Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.11.2014, Az.: 14 PS 2/14
Auskunft; Beobachtung; Bindungswirkung; Feststellungsklage; Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörden; in-camera-Verfahren; Löschung; personenbezogene Daten; Quellenschutz; Rechtskraft; Streitgegenstand; Subsidiarität; Verfassungsschutz; Wohl des Landes
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 20.11.2014
- Aktenzeichen
- 14 PS 2/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 42574
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 26.06.2014 - AZ: 10 A 5548/11
Rechtsgrundlagen
- § 8 VerfSchG ND
- § 121 Nr 1 VwGO
- § 99 Abs 2 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Verweigerung der Vorlage von Urkunden oder Akten, der Übermittlung von elektronischen Dokumenten oder der Erteilung von Auskünften im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO feststellende Beschlüsse sind der materiellen Rechtskraft fähig. Sie sind im weiteren Verfahren zur Hauptsache wie ein rechtskräftiges Zwischenurteil zugrunde zu legen.
Tenor:
Die Weigerung des Beklagten, die vom Verwaltungsgericht Hannover - 10. Kammer - mit Beschluss vom 20. Juni 2014 angeforderten Akten vollständig vorzulegen, ist rechtswidrig, soweit sie sich auf Blatt ... bis ... , ... bis ... und ... bis ... der Beiakte F (Hauptakte/Sachakte des Beklagten zum Aktenzeichen ... ) bezieht. Im Übrigen ist die Weigerung des Beklagten rechtmäßig.
Gründe
I.
In dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht Hannover - 10 A 5548/11 - begehrt der Kläger die Feststellung, dass seine Beobachtung durch den H. seit dem 10. Juli 20.. bis heute und die während dieses Zeitraums erfolgte Erhebung und Speicherung personenbezogener Daten zu seiner Person rechtswidrig gewesen sind.
Mit Schreiben vom 27. Juni 20.. beantragte der Kläger bei dem H. die Erteilung einer Auskunft über die dort zu seiner Person gespeicherten Daten. Mit undatiertem, bei dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 15. September 20.. eingegangenen Schreiben teilte dieser neben allgemeinen biographischen Daten einen Teil der über den Kläger gespeicherten Erkenntnisse mit und wies darauf hin, dass er darüber hinaus Erkenntnisse über linksextremistische Aktivitäten des Klägers habe, über die er aus den in § 13 Abs. 2 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz genannten Gründen aber keine Auskunft erteile. Hierauf beantragte der Kläger mit Schreiben vom 10. Oktober 20.. die Löschung der zu seiner Person gespeicherten Daten, da die Voraussetzungen für eine Speicherung nicht vorlägen.
Der Kläger erhob am 10. Oktober 2011 bei dem Verwaltungsgericht Göttingen eine Klage - 1 A 192/11 -, mit der er die Verurteilung des Beklagten zur Erteilung vollständiger Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten personenbezogenen Daten (im Folgenden: Klage auf Auskunft) und die Feststellung begehrte, dass seine Beobachtung durch den H. seit dem 10. Juli 20.. bis heute einschließlich der während dieses Zeitraums erfolgten Erhebung und Speicherung von Daten zu seiner Person rechtswidrig gewesen ist (im Folgenden: Klage auf Feststellung). Am selben Tage erhob der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Göttingen eine weitere Klage - 1 A 246/11 -, mit der er die Verpflichtung des Beklagten begehrte, die über ihn in Dateien gespeicherten Daten zu löschen und die in Akten vorhandenen Daten zur sperren (im Folgenden: Klage auf Löschung).
Im Klageverfahren auf Auskunft legte der Beklagte auf die Aufforderung des Verwaltungsgerichts Göttingen nur einen Teil der bei ihm zur Person des Klägers geführten Verwaltungsvorgänge vor und erklärte mit Schriftsatz vom 5. Dezember 20.. , dass die Vorlage der vollständigen bei ihm geführten Vorgänge nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht erfolgen dürfe (Sperrerklärung). Auf den Antrag des Klägers stellte der Fachsenat mit Beschluss vom 23. März 2012 - 14 PS 1/12 - die Rechtmäßigkeit dieser Sperrerklärung fest. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 21. August 2012 - BVerwG 20 F 5.12 - zurück. Hierauf nahm der Kläger seine Klage auf Auskunft zurück.
