Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.12.2006, Az.: 8 LA 131/06
Angehöriger; Ausnahme; Ausnahmefall; Bestattung; Bestattungskosten; Bestattungspflicht; Eltern; Entziehung; Gewohnheitsrecht; Kind; Mutter; Sorgerecht; Sorgerechtsentzug; Vater; Verstorbener
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 18.12.2006
- Aktenzeichen
- 8 LA 131/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 53332
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 27.07.2006 - AZ: 1 A 633/05
Rechtsgrundlagen
- § 8 BestattG ND
- § 66 SOG ND
- § 1666 BGB
- § 1666a BGB
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Kinder eines Verstorbenen, dem das elterliche Sorgerecht dauerhaft entzogen worden war, sind nach dem bis zum Jahresende 2005 in Niedersachsen geltenden Landesgewohnheitsrecht nicht verpflichtet gewesen, öffentlich-rechtlich für die Bestattung ihres Vaters zu sorgen.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet, weil die Voraussetzungen für die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nrn. 1 bis 4 VwGO nicht gegeben sind.
Es bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Der 1971 geborene Kläger ist nicht öffentlich-rechtlich verpflichtet gewesen, seinen am 31. Januar 2004 verstorbenen Vater bestatten zu lassen, und muss deshalb auch nicht die der Beklagten dafür entstandenen und von ihr mit dem angefochtenen Bescheid geltend gemachten Kosten tragen.
Das Verwaltungsgericht ist unter Bezugnahme auf die zitierte Rechtsprechung des Senats zutreffend davon ausgegangen, dass sich die maßgebende öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht zum Zeitpunkt des Todesfalles im Jahr 2004 noch nach landesrechtlichem Gewohnheitsrecht richtete. Es lässt sich aber kein gewohnheitsrechtlicher Rechtssatz mit dem Inhalt feststellen, dass Kinder eines Verstorbenen auch dann bestattungspflichtig sind, wenn dem Verstorbenen das elterliche Sorgerecht für seine Kinder gemäß §§ 1666, 1666 a BGB dauerhaft entzogen worden ist. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 27. September 2004 (- 8 ME 227/04 -, u. a. Nds. VBl. 2005, 54 = NJW 2005, 1067 = NordÖR 2004, 453 = Nds. Rpfl. 2004, 326) ausgeführt hat, entsteht Gewohnheitsrecht durch längere Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine ist und die nach allgemeiner Rechtsüberzeugung als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird. Eine solche gewohnheitsrechtliche Überzeugung besteht zwar mit dem Inhalt, dass Kinder in Ermangelung vorrangig verpflichteter näherer Angehöriger grundsätzlich verpflichtet sind, die Bestattung ihrer Eltern aufgrund rechtlicher Verpflichtung zu übernehmen. Es lässt sich jedoch nicht feststellen und ist auch von der Beklagten nicht vorgetragen worden, dass sich eine solche Überzeugung in Niedersachsen auch für den hier gegebenen Sonderfall gebildet hat, dass dem Verstorbenen die elterliche Gewalt über seine Kinder entzogen und nicht wiedererteilt worden ist. Gegen eine solche Verpflichtung und für die Annahme eines die Verpflichtung ausschließenden Sonderfalles spricht zudem die Herleitung der streitigen gewohnheitsrechtlichen Bestattungspflicht. Sie wird aus dem Recht und der Pflicht im Rahmen der sog. "Totenfürsorge" abgeleitet, die wiederum Ausfluss des familienrechtlichen Verhältnisses ist, das den Verstorbenen bei Lebzeiten mit den Überlebenden verbunden hat, und das über den Tod hinaus fortdauernd gegenüber dem toten Familienmitglied Pietät und Pflege seines Andenkens gebietet (vgl. den o.a. Senatsbeschl. v. 27.9.2004 unter Bezugnahme auf Gaedke/Diefenbach, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, nunmehr 9. Aufl., S. 104, m. w. N.).
Dieses familienrechtliche Verhältnis zwischen dem Verstorbenen und seinen Kindern ist hier aber durch den staatlichen Eingriff in Form des 1976 erfolgten Sorgerechtsentzugs tatsächlich aufgehoben und nachfolgend auch nicht wieder begründet worden. Ein solcher Sorgerechtsentzug setzt ein schwerwiegendes Fehlverhalten der Eltern und eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohls voraus. Das elterliche Fehlverhalten muss ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.8.2006 - 1 BvR 476/04 -, FamRZ 2006, 1593 ff., m. w. N.). Kommt es daher - wie vorliegend - über die Dauer von mehr als einem Jahrzehnt zur Entziehung des Sorgerechts, so liegt dem ein besonders schwerwiegendes elterliches Fehlverhalten zugrunde. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass das Eltern-Kind-Verhältnis beiderseits grundlegend zerstört ist.
