Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.12.2006, Az.: 7 A 3253/03

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.12.2006
Aktenzeichen
7 A 3253/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 45581
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2006:1219.7A3253.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg/Oldenburg - AZ: 10 LC 80/04

Amtlicher Leitsatz

Es ist mit Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren, dass für Rinder ein einheitlicher Beitragssatz vorgesehen ist. Es bedarf insbesondere keines gesonderten Tarifs für Kälber, Kälbermäster oder Mastbetriebe im Allgemeinen.

Tatbestand

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Die Klägerin betreibt eine Kälbermast. Anfang Januar 2003 hatte sie 533 Tiere aufgestallt.

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Mit Bescheid vom 26. Februar 2003 erhob die Beklagte von der Klägerin für das Jahr 2003 pro Tier einen Beitrag in Höhe von 8,-- €, insgesamt 4 264,-- €. Der hiergegen von der Klägerin erhobene Widerspruch ist mit Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 8. August 2003 zurückgewiesen worden.

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Am 8. September 2003 hat die Klägerin Klage erhoben.

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Sie trägt im Wesentlichen vor: Der Beitrag für die Rinder dürfe nicht einheitlich auf 8 € festgesetzt werden. Es sei ein eigener Tarif für junge Rinder geboten. Es bedürfe zudem einer Sonderregelung für die Kälbermastbetriebe, mindestens aber müsse nach Kälber- und Bullenmästern einerseits und Milchviehbetrieben andererseits unterschieden werden. Bei den Risikobereichen, die von der Beklagten abgedeckt würden, gebe es insofern wesentliche Unterschiede. Dies betreffe vor allem die von der Beklagten übernommenen Kosten der Entsorgung spezifizierten Risikomaterials (SRM), die Aufwendungen für die Vorsorge gegen den BHV-1-Virus (Boviner-Herpesvirus-Typ 1), sowie die Zahlungen für Ohrmarken, den Rinderpass und die Tierbewegungsmeldungen nach der Viehverkehrsordnung (VVVO).

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In Bezug auf die Entsorgung des spezifizierten Risikomaterial (SRM) sei zu berücksichtigen, dass für ein Kalb insoweit erheblich geringere Kosten entstünden. Bei der Kälbermast fielen zudem jährlich nur 3 % tote Tiere an, bei der Bullenmast tendierten die Ausfälle sogar gegen Null. In den Milchviehhaltung verendeten dagegen etwa 10 % der Kälber kurz nach der Geburt. Auch danach liege in diesen Betrieben die Sterblichkeitsquote noch bei 5 %. Die BHV-1-Bekämpfung komme nicht den Kälbern zu Gute. Nach § 2 a der BHV-1-Verordnung bestehe eine Untersuchungs- und Impfpflicht erst ab einem Alter von 9 Monaten. Sie betreffe in erster Linie Milchviehbetriebe, weil in den Mastbetrieben keine Verbreitungsgefahr bestehe. Die bei der Kälberhaltung notwendigen zwei Rinderbewegungsmeldungen verursachten bei der Beklagten lediglich Kosten in Höhe von 40 Cent. Schließlich mache die Beklagte bei der Beitragsbemessung für Geflügel genaue Unterschiede.

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Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 26. Februar 2003 und deren Widerspruchsbescheid vom 8. August 2003 aufzuheben, soweit darin ein höherer Beitrag als 2 132,-- € festgesetzt worden ist,

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und

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die Beklagte zu verurteilen, an sie 2 132,-- € nebst 6 % Zinsen seit dem 18. März 2003 zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Sie erwidert im Wesentlichen: Die Klägerin verkenne, dass die Mittel, die sie für Untersuchungen, Diagnostika und Impfstoff sowie die Tierkörperbeseitigung in den Milchviehbetrieben aufwende, sich mittelbar auch zu Gunsten der Mastbetriebe auswirkten. Durch die Maßnahmen in den Zucht- und Abmelkbetrieben sei gewährleistet, dass es überhaupt Bestände mit vermarktungsfähigen Masttieren gebe. Die Maßnahmen seien so eng miteinander verknüpft, dass sich eine sinnvolle und beitragserhebliche Unterscheidung zwischen Milchviehhaltung und Mastbetrieben nicht durchführen lasse.

