Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.03.2012, Az.: 11 ME 74/12

Umfang des Geltungsbereichs des in § 104a Abs. 5 S. 5 AufenthG geregelten Ausschlusses der Fiktionswirkung auf probeweise nach Antrag erteilte Aufenthaltserlaubnisse

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
30.03.2012
Aktenzeichen
11 ME 74/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 12696
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2012:0330.11ME74.12.0A

Fundstelle

  • InfAuslR 2012, 214-215

Amtlicher Leitsatz

Der in § 104a Abs. 5 Satz 5 AufenthG geregelte Ausschluss der Fiktionswirkung umfasst auch Anträge, nach denen eine auf der Grundlage des Erlasses des Nds. Innenministeriums vom 11. Dezember 2009 (Bleiberechtsregelung 2009) erteilte Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" verlängert werden soll.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

Gründe

1

Der Antragsteller erhielt am 30. Mai 2008 eine bis zum Jahresende 2009 befristete Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Ihre Verlängerung wurde zunächst abgelehnt, erfolgte dann aber auf der Grundlage eines vor dem Verwaltungsgericht geschlossenen Vergleiches mit Bescheid vom 17. Januar 2012 rückwirkend für die Jahre 2010 und 2011 "gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG (Bleiberechtsregelung 2009)". Bereits zuvor - am 23. Dezember 2011 - hatte der Antragsteller die weitere Verlängerung dieser Aufenthaltserlaubnis ab 2012 beantragt; über diesen Antrag hat der Antragsgegner unter sinngemäßer Bezugnahme auf § 79 Abs. 2 AufenthG im Hinblick auf von ihm vorgetragene weitere noch laufende Ermittlungsverfahren gegenüber dem Antragsteller nicht entschieden. Die Beteiligten streiten nunmehr vorrangig um die Frage, ob der Verlängerungsantrag die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 ausgelöst hat oder dem § 104a Abs. 5 Satz 5 AufenthG entgegensteht. Das Verwaltungsgericht ist der Auffassung des Antragsgegners gefolgt, dass vorliegend ein Anwendungsfall des § 104a Abs. 5 Satz 5 AufenthG gegeben und daher die umstrittene Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG nicht auszustellen sei. Ebenso wenig habe der Antrag Erfolg, soweit der Antragsteller die Aushändigung seines vom Antragsgegner zur Sicherung der Ausreisepflicht des Antragstellers einbehaltenen libanesischen Reisepasses begehre. Es mangele schon an dem erforderlichen Anordnungsgrund.

2

Die Beschwerdegründe, auf deren Überprüfung sich das Gericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