Im Klageverfahren auf Löschung verpflichtete das Verwaltungsgericht Göttingen den Beklagten mit Urteil vom 6. November 2013, bestimmte, dem Kläger gegenüber offengelegte Daten in Dateien zu löschen bzw. in Akten zu sperren. Im Übrigen wies das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig ab; der Klageantrag sei mangels konkreter Bezeichnung der - gegenüber dem Kläger zu Recht nicht offen gelegten - Daten nicht hinreichend bestimmt.
Die Klage auf Feststellung trennte das Verwaltungsgericht Göttingen mit Beschluss vom 22. Dezember 2011 ab und verwies diese an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht Hannover - 10 A 5548/11 -. Mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2013 hat der Beklagte angesichts der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 6. November 2013 im Klageverfahren auf Löschung anerkannt, "dass die offengelegten Speicherungen seit dem 10. Juli 20.. rechtswidrig sind" (Blatt 152 der Gerichtsakte). Insoweit haben die Beteiligten das Klageverfahren auf Feststellung übereinstimmend für erledigt erklärt. Am 20. Juni 2014 hat das Verwaltungsgericht Hannover beschlossen, Beweis zu erheben "über den Inhalt der über den Kläger erhobenen und gespeicherten personenbezogenen Daten durch die Einsichtnahme in die vollständigen Vorgänge des Beklagten, die solche Daten enthalten", und den Beklagten aufgefordert, "sämtliche personenbezogene Daten des Klägers enthaltende Aktenbestandteile und damit insbesondere diejenigen Aktenteile vorzulegen, die Gegenstand des in-camera-Verfahrens vor dem Fachsenat zu Az. OVG 14 PS 1/12 und nachgehend dem Bundesverwaltungsgericht zu Az. BVerwG 20 F 5.12 waren", vorzulegen. Hierauf hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 24. Juni 2014 nur einen Teil der angeforderten Akten vorgelegt und im Übrigen erklärt, dass die Vorlage der vollständigen bei ihm geführten Vorgänge nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht erfolgen dürfe (Sperrerklärung). Zur Begründung verwies der Beklagte darauf, nach Durchsicht der Akten und Ausübung des Ermessens müsse davon ausgegangen werden, dass ein Bekanntwerden des Inhalts der nicht vorgelegten Aktenteile dem Wohl des E. Nachteile bereiten würde, da durch die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde einschließlich der Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschwert wäre. Der Schutz verfassungsschutzdienstlicher Informationen und Informationsquellen, Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung gebiete es, die fraglichen Dokumente geheim zu halten. Weiter begründete der Beklagte für die einzelnen zurückgehaltenen Aktenstücke jeweils konkret das Vorliegen der Geheimhaltungsgründe des Schutzes der Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes, der Informationsquellen und der Persönlichkeitsrechte und sonstiger Belange Dritter. Mit weiterem Schriftsatz vom 25. Juni 2014 hat er ausgeführt, "dass in Dateien noch erforderliche personenbezogene Daten zum Kläger auch über den Zeitpunkt der Sperrerklärung vom 5. Dezember 20.. hinaus gespeichert sind. Sie können aus den in der Sperrerklärung genannten Gründen nicht vorgelegt werden und sind von der Sperrerklärung vom 24. Juni 2014 erfasst." (Blatt 232 der Gerichtsakte) In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Hannover am 26. Juni 2014 hat der Kläger beantragt, festzustellen, dass seine Beobachtung durch den H. des Beklagten seit dem 10. Juli 20.. bis heute und die während dieses Zeitraums erfolgte Erhebung und Speicherung der nicht offengelegten Daten zu seiner Person rechtwidrig gewesen ist. Weiter hat er beantragt, gemäß § 99 Abs. 2 VwGO dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht die Akten zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung der Gewährung vollständiger Akteneinsicht durch den Beklagten vorzulegen.
