Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.02.2011, Az.: 4 LC 280/09
Pflegegeld nach § 39 i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 33 SGB VIII steht nicht dem Kind sondern dem Personensorgeberechtigtem zu; Anspruch eines Personensorgeberechtigten auf Pflegegeld nach § 39 i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 33 SGB VIII
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 28.02.2011
- Aktenzeichen
- 4 LC 280/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 19291
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2011:0228.4LC280.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 27 Abs. 1 SGB VIII
- § 33 SGB VIII
- § 39 SGB VIII
Fundstellen
- DÖV 2011, 744
- Jugendhilfe 2012, 250
Amtlicher Leitsatz
Der Anspruch auf Pflegegeld nach § 39 i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 33 SGB VIII steht nicht dem Kind bzw. Jugendlichen, sondern den Personensorgeberechtigten zu.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger ein Anspruch auf Pflegegeld aus Mitteln der Jugendhilfe zusteht.
Der am 9. Januar 1994 geborene Kläger ist schwerbehindert. Er leidet ausweislich vorliegender Gutachten an einer schweren geistigen Behinderung, einer linksseitigen Lähmung sowie einem hirnorganischen Psychosyndrom und erhält seit dem 5. Juni 1996 Pflegegeld von der E. Ersatzkasse.
Das Amtsgericht F. entzog der leiblichen Mutter des Klägers durch Beschluss vom 16. September 1994 die elterliche Sorge für den Kläger und übertrug diese dem Jugendamt der Beklagten als Vormund.
Damals lebte der Kläger bereits in der Familie der Eheleute D.. Diesen war durch Bescheid vom 8. August 1994 für die Zeit ab dem 6. Mai 1994 Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege nach §§ 27, 33 KJHG in Höhe von 873,- DM unter Anerkennung als sozialpädagogische Pflegefamilie gewährt worden. Ab dem 1. Januar 2006 erhielten die Pflegeeltern des Klägers auf der Grundlage der §§ 27, 33, 39 SGB VIII Pflegegeld in Höhe von 875,76 EUR.
Seit dem 31. August 2006 befindet sich der Kläger im G. in H. in stationärer Behandlung. Die dortige Unterbringung wurde durch den Pflegekinderdienst F. mit Zustimmung der Pflegeeltern veranlasst, weil die Pflegeeltern mit der ausschließlich häuslichen Betreuung des behinderten Klägers überfordert waren. Die Kosten für die Unterbringung des Klägers im G. trägt der Beigeladene aus Mitteln der Eingliederungshilfe nach den Bestimmungen des SGB XII. In den Schulferien und an allen regulären Heimfahrwochenenden hält sich der Kläger allerdings bei der Familie D. auf.
Nachdem Herr D. zum Vormund des Klägers bestellt worden war, beantragte er unter dem 15. Januar 2008 namens des Klägers bei der Beklagten, dem Kläger anteiliges Pflegegeld nach dem SGB VIII zu zahlen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 21. Januar 2008 mit der Begründung ab, dass der Kläger seit dem 1. September 2006 Eingliederungshilfe nach dem SGB XII von dem Beigeladenen erhalte, was zur Folge habe, dass die ausschließliche Zuständigkeit für die Gewährung von Leistungen bei dem Beigeladenen liege.
Daraufhin hat der Kläger am 14. Februar 2008 Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass er für die Dauer seines Aufenthalts bei den Pflegeeltern einen Anspruch auf Gewährung anteiligen Pflegegeldes nach den §§ 33, 39 SGB VIII habe. Die Aufenthalte in den Schulferien und an den Wochenenden in der Pflegefamilie seien vor dem Hintergrund der von ihm erlebten Misshandlungen zur Aufrechterhaltung seiner emotionalen Bindung an seine Pflegefamilie dringend erforderlich. Die Regelung in § 10 Abs. 4 SGB VIII stehe der Gewährung von Leistungen nach dem SGB VIII nicht entgegen. Die im vorliegenden Fall beantragten Leistungen seien mit den Leistungen der Eingliederungshilfe nicht deckungsgleich. Abgesehen davon verkenne die Beklagte den bestehenden Bedarf. Er habe im Haushalt der Eheleute D. ein eigenes Zimmer, in dem er schlafe und seine persönlichen Sachen aufbewahre. Der Kontakt zu den Eheleuten D. und deren leiblichen Kindern sei sehr gut und für ihn äußerst wichtig. Er werde von den Eheleuten D. auch zu Untersuchungsterminen bei Psychologen, Psychiatern und Ärzten begleitet. Außerdem werde er von ihnen größtenteils eingekleidet, da die jährliche Bekleidungspauschale von 300,-- EUR bei weitem nicht ausreiche, um seinen Bekleidungsbedarf zu decken. Wenn er sich in der Pflegefamilie befinde, müsse er ganztägig beaufsichtigt werden. Das Kindergeld reiche daher nicht aus, um den notwendigen Betreuungsbedarf während seiner Aufenthalte in der Pflegefamilie zu decken.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21. Januar 2008 zu verpflichten, ihm antragsgemäß anteiliges Pflegegeld nach dem SGB VIII für die Zeit ab dem 16. Januar 2008 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
und erwidert, dass die beantragten Leistungen mit den Leistungen der Eingliederungshilfe kongruent seien. Außerdem könnten die Ausgaben der Pflegefamilie durch das den Pflegeeltern belassene Kindergeld finanziert werden. In jedem Fall bestehe neben den Leistungen der Eingliederungshilfe kein Spielraum für Leistungen nach dem SGB VIII.
