenden: AA) vom 26.11.2020 an das VG Magdeburg, n.v, Seite 1 f.; insofern überholt AA vom 28.1.2020 an das VG Leipzig, n.v., Seite 2).
International Schutzberechtigte haben auch ansonsten keine Möglichkeit, über staatliche Programme untergebracht zu werden (AA vom 4.12.2019 an das VG Berlin, Seite 3 f.).
Der griechische Staat bietet zwar im Rahmen des Programms Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International Protection (Helios II) bestimmte Sozialleistungen (Unterkunft, Sprachunterricht, Berufsvorbereitung) an. Dieses Programm steht aber nur solchen Personen offen, deren internationaler Schutzstatus nach dem 1. Januar 2018 anerkannt wurde und die im Moment der Unterrichtung über die Anerkennung in einer offiziellen Flüchtlingsunterkunft (Open Accomodation Center), in einem der Hotspot-Lager (Reception and Identification Center, RIC), einer der Unterkünfte im Rahmen des sogenannten IOM Filoxenia-Programms oder in einer Unterkunft des (lediglich Asylantragstellern vorbehaltenen) sogenannten Estia-Programms untergebracht und gemeldet waren (AA an das VG Schleswig vom 15.10.2020, n.v., Seiten 1 f.; AA an das VG Bayreuth vom 21.8.2020, n.v., Seite 2; Respond, Integration – Greece Country Report, Stand: Juni 2020, Seite 16, https://bit.ly/3opgdhy, Abruf: 28.1.2021, im Folgenden: Respond). Grundsätzlich hätte ein Antrag bis 30 Tage nach Anerkennung des Schutzstatus gestellt werden müssen (AA vom 26.11.2020 an das VG Magdeburg, n.v., Seite 2), nach anderen Angaben binnen eines Jahres (ProAsyl/RSA, Stellungnahme April 2021, Seite 7 f.). All diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht.
Ob anerkannte Schutzberechtigte, die die letzten Monate in einem anderen EU-Mitgliedstaat verbracht haben, überhaupt Zugang zu Helios II haben, ist laut dem Auswärtigen Amt mindestens unklar (ebenda) bzw. soweit bisher bekannt zu verneinen (AA an das VG Leipzig vom 28.1.2020, n.v., Seite 1 f.). Laut einer Stellungnahme von ProAsyl/RSA hat die Internationale Organisation für Migration (IOM) auf explizite Nachfrage auf die bereits genannten Kriterien verwiesen (ProAsyl/RSA, Stellungnahme im Verfahren „Kurdestan Darwesh and others v. Greece and the Netherlands – Application no. 52334/19“, 4.6.2020, Rn. 31, https://bit.ly/2Uvmnk9, Abruf: 29.1.2021, im Folgenden: ProAsyl/RSA, Stellungnahme vom 4.6.2020). Das Programm, das eine Laufzeit bis Juni 2021 hat (ProAsyl/RSA, Stellungnahme April 2021, Seite 7), soll dabei unterstützen, einen nahtlosen Übergang von einer griechischen Hilfsmaßnahme zu einer europäischen zu ermöglichen. An in Deutschland (oder im anderen Ausland) lebende Migranten richtet sich das Programm originär nicht (AA an das VG Bayreuth vom 21.8.2020, n.v., Seite 2).
Als Reaktion darauf, dass anerkannt Schutzberechtigte ohne Unterkunft sich immer wieder im Stadtzentrum von Athen versammelt hatten, wurden diese in einer Abschiebungshaftanstalt in der Nähe Athens untergebracht. Dort blieben sie unregistriert sich selbst überlassen. Sie wurden vor die Wahl gestellt, entweder in dieser Haftanstalt zu verbleiben oder diese ohne Rückkehrmöglichkeit zu verlassen. Die Tore zur Haftanstalt waren verschlossen (RSA, Recognised but unprotected: The situation of refugees in Victoria Square, 3.8.2020, https://bit.ly/3p34Cow, Abruf: 15.4.2021).
bb) Wohnungsbezogene Sozialleistungen
Rücküberstellte anerkannt Schutzberechtigte erhalten auch keine wohnungsbezogenen Sozialleistungen (Raphaelswerk, Griechenland: Informationen für Geflüchtete, die nach Griechenland rücküberstellt werden, Stand: 12/2019, Seite 9, https://bit.ly/3iRZYZa, Abruf: 28.1.2021, im Folgenden: Raphaelswerk). Das zum 1. Januar 2019 neu eingeführte Wohngeld greift nur bei einem legalen Voraufenthalt von mindestens 5 Jahren in Griechenland (ProAsyl/RSA, Stellungnahme April 2021, Seite 19, und Stellungnahme vom 4.6.2020, Rn. 41; AA an das VG Berlin vom 4.12.2019, Seite 5, und an das VG Stade vom 6.12.2018, Seite 2). Die Höhe beträgt maximal 70 € für eine Einzelperson und maximal 210 € für einen Mehrpersonenhaushalt (AA an das VG Leipzig vom 28.1.2020, Seite 2).
