Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.02.2011, Az.: 7 PA 101/10
Beweislast für eine Aufrechterhaltung einer Untersagungsverfügung für ein Gewerbe
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 03.02.2011
- Aktenzeichen
- 7 PA 101/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 10450
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2011:0203.7PA101.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 23.11.2010 - AZ: 12 A 2770/10
Rechtsgrundlagen
- § 35 Abs. 1 GewO
- § 35 Abs. 6 GewO
Fundstellen
- DVBl 2011, 581
- GewArch 2011, 208-209
- NVwZ-RR 2011, 318-319
- NordÖR 2011, 300
Amtlicher Leitsatz
Auf die Wiedergestattung der Gewerbeausübung besteht ein Rechtsanspruch, wenn die Voraussetzungen für die Gewerbeuntersagung entfallen sind. Die Beweislast für eine Aufrechterhaltung der Untersagungsverfügung trägt die Gewerbeauf-sichtsbehörde.
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem es ihr die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die auf Wiedergestattung des Friseurhandwerkes gerichtete Klage versagt hat, hat Erfolg. Sie beabsichtigt mit einer Kollegin im Rahmen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts die selbstständige Tätigkeit als Friseurin im Umfang eines "Ein-Stuhl-Platzes" wiederaufzunehmen, nachdem ihr bisheriger Arbeitgeber insolvent geworden ist.
Nach § 35 Abs. 6 GewO ist die Wiedergestattung auszusprechen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Unzuverlässigkeit i.S.v. § 35 Abs. 1 GewO nicht mehr vorliegt. Diese Entscheidung erfordert - wie die Gewerbeuntersagung - eine Prognose über die Zuverlässigkeit des Antragstellers nach Wiederaufnahme der gewerblichen Tätigkeit. Sie muss prospektiv, d.h. bezogen auf eine Gefährdung des redlichen Geschäftsverkehrs in der Zukunft, begründet werden, wobei allerdings in der Vergangenheit gezeigtes Verhalten als Indiz gewertet werden kann. Zu beachten ist dabei, dass durch die Gewerbeuntersagung und ihre Aufrechterhaltung nicht vergangenes Verhalten "gleichsam bestraft" werden soll (NdsOVG, Beschl. v. 27.1.11 - 7 PA 1/11 -, [...]). Auf die Wiedergestattung besteht ein Rechtsanspruch (HessVGH, Urt. v. 28.5.1990 - 8 UE 878/89 -, GewArch 1990, 326; Landmann/Rohmer, GewO, § 35 Rn. 176; Tettinger/Wank, GewO, § 35 Rn. 206). Aus der Gewährleistung der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ergibt sich, dass niemand länger von der Gewerbeausübung ferngehalten werden darf, als dies durch überwiegende Interessen der Allgemeinheit geboten ist (Kramer, GewArch 2010, 273). Die Wiedergestattung ist antragsabhängig (§ 35 Abs. 6 GewO). Mit der Einführung des Antragserfordernisses für die Wiedergestattung 1973 hat der Gesetzgeber aber keine Umkehr der Beweislast verbinden wollen (Tettinger/Wank, a.a.O., § 35 Rn. 194 m.w.N.). Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich eindeutig, dass bei einer Aufrechterhaltung der Untersagungsverfügung die Behörde darzutun hat, dass der Antragsteller weiterhin unzuverlässig ist (BT-Drs. 7/111, S. 6). Sie trägt die Beweislast für die Rechtmäßigkeit ihres Ablehnungsbescheides. Die Anforderungen an eine Ablehnung des Wiedergestattungsantrages sind - nach Ablauf der Jahresfrist (§ 35 Abs. 6 Satz 2 GewO) - daher nicht geringer als für die Untersagung des Gewerbes selbst.
Hiervon ausgehend ist nach derzeitiger Aktenlage wenig wahrscheinlich, dass der Ablehnungsbescheid der Beklagten im Klageverfahren Bestand haben wird.