Auf diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht Hannover mit Beschluss vom 26. Juni 2014 das Verfahren gemäß §§ 99 Abs. 2 Satz 4, 189 VwGO zur Durchführung eines Zwischenverfahrens an den zuständigen Fachsenat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts abgegeben. Es hat ausgeführt, dass die mit Beschluss vom 20. Juni 2014 vom Beklagten erforderten Akten entscheidungserheblich seien. Die Feststellungsklage des Klägers sei auch mit Blick auf die vom Verwaltungsgericht Göttingen bereits rechtskräftig entschiedene Klage auf Löschung zulässig und gegenüber dieser nicht subsidiär. Die Streitgegenstände beider Klagen seien nur teilidentisch. Die vom Kläger erstrebte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sammlung und Speicherung personenbezogener Daten sei nicht notwendig eine zu beantwortende Vorfrage im Klageverfahren auf Löschung. Das Verwaltungsgericht Göttingen habe die Klage auf Löschung hinsichtlich der nicht offen gelegten Daten zudem für unzulässig erachtet; der Kläger habe insoweit also keine Möglichkeit, Rechtsschutz durch eine Gestaltungsklage zu erlangen. Die Vorlage der erforderten Akten sei für die danach zu treffende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Sammlung und Speicherung personenbezogener Daten nach § 8 Abs. 1 NVerfSchG erheblich. Eine erneute Befassung des Fachsenats sei auch mit Blick auf dessen vorausgegangene Entscheidung vom 23. März 2012 - 14 PS 1/12 - erforderlich. Der Beklagte habe erklärt, dass seitdem weitere Erkenntnisse und Daten zu den Akten gelangt seien, und habe eine auf den Streitgegenstand der Klage auf Feststellung ausgerichtete neue Sperrerklärung abgegeben.
II.
Der Antrag des Klägers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Weigerung des Beklagten, die vom Verwaltungsgericht Hannover - 10. Kammer - mit Beschluss vom 20. Juni 2014 erforderten Akten vollständig vorzulegen, ist zulässig und (1.) und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet (2.).
1. Der Antrag des Klägers auf Entscheidung des nach § 189 VwGO gebildeten Fachsenats im selbstständigen Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO ist zulässig.
Der Antrag setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich eine förmliche Verlautbarung des Gerichts der Hauptsache voraus, dass es die von der obersten Aufsichtsbehörde zurückgehaltenen Akten, Unterlagen oder Dokumente für die Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts benötigt. Das Gericht der Hauptsache muss dabei durch Angabe des Beweisthemas deutlich machen, dass es die Unterlagen oder Dokumente als erheblich ansieht. Je nach Fallkonstellation darf sich das Hauptsachegericht dabei nicht allein auf die Angabe des Beweisthemas und der als entscheidungserheblich erachteten Aktenteile (Beweismittel) beschränken, sondern muss in den Gründen des Beschlusses zur Entscheidungserheblichkeit im konkreten Fall - sei es mit Blick auf die Zulässigkeit des Rechtsschutzbegehrens, sei es unter Darlegung der materiellrechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs sowie der fachgesetzlichen Ablehnungsgründe - Stellung nehmen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 2.11.2010 - BVerwG 20 F 2.10 -, NVwZ 2011, 233 f. m.w.N.).
Eine diesen Anforderungen genügende förmliche Verlautbarung zur rechtlichen Erheblichkeit des Akteninhalts für die Entscheidung des Rechtsstreits hat das Verwaltungsgericht Hannover hier getroffen. Es hat in seinen Beschlüssen vom 20. und 26. Juni 2014 hinreichend klar das Beweisthema und die als entscheidungserheblich erachteten Akten (Beweismittel) bezeichnet. Es hat auch die Entscheidungserheblichkeit der bezeichneten Akten bezogen auf den konkreten Fall nachvollziehbar begründet.
An diese nachvollziehbare Begründung der rechtlichen Erheblichkeit des Akteninhalts für die Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache ist der Fachsenat gebunden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 2.7.2009 - BVerwG 20 F 4.09 -, Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 54). Eine andere Beurteilung durch den Fachsenat kommt nur dann in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist oder wenn das Gericht der Hauptsache seiner Verpflichtung nicht genügt, die ihm nach dem Amtsermittlungsgrundsatz zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts zu erschöpfen, um auf dieser Grundlage über die Erforderlichkeit der Aktenvorlage zu entscheiden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.3.2013 - BVerwG 20 F 8.12 -, juris Rn. 11 m.w.N.).