Schutzberechtigte haben zwar vollen Zugang zu Unterbringungseinrichtungen für Obdachlose. Diese sind jedoch nur begrenzt vorhanden und stehen überdies nur für kurze Zeiträume bzw. für Notfälle zur Verfügung (ProAsyl/RSA, Abschiebungen ins Nichts, 30.1.2019, Seite 3, https://bit.ly/39qm1Ts, Abruf: 29.1.2021). Eigene Unterbringungsplätze für anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte existieren nicht (BFA (österr.), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, Stand: 19.3.2020, Seite 30, n. v.). Die Obdachlosenunterkünfte sind chronisch überfüllt (vgl. die Aufstellung für Obdachlosenunterkünfte im Juli 2018: ProAsyl/RSA, Update – Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigte in Griechenland, 30.8.2018, Seite 6 f., https://bit.ly/2YrmazO, Abruf: 29.1.2021, im Folgenden: Stellungnahme vom 30.8.2018; AA vom 6.12.2018 an das VG Stade, Seite 3). Im Jahr 2019 erfolgte auf 950 Anfragen von Asylsuchenden, die heimatlos oder unter prekären Lebensumständen auf dem griechischen Festland lebten, nur in 55 Fällen ein Angebot für eine Unterbringung. Das entspricht einem Anteil von unter 6 % (AIDA, Seite 150). Auf Anfrage der Flüchtlingshilfsorganisation ProAsyl hat das KYADA Multi-Purpose Homeless Shelter, die größte Unterkunft in der Region von Attika, Ende Februar 2021 mitgeteilt, dass aktuell keine Plätze verfügbar seien (ProAsyl/RSA, Stellungnahme April 2021, Seite 10).
cc) Einige Nichtregierungsorganisationen bieten punktuell Wohnraum an. Hierzu gehören z.B. Caritas Hellas, Orange House und PRAKSIS. Insbesondere Caritas Hellas unterhält einen sogenannten „Social Spot" in Athen. Hier werden täglich Hilfestellungen zu verschiedenen Themen angeboten. Zudem verfügt Caritas Hellas über Wohnräumlichkeiten sowie Kooperationen mit der armenischen Kirchengemeinde, welche u. a. auch für kurzfristige Unterbringungen zur Verfügung stehen. Weitere gemischte Wohnprojekte der Caritas Hellas im Stadtteil Neos Kosmos werden von den römisch-katholischen Bischöfen in Griechenland unterstützt (BFA (österr.), a.a.O., Seite 30 f.; AA vom 6.12.2018 an das VG Stade, Seite 3). Hilfsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen leisten auch Unterstützung bei der Vermittlung von Wohnraum (Raphaelswerk, Seite 9). Die Unterstützung durch solche Organisationen erfolgt aber teilweise in Projekten mit kurzer Laufzeit, die unregelmäßig gefördert werden (Raphaelswerk, Seite 1). Aktuell soll es laut Auskunft von ProAsyl keinen Wohnraum oder Wohnunterstützung durch Hilfsorganisationen geben (ProAsyl/RSA, Stellungnahme April 2021, Seite 10).
dd) Anmietung von Wohnraum auf dem freien Wohnungsmarkt
Eine Anmietung von Wohnraum kommt zumindest dann nicht Betracht, wenn die rücküberstellten Personen nicht über ausreichende Finanzmittel verfügen, die sie mit eigener Erwerbstätigkeit – wie im Folgenden unter b) ausgeführt – nicht erlangen können. Dabei ist auch in Betracht zu ziehen, dass anerkannt Schutzberechtigte nicht nur die Mittel für die laufenden Mietzahlungen benötigen, sondern auch für die Hinterlegung einer Mietkaution (ProAsyl/RSA, Stellungnahme April 2021, Seite 9; ProAsyl/RSA, Stellungnahme vom 4.6.2020, Rn. 38).