Der Klägerin ist im September 1996 die Gewerbeausübung wegen wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit untersagt worden. Damals bestanden Beitrags- und Steuerrückstände gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung, der Berufsgenossenschaft und dem Finanzamt, die - auch im Wege der Zwangsvollstreckung - nicht beigetrieben werden konnten. Diese Verschuldungssituation ist inzwischen nicht mehr gegeben. Nach den wiederholten Mitteilungen des Finanzamtes bestehen die Steuerschulden, offenbar nach Verjährung, nicht mehr. Mit der Berufsgenossenschaft hat die Klägerin einen Vergleich geschlossen, die nach einer Teilzahlung auf den Restbetrag ihrer Forderung verzichtete. Bei der Stadtkasse bestehen keine Verbindlichkeiten. Die gesetzliche Rentenversicherung hatte der Beklagten bereits mit Schreiben vom 24. August 2009 mitgeteilt, dass die noch bestehende Forderung über 12.142,12 EUR bis zum 30. September 2013 befristet niedergeschlagen sei. Einem auf diesem Schreiben befindlichen Vermerk des Sachbearbeiters ist zu entnehmen, dass die Gläubigerin eine - zuvor von der Klägerin angebotene - Zahlung von monatlichen Raten von 200,- EUR stillschweigend akzeptiert, so dass Vollstreckungen von dieser Seite, die einen geordneten Geschäftsbetrieb der Klägerin beeinträchtigen könnten, nicht zu erwarten sind. Bei dieser Sachlage ist offensichtlich, dass die Gründe, die im September 1996 zur Gewerbeuntersagung geführt haben, nicht mehr vorliegen.
Dass inzwischen andere - eine Aufrechterhaltung der Gewerbeuntersagung rechtfertigende - Gründe "nachgewachsen" wären, ist von der Beklagten nicht ausreichend dargelegt worden. Durch die Gewerbeuntersagung vom September 1996 war der Klägerin lediglich die selbständige Ausübung des Friseurgewerbes untersagt, nicht eine angestellte Tätigkeit im Betrieb eines anderen. Die Gewerbeuntersagung ist kein Berufsverbot. Sie schließt zwar (auch) die Übernahme einer Geschäftsführertätigkeit aus, nicht aber eine mit Leitungsfunktion verbundene innerbetriebliche Tätigkeit. Der Vorwurf, dass die Klägerin, die bei der - inzwischen insolventen - Firma "B. - C. " offenbar als Friseurmeisterin und Betriebsleiterin angestellt gewesen ist, Anteil an der Insolvenz ihres Arbeitgebers gehabt haben soll, insbesondere - worauf es allein ankäme - welche konkrete Verantwortung sie für die Nichtzahlung von Steuerschulden dieser Firma träfe, wird durch den Akteninhalt nicht konkret belegt. Dass sie ein vorausgefülltes Pfändungsprotokoll unterschrieben hat, nachdem der Vollstrecker des Finanzamtes in den Geschäftsräumen der "B. " GmbH einen (vergeblichen) Pfändungsversuch unternommen hatte, reicht für diesen Nachweis allein nicht aus. Ebenso wenig aussagekräftig ist, dass das Finanzamt die Klägerin als "Ansprechpartnerin" in der Firma notiert hatte, weil auch dies keinerlei Aufschluss darüber gibt, wer für die Bezahlung der Steuerschulden bzw. deren Nichtzahlung verantwortlich war. Für die Schulden ihres früheren Arbeitgebers haftet sie nicht.