3

Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm der geltend gemachte Anspruch auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG zusteht. Seinem - rechtzeitig gestellten - Verlängerungsantrag kommt vielmehr aller Voraussicht nach gemäß der gegenüber § 81 Abs. 4 AufenthG vorrangigen Regelung des § 104a Abs. 5 Satz 5 AufenthG keine Fiktionswirkung zu. Die letztgenannte Bestimmung schließt die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG aus, besagt aber nicht ausdrücklich, in welchen Fällen der Anwendung des § 104a AufenthG dieser Ausschluss eingreifen soll. Aus der Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und Zweck der Regelung lässt sich jedoch entnehmen, dass sich dieser Ausschluss auch auf den hier gegebenen Fall erstreckt, in dem die Verlängerung einer nach § 23 Abs. 1 AufenthG i.V.m. dem Erlass des niedersächsischen Innenministeriums vom 11. Dezember 2009 (Bleiberechtsregelung 2009) - 42.12 -12230.1 - 8 (§ 23) - bis zum Jahresende 2011 erteilten Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" ab dem Jahr 2012 beantragt worden ist. Denn nach der insoweit eindeutigen Begründung des Gesetzentwurfes gilt der Ausschluss nach § 104a Abs. 5 Satz 5 AufenthG für alle aufgrund des § 104a AufenthG erteilten und verlängerten Aufenthaltstitel (so ausdrücklich Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, BT-Drs. 16/5065, S. 203; vgl. auch Nr. 104a.5.5 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AVwV AufenthG - vom 26. Oktober 2009, GMBl. S. 877), d.h. der Ausschluss bezieht sich nicht nur auf die Anträge, eine nach § 104a Abs. 5 Satz 4 Alt. 2 AufenthG zunächst nur bis zum 1. Juli 2008 befristete Aufenthaltserlaubnis (bis zum Jahresende 2009) zu verlängern, sondern auch auf solche, mit denen eine nach § 104a Abs. 1 Satz 1 erteilte Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" nach § 104a Abs. 5 Satz 2 (oder 6) AufenthG (über das Jahresende 2009 hinaus) verlängert werden soll (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 30.6.2010 - 8 ME 133/10 -, [...], Rn. 17 ff., m.w.N. auch zur Gegenansicht). Allerdings sieht § 104a Abs. 5 AufenthG nicht die Möglichkeit vor, eine nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" abweichend von der in § 104a Abs. 5 Satz 2 AufenthG genannten Voraussetzung der (überwiegenden) Sicherung des Lebensunterhaltes und ohne Vorliegen eines Härtefalles nach § 104a Abs. 6 AufenthG nochmals als Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" zu verlängern; die "Probezeit" sollte zum Jahresende 2009 endgültig abgeschlossen sein. Die Möglichkeit zur Verlängerung der "Probezeit" ist erst mit der genannten Bleiberechtsregelung 2009 eingeführt und nachfolgend durch Erlass des niedersächsischen Innenministeriums vom 19. Dezember 2011 - 42.12 -12230.1 - 8 (§ 23) - nochmals "verlängert" worden. Zwar ist diese Regelung auf § 23 Abs. 1 AufenthG gestützt worden. In der Sache handelt es sich aber um die weitere Fortführung einer Aufenthaltserlaubnis "auf Probe", die in den Erlassen ausdrücklich auch so bezeichnet wird, für deren Verlängerung grundsätzlich alle Voraussetzungen des § 104a AufenthG weiter vorliegen müssen und lediglich Abstriche von dem fristgebundenen gesetzlichen Verlängerungserfordernis des § 104a Abs. 5 Satz 2 AufenthG zugelassen werden. Für die Qualifikation dieser Aufenthaltserlaubnis als einer solche "auf Probe" i.S.d. § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG spricht zusätzlich, dass nach den Erlassen für die auf diese Weise verlängerten Aufenthaltserlaubnisse "auf Probe" weiterhin kein Familiennachzug gemäß § 29 Abs. 3 Satz 3 AufenthG zugelassen und eine Verfestigung zu einer Niederlassungserlaubnis (nach § 26 Abs. 4 AufenthG) ausgeschlossen ist; diese Rechtsfolgen wären bei einer ausschließlich auf § 23 Abs. 1 AufenthG gestützten Aufenthaltserlaubnis wohl ebenso wenig zulässig wie die Einführung eines weiteren Aufenthaltstitels in Gestalt einer Aufenthaltserlaubnis "auf Probe". Handelt es sich somit auch bei den nach dem Bleiberechtserlass 2009 unter erleichterten Voraussetzungen verlängerten Aufenthaltserlaubnissen inhaltlich weiterhin um solche "auf Probe" i.S.d. § 104a AufenthG, so unterfällt ein Antrag, eine solche Erlaubnis nochmals, d.h. über das Jahr 2011 hinaus, etwa nach Maßgabe der Erlasse vom 11. Dezember 2009 und vom 19. Dezember 2011 zu verlängern, unverändert der Ausschlussregelung des § 104a Abs. 5 Satz 5 AufenthG. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Norm, dem Ausländer nach Ablauf seiner (verlängerten) Probezeit über die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG auch nicht vorübergehend ein verfahrensrechtliches Aufenthaltsrecht zu verschaffen, sondern ihm entweder übergangslos ein zukünftig von den Voraussetzungen des § 104a AufenthG unabhängiges, potentiell dauerhaftes Aufenthaltsrecht allein nach § 23 Abs. 1 AufenthG (i.V.m. den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG) zu erteilen oder andernfalls seine Ausreisepflicht auch durchzusetzen.