Selbst wenn solche Mittel vorhanden sind, wird eine Wohnungssuche durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, hilfsweise Bekannte und Studenten, sowie gelegentlich auch durch Vorurteile erschwert (ProAsyl/RSA, Stellungnahme April 2021, Seite 9; AA vom 26.9.2018 an das VG Schwerin, Seite 5, n.v.; BAMF, Länderinformation: Griechenland, Stand: Mai 2017, Seite 6; ProAsyl/RSA, Stellungnahme vom 4.6.2020, Rn. 38).
ee) Rechtsschutz zur Vermeidung von Obdachlosigkeit
Es besteht für anerkannte Schutzberechtigte auch keine realistische Möglichkeit, sich auf dem Rechtsweg eine Unterkunft zu verschaffen. Laut einer Auskunft des Auswärtigen Amts an das VG Schleswig besteht kein gesetzlicher Anspruch auf Vermeidung von Obdachlosigkeit nach griechischem Recht (AA an das VG Schleswig vom 15.10.2020, n.v.). Zwar ist gemäß Art. 21 Abs. 4 der griechischen Verfassung „Die Verschaffung von Wohnungen für Obdachlose oder ungenügend Untergebrachte Gegenstand der besonderen Sorge des Staates“. Daraus lasse sich aber – so das Auswärtige Amt – kein Rechtsanspruch herleiten. Es handele sich vielmehr um eine Staatszielbestimmung. Auch einfachrechtlich sei kein Rechtsanspruch auf Zuweisung von Wohnraum statuiert. Ein Eilrechtsschutz mit dem Ziel der Unterbringung bestehe nicht.
Auch aus den europäischen Richtlinien resultiert kein Anspruch auf Bereitstellung einer Unterkunft. Die international Schutzberechtigten zu gewährenden Rechte ergeben sich aus der Richtlinie 2011/95/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (EU-Qualifikations-RL). Gemäß Art. 32 Abs. 1 dieser Richtlinie sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, Zugang zu Wohnraum unter Bedingungen erhalten, die den Bedingungen gleichwertig sind, die für andere Drittstaatsangehörige gelten, die sich regelmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten. Gemäß Art. 29 Abs. 1 EU-Qualifikations-RL tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt, die notwendige Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats erhalten. Das Europarecht gewährt den anerkannt Schutzberechtigten danach nur eine Gleichbehandlung mit anderen Drittstaatsangehörigen bzw. mit griechischen Bürgern.
Die sich daraus ergebenden Diskriminierungsverbote werden aber von der Republik Griechenland beachtet. Es ist gerade das erklärte Ziel Griechenlands, sich durch die Gewährung von internationalem Schutz und der damit verbundenen (formalen) Gleichstellung mit griechischen Bürgern weiterer Ansprüche auf Sozialleistungen, die die Antragsteller vor ihrer Anerkennung als Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigte erhalten haben, zu entledigen. So erklärte der Minister für Migration und Asyl, dass es das Ziel Griechenlands sei, binnen 2 bis 3 Monaten den Schutzberechtigten einen entsprechenden Status zu garantieren, und im Anschluss alle Sozialleistungen und Unterkünfte zu entziehen, da die Gewährung derartiger Leistungen als „Pull-Faktor“ wirke. Jeder, dessen Status anerkannt worden sei, sei für sich selbst verantwortlich (AIDA, Seite 217).
Rechtsbehelfe vor Verwaltungsbehörden oder Gerichten nehmen überdies oft Jahre in Anspruch, sind für anerkannte Flüchtlinge oft nicht zugänglich und für diese deshalb unwirksam (ProAsyl/RSA, Stellungnahme vom 23.6.2017, Seite 10).
ff) Als Folge der geschilderten fehlenden bzw. unzureichenden Unterstützung durch staatliche und nichtstaatliche Stellen sind in Griechenland zahlreiche international Schutzberechtigte obdachlos.