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In Bezug auf die SRM-Entsorgung sei zwar zutreffend, dass der Durchschnittspreis für die Beseitigung eines Rindes mit einem Alter von über 12 Monaten 84,10 € betrage, während für jüngere Tiere nur 25,39 € zu zahlen seien. Im Jahre 2002 seien jedoch nur 58 290 Rinder mit einem Alter von mehr als 12 Monaten, dagegen 177 781 Rinder unter 12 Monaten beseitigt worden. Daraus ergäben sich für Rinder über 12 Monaten Gesamtkosten von 4,9 Mio. €, für die jüngeren Tiere von 4,5 Mio. €. Dass in Milchviehbetrieben ein höherer Anteil an Tieren verende als bei der Mast, könne nicht nachvollzogen werden. Die Kälber profitierten über das Kolostrum von der BHV-1-Bekämpfung bei der Mutter. Dies sei durch zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegt. Das Untersuchungsalter in der BHV-1-Verordnung sei nur wegen dieser maternalen Antikörper auf 9 Monate bestimmt worden. BHV-1 könne bei Kälbern jeden Alters auftreten. Die Untersuchungsverpflichtung nach der genannten Verordnung gelte grds. auch für Mastbetriebe. Beim Kauf bereits gekennzeichneter Tiere profitierten die Kälberbesitzer von der vorherigen Vergabe der Ohrmarken und der Ausstellung des Rinderpasses.

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Es bestehe ein weiter Spielraum des Satzungsgebers. Es dürfe lediglich keine willkürliche Gleichbehandlung verschiedener Sachverhalte erfolgen. Der Grundsatz der Typengerechtigkeit erlaube es, zu verallgemeinern und zu pauschalieren. Es könnten Gruppen unberücksichtigt bleiben, die nicht mehr als 10 % der betroffenen Fälle ausmachten. Lediglich 1,7 % der Rinderhaltungen in Niedersachen seien Kälbermastbetriebe.

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Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet.

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Rechtsgrundlage für die streitige Beitragserhebung ist die Satzung des Verwaltungsrats der Beklagten über die Erhebung von Tierseuchenbeiträgen für das Jahr 2003 vom 24. Oktober 2002 (Nds.MBl. 2002, S. 1043). Nach deren § 2 Abs. 1 Nr. 1 sind für Rinder je Tier 8,-- € zu erheben. Dementsprechend hat die Beklagte den Beitrag der Klägerin festgesetzt.

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Diese Regelung in der Satzung der Beklagten ist mit höherrangigem Recht vereinbar und daher wirksam. Nach § 71 Abs. 1 TierSG können von den Tierbesitzern nach Maßgabe der landesrechtlichen Regelungen Beiträge zur Finanzierung der Entschädigung für Tierseuchen gewährt werden. Beiträge sind für Pferde, Rinder, Schweine, Schafe, Geflügel und Süßwasserfische zu erheben (Satz 3), und zwar nach Tierarten gesondert (Satz 5). Nach Satz 6 der Regelung können die Beiträge auch nach der Größe der Betriebe und unter Berücksichtigung der seuchenhygienischen Risiken, insbesondere aufgrund der Betriebsorganisation, sowie zusätzlich nach Alter, Gewicht oder Nutzungsarten gestaffelt werden.

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§ 14 Abs. 1 Satz 1 AGTierSG bestimmt, dass die Beiträge für die Leistungen, Verwaltungskosten und notwendigen Rücklagen der Tierseuchenkasse erhoben werden. Satz 2 der Vorschrift sieht vor, dass Beiträge auch für andere als die in § 71 Abs. 1 TierSG genannten Tierarten sowie für Maßnahmen, die der vorbeugenden Bekämpfung von Tierseuchen oder von seuchenartigen Erkrankungen dienen, erhoben werden dürfen. Die Höhe des Beitrages wird durch Satzung des Verwaltungsrates der Beklagten bestimmt (§ 14 Abs. 1 Satz 4 AGTierSG).

