Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.12.2006, Az.: 9 LA 32/05
Teilerlass von Erschließungsbeiträgen aufgrund widersprüchlichen Verhaltens der Gemeinde im Vorfeld einer Erschließungsbeitragserhebung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 01.12.2006
- Aktenzeichen
- 9 LA 32/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 31673
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2006:1201.9LA32.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Lüneburg - 07.12.2004 - AZ: 3 A 240/03
Rechtsgrundlage
- § 135 Abs. 5 BauGB
Fundstellen
- DVBl 2007, 200 (amtl. Leitsatz)
- DVP 2007, 521
- NVwZ-RR 2007, 275-277 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Ein teilweiser Billigkeitserlass ist nicht gerechtfertigt, wenn jemand im Vertrauen auf die unzutreffende Auskunft von Mitarbeitern der Abrechnungsbehörde, die Erschließungsanlagen würden im Wege der Erschließungseinheit mit der Folge abgerechnet, dass Eckgrundstücke wie einfach erschlossene Grundstücke behandelt werden, ein Eckgrundstück erwirbt.
Gründe
Die Kläger wenden sich gegen die Versagung eines Teilerlasses eines gegen sie - inzwischen rechtskräftig - festgesetzten Erschließungsbeitrags mit dem Argument, die Beklagte habe sich widersprüchlich verhalten, indem sie entgegen ihrer vorherigen Erklärungen die Erschließungsbeiträge nicht auf der Grundlage einer Erschließungseinheit und das klägerische Eckgrundstück nicht wie alle anderen einfach erschlossenen Grundstücke abgerechnet habe.
Das Verwaltungsgericht hat den begehrten Teilerlass mit der Begründung abgelehnt, die Äußerungen auf Seiten der Beklagten seien aufgrund der Gesamtumstände der Erklärung nicht geeignet, das Vertrauen der Kläger, die endgültige Abrechnung erfolge auf der Grundlage einer Erschließungseinheit, als besonders schutzwürdig erscheinen zu lassen. Die Äußerungen über die Einschätzung der Tatsachen- und Rechtslage seien im Zeitpunkt der Auskünfte unverbindlich und allgemein gewesen. Bezogen auf deren Einzelfall hätten die Kläger keine konkrete verbindlich gemeinte Erklärung erhalten, aus der sie hätten schließen können, es würden von ihnen Erschließungsbeiträgen nur in bestimmter Höhe erhoben bzw. auf die Erhebung von Teilen der Beiträge würde verzichtet werden.
Der hiergegen gerichtete und auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 - 3 und Nr. 5 VwGO gestützte Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1.
An der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen entgegen den Ausführungen im Zulassungsantrag ernstliche Zweifel nicht. Zur Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils berufen sich die Kläger darauf, sie hätten sich vor dem Kauf ihres Eckgrundstücks am 14. März 1997 mehrfach bei der zuständigen Mitarbeiterin der Beklagten nach den anfallenden Erschließungskosten erkundigt. Die eindeutigen Auskünfte der Beklagten, dass alle Grundstücke einheitlich an den Erschließungskosten beteiligt würden, seien für sie - für die Beklagte erkennbar - ausschlaggebend gewesen, das Eckgrundstück zu erwerben. Bei einer anderen Auskunft hätten sie sich für ein einfach erschlossenes Grundstück entschieden. Bereits seit 1995 hätten der damalige Gemeinde- und Samtgemeindedirektor sowie dessen Mitarbeiter verschiedenen Kaufinteressenten erklärt, die Erschließungskosten würden über eine Erschließungseinheit gleichmäßig auf alle Grundstücke mit der Folge umgelegt, dass Eckgrundstücke nicht stärker belastet werden würden als Grundstücke mit einfacher Erschließung. Diese Auffassung habe der Gemeinde- und Samtgemeindedirektor auf der Anliegerversammlung im Juni 1997 erneut vertreten.
Dieses Vorbringen der Kläger rechtfertigt nicht die Annahme, das Verwaltungsgericht habe in dem angefochtenen Urteil zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 135 Abs. 5 BauGB abgelehnt.
