Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.12.2006, Az.: 9 LA 158/03
Abfallbeseitigungsgebühr; Entstehung; Fälligkeit; Gebührenschuld
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 18.12.2006
- Aktenzeichen
- 9 LA 158/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 53330
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 16.04.2003 - AZ: 8 A 129/01
Rechtsgrundlagen
- § 38 AO
- § 28 Abs 1 GrStG
- § 11 Abs 1 Nr 2b KAG ND
- § 2 Abs 1 S 2 KAG ND
- § 5 Abs 1 S 1 KAG ND
- § 5 Abs 5 S 3 KAG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Maßgebliche Satzung für die Heranziehung zu Abfallbeseitigungsgebühren ist die im Zeitpunkt der - satzungsmäßig bestimmten - Entstehung der Gebührenschuld geltende Satzung.
Gründe
Der auf die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat der gegen die Heranziehung des Klägers und seiner Ehefrau als Eigentümer des Grundstücks „B. 28“ in der Gemeinde C. im Kreisgebiet des Beklagten zu Abfallgebühren für das Jahr 2000 in Höhe von 152,52 DM (64,18 €) gerichteten Klage in Höhe des halben Betrages stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen dargelegt, die Klage sei unzulässig, soweit der Kläger die teilweise Aufhebung des Bescheides auch insoweit begehre, als dieser gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 b NKAG i.V.m. § 155 Abs. 3 Satz 1 AO als zusammengefasster Bescheid zugleich gegenüber seiner Ehefrau ergangen sei. Denn soweit der Verwaltungsakt seine Ehefrau betreffe, könne der Kläger nicht zu Recht geltend machen, durch diesen in seinen eigenen Rechten verletzt zu sein. Im Übrigen sei die Klage hingegen zulässig und begründet. Als Rechtsgrundlage der Heranziehung komme entgegen der Auffassung des Beklagten nur dessen Abfallgebührensatzung in der Fassung der 4. Änderungssatzung - AGS 4 - in Betracht, die erst nach dem 1. Januar 2000 durch die AGS 5 ersetzt worden ist. Denn die Gebührenschuld entstehe gemäß § 8 Abs. 2 AGS 4 mit Beginn des Erhebungszeitraums. Wie sich aus § 8 Abs. 3 AGS 4 folgern lasse, sei Erhebungszeitraum grundsätzlich das Kalenderjahr, wenn auch nach § 8 Abs. 3 Satz 1 AGS 4 der Gebührenbetrag im allgemeinen erst am 1. Juli des Kalenderjahres fällig werde. Hiernach wäre die für das Jahr 2000 geforderte Jahresgebühr bereits auf der Grundlage der AGS 4 zur Entstehung gelangt, wäre die entsprechende Satzung wirksam. Dies sei indes nicht der Fall. Wie die Kammer bereits in ihrem Urteil vom 13. Oktober 1999 (- 8 A 8522/98 - bestätigt durch Beschl. d. Sen. v. 4.9.2000 - 9 L 4792/99 -) ausgeführt habe, sei ein Gebührensatz, der für Anschlusspflichtige in Ein-Personen-Haushalten, die selbst kompostierten, keine ausreichenden Anreize zur Abfallvermeidung und Abfallverwertung bewirke, wegen Verstoßes gegen § 12 Abs. 2 Satz 2 NAbfG rechtswidrig und nichtig. Zugleich verstoße die mit diesem Gebührensatz verbundene Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Zwei-Personen-Haushalten gegen Art. 3 GG. Aus dem Satzungsrecht des Beklagten (Abfallsatzung und AGS) jeweils in der Fassung der 4. Änderung folge für Grundstücke, auf denen nur eine Person melderechtlich registriert gewesen sei und für die nicht Besonderheiten vorgelegen hätten, dass der Anschlusspflichtige nicht umhin gekommen sei, einen Müllgroßbehälter MGB 80 (Füllraum von 80 Liter) vorzuhalten und ungeachtet des tatsächlich anfallenden Müllvolumens und der Frage, wie viele der - mit der Grundgebühr abgegoltenen zwölf - Pflichtleerungen er in Anspruch genommen habe, zumindest eine Gebühr von 125,52 DM zu entrichten. Er habe also zwangsläufig für ein Behältervolumen von 18,462 Liter pro Person und Woche (80 Liter x 12 : 52) bezahlen müssen. Damit habe für Anschlusspflichtige aus Ein-Personen-Haushalten, die selbst kompostierten oder in Orten wohnten, wo Bioabfälle getrennt gesammelt worden seien, kein finanzieller Anreiz bestanden, das Hausmüllaufkommen unter ein Volumen von 18,462 Liter pro Woche zu senken, obwohl ein Durchschnittswert pro Person und Woche von nur 10 