Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.02.2001, Az.: 1 L 998/00

Anwohner; Gebot der Rücksichtnahme; Rücksichtnahme; Stellplatz; unzumutbare Belästigung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
28.02.2001
Aktenzeichen
1 L 998/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 40336
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 13.01.2000 - AZ: 4 A 4864/99

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Bauaufsichtsbehörde darf einen Bauantrag zur Anlegung rückwärtiger Einstellplätze auch dann wegen Verstoßes gegen § 46 Abs. 1 Satz 2 NBauO ablehnen, wenn sich die davon betroffenen Grundstückseigentümer (z.T. durch Stellung des entsprechenden Bauantrages) mit diesem Vorhaben einverstanden erklärt haben (im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 23.9.1999 - 4 C 6.98 -, BVerwGE 109, 314 = DVBl. 2000, 192).

Tatbestand:

1

Mit der angegriffenen Entscheidung hat das Verwaltungsgericht die Klage auf Erteilung eines Bauvorbescheides für Einstellplätze/Garagen wegen Verstoßes gegen Grenzabstandsvorschriften und das Gebot der Rücksichtnahme als unbegründet, hinsichtlich eines weiteren Hilfsantrages wegen fehlender Sachdienlichkeit als unzulässig abgewiesen. Die Erstellung der Einstellplätze für die Grundstücke in dem Karree, das im Süden von der Straße Hinter dem Dorfe und west- sowie südöstlich von zwei Stichstraßen gleichen Namens eingeklammert wird, ist aufgrund einer Eilentscheidung des 6. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. August 1997 (-- 6 M 3892/97 --, NdsRpfl 1998, 13 = NdsVBl 1998, 47) zum Problem geworden. Darin hatte der 6. Senat dem Eilantrag des Eigentümers des südöstlich gelegenen Grundstückes (M) gegen die Anlegung einer L-förmigen, im Bebauungsplan der Beklagten Nr. 432 so nicht festgesetzten Gemeinschaftsstraße stattgegeben, welche durch das Innere dieses Karrees führen sollte und an der 16 Einstellplätze für die 8 im Südwestteil des Karrees zu errichtenden Reihenhäuser aufgereiht werden sollten. Der 6. Senat hatte u.a. ausgeführt, die Anlegung einer solchen Einrichtung sei rücksichtslos, weil sie Lärm in den Binnenbereich hineintrage.

2

In der Folgezeit versuchte zunächst der beigeladene Bauträger, die dadurch hervorgerufenen Schwierigkeiten zu meistern, nämlich die Reihenhäuser neu zu positionieren und die dafür erforderlichen Einstellplätze zu schaffen. Die Beigeladene erhielt dazu Genehmigungen zur Errichtung zweier Reihengaragenanlagen im Südwestteil des Karrees bzw. gegenüber dem Grundstück des seinerzeit erfolgreichen Eilantragstellers M. Außerdem soll nach ihren Vorstellungen versetzt ein neuntes Reihenhaus angefügt werden, nachdem dieser Platz für die Herstellung der L-förmigen Gemeinschaftsstraße nicht mehr benötigt werde.

3

Die Klägerin hatte von der Beigeladenen das (von Osten her gesehen) zweitletzte Reihenhaus der ursprünglich auf 8 konzipierten Anlage (Flurstücke 179/84 und 93) gekauft und favorisiert eine andere Lösung. Sie ließ dem beigeladenen Bauträger im Wege des einstweiligen zivilrechtlichen Rechtsschutzes verbieten, das neunte, genehmigte Reihenhaus zu errichten. Unter dem 12. September 1998 stellte sie bei der Beklagten die Bauvoranfrage, entlang der gut 35 m langen Grundstücksgrenze zum seinerzeit erfolgreichen Eilantragsteller M. in Schrägaufstellung (45 Grad) zunächst 4 Einstellplätze mit Schallschutzzaun zum östlichen Nachbargrundstück und anschließend 4 Reihengaragen herzustellen. Unter anderem der Anlieger M. hatte sich damit schriftlich einverstanden erklärt.