4

Die Beschwerde hat auch keinen Erfolg, soweit der Antragsteller die Aushändigung seines libanesischen Passes begehrt. Er beruft sich dazu auf die Schwierigkeiten, ohne Pass ins Ausland zu reisen sowie sich etwa gegenüber Banken auszuweisen. Ob damit die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Fehlen des nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderlichen Anordnungsgrundes, d.h. der Notwendigkeit einer sofortigen Regelung, erfolgreich in Zweifel gezogen worden sind, kann offen bleiben. Jedenfalls ergibt sich aus dem Vorbringen des Antragstellers nicht der zusätzlich erforderliche Anordnungsanspruch, d.h. ein sicherungsfähiger materieller Anspruch auf Herausgabe des Passes.

5

Nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 AufenthG ist ein Ausländer verpflichtet, seinen Pass auf Verlangen den mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten Behörden auch vorübergehend zu überlassen, soweit dies zur Durchführung oder Sicherung von Maßnahmen nach diesem Gesetz erforderlich ist. § 50 Abs. 6 AufenthG schreibt darüber hinaus ausdrücklich vor, dass der Pass eines ausreisepflichtigen Ausländers bis zu dessen Ausreise in Verwahrung genommen werden soll. Soweit diese Verwahrungspflicht besteht, ist der geltend gemachte Herausgabeanspruch somit ausgeschlossen. Der Antragsteller setzt sich jedoch nicht mit dem diesbezüglichen Vorbringen des Antragsgegners auseinander, dass er als Ausländerbehörde die Passüberlassung zum tatsächlichen Vollzug der von ihm durchzusetzenden Ausreisepflicht eines Ausländers regelmäßig und deshalb auch hier verlange. Weder legt der Antragsteller konkret dar, dass er auch unabhängig von der aus den vorgenannten Gründen zu verneinenden Fiktionswirkung seines Verlängerungsantrages schon nicht ausreisepflichtig sei, ihm jedenfalls ein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel zustehe oder es der (weiteren) Passüberlassung zur Durchsetzung einer etwaigen Ausreisepflicht zumindest in seinem Einzelfall nicht bedürfe, noch drängt sich dies dem Senat auf. Stattdessen benennt er Beispiele, in denen er auf seinen Pass angewiesen sei. Von vornherein unerheblich ist dabei sein Verweis auf die Notwendigkeit des Passes für berufsbedingte Reisen auch ins Ausland. Denn der Antragsteller ist nicht im Besitz des nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitels und schon deshalb, also unabhängig vom Besitz eines Passes, nicht berechtigt, aus dem Ausland wieder in das Bundesgebiet einzureisen. Außerdem beruft er sich auf Schwierigkeiten, sich ohne den Originalpass etwa gegenüber Banken legitimieren zu können. Es fehlt aber schon an der erforderlichen Darlegung der Erheblichkeit dieses Umstandes nach §§ 48 Abs. 1, 50 Abs. 6 AufenthG. Selbst wenn man jedoch zu seinen Gunsten annimmt, er wolle sich damit auf eine der Überlassungspflicht entgegenstehende Unverhältnismäßigkeit und eine entsprechend enge Auslegung des § 50 Abs. 6 AufenthG berufen, so fehlt es doch an der weiteren Darlegung, dass er sich nicht auch anders hinreichend ausweisen kann, also etwa durch eine beglaubigte Kopie seines Passes oder einen Ausweisersatz. Dies ist auch für den Senat nicht zu erkennen.

6

Der auf die Ausstellung eines Ausweisersatzes gerichtete Hilfsantrag ist erstmals im Beschwerdeverfahren gestellt worden, stellt also eine Antragserweiterung dar. Eine solche ist im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 VwGO - wie hier - grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. Senatsbeschl. v. 4.8.2010 - 11 ME 279/10 -, [...], Rn. 5, m.w.N.). Ein Ausnahmefall ist nicht gegeben, zumal nicht ersichtlich, dass ihm bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthV der hilfsweise beantragte Ausweisersatz überhaupt versagt werden würde (vgl. auch Nrn. 48.2 AVwV - AufenthG).