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
Insbesondere ist die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Hannover zur mangelnden Subsidiarität der Klage auf Feststellung gegenüber der vom Verwaltungsgericht Göttingen mit Urteil vom 6. November 2013 - 1 A 246/11 - bereits entschiedenen Klage auf Löschung nicht offensichtlich fehlerhaft. Die in § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO angeordnete Subsidiarität steht der Zulässigkeit einer Feststellungsklage dann nicht entgegen, wenn eine Umgehung der für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltenden Bestimmungen über Fristen und Vorverfahren nicht droht und die Feststellungsklage den effektiveren Rechtsschutz bietet. Letzteres kann insbesondere dann der Fall sein, wenn eine zwischen den Parteien streitige Frage, die bei einer möglichen Gestaltungs- oder Leistungsklage allenfalls als Vorfrage oder neben weiteren Elementen des geltend zu machenden Anspruchs mit untergeordneter Bedeutung zu beantworten ist, sachgerecht und ihrem Rechtsschutzinteresse voll Rechnung tragend durch Feststellungsurteil geklärt werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.4.1997 - BVerwG 1 C 2.95 -, Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127, zur mangelnden Subsidiarität einer Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einsatzes verdeckter Ermittler gegenüber einer Klage auf Auskunft und Löschung der bei dem Einsatz verdeckter Ermittler gewonnen Daten, mit zahlreichen weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts). Diese Voraussetzungen sind nach den nachvollziehbaren Erwägungen des Verwaltungsgerichts Hannover im Beschluss vom 26. Juni 2014 hier erfüllt.
Der Zulässigkeit des Antrages nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO steht schließlich nicht die Rechtskraft der vorausgegangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. August 2012 - BVerwG 20 F 5.12 - und des Senats vom 23. März 2012 - 14 PS 1/12 - entgegen.
Die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Verweigerung der Vorlage von Urkunden oder Akten, der Übermittlung von elektronischen Dokumente oder der Erteilung von Auskünften im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO feststellende Beschlüsse sind zwar auch der materiellen Rechtskraft fähig (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.1.1968 - BVerwG VII B 75.67 -, BVerwGE 29, 72, 73; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 121 (Stand: Januar 2012) Rn. 15, und § 99 (Stand: September 2007) Rn. 48). Sie sind im weiteren Verfahren zur Hauptsache wie ein rechtskräftiges Zwischenurteil zugrunde zu legen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.10.1999 - 1 BvR 385/90 -, BVerfGE 101, 106, 120; BVerwG, Beschl. v. 24.11.2003 - BVerwG 20 F 13.03 -, BVerwGE 119, 229, 231). Ihre materielle Rechtskraft reicht aber nur so weit, wie über den Streitgegenstand entschieden worden ist (vgl. allgemein zum Streitgegenstandsbegriff: BVerwG, Urt. v. 30.1.2013 - BVerwG 8 C 2.12 -, Buchholz 316 § 49a VwVfG Nr. 12 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts). Streitgegenstand des Zwischenverfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO ist die von der zuständigen obersten Aufsichtsbehörde erklärte Weigerung, die vom Gericht angeforderten Urkunden oder Akten vorzulegen, elektronische Dokumente zu übermitteln oder Auskünfte zu erteilen.
Nach diesen Grundsätzen sind die Streitgegenstände dieses Verfahrens und der vorausgegangenen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht - BVerwG 20 F 5.12 - und dem Senat - 14 PS 1/12 - nicht identisch. Streitgegenstand der letztgenannten Verfahren war die Sperrerklärung vom 5. Dezember 20.. , die der Beklagte gegenüber dem Verwaltungsgericht Göttingen im Klageverfahren auf Auskunft und Feststellung auf die Aktenanforderung in der Verfügung des Vorsitzenden der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 10. Oktober 2011 abgegeben hatte. Streitgegenstand des jetzt geführten Zwischenverfahrens ist hingegen die Sperrerklärung vom 24. Juni 2014, die der Beklagte gegenüber dem Verwaltungsgericht Hannover auf die Aktenanforderung im Beschluss der 10. Kammer des Verwaltungsgericht Hannover vom 20. Juni 2014 abgegeben hat. Unerheblich ist, dass den Sperrerklärungen teilweise dieselben Akten zugrunde liegen und dass auch die Streitgegenstände der Hauptsacheverfahren jedenfalls zeit- und teilweise identisch gewesen sind.