Der Beigeladene hat sich im erstinstanzlichen Verfahren nicht zur Sache geäußert.
Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 3. September 2009 die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 21. Januar 2008 verpflichtet, dem Kläger Pflegegeld nach dem SGB VIII während des Aufenthalts bei seinen Pflegeeltern in der Zeit vom 16. Januar 2008 bis zum 30. Juni 2008 in Höhe von 32,86 EUR täglich, in der Zeit vom 1. Juli 2008 bis zum 31. August 2008 in Höhe von 32,96 EUR täglich, in der Zeit vom 1. September 2008 bis zum 31. Dezember 2008 in Höhe von 31,68 EUR täglich, in der Zeit vom 1. Januar 2009 bis zum 30. Juni 2009 in Höhe von 32,11 EUR täglich und ab dem 1. Juli 2009 in Höhe von 32,36 EUR täglich zu gewähren.
Zur Begründung dieser Entscheidung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld für die Tage, die er bei der Pflegefamilie verbringe, zustehe. Der Kläger sei geistig und körperlich behindert und erhalte seit dem 31. August 2006 auf der Grundlage des SGB XII vom Beigeladenen Eingliederungshilfe in der Form stationärer Unterbringung im G. in H.. Entgegen der im angefochtenen Bescheid vertretenen Auffassung der Beklagten liege die ausschließliche Zuständigkeit für die Gewährung jeglicher Leistungen jedoch nicht bei dem Beigeladenen. Die Nachrangvorschrift des § 10 Abs. 4 SGB VIII greife nur insoweit ein, als bei der Gewährung von Eingliederungshilfe nach dem SGB XII bzw. beim Bestehen eines Anspruchs auf eine solche Hilfe Leistungen der Jugendhilfe für dieselbe Maßnahme ausschieden. Die Regelung eines Vor- bzw. Nachrangs zwischen Leistungen der Jugendhilfe und der Sozialhilfe setze notwendig voraus, dass sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Sozialhilfe für dieselbe Maßnahme bestehe und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich seien. Demzufolge sei regelmäßig zunächst zu fragen, ob das Schwergewicht der Maßnahme im Sozialhilferecht oder im Jugendhilferecht liege. Der Kläger habe bis zu seiner Aufnahme in das G. in der Pflegefamilie gelebt, weil seine leiblichen Eltern dem Erziehungsauftrag nicht mehr gewachsen gewesen seien. Die derzeitige Betreuung an den Wochenenden und den Ferienzeiten durch die Pflegefamilie beruhe weiterhin darauf, dass die leiblichen Eltern nicht in der Lage seien, für den Kläger zu sorgen, ihn zu betreuen und ihn zu erziehen. Die erforderliche Hilfe des Klägers beruhe somit auf einem Erziehungs- und Betreuungsdefizit und sei daher als Maßnahme im Rahmen der Hilfe zur Erziehung und nicht als Maßnahme der Eingliederungshilfe zu werten. Diese Hilfe sei dem Kläger zur Überzeugung des Gerichts auf der Grundlage der Vorschriften über die Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege (§§ 27, 33 SGB VIII) zu gewähren. Zwar sei der Beklagten darin zuzustimmen, dass Hilfe in Vollzeitpflege und Hilfe in stationärer Unterbringung regelmäßig alternierten. Im vorliegenden Fall sehe die Kammer jedoch eine Ausnahme von dieser Regelung darin, dass für den Kläger während seiner Aufenthalte in der Familie D. eine Art von Vollzeitpflege zeitlich begrenzt stattfinde, die die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung des notwenigen Pflegegeldes während der häuslichen Betreuung durch die Pflegefamilie auslöse, weil der Schwerpunkt dieser Leistung im Jugendhilferecht liege. Da die Beklagte dem Kläger fortlaufend Pflegegeld nach den Maßgaben des Runderlasses des Kultusministeriums vom 18. Oktober 1990 gewährt habe, errechne sich unter Fortsetzung der Besitzstandswahrung ein Pflegegeld in der im Urteilstenor genannten Höhe. Die Beträge seien weder um weitere Kindergeldbeträge zu reduzieren noch sei eine Verrechnung mit Pflegeleistungen der E. Ersatzkasse möglich. Bezüglich des Kindergeldes entfalle eine Verrechnung bereits deswegen, weil der Pflegevater des Klägers der Bezieher des Kindergeldes sei, der Anspruch auf Pflegegeld nach dem SGB VIII aber dem Kläger selbst zustehe. Der Anspruch auf Pflegegeld beruhe zwar auf der Bewilligung von Erziehungshilfe, die dem Personensorgeberechtigten geleistet werde, sei mit dieser jedoch nicht identisch. Das Pflegegeld solle den notwendigen Lebensunterhalt des Kindes oder Jugendlichen sicherstellen und habe somit dessen eigenen Rechtskreis zum Inhalt. Leistungsberechtigter nach § 39 VIII sei zur Überzeugung des Gerichts das Kind oder der Jugendliche selbst.