Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 23.07.2012, Az.: 18 A 4776/11
Dienstvergehen; Disziplinarverfahren; JVA; Schlüssel; Schlüsselverlust; Verweis
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 23.07.2012
- Aktenzeichen
- 18 A 4776/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 44312
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs 1 DG ND
Tenor:
Der Bescheid vom 04.10.2011 wird aufgehoben.
Die Beklagte und die Klägerin tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Verweis wegen des vorübergehenden Verlustes eines Schlüssels.
Sie ist als Obersekretärin im Justizvollzugsdienst bei der Beklagten beschäftigt.
Hinsichtlich des Umganges mit dienstlichen Schlüsseln gibt es bei der Beklagten Anstaltsregelungen. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 15 ff. und Bl. 54 ff. der Beiakte A Bezug genommen.
Am ….2011 fiel einem Mitarbeiter der Beklagten auf, dass einer von drei Pfortenschlüsseln fehlte. Der Verbleib des Schlüssels konnte nicht nachvollzogen werden. Eine Eintragung im Schlüsselbuch über eine Herausgabe bestand nicht.
Die Klägerin hatte am ….2011 bis 19 Uhr an der Pforte Dienst. Dann verließ sie ihren Arbeitsplatz, um ihren Urlaub anzutreten. Nach eigenen Angaben befand sich die Klägerin in der Zeit vom …. bis ….2011 ortsabwesend in Leipzig.
Die Klägerin wurde nach einem Vermerk vom ….2011 (Bl. 1 der Beiakte A) telefonisch nach dem Schlüssel befragt. Sie äußerte laut dem Vermerk, sie sei am ….2011 im Spätdienst an der Außenpforte eingesetzt gewesen, könne sich aber nicht an die Herausgabe des Schlüssels erinnern und habe diesen auch nicht im Besitz.
Mit einer Rund-E-Mail am ….2011 wurden alle Mitarbeiter aufgefordert, noch einmal bei ihrer Dienstkleidung - „auch die von letzter Woche, die sich vielleicht noch zu Hause in der Wäsche befindet“ nachzusehen, ob sich nicht doch dort der Schlüssel wiederfindet. In der Mail hieß es dann noch „Gibt auch keinen Ärger“.
Am späten Nachmittag des …..2011 entdeckte nach eigenen Angaben die Klägerin bei sich zu Hause beim Durchsuchen ihrer Wäsche den Schlüssel. Er hatte sich nach ihren Angaben im Gewebe einer Strickjacke verfangen. Kurz zuvor (um 17 Uhr) hatte sie bei einem nochmaligen Anruf von ihrer Dienststelle noch verneint, den Schlüssel zu besitzen. Nachdem sie doch den Schlüssel aufgefunden hatte, übergab sie ihn einem Kollegen. Der Kollege wohnte im selben Ort und musste noch an diesem Tag zur Dienststelle fahren, weil er Nachtdienst hatte.
Bereits am ….2011 hatte die Dienststelle einen Zylinderschloss, einen Profilzylinder und eine Rundstahlkette zum Gesamtpreis von 142,91 € wegen des verlorenen Schlüssels neu beschafft. Offenbar (vgl. Bl. 8 und 9 der Beiakte A) wurde der Klägerin seitens der Dienststelle das Angebot gemacht, dass lediglich eine Missbilligung ausgesprochen werde, wenn sie den Kaufpreis für das neue Schloss erstatte. Dieses Angebot lehnte die Klägerin ab.
Mit Schreiben vom ….2011 leitete die Beklagte ein Disziplinarverfahren wegen Verdachtes der „Nichteinhaltung von Sicherheitsbestimmungen und der Mitnahme eines Anstaltsschlüssels“ gegen die Klägerin ein. Die jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin äußerten sich dazu. Insoweit wird auf die Schriftsätze vom ….2011 und ….2011 (Bl. 29 f. und Bl. 40 ff. der Beiakte A) verwiesen.
Die Beklagte holte schriftliche Äußerungen der Zeugen I. und J. (Bl. 47 bzw. 49 der Beiakte A) ein. Nachdem sich die Klägerin abschließend geäußert hatte (Bl. 70 der Beiakte A) sprach die Beklagte mit Bescheid vom 04.10.2011 der Klägerin einen Verweis aus.
In der Verfügung wird der Klägerin vorgeworfen, gegen ihre Gehorsamspflicht nach § 35 BeamtStG verstoßen zu haben. Sie habe trotz Verbotes einen Anstaltsschlüssel mit nach Hause genommen. Sie habe auch die Ausgabe des Schlüssels nicht im Ausgabebuch dokumentiert. Sie habe weiteren gegen ihre Pflicht aus § 34 Satz 1 und 2 BeamtStG verstoßen, weil sie trotz mehrfacher telefonischer Nachfrage zunächst nur oberflächlich bei sich zu Hause nach dem verschwundenen Schlüssel gesucht habe. Erschwerend komme hinzu, dass sie den Schlüssel nicht persönlich in der Anstalt zurückgegeben habe, sondern ihn über einen Dritten ihrer Dienststelle wieder zugeleitet habe.
Der Bescheid wurde der Klägerin am ….2011 zugestellt.
Die Klägerin hat am ….2011 Klage erhoben.