In Presseberichten wird die Zahl von 11.000 Flüchtlingen genannt, die allein infolge der bereits oben geschilderten verschärften Praxis der griechischen Behörden, Flüchtlinge spätestens binnen 30 Tagen nach Anerkennung eine Unterkunft in einem Flüchtlingslager zu verweigern, obdachlos geworden sind (ProAsyl/RSA, Griechenland: Selbst anerkannten Flüchtlingen droht Verelendung, 14.9.2020, https://bit.ly/3cUtA6Y, Abruf: 6.4.2021; Ärzte ohne Grenzen, Regierung treibt Tausende Flüchtlinge gezielt in Obdachlosigkeit, 14.7.2020, https://bit.ly/3dwgNX6, Abruf: 6.4.2021; Der Spiegel, Plötzlich vor dem Nichts, 6.6.2020, https://bit.ly/3wwkvZH, Abruf: 6.4.2021). Rücküberstellte anerkannt Schutzberechtigte vergrößern diese Gruppe der Obdachlosen noch, zumal sie – wie ausgeführt – selbst nicht (mehr) berechtigt sind, in eine Flüchtlingsunterkunft aufgenommen zu werden. Aufgrund des Mangels an Unterbringungskapazitäten greifen anerkannt Schutzberechtigte, einschließlich Vulnerable, auf Notunterkünfte zurück oder bleiben in den städtischen Gebieten von Athen, Thessaloniki und Petra obdachlos. Andere leben unter prekären Bedingungen in besetzten oder verlassenen Gebäuden ohne Zugang zu Strom oder Wasser (vgl. BFA (österr.), Länderinformationsblatt der Staaten Dokumentation: Griechenland, Stand: 19.3.2020, n. v., Seite 21).
Die Klägerin kann nicht auf solche “informelle Möglichkeiten“ der Unterkunft in verlassenen bzw. besetzten Gebäuden verwiesen werden. Denn abgesehen von der Illegalität dieser Unterkunftsform sind diese Gebäude wegen der dort zumeist herrschenden menschenunwürdigen Zustände unzumutbar (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.1.2021 – 11 A 1564/20.A –, juris Rn. 62f. m.w.N.). Diese Situation hat sich durch die Auflösung von Flüchtlings-Camps auf den ägäischen Inseln und die Erschwernisse infolge der Corona-Krise noch verschärft (siehe hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.1.2021 – 11 A 1564/20.A –, juris Rn. 49-62 m. w. N.).
Zusammengefasst besteht für die Klägerin eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, nach einer Rücküberstellung nach Griechenland obdachlos zu werden. Dass es vereinzelt nicht zur Obdachlosigkeit kommt, weil es mithilfe von Nichtregierungsorganisationen oder Unterstützung anderer Flüchtlinge gelingt, eine Wohnung und eine Arbeit zu finden, steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Gefordert ist nur, dass der Klägerin mit „beachtlicher Wahrscheinlichkeit“ eine Verletzung des Mindestinhalts ihres Grundrechts gemäß Art. 4 GRC („Brot, Bett und Seife“) droht. Eine solche Wahrscheinlichkeit lässt sich aufgrund der vorbeschriebenen Lage in Griechenland nicht verneinen (so auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.1.2021 – 11 A 1564/20.A –, juris Rn. 41 ff.). Dass Obdachlosigkeit kein augenscheinliches Massenphänomen darstellt, trifft jedenfalls aktuell nicht mehr zu. Selbst in der deutschen Presse wird umfänglich über obdachlose anerkannte Schutzberechtigte in Athen berichtet (vgl. etwa Redaktionsnetzwerk Deutschland, „Flüchtlinge in Athen: Ein Leben wie menschliches Treibgut“, 20.10.2020, http://bit.ly/36E8LsO, Abruf: 6.4.2021; Der Spiegel, Plötzlich vor dem Nichts, 6.6.2020, https://bit.ly/3wwkvZH, Abruf: 6.4.2021). Nach einem Pressebericht hat die Beklagte zudem bestätigt, von sich aus seit Ende des Jahres 2019 Rücküberstellungen nach Griechenland ausgesetzt zu haben (Oldenburger Onlinezeitung, BAMF legt Tausende Asylverfahren von Flüchtlingen[n] auf Eis, 6.2.2021, http://bit.ly/3bmsMFS, Abruf: 19.2.2021).
Besonderheiten in der Person der Klägerin, die ausnahmsweise die Annahme rechtfertigen könnten, die Klägerin werde auch im Falle einer Rücküberstellung nicht in die Obdachlosigkeit abgleiten, sind nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin in ihrer Anhörung durch die Beklagte mitgeteilt hat, sie sei von ihrem bereits in Deutschland lebenden Bruder unterstützt worden (Seite 4 der Niederschrift über die Anhörung der Klägerin vom 20. März 2018, Blatt 59, 62 unten der Verwaltungsakte), ist nicht ersichtlich, dass diese Unterstützung genügen würde, um eine Unterkunft zu erlangen. Seinerzeit lebte die Klägerin nämlich noch in einer Flüchtlingsunterkunft, sodass aus den ihr zur Verfügung gestellten Mitteln lediglich die Kosten für Essen und Hygieneartikel zu bestreiten waren.
b) Die Klägerin wird ferner mit hoher Wahrscheinlichkeit im Falle ihrer Rücküberstellung nach Griechenland nicht in der Lage sein, mit Erwerbstätigkeit die finanziellen Mittel zu erlangen, die sie für die Versorgung mit den für ein Überleben notwendigen Gütern benötigt.
