Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.04.2012, Az.: 11 ME 84/12

Pflicht zum persönlichen Erscheinen eines Ausländers vor Mitgliedern einer ausländischen Delegation zur Klärung der Identität und Ausstellung eines Passes

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
03.04.2012
Aktenzeichen
11 ME 84/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 13670
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2012:0403.11ME84.12.0A

Fundstelle

  • AUAS 2012, 110-111

Amtlicher Leitsatz

Zu den Voraussetzungen und Grenzen der Pflicht zum persönlichen Erscheinen einer Ausländerin vor Mitgliedern einer ausländischen - hier chinesischen - Delegation zur Klärung der Identität und Ausstellung eines Passes.

Gründe

1

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

2

Die seit 2000 vollziehbar ausreisepflichtige Antragstellerin, die nicht im Besitz eines gültigen Reisepasses oder sonstigen Identitätspapiers ihres Heimatlandes ist, wendet sich gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. März 2012. Das Verwaltungsgericht hat diesen Bescheid so verstanden, dass darin gestützt auf § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG hinreichend bestimmt das persönliche Erscheinen der Antragstellerin am morgigen Tag im Kassel angeordnet worden ist, um durch Mitglieder der dort anwesenden chinesischen Experten-Delegation ihre Identität und Herkunft klären zu lassen bzw. dies zu versuchen. An der Vertretungsbefugnis der Delegationsmitglieder bestehe kein Zweifel; die Befragung könne auch außerhalb der Räumlichkeiten der jeweiligen Außenvertretung erfolgen - wie hier vorgesehen. Die Antragstellerin sei ihrer ausländerrechtlichen Mitwirkungspflicht insoweit bislang nicht hinreichend nachgekommen, so dass die Anordnung geeignet und erforderlich sei. Die Anreise sei der Antragstellerin auch zumutbar; ihre Kinder könne sie mitnehmen oder auf das Betreuungsangebot der Antragsgegnerin zurückgreifen.

3

Die hiergegen gerichtete Beschwerde kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil sie sich nicht den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO genügend mit der angegriffenen Entscheidung und der zu Grunde liegenden Norm auseinandersetzt, sondern stattdessen im Kern geltend macht, die Antragstellerin würde "im Vorfeld der Kontaktaufnahme ... mit Gebots- oder Duldungsverfügungen von offensichtlich unzuständigen Beamten bedacht werden", daraus ihre fehlende "Vorführungseignung" sowie Fragen nach der "zuständigen Behörde" sowie nach der Eignung der Vorladung ableitet. Es ist jedoch nicht Aufgabe des Senats, sich - zumal angesichts der Eilbedürftigkeit der Entscheidung - aus diesem bereits zusammengefassten und weiterem ersichtlich unerheblichen Vorbringen das potentiell Erhebliche zusammenzusuchen, den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zuzuordnen und darauf zu prüfen, ob sich daraus durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bzw. bei offener Rechtslage ein überwiegendes Aufschubsinteresse der Antragstellerin ergibt bzw. ergeben soll.