Sie räumt zwar ein, dass sie fahrlässig gegen ihre Verpflichtung, Anstaltsschlüssel bei Verlassen der Anstalt in den Schließfächern zu deponieren, verstoßen habe. Sie habe, nachdem sie erfahren habe, dass ein Schlüssel fehle, jedoch alles Zumutbare getan, um zu prüfen, ob sie diesen Schlüssel in ihrem Besitz habe. Es läge mithin zwar eine Dienstpflichtverletzung vor, die jedoch noch nicht das Gewicht eines Dienstvergehens habe.
Die Klägerin beantragt,
die Verfügung vom ….2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt der Klage entgegen. Ein sensibler Umgang mit Schlüsseln gehöre zu den Kernaufgaben der dienstlichen Tätigkeit der Klägerin. Trotz mehrfacher Anrufe habe die Klägerin eben nicht sorgfältig genug gesucht.
Alle Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter.
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Disziplinarbehörde kann ein bestimmtes Verhalten eines Beamten, welches ein Dienstvergehen darstellt, mit einem Verweis tadeln, §§ 6 Abs. 1 Nr. 1, 7, 33 NDiszG.
Dienstvergehen eines Beamten ist ein solches Handeln oder Unterlassen, das das berufserforderliche Ansehen oder Vertrauen zu beeinträchtigen geeignet ist; bloße "Unkorrektheiten" stellen in aller Regel kein Dienstvergehen dar. Grundsätzlich kann aber auch eine Schlechtleistung dann die Qualität eines Dienstvergehens annehmen, wenn sie über den normalen Rahmen hinausgeht oder wiederholt auftritt und ein Beamter durchaus zu besseren Leistungen fähig wäre. Dabei wird die disziplinarrechtliche Erheblichkeitsschwelle bei Pflichtverletzungen im Kernbereich der Dienstpflichten eher erreicht als bei einer Verletzung weniger bedeutsamer Nebenpflichten (so auch VG Berlin, Urt. v. 09.02.2011 - 80 K 53.10 Ol -, zit. n. juris).
Das Gericht ist der Ansicht, dass die Klägerin mehrere Dienstpflichtverletzungen begangen hat.
Unstreitig hat die Klägerin entgegen bestehenden Weisungen die Entnahme des Schlüssels nicht in das Ausgabebuch eingetragen. Wäre dies geschehen, hätte der Verbleib des Schlüssels bei der Klägerin sogleich festgestellt werden können.
Weiter unstreitig hat die Klägerin auch gegen das Verbot der Mitnahme von Anstaltsschlüsseln verstoßen, wobei der Klägerin jedoch lediglich Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann. Es liegen keine Anhaltspunkte für ein bewusstes Mitnehmen des Schlüssels vor.
Die Klägerin hat - obwohl dies von ihr aus Ausfluss ihrer Dienstpflichten hätte erwartet werden können - zunächst nicht sorgfältig genug bei sich zu Hause nach dem Schlüssel gesucht. Hätte sie sogleich auch die schmutzige Wäsche intensiv durchsucht, hätte sie den Schlüssel sofort gefunden.
Es ist mit der Beklagten weiterhin davon auszugehen, dass der sorgfältige Umgang mit Dienstschlüsseln gerade bei einer JVA zum Kernbereich der Aufgaben eines JVA-Bediensteten gehört. Dies liegt angesichts der Aufgaben einer JVA auf der Hand. Damit bilden die Dienstpflichtverletzungen ein - einheitliches - Dienstvergehen.
Der Beklagten ist weiterhin einzuräumen, dass sich - anders als im von der Klägerin zitierten Urteil des VG Berlin - der Klägerin kein Migräneanfall als mildernder Umstand zur Seite steht.
Gleichwohl sieht das Gericht in der erstmaligen fahrlässigen Mitnahme eines Schlüssels und der vergessenen Eintragung in das Ausgabebuch und der zunächst nicht intensiv genug erfolgte Suche bei der bislang nicht disziplinarisch in Erscheinung getretenen Klägerin noch nicht die Erforderlichkeit für den Ausspruch einer Disziplinarmaßnahme, zumal eine konkrete Sicherheitsgefährdung für die JVA nicht bestand. Gem. § 14 Abs. 1 NDiszG ist die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen. Das Persönlichkeitsbild einschließlich des bisherigen dienstlichen Verhaltens ist angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang die Beamtin oder der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat. Unter Würdigung all dieser Umstände ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass eine Disziplinarmaßnahme - und sei es in der mildesten Form eines Verweises - noch nicht erforderlich und angemessen ist. Danach ist das Gericht der Ansicht, dass die Klägerin bereits durch die Einleitung des Disziplinarverfahren hinreichend beeindruckt wurde, so dass nicht mit einer Wiederholung eines vergleichbaren Dienstvergehens zu rechnen ist.
Der Umstand, dass sie den Schlüssel einem Kollegen mitgegeben hat, der sowieso seinen Nachtdienst in der Dienststelle antreten musste, ist jedenfalls nicht als erschwerender Umstand einzustufen. Eine gegenüber dem persönlichen Abgeben des Schlüssels verbundene Erhöhung des Sicherheitsrisikos sieht das Gericht nicht. Fragen über die Berechtigung der Höhe des geltend gemachten Schadenersatzes spielen bei der Frage, ob und wenn ja, welche Disziplinarmaßnahme auszusprechen ist, keine Rolle.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 69 Abs. 3 , 70 NDiszG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.