Liter anzunehmen sei. Weiterer Darlegungen hierzu bedürfe es nicht, weil der Beklagte selbst meine, dass er erst mit seinen 5. Änderungssatzungen den im Urteil der Kammer vom 13. Oktober 1999 dargelegten Bedenken gegen seine Normsetzung Rechnung getragen habe. Die Abfallgebührensatzung in der Fassung der 5. Änderungssatzung wirke aber nicht auf den hier in Rede stehenden Erhebungszeitraum (1. Januar bis 31. Dezember 2000) zurück und sei deshalb nicht geeignet, die geltend gemachte Gebührenschuld zur Entstehung gelangen zu lassen. Im Übrigen seien auch die in ihr geregelten Gebührensätze sämtlich rechtswidrig und nichtig (wird im Urteil ausgeführt).
Der Senat teilt nicht die in der Antragsschrift dargelegten Zweifel des Beklagten an der Richtigkeit der Auffassung des Verwaltungsgerichts, Rechtsgrundlage der streitigen Gebührenerhebung könnte - mangels Rückwirkung der AGS 5 auf den 1. Januar 2000 - nur die AGS 4 des Beklagten sein. Der Beklagte meint zu Unrecht, Rechtsgrundlage sei stattdessen die auf der Rückseite des Bescheides als solche angegebene Satzung „in der jeweils geltenden Fassung“, mithin doch die AGS 5, weil diese am 5. Mai 2000 in Kraft getreten sei und somit bei Erlass des angefochtenen Gebührenbescheides am 26. Mai 2000 bereits gegolten habe. Denn maßgeblich ist nicht die den Zeitpunkt des Erlasses des Gebührenbescheides erfassende Satzung, sondern die den Zeitpunkt der Entstehung der Gebührenschuld erfassende Satzung; das ist die am 1. Januar 2000 noch einschlägig gewesene AGS 4 des Beklagten.
Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 NKAG verlangt zwar die Festsetzung einer Benutzungsgebühr grundsätzlich die abgeschlossene Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung. Davon kann bei regelmäßig wiederkehrender (Dauer-)Benutzung für eine Jahresgebühr erst nach Ende des Erhebungszeitraumes am 31.12. und damit nach Verwirklichung des Gebührentatbestandes (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 b NKAG i.V.m. § 38 AO), also nach Entstehung der sachlichen Gebührenschuld die Rede sein, so dass vorher eine Gebührenerhebung grundsätzlich ausgeschlossen ist (vgl. Urt. d. Sen. v. 9.10.1990 - 9 L 279/89 - NSt-N 1991, 18 = NdsRpfl 1991, 95 = NVwZ-RR 1991, 381; Beschl. d. Sen. v. 15.4.1993 - 9 M 5550/92 - KStZ 1994, 77 = NdsRpfl 1994, 81 = ZKF 1994, 37 = NSt-N 1993, 320). Seit der im Dezember 1991 erfolgten Neufassung des § 5 Abs. 5 Satz 3 NKAG ist indes eine Ermächtigungsgrundlage für die vorzeitige Gebührenerhebung bei einer wiederkehrenden Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung wie etwa der Abfallentsorgung geschaffen worden. Danach kann die Satzung für diese Fälle bestimmen, dass die Gebühr zu den Fälligkeitszeitpunkten der Grundsteuer zu entrichten ist, d.h. nach § 28 Abs. 1 GrStG zu je einem Viertel am 15.2., am 15.5., am 15.8 sowie am 15.11. oder nach § 28 Abs. 3 GrStG ausnahmsweise in einem Jahresbetrag am 1.7. Will eine Gemeinde von dieser Ermächtigung zur Erhebung einer vorzeitigen endgültigen Jahresgebühr Gebrauch machen, so setzt dies allerdings denknotwendig die satzungsrechtliche Festlegung voraus, dass der Jahresgebührenanspruch jeweils zu Beginn des Erhebungszeitraums in voller Höhe entsteht, weil nur eine bereits nach Grund und Höhe entstandene Gebührenschuld fällig werden kann (Beschl. d. Sen. v. 15.4.1993 - 9 M 5550/92 - a.a.O.; Lichtenfeld in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: Juli 2002, § 6 RdNr. 721 b) und § 2 Abs. 1 Satz 2 NKAG vom Ortsgesetzgeber verlangt, dass er auch den Zeitpunkt der Entstehung der Schuld bestimmt (vgl. Lichtenfeld, a.a.O., § 6 RdNr. 721a). Eine entsprechende Bestimmung ist in der Abfallgebührensatzung des Beklagten enthalten. Diese regelt in ihrem § 8 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, dass die Gebührenschuld mit Beginn des Erhebungszeitraumes entsteht und die Benutzungsgebühren am 1.7. eines jeden Kalenderjahres fällig werden, soweit der festgesetzte Gesamtbetrag 1.000,00 DM nicht überschreitet.