Die Ausstellung zahlreicher, für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit benötigter Dokumente ist an hohe Voraussetzungen geknüpft und teils wechselseitig vom Vorhandensein weiterer Dokumente abhängig (ProAsyl/RSA, Stellungnahme zur Situation international Schutzberechtigter in Griechenland, 9.12.2020, Seite 3, https://bit.ly/39q6FhM, Abruf: 28.1.2021, im Folgenden: Stellungnahme vom 9.12.2020).
Anerkannt Schutzberechtigte können zwar eine Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit unter denselben Bedingungen aufnehmen, die für griechische Bürger gelten (AA vom 21.8.2020 an das VG Bayreuth, Seite 2, n.v.; AA vom 6.12.2018 an das VG Stade, Seite 8, n.v.), sofern sie eine gültige Aufenthaltserlaubnis besitzen (Respond, Seiten 17, 25).
Schon die Erlangung dieser Aufenthaltserlaubnis gestaltet sich indes schwierig. Anders als in Deutschland reicht ein bestandskräftiger Anerkennungsbescheid der Asylbehörde, mit dem einer Person internationaler Schutz zuerkannt wurde, in Griechenland nicht aus, um die entsprechende Aufenthaltserlaubnis zu beantragen. Zusätzlich wird ein sogenannter ADET- Bescheid benötigt, bei dem es sich um eine Anweisung des zuständigen Regionalbüros der Asylbehörde handelt, eine Aufenthaltserlaubnis auszustellen. Erst mit einem solchen Bescheid kann bei der Passbehörde der griechischen Polizei ein Termin vereinbart werden, um die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zu beantragen. In der Praxis gibt es zwischen Beantragung und Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis Wartezeiten von bis zu einem Jahr (ProAsyl/RSA, Stellungnahme April 2021, Seiten 12, 14). International Schutzberechtigte, die keine gültige Aufenthaltserlaubnis besitzen, haben keinen Zugang zum Arbeitsmarkt (ProAsyl/RSA, Stellungnahme April 2021, Seite 12).
Die Arbeitsaufnahme ist zwar nicht von einer vorherigen Arbeitserlaubnis abhängig (AIDA, Seite 219). Ein (legales) Arbeitsverhältnis kann aber nur mit einer gültigen Steuerregistrierungsnummer bzw. -identifikationsnummer (AFM) eingegangen werden (AIDA, Seite 165; Respond, Seite 25). Diese Registrierungsnummer ist nur mit einem Nachweis einer Unterkunft zu erhalten (ProAsyl/RSA, Stellungnahme April 2021, Seite 15; Respond, Seite 25). Für wohnungslose Inhaber internationalen Schutzes ist es daher nicht möglich, eine Steuerregistrierungsnummer zu erlangen (ProAsyl/RSA, Stellungnahme vom 9.12.2020, Seite 3, und Stellungnahme vom 4.6.2020, Rn. 8).
Auch die Erlangung einer ebenfalls für die Arbeitsaufnahme notwendigen Sozialversicherungsnummer (AMKA) (dazu Raphaelswerk, Seiten 8, 11; ProAsyl/RSA, Stellungnahme vom 4.6.2020, Rn. 13, 48, und Stellungnahme vom 9.12.2020, Seite 3) gestaltet sich laut den Erkenntnismitteln komplex und problematisch. Die Erteilung setzt den Nachweis einer Steuerregistrierungsnummer und einer Korrespondenzadresse voraus (ProAsyl/RSA, Stellungnahme April 2021, Seite 12, 16, Stellungnahme vom 9.12.2020, Seite 3, und Stellungnahme vom 4.6.2020, Rn. 13). Für obdachlose bzw. nicht dauerhaft an einer Stelle sesshafte Schutzberechtigte sind diese Voraussetzungen nicht erfüllbar. International Schutzberechtigte, die ohne Aufenthaltserlaubnis nach Griechenland zurückkehren oder abgeschoben werden, können keine Sozialversicherungsnummer erhalten. Eine Beantragung ist erst möglich, wenn Ihnen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde. Dies kann aber – wie ausgeführt – angesichts der aktuellen Wartezeiten bis zu einem Jahr dauern (ProAsyl/RSA, Stellungnahme April 2021, Seite 17).