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In § 2 Abs. 1 der Satzung des Verwaltungsrates der Beklagten ist eine Staffelung der Beiträge nach Tierarten, insbesondere auch ein spezieller Tarif für Rinder, vorgesehen, so dass diese Vorschrift mit § 71 Abs. 1 Satz 5 TierSG vereinbar ist. Eine weitere Differenzierung nach den Kriterien des Satzes 6 der Bestimmung ist zwar rechtlich möglich, aber nicht zwingend. Sie steht im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 22. September 2003 - 10 LB 2243/01 - ). Aus Sicht der Kammer zeigt dies, dass nach den gesetzlichen Vorgaben eine weitere Unterscheidung allenfalls in besonderen Ausnahmefällen geboten sei kann.

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§ 2 Abs. 1 Nr. 1 der Beitragssatzung des Verwaltungsrates der Beklagten, wonach für Kälber und andere Rinder der gleiche Beitrag zu zahlen ist, entspricht auch dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Dieser verlangt, dass wesentlich Gleiches gleich, wesentlich Ungleiches ungleich behandelt werden muss. Da in der Beitragssatzung des Verwaltungsrates der Beklagten eine sach-, nicht personenbezogene Gleichbehandlung erfolgt, wird Art. 3 Abs. 1 GG schon dann Genüge getan, wenn diese sich nicht als willkürlich und offensichtlich unsachlich darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1993 - 1 BvL 38/92 - BVerfGE 88, 8796 f.). Dementsprechend besteht auch bei der Bestimmung der Höhe der Beiträge zur Tierseuchenkasse ein weitreichender der gerichtlichen Kontrolle entzogener Spielraum, der nur überschritten ist, wenn für diese auch unter Einschluss von Gründen der Verwaltungspraktikabilität und Typengerechtigkeit ein sachlich einleuchtender Grund fehlt (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 22. September 2003 a.a.O. ; Beschluss vom 19. Mai 1999 - 3 L 1833/99 - ; Urteil vom 12. Dezember 1991 - 3 L 2/90 - ).

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Die Pauschalierung des Beitrages für Rinder ist zur Überzeugung der Kammer frei von Willkür. Die Beklagte hat zu Recht darauf verwiesen, dass eine Unterscheidung zwischen der Milchviehhaltung einerseits und den Mastbetrieben andererseits schon aus generellen Erwägungen nicht geboten ist. Die verschiedenen Formen der Rindviehhaltung sind nämlich eng miteinander verzahnt. Die Mastbetriebe erwerben ihre Tiere - möglicherweise, wie die Klägerin vorträgt, durch das Bindeglied spezieller Kälberaufzuchtsbetriebe - von den Milchviehbetrieben. Alle seuchenhygienischen Maßnahmen in den Milchviehbetrieben kommen damit mittelbar der Masthaltung zu Gute. Es wird sichergestellt, dass für die Mast überhaupt vermarktungsfähige Tiere in ausreichender Zahl zu angemessenen Preisen vorhanden sind. Dementsprechend bedarf es bei der Beitragsbemessung auch keiner Differenzierung nach dem Alter der Rinder.

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Dass - wie die Klägerin vorträgt - die Kälbermäster ihre Tiere weit überwiegend nicht in Niedersachsen erwerben, durfte die Beklagte bei der gebotenen abstrakten Betrachtung unberücksichtigt lassen. Außerdem hat die Beklagte überzeugend dargelegt, dass sich durch eine länderübergreifende Verbringung der Tiere das Seuchenrisiko erhöht.

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Zu den einzelnen Streitpunkten ist Folgendes zu bemerken:

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1. Die Beklagte übernimmt die Kosten für die getrennte Entsorgung des spezifizierten Risikomaterials nach Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 999/2001, soweit Rinder aus sonstigen seuchenrechtlichen Gründen entsorgt werden müssen, nicht dagegen für das Schlachtvieh. Insoweit sind die Aufwendungen für ein Tier unter 12 Monaten zwar geringer als für ältere Rinder. Die Beklagte hat jedoch unbestritten dargelegt, dass erheblich mehr junge Tiere betroffen sind, so dass sich die Gesamtkosten für die beiden Gruppen nicht wesentlich unterscheiden.