Der Beklagte, dessen Kreistag dergestalt von der Ermächtigungsgrundlage des § 5 Abs. 5 Satz 3 NKAG Gebrauch gemacht hat, übersieht, dass diese „antizipierte“ Gebührenerhebung auch Nachteile für die Kommune mit sich bringen kann (vgl. Lichtenfeld, a.a.O., RdNr. 770). Denn bei diesem Erhebungsverfahren entsteht die Gebührenschuld für das gesamte zukünftige Erhebungsjahr am 1.1. nach Grund und Höhe in Anwendung des zu diesem Zeitpunkt geltenden Satzungsrechts endgültig. Dies schließt es aus, dass sie später zu einem anderen Zeitpunkt oder in anderer Höhe noch einmal entsteht. Demzufolge bleiben alle nach dem 1.1. des betreffenden Jahres wirksam werdenden , für die Gebührenpflichtigen nachteiligen Satzungsänderungen - etwa die Erhöhung des Gebührensatzes zum 1.7. oder der Wegfall einer bisher bestehenden satzungsmäßigen Vergünstigungsregelung zu diesem Zeitpunkt - aus Rechtsgründen ohne Einfluss. Dasselbe gilt für eine nachträglich mit ausdrücklicher Rückwirkung auf den Jahresbeginn erlassene Änderung einer gültigen Gebührensatzung. Hier hätte der Beklagte die Möglichkeit gehabt, die unter Berücksichtigung des früheren Urteils des Verwaltungsgerichts vom 13. Oktober 1999 und des hierzu im Zulassungsverfahren ergangenen Beschlusses des Senats vom 4. September 2000 von ihm selbst als unwirksam erkannte AGS 4 durch eine wirksame und rückwirkend auf den 1. Januar 2000 in Kraft gesetzte AGS 5 zu ersetzen, um nach deren Gebührenmaßstab noch rechtmäßig die (Jahres-)Abfallgebühren für den am 1. Januar 2000 begonnenen Erhebungszeitraum festsetzen zu können. Dies ist indes nicht geschehen, so dass es an einer wirksamen Rechtsgrundlage für die Heranziehung des Klägers fehlt.
Die übrigen Darlegungen des Beklagten zum Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung betreffen ausschließlich die vom Verwaltungsgericht verneinte Rechtmäßigkeit der AGS 5, sind hier wegen der AGS 4 als allein in Betracht kommender Rechtsgrundlage also nicht entscheidungserheblich.
Der Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 VwGO ist entgegen § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO vom Beklagten nicht dargelegt worden.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache dann zu, wenn sie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden muss. Der Zulassungsantrag muss eine konkrete Frage aufwerfen, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lassen und (zumindest) einen Hinweis auf den Grund enthalten, der das Vorliegen einer über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung rechtfertigen soll ( vgl. GK-AsylVfG, Stand: Oktober 2003, § 78 RdNrn 591/592 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt der Zulassungsantrag des Beklagten nicht. Denn dieser beschränkt sich auf Angriffe gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung und formuliert keine entscheidungserhebliche grundsätzlich bedeutsame Frage.