Anerkannt Schutzberechtigten ist der Arbeitsmarkt in Griechenland zudem nur zugänglich, wenn sie ein Bankkonto vorweisen können (ProAsyl/RSA, Stellungnahme vom 9.12.2020, Seite 5). Da die Eröffnung eines Bankkontos wiederum vom Vorliegen einer Aufenthaltserlaubnis, eines Reisepasses, eines Wohnsitzes, einer Steuer-ID sowie einer steuerlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung abhängig ist, sind die wenigsten international Schutzberechtigten in der Lage, ein Konto zu eröffnen (ProAsyl/RSA, Stellungnahme April 2021, Seite 17). Laut UNHCR hat zwar die Mehrzahl der anerkannt Schutzberechtigten, die seinerzeit über das sogenannte ESTIA II-Programm untergebracht worden waren (und somit sogar eine Meldeadresse vorweisen konnten), eine Sozialversicherungsnummer und eine Steuer-ID erhalten. Ein Bankkonto haben jedoch gerade einmal 10% eröffnen können (UNHCR, Population breakdown in ESTIA II Accomodation Scheme, 16.11.2020, Seite 2, https://bit.ly/2PYBBhZ, Abruf: 6.4.2021).
Laut einer Auskunft des Auswärtigen Amts ist die Bearbeitungsdauer bei administrativen Vorgängen überdies oft sehr lang und erfordert häufig die persönliche Vorsprache und gegebenenfalls einen Rechtsbeistand, um Verfahrensfragen zu klären. Nichtregierungsorganisationen unterstützten anerkannt Schutzberechtigte bei diesen Vorgängen (AA an das VG Chemnitz vom 1.2.2019, Seite 5, n.v., und an das VG Stade vom 6.12.2018, Seite 7, n.v.). Allein die Überprüfung der personenbezogenen Daten von Flüchtlingen dauert etwa 2 Monate (AIDA, Seite 220).
Die Chancen zur Vermittlung eines Arbeitsplatzes sind ohnehin gering. Die staatliche Arbeitsagentur OAED hat bereits für Griechen kaum Ressourcen für die aktive Arbeitsvermittlung und noch kein Programm zur Arbeitsintegration von Flüchtlingen aufgelegt. Migration in den griechischen Arbeitsmarkt hat in der Vergangenheit vor allem in den Branchen Landwirtschaft, Bauwesen, haushaltsnahe und sonstige Dienstleistungen stattgefunden. Allerdings haben sich die Arbeitschancen deutlich verschlechtert (BFA (österr.), Länder Informationsblatt der Staaten Dokumentation: Griechenland, Stand: 19.3.2020, Seite 31).
Als letzte Möglichkeit verbleibt eine Erwerbstätigkeit im ungeregelten Arbeitsmarkt bzw. in der sogenannten „Schattenwirtschaft“ (so Konrad-Adenauer-Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Juli 2018, Seite 9, https://bit.ly/36l5Q8k, Abruf: 29.1.2021, im Folgenden: Konrad-Adenauer-Stiftung). Laut dem AIDA-Bericht findet die überwiegende Anzahl derjenigen international Schutzberechtigten, die überhaupt eine Beschäftigung erlangen konnten, diese Beschäftigung in prekären Beschäftigungsverhältnissen, die das Risiko der Ausbeutung erhöhten (AIDA, Seite 220; vgl. auch Konrad-Adenauer-Stiftung, Seite 9; UNHCR, Refugee Integration in Mainland Greece: Prospects and Challenges, Seite 3, https://bit.ly/3tmW5jM, Abruf: 3.2.2021). Migranten werden schwarz beschäftigt und für harte, mühsame und gesundheitsschädigende Arbeiten eingestellt und häufig niedrig und/oder unregelmäßig bezahlt (Respond, Seite 28 f.). Im Jahr 2017 ergaben Nachforschungen, dass unter jungen syrischen Flüchtlingen die Quote der Vollbeschäftigten nur 7,25 % betrug, von denen wiederum die Hälfte ohne jede soziale Absicherung arbeitete (Pro Asyl/RSA, Stellungnahme: Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, 23.6.2017, Seite 24, https://bit.ly/39q6FhM, Abruf: 28.1.2021, im Folgenden: Stellungnahme vom 23.6.2017; Respond, Seiten 26 und 29 f.).