2. Der Antrag des Klägers hat in der Sache aber nur teilweise Erfolg.
Die Sperrerklärung des Beklagten vom 24. Juni 2014 und die damit verbundene Weigerung des Beklagten, die vom Verwaltungsgericht Hannover - 10. Kammer - mit Beschluss vom 20. Juni 2014 erforderten Akten vollständig vorzulegen, ist rechtswidrig, soweit sie sich auf Blatt ... bis ... , ... bis ... und ... bis ... der Beiakte F (Hauptakte/Sachakte des Beklagten zum Aktenzeichen ... ) bezieht. Im Übrigen sind die Sperrerklärung und die damit verbundene Weigerung des Beklagten rechtmäßig.
Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften an das Gericht verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten oder Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage der Urkunden oder Akten oder die Erteilung der Auskünfte verweigern (§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des betroffenen Landes oder dem Bund Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.10.1999 - 1 BvR 385/90 -, BVerfGE 101, 106, 127 f.; BVerwG, Beschl. v. 7.11.2002 - BVerwG 2 AV 2.02 -, NVwZ 2003, 347, 348), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist unter anderem dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 2.7.2009, a.a.O.; Beschl. v. 5.2.2009 - BVerwG 20 F 24.08 -, juris Rn. 4).
Derartige Geheimhaltungsgründe hat der Beklagte hier geltend gemacht. Er hat mit auf den konkreten Einzelfall bezogenen, aussagekräftigen und nachvollziehbar begründeten Erläuterungen zur Bedeutung der zurückgehaltenen Erkenntnisse und der Notwendigkeit des Quellenschutzes in der Sperrerklärung ausgeführt, dass ein Bekanntwerden des Inhalts der nicht vorgelegten Aktenteile dem Wohl des E. Nachteile bereiten würde, da durch die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde einschließlich der Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschwert wäre. Der Schutz verfassungsschutzdienstlicher Informationen und Informationsquellen, Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung gebiete es, die fraglichen Dokumente geheim zu halten. Diese Geheimhaltungsgründe hat der Beklagte unter Angabe von Blattzahlen der paginierten Akten (siehe die Vorblätter zu den Beiakten E bis G im Zwischenverfahren 14 PS 2/14) den jeweiligen Aktenseiten konkret zugeordnet.
Der Senat hat die von dem Beklagten vorgelegten, uneingeschränkt lesbaren Aktenstücke (Beiakten E bis G im Zwischenverfahren 14 PS 2/14) auf das tatsächliche Vorliegen der mit den Sperrerklärungen geltend gemachten Geheimhaltungsgründe überprüft.
Hinsichtlich der als Blatt ... bis ... , ... bis ... und ... bis ... der Beiakte F (Hauptakte/Sachakte des Beklagten zum Aktenzeichen ... ) vorgelegten Unterlagen konnte der Senat nicht die Überzeugung gewinnen, dass objektiv ein vom Beklagten geltend gemachter Geheimhaltungsgrund im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorliegt. Der Senat hat anhand der Sperrerklärung vom 24. Juni 2014 und der Unterlagen selbst nicht feststellen können, dass das Bekanntwerden des Inhalts dieser Unterlagen die künftige Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren, Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung ermöglichen oder Informationsquellen gefährden würde.
Blatt ... bis ... , ... bis ... und ... bis ... der Beiakte F (Hauptakte/Sachakte des Beklagten zum Aktenzeichen ... ) enthalten Ausdrucke von Internetseiten und Blatt ... bis ... , ... bis ... und ... und der Beiakte F (Hauptakte/Sachakte des Beklagten zum Aktenzeichen ... ) enthalten Druckerzeugnisse, denen ein Bezug zu persönlichen Daten entweder vollständig fehlt oder bei denen ein solcher Bezug durch teilweise Schwärzungen unkenntlich gemacht werden kann. Aus den Unterlagen allein ist auch nicht zu erkennen, aus welcher Informationsquelle sie stammen, auf welchem Wege sie vom Beklagten beschafft wurden und zu welchem Zeitpunkt sie zu den Sachakten des Beklagten gelangten. Auch wenn es sich dabei nicht um allgemein zugängliche Unterlagen handeln sollte, waren