Der Entzug des Sorgerechts als ein die Bestattungspflicht von Kindern begrenzendes Tatbestandsmerkmal ist von der hilfsweise bestattungspflichtigen Behörde auch leicht, verlässlich und ohne eigene Ermittlungen in der Sache festzustellen. Hierin und in dem besonders großen Maß der gegenseitigen Entfremdung der Familienmitglieder ist auch der Unterschied zu den Fällen zu sehen, in denen Kinder ohne staatlichen Eingriff tatsächlich getrennt von einem Elternteil aufgewachsen sind und in denen der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung keinen Grund für die Begrenzung der gewohnheitsrechtlich bestehenden Bestattungspflicht gesehen hat (vgl. zuletzt Senatsbeschl. v. 13.7.2005 - 8 PA 37/05 -, Nds. Rpfl. 2005, 382 ff. = NordÖR 2005, 434 f. [OVG Niedersachsen 13.07.2005 - 8 PA 37/05]). War der Kläger somit wegen des erfolgten langjährigen Sorgerechtsentzugs nicht bestattungspflichtig, so kann er nicht zum Ersatz der für die Bestattung seines Vaters angefallenen Kosten herangezogen werden. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, den Kostenbescheid der Beklagten aufzuheben, bestehen daher nicht.
Ebenso wenig weist die Rechtssache tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.
Tatsächliche Schwierigkeiten liegen vorliegend nicht vor, weil die entscheidungserheblichen Tatsachen bereits aus dem Beschluss des Amtsgerichts E. vom 30. Juli 1976 folgen. Entscheidend ist, dass dem Verstorbenen danach das Sorgerecht für seine beiden Söhne entzogen und nachfolgend auch nicht wiedererteilt worden ist. Einer von der Beklagten darüber hinaus für notwendig erachteten und als tatsächlich schwierig eingestuften weitergehenden Differenzierung nach den Gründen, aus denen der Sorgerechtentzug im Einzelnen erfolgt ist, bedarf es nicht, so dass sich unter diesem Gesichtspunkt auch keine besonderen tatsächlichen Schwierigkeiten der Rechtssache ergeben können.
Ebenso wenig weist das vorliegende Verfahren überdurchschnittliche rechtliche Schwierigkeiten auf. Die streitige Fallgestaltung gibt dem Senat Gelegenheit, seine vorbezeichnete Rechtsprechung zu den Grenzen der gewohnheitsrechtlich in Niedersachsen bestehenden öffentlich-rechtlichen Bestattungspflicht weiter zu präzisieren. Um zu dem genannten Ergebnis zu gelangen, dass ein dauerhafter Sorgerechtsentzug zum Wegfall der öffentlich-rechtlichen Bestattungspflicht von Kindern eines Verstorbenen führt, bedarf es jedoch - wie dargelegt - keines außergewöhnlichen Aufwandes.
Wie von der Beklagten in ihrem Zulassungsantrag bereits selbst zutreffend angesprochen worden ist, bestimmt sich die Bestattungspflicht des Klägers vorliegend noch nach dem zum Jahresende 2005 "ausgelaufenen" Landesgewohnheitsrecht, dessen “Auslegung“ einem Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vermittelt. Zu keinem anderen Ergebnis führt die Überlegung, dass die seit dem Jahresbeginn 2006 nach der nunmehr ausdrücklichen Regelung in § 8 Abs. 3 BestattG bestehende Bestattungspflicht dem Wortlaut nach unbegrenzt ist und sich deshalb auch unter Geltung des Bestattungsgesetzes unverändert die Frage nach einer ungeschriebenen Grenze dieser Bestattungspflicht stellt (vgl. dazu etwa Barthel, BestattG, Kommentar, S. 121 ff.). Eine solche Grenze kann sich aber nur aus einer teleologischen Reduktion des Wortlauts von § 8 Abs. 3 BestattG ergeben und hängt damit von anderen als den hier maßgebenden Voraussetzungen für eine gewohnheitsrechtliche Verpflichtung ab.
Schließlich weicht das Urteil des Verwaltungsgerichts auch nicht im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO von dem o.a. Senatsbeschluss vom 13. Juli 2005 ab. Das Verwaltungsgericht hat diesen Senatsbeschluss seiner eigenen Entscheidung vielmehr ausdrücklich zugrunde gelegt, ihn zutreffend verstanden und die sich daraus ergebenden Grundsätze im Ergebnis sachgerecht auf die hier gegebene, besondere, zuvor vom Senat noch nicht entschiedene Fallkonstellation fortentwickelt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 52 Abs. 3 GKG. Danach war ein Wert in Höhe von 1.449,38 EUR festzusetzen. Zwar lautet die Kostenforderung in dem angefochtenen Bescheid auf 1.629,38 EUR. Die Beklagte hat jedoch nach Hinweis auf die Senatsrechtsprechung zur Kostenerstattung bei einer - wie hier - im Wege der Ersatzvornahme veranlassten Urnenbestattung (vgl. dazu zuletzt Senatsbeschl. v. 21.11.2006 - 8 PA 118/06 -) bereits in erster Instanz, nämlich mit Schreiben vom 18. April 2006, "auf die Anforderung eines Teilbetrages in Höhe von 180, EUR für die Urnengrabstelle verzichtet", so dass sich der in zweiter Instanz noch streitige Betrag auf den festgesetzten Wert vermindert hat.