Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.11.2014, Az.: 13 LA 108/14

Sicherung des allgemeinen Lebensunterhalts durch Zahlung von Pflegegeld

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.11.2014
Aktenzeichen
13 LA 108/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 27460
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2014:1127.13LA108.14.0A

Fundstellen

  • AUAS 2015, 2-4
  • FStBW 2015, 937-939
  • FStHe 2015, 746-747
  • FStNds 2015, 456-457
  • FuBW 2015, 937-939
  • FuHe 2015, 746-747
  • FuNds 2015, 456-457
  • InfAuslR 2015, 49-50
  • KomVerw/B 2016, 19-21
  • KomVerw/LSA 2016, 13-15
  • KomVerw/MV 2016, 18-20
  • KomVerw/S 2016, 11-12
  • KomVerw/T 2016, 13-14
  • NZS 2015, 114
  • ZAR 2015, 11

Amtlicher Leitsatz

Das nach § 37 SGB XI gezahlte Pflegegeld dient nicht zur Sicherung des allgemeinen Lebensunterhalts nach § 9 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG.

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 1. Kammer - vom 21. Mai 2014 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren war abzulehnen, weil ihr Antrag auf Zulassung der Berufung aus den nachstehenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Für die Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten als Rechtsanwältin nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 1 ZPO ist mithin ebenfalls kein Raum.

Die Zulassung der Berufung setzt nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO voraus, dass einer der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe dargelegt ist und vorliegt. Eine hinreichende Darlegung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO erfordert, dass in der Begründung des Zulassungsantrags im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, weshalb der benannte Zulassungsgrund erfüllt sein soll. Zwar ist bei den Darlegungserfordernissen zu beachten, dass sie nicht in einer Weise ausgelegt und angewendet werden, welche die Beschreitung des eröffneten (Teil-)Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 12.3.2008 - 2 BvR 378/05 -; BVerfG, 2. Kammer des 1. Senats, Beschl. v. 24.1.2007 - 1 BvR 382/05 -; BVerfG, 1. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 21.1.2000 - 2 BvR 2125/97 -, jeweils zit. nach [...]). Erforderlich sind aber qualifizierte, ins Einzelne gehende, fallbezogene und aus sich heraus verständliche, auf den jeweiligen Zulassungsgrund bezogene und geordnete Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen.

Der dem Vortrag der Klägerin durch Auslegung allein zu entnehmende Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) wird nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt bzw. liegt nicht vor. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils können nur dann bestehen, wenn gegen dessen Richtigkeit gewichtige Gründe sprechen. Das ist regelmäßig der Fall, wenn ein die Entscheidung tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458; BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4/03 -, [...]). Ist das Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, müssen hinsichtlich aller Begründungen Zulassungsgründe dargelegt werden (Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll: VwGO, 5. Aufl., § 124a Rdnr. 82).

Nach diesen Grundsätzen lassen sich dem klägerischen Vorbringen keine Gesichtspunkte entnehmen, die ernstliche Zweifel an der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung begründen.

Im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht einen Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis wegen der fehlenden Sicherung ihres Lebensunterhalts verneint (vgl. § 26 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Die dagegen erhobenen Einwendungen der Klägerin greifen nicht durch. Insbesondere kann das Pflegegeld, das der Ehemann der Klägerin nach § 37 SGB XI erhält, dem Einkommen der zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann bestehenden Bedarfsgemeinschaft nicht hinzugerechnet werden. Das gilt unabhängig von der Beitragsfinanzierung des Pflegegeldes, da dieses nicht dazu bestimmt ist, den allgemeinen Lebensunterhalt zu sichern. Das Pflegegeld dient vielmehr der Sicherstellung der erforderlichen Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung des Pflegebedürftigen (§ 37 Abs. 1 Satz 2 SGB XI). Es tritt an die Stelle der Sachleistung des § 36 SGB XI, soll mithin einen besonderen - durch die Pflegebedürftigkeit hervorgerufenen - Bedarf decken und steht damit zur Bestreitung des allgemeinen Lebensbedarfs nicht zur Verfügung (so zu § 17 Abs. 2 Nr. 3 AuslG 1990: OVG NRW, Beschl. v. 21.1.1999 - 17 A 2175/98 -, [...], Rdnr. 9).