Einige Sektoren der griechischen Wirtschaft wie etwa der Tourismus und die Landwirtschaft sind zwar vor der Corona-Pandemie teilweise von schwarzarbeitenden Migranten abhängig gewesen (Respond, Seiten 28 f.), jedoch bedeutete das bereits vor der Corona-Pandemie bei weitem nicht, dass anerkannte Schutzberechtigte auch eine Tätigkeit, die ihre Versorgung mit den für ein Überleben notwendigen Gütern sichergestellt hätte, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit hätten finden können. Die Republik leidet nunmehr sehr stark unter dem mit der Corona-Pandemie verbundenen Wirtschaftseinbruch, insbesondere im Tourismus (RND, Corona wirft Griechenland weit zurück, 25.12.2020, https://bit.ly/3urJ7Rn, Abruf: 6.4.2021). Daher ist jetzt erst recht nicht davon auszugehen, dass der ungeregelte Arbeitsmarkt anerkannten Schutzberechtigten ein zum Überleben ausreichendes Einkommen sichern kann.
c) Die Klägerin wird im Falle ihrer Rückkehr nach Griechenland auch keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen haben, mit deren Hilfe sie dort ihr Existenzminimum sichern kann.
Anerkannt Schutzberechtigte haben in Griechenland grundsätzlich Zugang zu der seit Februar 2017 schrittweise eingeführten sozialen Grundsicherung. Das System der Sozialhilfe basiert auf drei Säulen. Die erste Säule sieht ein Sozialgeld, das sogenannte „Garantierte Mindesteinkommen“, in Höhe von 200 Euro für einen Einpersonenhaushalt vor, das sich pro zusätzlicher erwachsener Person um 100 EUR und pro zusätzlichem Kind um 50 EUR erhöht (ProAsyl/RSA, Stellungnahme April 2021, Seite 18). Diese Säule ist etabliert und bedarf einer elektronischen griechisch-sprachigen Antragstellung. Die zweite Säule besteht aus Sach- und Beratungsleistungen und die dritte aus der Arbeitsmarktintegration; sie befindet sich aber noch im Aufbau (AA, Auskunft an das VG Leipzig vom 28.1.2020, Seite 2 f.).
Anspruchsberechtigt für das garantierte Mindesteinkommen sind Haushalte, die anhand eines mindestens 6 Monate vor der Antragstellung unterzeichneten Mietvertrags eine Meldeadresse nachweisen können (ProAsyl/RSA, Stellungnahme April 2021, Seite 18). Nach anderen Angaben ist ein durch eine inländische Steuererklärung nachzuweisender, dauerhaft einjähriger Mindestaufenthalt im Inland erforderlich (Pro Asyl/RSA, In Griechenland stehen abgeschobene anerkannte Flüchtlinge vor dem Nichts – eine Fallstudie, Seite 4, https://bit.ly/39qm1Ts, Abruf: 28.1.2021; AA an das VG Chemnitz vom 1.2.2019, Seite 5, n.v.). Jüngeren Auskünften des Auswärtigen Amts zufolge ist sogar ein Voraufenthalt von 2 Jahren erforderlich (AA an das VG Leipzig vom 28.1.2020, Seite 2 f., n.v., und an das VG Berlin vom 4.12.2019, Seite 5, n.v.).
Die Antragsteller müssten zudem unter anderen im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis sein, benötigen eine Steueridentifikationsnummer (AFM), eine steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung, eine Sozialversicherungsnummer (AMKA) und ein Bankkonto (ProAsyl/RSA, Stellungnahme April 2021, Seite 18).
Auch obdachlose Menschen können Anspruch auf dieses garantierte Mindesteinkommen haben. Sie müssen die sonst erforderlichen Dokumente (AFM, AMKA, steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung, Bankkonto) und eine mit diesen Dokumenten erst noch zu beantragende Bescheinigung ihrer Obdachlosigkeit vorweisen können. Faktisch steht das garantierte Mindesteinkommen daher international Schutzberechtigten, die aus anderen Ländern nach Griechenland zurückkehren, nicht zur Verfügung (ProAsyl/RSA, Stellungnahme April 2021, Seite 19).
Geldleistungen der Arbeitslosenversicherung erhalten nur Personen mit entsprechenden Vorversicherungszeiten für eine Dauer von maximal einem Jahr. Die griechische Arbeitsagentur OAED stellt seit Juni 2018 für alle Schutzberechtigten eine Arbeitslosenkarte aus. Die Arbeitslosenkarte berechtigt zu folgenden Leistungen: Kostenlose Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, kostenloser Eintritt in Museen, Ermäßigungen für Gas-, Wasser- und Stromrechnungen, Rabatte in einigen Fast-Food-Restaurants, Mobilfunkangebote und ermäßigte berufliche Fortbildungsmaßnahmen (vgl. BFA (österr.), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, Stand 19.3.2020, Seite 31).