Nach einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft D. ist die Klägerin am 16. Februar 2010 vom Amtsgericht E. wegen eines "fahrlässigen Vergehens gegen die Insolvenzordnung" zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt worden. Nur diese Mitteilung findet sich in der Akte. Das Urteil selbst ist von der Beklagten ebenso wenig beigezogen worden wie die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Das ist schon deshalb ein gravierender Mangel des behördlichen Verfahrens, weil § 35 Abs. 3 GewO, der auf das Wiedergestattungsverfahren entsprechend anzuwenden ist, eine Bindungswirkung des Urteils vorsieht. Soll Unzuverlässigkeit mit strafbaren Handlungen begründet werden, darf die Behörde sich nicht mit der Feststellung der erfolgten Bestrafungen allein auf Grund von Strafregisterauszügen begnügen, vielmehr muss sie den ihnen zugrunde liegenden Sachverhalt in eigener Verantwortung daraufhin prüfen, ob er die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 17.1.1964 - VII B 159.63 -, [...]; Landmann/Rohmer, a.a.O., § 35 Rn. 37). Alle Informationen über die zugrundeliegende Tat entnimmt die Beklagte stattdessen offenbar telefonischen Schilderungen von Mitarbeitern der Vollstreckungsstelle des Finanzamtes, deren Inhalt in der Akte allenfalls lückenhaft dokumentiert ist. Woher diese Personen authentische Kenntnisse über das Ergebnisse der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und die amtsgerichtliche Verhandlung haben, bleibt im Dunkeln. Selbst das Pfändungsprotokoll wurde erst nach Erlass des Ablehnungsbescheides und Klageerhebung angefordert. Solcherart "Ermittlungen" sind keinesfalls ausreichend. Die Einschränkung von Grundrechten, hier der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) durch Aufrechterhaltung der Gewerbeuntersagung unter dem Vorwurf persönlicher (charakterlicher) Ungeeignetheit und sich daraus ergebender gewerberechtlicher Unzuverlässigkeit, kann nicht nur auf nicht näher belegte Vorwürfe oder Vermutungen gestützt werden. Es ist unerheblich, ob die Mitarbeiter der Vollstreckungsstelle des Finanzamtes eine Wiedergestattung der gewerblichen Tätigkeit "nicht ... befürworten", wie es im Schreiben des Finanzamtes E. vom 13. Juli 2010 heißt, oder gar "... einem nochmaligen Antrag auf Wiedergestattung nicht zustimmen", wie der Sachbearbeiter der Beklagten in seinem Telefonvermerk vom 23. Juni 2010 niedergelegt hat. Die Abfrage des Bestehens von Abgabenschulden beim Finanzamt dient der Informationsbeschaffung der Gewerbeaufsichtsbehörde. Dagegen ist es nicht Aufgabe der Mitarbeiter des Finanzamtes, im Gewerbeuntersagungs- oder Wiedergestattungsverfahren eigene Einschätzungen zur Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden abzugeben. Vorliegend ist die Klägerin wegen einer Fahrlässigkeit stat bestraft worden. Zwar mag auch die fahrlässige Begehung von Straftaten im Rahmen der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit von Bedeutung sein, es darf aber nicht aus dem Blick geraten, dass der Schuldvorwurf in einem solchen Fall geringer ist und der Gesetzgeber gewerberechtliche Folgen regelmäßig nur an Vorsatztaten knüpft (vgl. §§ 33 c Abs. 2 S. 2, 34 b Abs. 4 Nr. 1, 34 c Abs. 2 Nr. 1 GewO). Offenbar handelt es sich zudem um einen einzelnen Verstoß, jedenfalls lassen sich den Akten weitere Verurteilungen nicht entnehmen. Dass diese Straftat allein eine Aufrechterhaltung der Gewerbeuntersagung rechtfertigen kann, ist daher, auch unter Berücksichtigung ihres Gewerbebezuges, wenig wahrscheinlich (vgl. zur Bewertung von Straftaten eines Gewerbetreibenden: Landmann/Rohmer, a.a.O., Rn. 37 ff; Tettinger/Wank, a.a.O., § 35 Rn. Rn. 37; Leisner, GewArch 2008, 225, 229).
Bei dieser Sachlage kann der Klägerin Prozesskostenhilfe nicht versagt werden (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO). Die Entscheidung über die Beiordnung beruht auf § 166 VwGO und § 121 Abs.1 ZPO)