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Soweit die Klägerin geltend macht, dass in den Milchviehbetrieben ein höherer Anteil an Tieren von den Beihilfen für die Entsorgung des spezifizierten Risikomaterials profitieren würden als bei den Mastbetrieben, kann diese Behauptung - die die Beklagte bestritten hat - als richtig unterstellt werden. Denn von der Übernahme dieser Kosten haben auch die Mastbetriebe einen mittelbaren Vorteil. Würde die Beklagte diese Aufwendungen nicht tragen, müssten die Milchviehbetriebe für die von ihnen veräußerten Tiere einen höheren Preis verlangen.

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2. Von den BHV-1-Untersuchungen und -Impfungen, die nach § 2 a BHV-1-Verordnung unterschiedslos bei allen Rinderbeständen im Alter von 9 Monaten zu erfolgen hat, profitieren mittelbar auch die Halter jüngerer Tiere. Es ist erwiesen, dass bei der Zuführung von Muttermilch (Kolostrum) ein Schutz für mehrere Monate besteht. Da die kolostralhaltigen Futtermittel in der Mehrzahl BHV-1-Antikörper enthalten, ist eine Untersuchung erst nach 9 Monaten sinnvoll (vgl. Balks/Behr/Frost/Cussler in: Amtstierärztlicher Dienst und Lebensmittelkontrolle, 2003, S. 45, 46). In der erwähnten Vorschrift der BHV-1-Verordnung ist deshalb auch dieser Untersuchungszeitpunkt bestimmt worden (vgl. Geissler/Rojahn/Stein, Tierseuchenrecht, Anm. zu § 2 a BHV-1-Verordnung). Nach dem von der Beklagten vorgelegten Auszug aus dem Werk von Mayr, Medizinische Mikrobiologie, Infektions- und Seuchenlehre, 7. Auflage 2002, S. 184, erkranken Tiere aller Altersstufen. Neugeborene ohne Antikörper sind am schwersten betroffen.

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3. Auch von der Übernahme der Kosten für Ohrmarken, Ersatzohrmarken und Rinderpässe nach §§ 24 d ff. VVVO profitieren die Kälberhalter mittelbar. Würden diese Vorsorgemaßnahmen in den Milchviehbetrieben nicht durchgeführt, könnten die Tiere nicht vermarktet werden.

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4. In Bezug auf den von der Klägerin in erster Linie erstrebten Sondertarif für Kälbermastbetriebe ist zudem noch zu beachten, dass im Rahmen der auch unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes zulässigen Typisierungen, Gruppen außer Betracht gelassen werden dürfen, die nicht mehr als 10 % der von einer Regelung erfassten Fälle ausmachen (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 22. September 2003 a.a.O. unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschluss vom 19. September 1983 - 8 N 1.83 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 22, S. 1115). Lediglich 1,7 % der rinderhaltenden Betriebe in Niedersachsen sind indes auf die Kälbermast spezialisiert. Diese Betriebe verfügen nur über 4,05 % des Rinderbestandes in Niedersachsen.

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5. Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass § 2 Abs. 1 Nr. 4 der Beitragssatzung des Verwaltungsrates der Beklagten für Geflügel genauere Differenzierungen vorsieht, hat die Beklagte bereits im Widerspruchsbescheid unbestritten ausgeführt, dass bei diesen Tierarten ein größerer Anteil an schadensabhängigen Leistungen zu erbringen ist als bei Rindern. Für jüngere Tiere sind hierbei geringere Entschädigungen zu zahlen. Bei Rindern spielt dagegen bei der Bemessung ihres Wertes vor allem die Herkunft, die Rasse und die Genetik des Tieres eine Rolle. Außerdem kann aus den Differenzierungen bei Geflügel schon deshalb kein Anspruch auf weitere Unterscheidungen bei Rindern abgeleitet werden, weil für die Gleichbehandlung dieser Tiere, wie hier, sachliche Gründe streiten.