4

Nach erfolglosem Vorverfahren hat das Verwaltungsgericht die Klage mit ihrem darauf gerichteten Hauptantrag und folgender Begründung abgewiesen: Das Vorhaben verstoße sowohl gegen das in § 46 Abs. 1 Satz 2 NBauO verankerte Rücksichtnahmegebot als auch gegen Grenzabstandsvorschriften. Ersteres gelte auch für den ersten Hilfsantrag, mit dem die Klägerin die Anlegung von 8 Stellplätzen an gleicher Stelle verfolgte. Der weitere, zweite Hilfsantrag, lediglich die 4 südlichen Einstellplätze, nördlich davon aber nichts anzulegen, sei unzulässig. Er stelle gegenüber dem bisherigen Antrag ein "aliud" dar. Die übrigen Beteiligten hätten der Einbeziehung widersprochen; sie sei auch nicht sachdienlich.

5

Der Zulassungsantrag der Klägerin ... hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

6

Die angegriffene Entscheidung begegnet nicht ernstlichen Zweifeln i.S. des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Das ist nach ständiger Senatsrechtsprechung (vgl. z.B Beschl. v. 31.7.1998 -- 1 L 2696/98 --, NVwZ 1999, 431) erst dann der Fall, wenn für das vom Zulassungsantragsteller favorisierte Entscheidungsergebnis -- auf dieses und nicht auf einzelne Begründungselemente kommt es dabei an -- "die besseren Gründe sprechen", d.h. wenn ein Obsiegen in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen. Das ist nicht der Fall.

7

Es sprechen die besseren Gründe für die Annahme, sowohl der Hauptantrag als auch beide Hilfsanträge scheiterten an § 46 Abs. 1 Satz 2 NBauO. Der 6. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hatte dazu in dem oben zitierten Beschluss vom 29. August 1997 -- 6 M 3892/97 -- (auf S. 8 des Beschlussabdrucks) u.a. folgendes ausgeführt:

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"Die Antragserwiderung der Antragsgegnerin verkennt, dass § 46 Abs. 1 Satz 2 NBauO nach der vom Verwaltungsgericht zutreffend zitierten Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts keineswegs nur bei höherer Anzahl der rückwärtigen Einstellplätze eingreift. Schon eine einzelne Garage kann danach vielmehr im Einzelfall unzulässig sein, wenn sie in einen von baulicher Nutzung bislang freigehaltenen Bereich erstmals Unruhe hineinträgt (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 15.3.1979 -- I A 178/76 --, BRS 35 Nr. 194, S. 341 m.w.N.). Das geschieht hier durch die "Gemeinschaftsstraße" und die daran aufgereihten immerhin 16 Einstellplätze in geradezu exemplarischer Weise. Der Binnenbereich ist für diese Art der baulichen Nutzung auch nicht planerisch vorbelastet. Erschließungsanlagen sollen nach dem Willen des Bebauungsplan der Antragsgegnerin Nr. 432 das Karree vielmehr umschließen und nicht regelrecht durchtrennen. Seiner textlichen Festsetzung Nr. 5 ist trotz der vergleichsweise großen Tiefe in der vor allem im Süden des Karrees nicht überbaubaren Fläche (7 m) nicht zu entnehmen, dass Einstellplätze und ihre Zufahrt bis in die Mitte des Karrees hinein sollen vordringen dürfen. Vielmehr sind die Einstellplätze dann nach § 46 Abs. 1 Satz 2 NBauO, der insoweit die Festsetzungen des Bebauungsplans ergänzt, hart an die südliche und westliche Baugrenze heranzurücken. ..."