sie jedenfalls nicht an einen konkreten Adressaten gerichtet, sondern von vorneherein einem größeren Personenkreis zugänglich. Dieser Personenkreis mit Zugang zu den genannten Unterlagen dürfte sich zudem im Laufe der vergangenen Zeit noch erheblich vergrößert haben. Auch Rückschlüsse auf einen abgrenzbaren Kreis oder gar eine von mehreren in Betracht kommenden Informationsquellen erscheinen daher jedenfalls heute nicht mehr möglich. Erlaubt damit aber weder die Unterlage selbst noch ihre Art, etwa die Zusammenstellung oder der Zeitpunkt ihrer Erlangung (vgl. zu diesem Aspekt: BVerwG, Beschl. v. 5.4.2012 - BVerwG 20 F 1.12 -, juris Rn. 5; Beschl. v. 7.1.2010 - BVerwG 20 F 5.09 -, NVwZ 2010, 706, 707), auch nur plausible Rückschlüsse darauf, aus welchem abgrenzbaren Kreis von Informationsquellen oder gar welcher konkreten Informationsquelle sie stammt (vgl. zu diesem Aspekt: BVerwG; Beschl. v. 21.8.2012 - BVerwG 20 F 5.12 -, juris Rn. 10; Beschl. v. 8.3.2010 - BVerwG 20 F 11.09 -, NJW 2010, 2295, 2297), ob sie überhaupt durch verdeckte Erkenntnisquellen gewonnen worden ist (vgl. zu diesem Aspekt: BVerwG, Beschl. v. 16.12.2010 - BVerwG 20 F 15.10 -, NVwZ-RR 2011, 261, 262) oder auf welchem Wege sie zu den Sachakten des Beklagten gelangt ist (vgl. zu diesem Aspekt: BVerwG, Beschl. v. 5.4.2012, a.a.O.), ist eine Geheimhaltung zum Zwecke des Quellenschutzes nicht gerechtfertigt.
Hinsichtlich der übrigen Aktenteile hat sich der Senat bei seiner Durchsicht, wie bereits im vorausgegangenen Verfahren 14 PS 1/12, davon überzeugt, dass die vom Beklagten mit der Sperrerklärung geltend gemachten Geheimhaltungsgründe tatsächlich vorliegen.
So ist die Bekanntgabe von in den Beiakten E bis G im Zwischenverfahren 14 PS 2/14 enthaltenen Unterlagen geeignet, die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden zu erschweren. Dies gilt zunächst für Dokumente, die den Erkenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde und deren Art und Weise der Informationserhebung wiedergeben. Dasselbe gilt aber auch für Dokumente(nteile) wie Vorgangsvorblätter, Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel, Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen. Denn diese sind geeignet, vor allem im Rahmen einer hier möglichen umfangreicheren Zusammenschau, die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden zu erschweren und Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung zu ermöglichen. Sie lassen Rückschlüsse auf geheime Einschätzungen und Entscheidungsbildungen der Sicherheitsbehörde auch in Sachfragen zu (vgl. BVerwG, Beschl. v. 1.8.2007 - BVerwG 20 F 10.06 -, juris Rn. 8; Beschl. v. 7.11.2002, a.a.O., S. 347). Und das gilt schließlich auch für solche Dokumente(nteile), die sich auf natürliche Personen zurückführen lassen. Insoweit besteht ein Geheimhaltungsbedürfnis aus Gründen der persönlichen Sicherheit dieser Personen oder zum Schutz von deren beruflich gebotener Anonymität (vgl. BVerwG, Beschl. v. 1.8.2007, a.a.O., Rn. 9; Beschl. v. 4.5.2006 - BVerwG 20 F 2.05 -, juris Rn. 4).
Schließlich enthalten die Beiakten F und G im Zwischenverfahren 14 PS 2/14 mit Quellenberichten und die Beiakte E im Zwischenverfahren 14 PS 2/14 mit einer nicht anonymisierten Zusammenfassung dieser Quellenberichte Unterlagen, deren Bekanntgabe die Gesundheit von Personen gefährden könnte. Aus diesen Dokumenten sind Einzelheiten zu Treffen, Zeitpunkten und Teilnehmern erkennbar, die jedenfalls den Beteiligten eine Eingrenzung oder sogar Konkretisierung der für den Beklagten operierenden Informationsquellen ermöglichen und so die Gefahr von körperlichen Übergriffen begründen. Darüber hinaus wäre der Bruch einer zugesagten dauerhaften Vertraulichkeit gegenüber den Informanten generell geeignet, die effektive Aufgabenwahrnehmung des Beklagten als H. zu beeinträchtigen, indem die künftige Anwerbung von Informanten erschwert würde (vgl. hierzu: BVerwG, Beschl. v. 10.1.2012 - BVerwG 20 F 1.11 -, juris Rn. 26 m.w.N.)