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte rechtzeitig die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt.
Zur Begründung der Berufung trägt die Beklagte im Wesentlichen Folgendes vor: Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass neben der Eingliederungshilfe ergänzend auch Leistungen nach dem SGB VIII zu gewähren seien, sei unzutreffend. Vielmehr sei allein der Sozialhilfeträger zuständig und nach § 54 Abs. 2 SGB XII auch leistungsverpflichtet, wenn - wie im vorliegenden Fall - behinderte Menschen, die sich in einer stationären Einrichtung aufhielten, Beihilfen zum Bestreiten des Besuchs von Angehörigen, im vorliegenden Fall der Pflegeeltern, benötigten. Sie stimme mit dem Verwaltungsgericht darin überein, dass der Nachrang der Jugendhilfe nach § 10 Abs. 4 SGB VIII voraussetze, dass sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch auf Sozialhilfe bestehe und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich seien. Unbestreitbar sei ferner, dass es bei der Frage, ob der Sozialhilfeträger oder der Jugendhilfeträger zuständig sei, entscheidend darauf ankomme, wo der Schwerpunkt der Maßnahme liege. Sie könne aber nicht der Auffassung zustimmen, dass es im vorliegenden Fall um Leistungen nach dem SGB VIII gehe, die dem Kläger neben den Leistungen der Eingliederungshilfe zustünden, weil sie zur Deckung eines anderweitigen, nicht in der Behinderung liegenden Bedarfs notwendig seien. Sie gehe entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts vielmehr von einem absoluten Vorrang der Eingliederungshilfe aus. Denn der in § 10 Abs. 4 SGB VIII zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Willen schließe es aus, anzunehmen, dass im Einzelfall Ansprüche auf Leistungen der Jugendhilfe wieder aufleben könnten, wenn und soweit in der Hauptsache Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren seien. Der Gesetzgeber habe, indem er das Nachrangprinzip ohne Einschränkungen formuliert habe, klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass es nur die eine oder die andere Leistungsart geben könne. Wenn der Anspruch auf Sozialhilfe bestehe, müsse die dafür zuständige Behörde auch alle mit der Hauptforderung verbundenen Annex-Leistungen erbringen. Hilfsweise werde geltend gemacht, dass die Maßnahmen, für die im vorliegenden Fall Kostenerstattung verlangt werde, ihren Schwerpunkt im Sozialhilfe- und nicht im Jugendhilferecht hätten. Abgesehen davon sei es dem Kläger zuzumuten, mit dem gesamten Kindergeld zur Deckung der entstehenden Kosten beizutragen. Außerdem seien entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts die Pflegegeldzahlungen der Pflegeversicherung auf das im vorliegenden Fall streitige Pflegegeld anzurechnen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 4. Kammer - vom 3. September 2009 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
und erwidert: Das Verwaltungsgericht habe ihm zutreffend und mit überzeugender Begründung einen Anspruch auf Pflegegeld nach dem SGB VIII zuerkannt. Die Beklagte könne nicht damit gehört werden, dass der Beigeladene die Kosten, die durch das Pflegegeld abgedeckt werden sollten, im Rahmen der Sozialhilfe hätte übernehmen müssen. Auch der Beigeladene habe zutreffend darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Fall ein Nebeneinander von Leistungen der Eingliederungshilfe und Leistungen nach dem SGB VIII vorliege.