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Eine Anwendung dieser Grundsätze, welche erhebliche Störungen für die Bewohner der umliegenden Gebäude verhindern und damit eine unzumutbare Minderung der Wohnqualität ausschließen sollen, führt hier zur Unzulässigkeit der von der Klägerin unterbreiteten Alternativplanung. Für die Beurteilung der Störintensität kommt es auf die örtliche Situation an. Das Maß dessen, was den Nachbarn an Belästigungen zumutbar ist, beurteilt sich mit anderen Worten nach den Umstanden des konkreten Einzelfalls. Danach spricht hier Erhebliches für die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, das streitige Vorhaben bringe in all seinen von der Klägerin unterbreiteten Variationen unzumutbaren Umfangs Lärm in den von der Bebauung dieser Art freien Binnenbereich hinein. Für die Vorhaben, welche mit dem Haupt- und dem ersten Hilfsantrag verfolgt werden, liegt dies geradezu offensichtlich auf der Hand. Es sprechen die besseren Gründe für die Annahme, dies verletze § 46 Abs. 1 Satz 2 NBauO. Denn der ruhende Verkehr soll damit gut 30 m tief in das Blockinnere geführt werden. Das führt zu Störungen, welche den dortigen Bewohnern nicht annähernd mehr sollen zugemutet werden können und damit zur bauordnungsrechtlichen Unzulässigkeit des Vorhabens insgesamt führen. Denn das Ziel, welches die Klägerin erkennbar verfolgt, besteht darin, eine den Absichten der Beigeladenen diametral entgegengesetzte Konzeption zur Aufnahme des ruhenden Verkehrs, den die in diesem Bereich aufgestellten Reihenhäuser verursachen, bauaufsichtsbehördlich genehmigen zu lassen. Das ergibt sich nicht nur aus der Vorgeschichte, nämlich der Korrespondenz, welche die Klägerin mit der Beklagten geführt hat, sondern auch aus der Zahl der Einstellplätze. Diese geht über den Bedarf, den die Klägerin mit ihrem Reihenhaus hervorruft, weit hinaus. Das zum Vorbescheid gestellte Vorhaben stellt damit eine untrennbare Einheit dar mit der Folge, dass die Tiefe, in der sie in den Binnenbereich hineinragen soll, zur Unzulässigkeit aller Einstellplätze und Garagen führt.

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Es sprechen des Weiteren die besseren Gründe für die Annahme, die Beklagte könne dem Vorhaben diesen Verstoß gegen § 46 Abs. 1 Satz 2 BauO entgegenhalten, obwohl sich Anwohner, namentlich der seinerzeit erfolgreiche Eilantragsteller M. und die Eigentümer der Grundstücke, an deren Südseite die Garagen (Hauptantrag) bzw. Einstellplätze (1. Hilfsantrag) herangeführt werden sollen, mit dem Vorhaben und der Herstellung einer Lärmschutzwand einverstanden erklärt haben. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend herausgestellt, dass das in § 46 Abs. 1 Satz 2 NBauO spezialgesetzlich ausgeprägte Gebot der Rücksichtnahme -- wie das Bundesverwaltungsgericht schon in seiner grundlegenden Entscheidung vom 25. Februar 1977 (-- IV C 22.75 --, BVerwGE 52, 122, 126) herausgestellt hat -- zunächst einmal nur objektivrechtlicher Natur ist und nur "auch" drittschützende Wirkung entfaltet. Da die Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme grundstücks- und nicht personenbezogen sind, kann ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nicht dadurch "beseitigt" werden, dass der Rücksichtnahmeberechtigte auf die Gewährung des gebotenen Schutzes verzichtet. Denn dann würde das öffentliche Baurecht seine Aufgabe, eine möglichst dauerhafte Ordnung und Entwicklung zu gewährleisten, nicht erfüllen können, sondern die Einhaltung seiner Regeln von den mehr oder minder zufälligen persönlichen Umständen abhängig machen, die zum Zeitpunkt der Bescheidung eines Bauantrages gegeben sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.9.1999 -- 4 C 6.98 --, BVerwGE 109, 314 = DVBl 2000, 192). Die -- im Übrigen ohne jede nähere Darlegung geäußerte -- gegenteilige Auffassung des OLG Celle (Urt. v. 20.7.1999 -- 16 U 45/99 --) überzeugt darum nicht. Ein solcher Verzicht auf Nachbarrechte kann zwar dann eine rechtlich relevante Rolle spielen, wenn sich ein Nachbar gegen das zunächst "begrüßte" Vorhaben zur Wehr setzen will. Um einen solchen Fall des Nachbarschutzes geht es hier indes nicht.

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