Die in den zurückgehaltenen Akten ergänzend befindlichen Dokumententeile, für die ein Geheimhaltungsbedarf nicht besteht, sind dem Verwaltungsgericht Hannover bereits als
- Beiakte A (offen gelegte Aktenteile der Beiakten F und G (Hauptakten/Sachakten des Beklagten zum Aktenzeichen ... )),
- Beiakte B (offen gelegte Aktenteile der Beiakte E (Beiakte/Auskunftsersuchen des Beklagten zum Aktenzeichen ... )),
- Beiakte C (Anlagen 1 bis 6 zum Schriftsatz des Beklagten v. 25.6.2014) und
- Beiakte D (Anlage B 2 zum Schriftsatz des Beklagten v. 24.6.2014)
im Hauptsacheverfahren - 10 A 5548/11 - vorgelegt worden. Insoweit besteht keine Weigerung des Beklagten zur Vorlage an das Verwaltungsgericht, deren Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit in diesem Zwischenverfahren festgestellt werden könnte.
Eine nähere Begründung muss hier unterbleiben, weil die Entscheidungsgründe nach § 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO Art und Inhalt der geheim gehaltenen Akten nicht erkennen lassen dürfen.
Die Entscheidung über die Verweigerung der Aktenvorlage bei bestehendem Geheimhaltungsbedarf erfordert grundsätzlich eine Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Durch die Ermessenseinräumung wird der obersten Aufsichtsbehörde die Möglichkeit eröffnet, dem öffentlichen Interesse und dem individuellen Interesse der Prozessparteien an der Wahrheitsfindung in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess den Vorrang vor dem Interesse an der Geheimhaltung der Schriftstücke zu geben. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO regelt die Auskunftserteilung und Aktenvorlage im Verhältnis der mit geheimhaltungsbedürftigen Vorgängen befassten Behörde zum Verwaltungsgericht, das in einem schwebenden Prozess für eine sachgerechte Entscheidung auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist. In diesem Verhältnis stellt das Gesetz die Auskunftserteilung und Aktenvorlage in das Ermessen der Behörde, lässt dieser also die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit zurückhält oder ob sie davon um des effektiven Rechtsschutzes willen absieht. Die oberste Aufsichtsbehörde muss in ihrer Sperrerklärung in nachvollziehbarer Weise erkennen lassen, dass sie gemessen an diesem Maßstab die Folgen der Verweigerung mit Blick auf den Prozessausgang gewichtet hat (vgl. BVerwG, Beschl. 31.1.2011 - BVerwG 20 F 18.10 -, juris Rn. 9 m.w.N.).
Die Sperrerklärung des Beklagten vom 24. Juni 2014 genügt den dargestellten Anforderungen, soweit für die offen gelegten Aktenteile ein objektiver Geheimhaltungsbedarf bejaht worden ist. Der Beklagte hat - in klarer Abgrenzung zu der nach der fachgesetzlichen Bestimmung des § 13 Abs. 2 NVerfSchG zu treffenden Ermessensentscheidung über die Ablehnung der Auskunftserteilung (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerwG, Beschl. v. 18.6.2008 - BVerwG 20 F 44.07 -, Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 49) - das ihm nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eingeräumte Ermessen erkannt und die Interessen des Landes an der Geheimhaltung mit den gegenläufigen privaten und öffentlichen Interessen an effektivem Rechtsschutz und umfassender Aufklärung des Sachverhalts abgewogen. Dabei hat er auch die journalistische Tätigkeit des Klägers berücksichtigt und nachvollziehbar dargestellt, dass diese nicht Anlass der Datenerhebung und -speicherung ist und daher im Rahmen der Abwägung keine gesteigerte Bedeutung erlangen, also das öffentliche Geheimhaltungsinteresse nicht überwiegen kann. Diese Ausführungen sind bezogen auf die individuellen Umstände des vorliegenden Falles zwar kurz gehalten, genügen aber noch den Anforderungen an eine Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Ermessensfehler sind nicht zu erkennen.
Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht. Denn es handelt sich im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren um einen unselbstständigen Zwischenstreit, für den das Gerichtskostengesetz einen Ansatz von Gerichtsgebühren nicht vorsieht und besondere anwaltliche Vergütungsansprüche nicht entstehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.12.2010, a.a.O., S. 263). Auch ein Streit- oder Gegenstandswert ist daher nicht festzusetzen.