Der Beigeladene hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
und ausgeführt, dass das erstinstanzliche Urteil sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht überzeuge. Die Argumentation der Beklagten, dass die ausschließliche Zuständigkeit für die geforderte Leistung bei ihm, dem Beigeladenen, liege, finde im Gesetz keine Stütze. Neben den Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII seien selbstverständlich auch Leistungen der Jugendhilfe möglich. Ein Fall der Leistungskonkurrenz könne schon deshalb nicht auftreten, weil das SGB VIII keine Leistungen der Eingliederungshilfe für körperlich oder geistig behinderte junge Menschen bereitstelle. Weshalb Leistungen der Eingliederungshilfe - wie von der Beklagten angenommen - als absolut vorrangig zu behandeln seien, erschließe sich ihm nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakten A bis F) verwiesen.
II.
Die Berufung der Beklagten ist begründet.
Diese Entscheidung trifft der Senat nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 130 a Satz 1 VwGO durch Beschluss, weil er einstimmig die Berufung für begründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht als erforderlich ansieht.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht unter Aufhebung ihres Bescheides vom 21. Januar 2008 verpflichtet, dem Kläger Pflegegeld nach dem SGB VIII während seines Aufenthalts bei seinen Pflegeeltern ab dem 16. Januar 2008 zu gewähren. Denn dem Kläger steht ein derartiger Anspruch nicht zu. Dabei kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung eines Pflegegeldes nach § 39 i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 33 SGB VIII - eine andere Anspruchsgrundlage kommt offensichtlich nicht in Betracht - im vorliegenden Fall vorliegen. Sollte ein Anspruch auf Pflegegeld zu bejahen sein, stünde dieser nämlich nicht dem Kläger, sondern dem Personensorgeberechtigten des Klägers zu.
Zu der Frage, wer Inhaber eines Anspruchs aus § 39 i.V.m. § 27 Abs.1, § 33 SGB VIII ist, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 12. September 1996 (- 5 C 31.95 -, FEVS 47, 433) Folgendes ausgeführt:
"Zu Recht hat das Berufungsgericht die Befugnis der Klägerin bejaht, den Anspruch aus § 39 in Verbindung mit § 27 Abs. 1, § 33 SGB VIII geltend zu machen. Denn der Anspruch auf Leistungen zum Unterhalt eines Kindes in Vollzeitpflege steht als "Annex-Anspruch" (vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf eines KJHG, BT.Drucks 11/5948 S. 75 zu § 38 Abs. 1) zum Anspruch auf Hilfe zur Erziehung ebenfalls den Personensorgeberechtigten (§ 27 Abs. 1 SGB VIII; vgl. Stähr, in: Hauck, SGB VIII, Std.: XII/96, § 39 Rn. 5; Münder u.a., Frankfurter LPK-KJHG, 2. Aufl. 1993, § 39 Rn. 6), nicht aber dem Kind bzw. dem Jugendlichen als dem auf Unterhalt Angewiesenen zu (so aber z.B. Wiesner, SGB VIII, 1995, § 39 Rn. 16). Zwar kommen auch Kinder als Leistungsberechtigte nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch in Betracht (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). Soweit aber im Achten Buch Sozialgesetzbuch der Anspruchsberechtigte nicht ausdrücklich angegeben ist, ist zu berücksichtigen, dass Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht sind (§ 1 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Es ist deshalb davon auszugehen, dass Leistungen, die - wie die Leistungen zum Unterhalt - die Hilfe zur Erziehung ergänzen sollen (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII, § 27 Abs. 1 Nr. 4 SGB I), bei Fehlen einer anderweitigen ausdrücklichen Zuweisungsnorm ebenfalls den Personensorgeberechtigten zustehen."
Diese Rechtsauffassung, die das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 4. September 1997 (- 5 C 11.96 -, FEVS 48, 289) noch einmal bekräftigt hat, vertritt auch der beschließende Senat (ebenso Sächsisches OVG, Urt. v. 2.7.2008 - 1 A 90/08 -, NJW 2008, 3729; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 15.4.2001 - 12 A 924/99 -, NVwZ-RR 2002, 123; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 12.9.2002 - 12 A 4352/01 -, ZfJ 2003, 152). Danach kann der Kläger einen Anspruch auf Pflegegeld nach § 39 i.V.m. § 27 Abs. 1, 33 SGB VIII nicht mit Erfolg geltend machen. Folglich hätte das Verwaltungsgericht seine Klage abweisen müssen.
