Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.04.2012, Az.: 7 LA 14/12
Anspruch auf Prozesskostenhilfe für ein Verfahren auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes bzgl. der Provinz Herat in Afghanistan; Kriterien zur Feststellung über das Niveau und die Stärke der willkürlichen Gewalt im Herkunftsland
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 25.04.2012
- Aktenzeichen
- 7 LA 14/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 14285
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2012:0425.7LA14.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Braunschweig - 29.09.2011 - AZ: 1 A 49/11
Rechtsgrundlagen
- § 60 Abs. 7 AufenthG
- § 166 VwGO
- § 114 ZPO
Fundstelle
- AUAS 2012, 130-131
Redaktioneller Leitsatz
Soweit angenommen werden kann, in Afghanistan bestehe ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, rechtfertigt dieser es jedoch nicht, ein Abschiebungsverbot auch dann zuzuerkennen, wenn einem Rückkehrer aus individuellen Gründen keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit drohen sollte.
Gründe
I.
Mit dem im Tenor bezeichneten Urteil hat das Verwaltungsgericht die auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - gerichtete Klage des Klägers abgewiesen. Der Kläger verfolgt die erstrebte Feststellung lediglich nach § 60 Abs.7 AufenthG weiter.
Für die Nichtzuerkennung des Abschiebungsverbots hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass für die Herkunftsprovinz des Klägers, Herat, das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zwar nicht ausgeschlossen werden könne. Es bestünden jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bei einer Rückkehr deshalb gesteigert bedroht wäre oder er im übrigen einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er, der aus einer sehr wohlhabenden Familie stamme, den sicheren Tod oder schwerste Verletzungen befürchten müsste.
Der Kläger begehrt gegen das Urteil im bezeichneten Umfang die Zulassung der Berufung, weil der Rechtssache wegen der Frage grundsätzliche Bedeutung zukomme, ob in Afghanistan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt bestehe, der es rechtfertigen würde, ein Abschiebungsverbot auch dann zuzuerkennen, wenn einem Rückkehrer aus individuellen Gründen keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit drohen sollte.
Die Beklagte tritt dem entgegen; sie sieht insoweit keinen Klärungsbedarf.
II.
Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt, seine Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 166 VwGO i.V.m. § 114 S. 1 ZPO.
Die dargelegten Gründe rechtfertigen es nicht, die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, § 78 Abs. 4 S. 4, Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG.
Die Begründung des Zulassungsantrags ist in Teilen zumindest missverständlich. Wenn in ihm ausgeführt wird, das Verwaltungsgericht hätte davon ausgehen müssen, dass in Afghanistan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt stattfindet, ist dem entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht dies durchaus getan hat, indem es nämlich einen solchen Konflikt für die Herkunftsprovinz des Klägers als "nicht ausgeschlossen" bezeichnet und seine weiteren Überlegungen daran angeknüpft hat.
Der Kläger scheint, worauf die Formulierung der als grundsätzlich bezeichneten Zulassungsfrage hindeutet, der Meinung zu sein, dass die daraus erwachsende allgemeine Gefahrenlage ausreiche, um Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG zu begründen, und möchte dies offenbar zur grundsätzlichen Diskussion stellen.
Dessen bedarf es jedoch nicht, weil das Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung - es führt ausdrücklich die EuGH-Entscheidung C 465/07 v. 17.02.2009 an - weiter prüfen musste, ob die für die Herkunftsregion des Klägers ermittelte Gefahrendichte ein Ausmaß erreicht, dass dort praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer konkreten individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Das hat es verneint.
Diesen mit den zugrunde gelegten Erkenntnismitteln gewonnenen Befund vermag der Kläger nicht mit der allgemeinen Aussage in Zweifel zu ziehen, dass man "zu jeder Zeit und an jedem Ort in Afghanistan Opfer willkürlicher Gewalt werden kann". Letzteres dürfte zutreffen, entbindet Beklagte wie auch kontrollierende Gerichte aber gerade nicht von der Notwendigkeit, in jedem Fall zusätzlich - auch quantitative - Feststellungen über Niveau und Stärke der "willkürlichen Gewalt" und damit der Ernsthaftigkeit einer Bedrohung in dem jeweiligen Gebiet zu treffen. Diese Notwendigkeit besteht ausdrücklich auch dann, wenn ein bewaffneter Konflikt im Definitionssinn vorliegt (BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360, <374>, <375 = Rn. 33>; BayVGH, Urt. v. 03.02.2011 - 13a B 10.30394 -, [...], Rn. 20, 21).
Die als grundsätzlich bezeichnete Frage ist deshalb ohne weiteres zu verneinen, so dass es dafür der Durchführung eines Berufungsverfahrens nicht bedarf.
Von vornherein keine grundsätzliche Bedeutung hat die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der vom Kläger kritisierten Annahme des Verwaltungsgerichts, er entstamme einer sehr wohlhabenden Familie. Ob dies allein mit der Verarmung seines Vaters durchgreifend in Frage gestellt werden kann, kann dahinstehen, weil sich damit jedenfalls keine fallübergreifende, also allgemein klärungsbedürftige Sach- oder Rechtsfrage stellt. Nur dann wäre aber der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG insoweit gegeben. Auch ein anderer Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 AsylVfG wird damit nicht angesprochen.