Nach § 135 Abs. 5 Satz 1 BauGB kann die Gemeinde im Einzelfall von der Erhebung des Erschließungsbeitrags ganz oder teilweise absehen, wenn dies im öffentlichen Interesse oder zur Vermeidung unbilliger Härten geboten ist. Eine derartige Härte kann sich aus den persönlichen Verhältnissen des Beitragsschuldners (persönliche Billigkeitsgründe) oder - wie hier von den Klägern geltend gemacht - aus der Sache (sachliche Billigkeitsgründe) ergeben. Sachliche Billigkeitsgründe liegen nur vor, wenn davon auszugehen ist, dass diese Art der Härte nicht dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers entspricht. Billigkeitsmaßnahmen der Gemeinde dürfen die dem gesetzlichen Beitragstatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers demnach nicht durchbrechen oder korrigieren, sondern vielmehr nur einen ungewollten Überhang beseitigen (Urteil des Senats vom 20.7.1999 - 9 L 238/99 - m. w. N., Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl., § 26 Rdnr. 5 ). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 17. Juni 1994 - 8 C 22/92 - NVwZ 1995, 1213 = KStZ 1995, 190 = Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 92 m. w. N.), der sich der Senat anschließt, kann im Abgabenrecht und namentlich im Erschließungsbeitragsrecht unter bestimmten Umständen ein nachhaltiges, einen Vertrauensschutz für den Abgabepflichtigen schaffendes Verhalten der Verwaltung dazu führen, dass die Abgabenerhebung eine unbillige (sachliche) Härte darstellt und dieser durch den Erlass einer - soweit es das Erschließungsbeitragsrecht betrifft - entstandenen Erschließungsbeitragsforderung zu begegnen ist. Danach erfasst § 135 Abs. 5 BauGB die Fallgruppe eines widersprüchlichen Verhaltens der Gemeinde im Vorfeld einer Erschließungsbeitragserhebung. Für diese Billigkeitsentscheidung ist ausreichend, wenn der Beitragspflichtige in Anwendung aller Sorgfalt, zu der er den Umständen nach verpflichtet ist, auf die Richtigkeit einer behördlichen Erklärung vertraut und entsprechend gehandelt, d. h. die Erklärung zur Grundlage seiner wirtschaftlichen Dispositionen gemacht hat (vgl. BVerwG Urteil vom 18.4.1975 - VI C 15.73 - BVerwGE 48, 166 = Buchholz 401.0 § 131 AO Nr. 18).
Bei Anwendung dieser Maßstäbe vermag das Vorbringen der Kläger eine sachliche Unbilligkeit nicht zu belegen.
Selbst wenn man im vorliegenden Fall zu Gunsten der Kläger davon ausgeht, dass Mitarbeiter der Beklagten - wie von den Klägern vorgetragen - im Hinblick auf die Abrechnung der Erschließungsanlagen mehrfach die - unrichtige - Auskunft gegeben haben, die Grundstücke einschließlich der Eckgrundstücke würden im Wege der Erschließungseinheit mit der Folge abgerechnet, dass alle Grundstücke gleich belastet würden, schafft dieses Verhalten nicht einen die sachliche Unbilligkeit im Sinne von § 135 Abs. 5 BauGB tragenden Vertrauensschutz. Bei näherer Betrachtung haben die Mitarbeiter der Beklagten nach dem Vorbringen der Kläger potenziellen Kaufinteressenten für Grundstücke vor dem Grundstückskauf die nach ihrer Rechtsansicht maßgeblichen Grundlagen für die Abrechnung der Erschließungsanlagen sowie die daraus sich ergebenden Folgerungen im Hinblick auf die Höhe des zu erwartenden Erschließungsbeitrages mitgeteilt. Die Mitarbeiter der Beklagten haben aber nicht zugleich mit ihrer Auskunft deutlich gemacht, dass damit automatisch ein Verzicht auf jegliche weitere Festsetzung von Erschließungsbeiträgen verbunden ist. Ein ausdrücklicher Verzicht auf eine höhere Festsetzung von Erschließungsbeiträgen wurde - wie die Kläger selbst einräumen - nicht erklärt. Mit anderen Worten hatte die Auskunft ausschließlich belastenden Charakter in dem Sinn, dass die Höhe der Beitragsschuld mitgeteilt wurde. Sie sollte nicht zugleich eine Begünstigung im Sinne eines Verzichts auf höhere bzw. weitere Erschließungsbeiträge darstellen. Angesichts dessen kommt der hier von den Klägern angeführte Vertrauensschutzgedanke nicht zum Tragen, weil die Betroffenen - nach Erhalt der Auskünfte - weiter mit der Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen nach den Vorschriften des Baugesetzbuches und der Beitragssatzung rechnen mussten. Dies schließt die Möglichkeit ein, dass sich die Erschließungsbeiträge abweichend von den erteilten Auskünften gegebenenfalls erhöhen würden. Von daher gleicht die Schutzwürdigkeit des von den Klägern beanspruchten Vertrauensschutzes in derjenigen der Betroffenen in "Nacherhebungsfällen". In diesen ist mit Blick auf die Erhebungspflicht anerkannt, dass selbst ein Bescheid über die Festsetzung von Erschließungsbeiträgen, mit dem ein entstandener Erschließungsbeitragsanspruch nicht voll ausgeschöpft wird, regelmäßig ausschließlich einen belastenden Verwaltungsakt darstellt; er ist nicht zusätzlich ein begünstigender Verwaltungsakt, der die Erklärung der Behörde enthalten würde, eine weitere Forderung solle ausgeschlossen sein, d.h. die Abgabe solle nicht (mehr) in voller Höhe erhoben werden. Insbesondere § 135 Abs. 5 BauGB lässt erkennen, dass das Bundesrecht grundsätzlich eine volle Ausschöpfung entstandener Erschließungsbeitragsansprüche durch den Erlass von Beitragsbescheiden verlangt. Die §§ 127 ff. BauGB ordnen an, dass die Gemeinden entstandene Erschließungsbeitragsansprüche grundsätzlich in vollem Umfang, d. h. ziffernmäßig voll ausschöpfen müssen. Es ist daher nicht ungewöhnlich, dass selbst nach Festsetzung von Erschließungsbeiträgen durch bestandskräftigen Bescheid bei Eintritt späterer Erkenntnisse, etwa durch eine gerichtliche Klärung in einem Verfahren eines einzelnen Anliegers, andere Beitragspflichtige nachveranlagt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.3.1988 - 8 C 115/86 - NVwZ 1988, 938 = Buchholz 406.11 § 127 BBauG Nr. 52). Denn das Beitragsschuldverhältnis endet unabhängig vom Erlass eines Heranziehungsbescheides und dessen Bestandskraft erst in dem Zeitpunkt, in dem - aus welchen Gründen immer - der Beitragsanspruch selbst erlischt. Demgemäß hat die Rechtsprechung in den Fällen der Nacherhebung einen der weiteren Festsetzung eines Erschließungsbeitrages oder der Zahlungsverpflichtung entgegenstehenden Vertrauensschutz innerhalb der Verjährungsfristen nicht bejaht (BVerwG, Urteil vom 18.3.1988 - 8 C 115/86 - a. a. O.).