Auch bei einer isolierten Betrachtung der Einkommenssituation der Klägerin ergibt sich nichts Abweichendes. Selbst wenn der Ehemann das Pflegegeld in vollem Umfang an seine ihn pflegende Ehefrau weitergibt, was bislang nicht vorgetragen worden ist, besteht darauf kein rechtlicher Anspruch, der eine hinreichend sichere Prognose über die Einkommenssituation der Klägerin zulässt. Das Pflegegeld soll kein Entgelt für die von der Pflegeperson erbrachten Pflegeleistungen darstellen. Es setzt vielmehr den Pflegebedürftigen in den Stand, Angehörigen und sonstigen Pflegepersonen eine materielle Anerkennung für die mit großem Einsatz und Opferbereitschaft im häuslichen Bereich sichergestellte Pflege zukommen zu lassen (vgl. BT-Drs. 12/5262, S. 112). Das Pflegegeld kann nur der Pflegebedürftige und nicht die Pflegeperson beanspruchen (vgl. Hauck/Wilde, SGB XI, K § 37, Rdnr. 6, Loseblatt, Stand August 2012).

Die Klägerin ist auch rechtlich durch ihre Pflegetätigkeit nicht daran gehindert, mehr als 30 Stunden in der Woche einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Mit dem angeführten Schreiben der B. vom 21. August 2014 wird die Klägerin lediglich im Hinblick auf ihre Unfall- und Rentenversicherung aufgefordert, mitzuteilen, wenn sie eine Erwerbstätigkeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 30 Stunden aufnehmen sollte. Das Überschreiten dieser Grenze hat lediglich Einfluss auf die Zahlung von Beiträgen durch die Pflegekasse der B. an den zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 44 SGB XI (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz SGB XI). Eine rechtliche Unvereinbarkeit einer solchen Erwerbstätigkeit mit ihrer Pflegetätigkeit besteht nicht.

Von dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts kann nicht abgesehen werden.

Nach § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG wird von der Erteilungsvoraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG dann abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht erfüllen kann. Das Verwaltungsgericht hat dabei zutreffend darauf hingewiesen, dass die körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen bei dem die Niederlassungserlaubnis beantragenden Ausländer selbst vorliegen müssen. Eine (analoge) Anwendung des § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG auf den - auch hier von der Klägerin behaupteten - Fall, dass der Ausländer zwar nicht wegen einer eigenen Krankheit oder Behinderung, aber wegen der Pflege eines kranken oder behinderten Angehörigen zur Lebensunterhaltssicherung außerstande ist, ist daher von vorneherein ausgeschlossen (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.10.2008 - 1 C 34.07 -, [...], Rdnr. 15 ff.; Nds. OVG, Beschl. v. 30.11.2011 - 8 PA 186/11, [...], Rdnr. 8 m.w.N.). Auch die von der Klägerin als zwingend empfundene moralische Verpflichtung zur Pflege ihres Ehemannes kann folglich nicht zu einer analogen Anwendung des § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG führen.

Von der Erteilungsvoraussetzung der Unterhaltssicherung kann auch nicht durch Rückgriff auf die Regelung des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abgesehen werden. Der Gesetzgeber hat die durch eine Niederlassungserlaubnis gestärkte Rechtsposition in § 26 Abs. 4 AufenthG von dem in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG genannten Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts abhängig gemacht. Von dieser Voraussetzung kann nach der Gesetzessystematik nur unter den besonderen in § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG normierten - hier nicht vorliegenden - Voraussetzungen abgesehen werden. Ein Rückgriff auf die allgemeine Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, wonach ohne Normierung konkreter Voraussetzungen von der Anwendung der Absätze 1 und 2 des § 5 AufenthG und damit auch von dem Erfordernis der Unterhaltssicherung abgesehen werden kann, ist daher nicht möglich. Vielmehr trifft § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG insoweit eine abschließende Regelung und macht die Unterhaltssicherung bei der Niederlassungserlaubnis - anders als im Anwendungsbereich des § 5 AufenthG - mithin nicht zu einer Regelerteilungsvoraussetzung, sondern zu einer zwingenden Erteilungsvoraussetzung (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2010 - 1 C 21.09 -, [...], Rdnr. 23).

Die für die Pflege ihres Ehemannes erforderliche Fortsetzung des Aufenthalts der Klägerin hängt zudem nicht von der Erteilung der beantragten Niederlassungserlaubnis ab. Die Pflege kann vielmehr weiterhin aufgrund der der Klägerin bislang erteilten und jeweils verlängerten befristeten Aufenthaltserlaubnisse erbracht werden.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG und Nr. 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).