Schutzberechtigte haben auch keinen Anspruch auf Leistungen aus dem sogenannten „Cash-Card-System“ des UNHCR. Denn Mittel aus diesem System stehen nur Asylbewerbern zur Verfügung (AA, Auskunft an VG Leipzig vom 28.1.2020, Seite 2; BFA (österr.), a.a.O., Seite 29).
Ausgehend von diesen Erkenntnissen besteht für die Klägerin keine Möglichkeit, die aufgezeigten staatlichen Sozialleistungen zu erlangen. Allein mit Hilfe der Arbeitslosenkarte, die lediglich zu einigen Vergünstigungen berechtigt, könnte die Klägerin ihr Existenzminimum ersichtlich nicht sichern (ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.1.2021 – 11 A 1564/20.A –, juris Rn. 91).
d) Schließlich wird die Klägerin auch durch die Unterstützung durch nichtstaatliche Stellen nicht in die Lage versetzt, ihre elementarsten Bedürfnisse in Griechenland zu befriedigen.
Verschiedene Nichtregierungsorganisationen unterhalten Suppenküchen, in denen Bedürftige – d.h. sowohl Einheimische als auch Ausländer – warme Mahlzeiten erhalten können (vgl. ProAsyl/RSA, Stellungnahme vom 30.8.2018, Seite 8). Punktuell bieten sie auch Unterstützung bei der Arbeitssuche bzw. der Beantragung von Sozialleistungen an (AA, Auskunft an das VG Stade vom 6.12.2018, Seiten 10 f.). In geringem Umfang gelingt es Flüchtlingen auch, Nahrungsmittel für sich selbst und andere Flüchtlinge durch Spendenmittel zu erlangen (The World, In Greece, refugees and migrants turn to each other to get through coronavirus pandemic, 23.4.2020, https://bit.ly/2Q1g4p4, Abruf: 7.4.2021). Diese Hilfsmaßnahmen, die ergänzt werden durch Hilfen der orthodoxen Kirche und der Zivilgesellschaft, können aber lediglich als „elementares Auffangnetz gegen Hunger und Entbehrungen“ bezeichnet werden (vgl. AA, Auskunft an das VG Schwerin vom 26.9.2018, Seite 4).
Nach allem geraten anerkannte Schutzberechtigte, wie die Klägerin, nach einer Rücküberstellung nach Griechenland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Obdachlosigkeit, erhalten in der Praxis keinen Zugang zu elementaren Leistungen und können auch sonst auf keine ausreichende Unterstützung von staatlicher oder nichtstaatlicher Seite hoffen mit der Folge, dass ihnen innerhalb kürzester Zeit Verelendung und ein Leben unter menschenrechtswidrigen Bedingungen droht (so auch ProAsyl/RSA, Stellungnahme vom 9.12.2020, Seite 1).
2. Mit der Aufhebung der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig ist auch die Aufhebung der Feststellung der Beklagten darüber verbunden, ob die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen (Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids). Gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG setzt eine solche Entscheidung eine Entscheidung über den unzulässigen Asylantrag voraus. Wird diese aufgehoben, entfällt auch die Grundlage für eine Entscheidung gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG.
Die Abschiebungsandrohung (Ziffer 3 des Bescheids) ist ebenfalls aufzuheben. Zwar resultiert die Rechtswidrigkeit nicht daraus, dass das Bundesamt der Klägerin statt ihr gemäß §§ 35, 36 Abs. 1 AsylG eine Ausreisefrist von einer Woche zu setzen unter Rückgriff auf § 38 Abs. 1 AsylG eine 30-tägige Ausreisefrist nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens gesetzt hat. Denn allein dadurch wäre die Klägerin, die infolge dessen im Ergebnis besser steht als bei rechtmäßigem Verhalten des Bundesamts, nicht in ihren Rechten verletzt. Das setzt aber § 113 Abs. 1 VwGO für die Aufhebung von Ziffer 3 des Bescheids voraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.4.2019 – 1 C 51/18 –, juris Rn. 21). Die Abschiebungsandrohung verletzt die Klägerin jedoch deshalb ihren Rechten, weil sie unabhängig von der gesetzten Ausreisefrist nur dann ergehen darf, wenn der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt wurde. Diese Ablehnung als unzulässig entfällt aber mit diesem Urteil.
Mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung entfällt auch die Voraussetzung, unter der die Beklagte gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG über eine Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG entscheiden darf. Infolgedessen ist der angefochtene Bescheid auch hinsichtlich Ziffer 4 aufzuheben.