Im Hinblick darauf, dass nicht ausgeschlossen ist, dass der Vormund des Klägers in eigenem Namen die Gewährung von Pflegegeld bei der Beklagten beantragen wird, weist der Senat vorsorglich zur Klarstellung darauf hin, dass § 10 Abs. 4 SGB VIII einem dahingehenden Anspruch nicht entgegenstünde. § 10 Abs. 4 Sätze 1 und 2 SGB VIII regelt das Rangverhältnis zwischen Leistungen der Jugendhilfe und der Sozialhilfe. Nach § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII gehen Leistungen nach dem SGB VIII Leistungen nach dem SGB XII grundsätzlich vor. Etwas anderes gilt nur für Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert sind oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, da diese Maßnahmen nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII den Leistungen nach dem SGB VIII vorgehen. Diese Regelung des Vor- bzw. Nachrangs zwischen Leistungen der Jugendhilfe und der Sozialhilfe setzt aber notwendig voraus, dass sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Sozialhilfe besteht und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.9.1999 - 5 C 26.98 -, BVerwGE 109, 325; BVerwG, Urt. v. 2.3.2006 - 5 C 15.05 -, BVerwGE 125, 95; Senatsurt. vom 15.4.2010 - 4 LC 266/08 -; Senatsurt. vom 25.7.2007 - 4 LB 91/07 -). Dabei stellt § 10 Abs. 4 SGB VIII - entgegen der Annahme sowohl des Verwaltungsgerichts als auch der Beklagten - nicht auf den Schwerpunkt in Bezug auf eine der beiden Hilfeleistungen, sondern allein auf die Art der miteinander konkurrierenden Leistungen ab (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.9.1999, a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 2.3.2006, a.a.O.; Senatsurt. v. 25.7.2007 - 4 LB 91/07 -). Im vorliegenden Fall würde es angesichts des Umstandes, dass die Sicherung des Lebensunterhalts bei der Unterbringung eines Kindes oder Jugendlichen in einer Pflegefamilie zwar zu den Leistungen der Hilfe zur Erziehung (§§ 27, 33 i.V.m. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII), nicht aber zu denen der Eingliederungshilfe nach den §§ 54 ff. SGB VIII gehört, bereits an einer Deckungsgleichheit von Jugendhilfe und Sozialhilfe fehlen (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.3.2006, a.a.O.; Senatsurt. v. 15.4.2010 - 4 LC 266/08 -). Folglich wäre die Jugendhilfe gegenüber der Sozialhilfe nicht nachrangig (Senatsurt. v. 15.4.2010 - 4 LC 266/08 -). Abgesehen davon hätte ein Nachrang der Jugendhilfe nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der des Senats aber auch keine Auswirkungen auf das Leistungsverhältnis zwischen dem Hilfesuchenden und dem Jugendhilfeträger. Denn ein Vorrang der Eingliederungshilfe bewirkt auf der Ebene der Verpflichtung zum Hilfesuchenden keine Freistellung eines nachrangig verpflichteten Jugendhilfeträgers und damit auch keine alleinige Zuständigkeit eines vorrangig verpflichteten Sozialhilfeträgers (BVerwG, Urt. v. 23.9.1999, a.a.O.; BVerwG, Beschl. v. 22.5.2008 - 5 B 203.07 -; Senatsurt. v. 25.7.2007 - 4 LB 91/07 -; Senatsurt. v. 15.4.2010 - 4 LC 266/08 -). Daher bedarf es in einem Fall wie dem Vorliegenden grundsätzlich keiner Klärung der Frage, ob Leistungen der Jugendhilfe oder solche der Sozialhilfe vorrangig sind; die Regelungen über den Vor- bzw. Nachrang zwischen Leistungen der Jugendhilfe und der Sozialhilfe sind vielmehr erst für die Frage, ob ein Kostenerstattungsanspruch zwischen den Leistungsträgern besteht, von Bedeutung (BVerwG, Urt. v. 23.9.1999, a.a.O.). Folglich käme es lediglich darauf an, ob die Voraussetzungen für die Gewährung eines Pflegegeldes nach § 39 i.V.m. § 27 Abs. 1, § 33 SGB VIII erfüllt sind.