Selbst wenn die Kläger im Vertrauen auf die "Endgültigkeit" der Äußerungen der Mitarbeiter der Beklagten ihr Eckgrundstück erworben und damit eine Vertrauensbetätigung vorgenommen haben, wäre eine solche Vertrauensbetätigung somit nicht schutzwürdig, weil nicht jede Auskunft oder Äußerung im Vorfeld der Beitragsfestsetzung schon aus der Natur der Sache tragfähig ist für den - ein entsprechendes Vertrauen rechtfertigenden - Gegenschluss, dass von den Betroffenen mehr als in der Auskunft angekündigt nicht verlangt werden solle. Es müssten besondere Umstände hinzutreten, wenn er sich ganz ausnahmsweise einmal rechtfertigen soll (zu einem solchen Fall Beschluss des Senats vom 14.10.1997 - 9 L 7552/95 -). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Ratsbeschluss vom 10. Oktober 1997 lässt sich dafür nicht anführen, denn zum damaligen Zeitpunkt hatten die Kläger ihr Eckgrundstück bereits gekauft, so dass der Ratsbeschluss für die von den Klägern vorgenommene Vertrauensbetätigung - Kauf des Eckgrundstücks - nicht mehr ausschlaggebend war.
2.
Besondere tatsächliche und/oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wirft der Rechtsstreit nicht auf. Besondere tatsächliche Schwierigkeiten liegen bereits deshalb nicht vor, weil sich das Urteil - wie dargelegt - auch unter Zugrundelegung der von den Klägern vorgetragenen Darstellung als richtig erweist. Besondere rechtliche Schwierigkeiten trägt der vorliegende Fall ebenfalls nicht in sich. Die Voraussetzungen, unter denen eine sachliche Unbilligkeit im Sinne von § 135 Abs. 5 BauGB zu bejahen ist, sind in der Rechtsprechung hinreichend geklärt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1994 - 8 C 22/92 - NVwZ 1995, 1213 = KStZ 1995, 190 = Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 92 m. w. N.; Urteile des Senats vom 20.7.1999 - 9 L 238/99 - und vom 14.10.1997 - 9 L 7552/95 - zu § 227 AO).
3.
Der Rechtssache kommt schließlich auch keine grundsätzliche Bedeutung zu. Für die von den Klägern für grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage, welche Sorgfalt derjenige, der Auskünfte bei Behörden einhole, aufbringen müsse, um auf die Richtigkeit der Auskünfte der Behörde vertrauen zu können, besteht kein weiterer Klärungsbedarf. Auf diese Frage kommt es im vorliegenden Fall nicht an, denn die Kläger können - wie dargelegt - unabhängig von der von ihnen aufgebrachten Sorgfalt einen Vertrauensschutz berechtigterweise nicht für sich in Anspruch nehmen.
4.
Ein die Zulassung der Berufung rechtfertigender Verfahrensfehler im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt nicht vor. Soweit die Kläger als verfahrensfehlerhaft rügen, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt, obwohl die Möglichkeit zu einer weiteren Aufklärung des entscheidungserheblichen Punktes im Hinblick auf die Verbindlichkeit der erteilten Auskünfte durch Anhörung der Mitarbeiter der Beklagten bestanden habe, ist diesem Einwand entgegenzuhalten, das sich eine solche weitere Aufklärung nicht aufgedrängt hat. Denn entscheidungserheblich ist, dass mit den Auskünften - unbeschadet der Frage ihrer Verbindlichkeit - allein eine zu erwartende Abrechnung im Wege der Erschließungseinheit aufgezeigt wurde ohne zugleich auf eine weitere satzungsgemäße Abrechnung der Erschließungsbeiträge verzichten zu wollen.