4

Insbesondere verkennt die Antragstellerin in ihrem Beschwerdevorbringen den begrenzten Regelungsinhalt der angegriffenen Verfügung. Die Verfügung ordnet nur an, dass die Antragstellerin zur Befragung erscheinen muss. Hingegen sagt sie nichts dazu aus, ob und in welchem Umfang der betroffene Ausländer zu weiteren konkreten Mitwirkungshandlungen verpflichtet ist, etwa welche Fragen er konkret zu beantworten hat; dies ergibt sich aus anderen Normen, etwa § 48 Abs. 3 AufenthG (vgl. nur GK-AufenthG, § 82, Rn. 69, sowie bereits die Antwort der Bundesregierung, BT- Drs. 16/339, S. 6/7 zu Nr. 23). Ebenso wenig enthält der hier streitige Bescheid konkrete Regelungen dazu, welche Fragen ihr von den Mitgliedern der ausländischen Vertretung überhaupt gestellt bzw. von welchen weiteren Bedingungen die Befragung abhängig gemacht werden kann. Entgegen der Annahme der Antragstellerin erfordert die Ermächtigungsgrundlage des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG hierzu auch keine konkrete Regelung. § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG begrenzt die Pflicht zum Erscheinen (aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen) nur insoweit, als von dem Betroffenen keine von vornherein aussichtlosen Versuche oder unverhältnismäßige einschließlich unzumutbarer Maßnahmen verlangt werden können. Hierzu trägt die Antragstellerin aber nicht substantiiert vor. Insbesondere tritt sie nicht den Ausführungen des Verwaltungsgerichts entgegen, dass sie bislang nicht hinreichend an der Klärung ihrer Identität mitgewirkt habe, die beabsichtigte Befragung ungeachtet ihrer bisherigen Weigerung (vgl. GK-AufenthG, a.a.O., Rn. 70) dazu aber beitragen kann (vgl. zur Erfolgsquote bei entsprechenden Anhörungen die Anlage zur BT - Drs. 17/664, S. 6). Soweit sie behauptet, die Befragung sei von einer vorhergehenden rechtswidrigen Durchsuchung und körperlichen Untersuchung abhängig, kann dies schon tatsächlich nicht festgestellt werden, jedenfalls fehlt es an der erforderlichen Glaubhaftmachung. Die Antragsgegnerin hat nach Rücksprache mit den örtlichen Behördenvertretern insbesondere ausdrücklich bestritten, dass Untersuchungen von Körperöffnungen vorgenommen werden. Durchsuchungen durch hessische Polizeikräfte oder solche der Bundespolizei hätten ihre Rechtsgrundlage im Übrigen nicht - wie von der Antragstellerin vorgetragen - in § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG oder gar im ausländischen (chinesischen), sondern im jeweils maßgeblichen hessischen Landes- bzw. Bundesrecht, so dass sich nicht die von der Antragstellerin aufgeworfene Frage stellt, wer insoweit "zuständige Stelle" i.S.d. § 82 Abs. 4 AufenthG ist. Da bei einem begründeten Verdacht nach Maßgabe der §§ 43, 44 BPolG bzw. §§ 36, 37 Hess. SOG, ggf. auch ergänzend gestützt auf das jeweilige Hausrecht Personen und Sachen durchsucht werden können, hierzu von der Antragstellerin aber keine Einzelheiten vorgetragen worden sind, kann auch nicht festgestellt werden, dass etwaige Durchsuchungen grundsätzlich rechtswidrig wären und bereits deshalb auch die Pflicht der Antragstellerin zum Erscheinen entfällt.

5

Dass die Antragstellerin durch den Inhalt der Befragung bei einer Rückkehr i.S.d. § 60 AufenthG gefährdet würde, trägt sie selbst nicht vor; zwar sei sie wegen des sinngemäß geltend gemachten Verstoßes gegen die chinesische "Ein-Kind-Politik" gefährdet. Die Tatsache, dass sie Mutter mehrerer Kinder sei, sei den chinesischen Mitarbeitern aber bereits bekannt. Die Antragstellerin beruft sich weiterhin darauf, nur gemeinsam mit ihrem Anwalt an der Befragung teilnehmen zu wollen, dem mutmaßlich die Teilnahme versagt werde. Sie übergeht aber die vorrangige Frage, aus welcher Rechtsgrundlage sich ein solches Teilnahmerecht überhaupt ergeben soll. Geht man davon aus, dass sich die Einzelheiten der Befragung jedenfalls als Voraussetzung für die Ausstellung eines ausländischen Reiseausweises nach dem jeweiligen Heimatrecht bestimmen (vgl. GK-AufenthG, § 82, Rn. 71.5, BT- Drs. 16/339, a.a.O., S. 4 zu Nr. 12), so müsste dieses oder der sinngemäß wie inArt. 6 EGBGB auch im Verwaltungsrecht (vgl. nur Hoffmann, Internationales Verwaltungsrecht, in: Badura, Breuer u.a. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Aufl., S. 865) die Anwendung ausländischen Rechts bzw. - wie hier - die Ausübung ausländischer Hoheitsgewalt im Bundesgebiet begrenzende deutsche ordre public ein solches Teilnahmerecht zwingend gebieten, was jedoch generell, d.h. unabhängig vom Einzelfall nicht zu erkennen ist (vgl. auch BT- Drs. 16/339, a.a.O., S. 6 zu Nr. 20). Selbst im deutschen Recht besteht in Verwaltungsverfahren kein uneingeschränkter Anspruch auf anwaltlichen Beistand, vgl. etwa § 2 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG bei Prüfungen. Im Übrigen ist nach den Angaben der Antragsgegnerin die "stille" Teilnahme eines Anwaltes möglich.

6

Schließlich legt die Antragstellerin auch nicht konkret dar, warum es ihr weder möglich oder zumutbar sei, ihre Kinder auf der Reise selbst zu versorgen, noch das Betreuungsangebot der Antragsgegnerin in Anspruch zu nehmen. Sollte sie annehmen, die Unzumutbarkeit sei evident, so trifft dies nach dem maßgeblichen Beschwerdevorbringen nicht zu. Im Rahmen der Anhörung hat ihr Bevollmächtigter nach Aktenlage am 13. März 2012 vielmehr selbst geltend gemacht, die "deutschen Behörden hätten dafür zu sorgen, die kleinen Kinder seiner Mandantin vorübergehend unterzubringen/ zu betreuen".