Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.11.2014, Az.: 12 LB 140/14

Bewirkung der Erteilung einer Fahrerlaubnis mit der Aushändigung des Führerscheins

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
06.11.2014
Aktenzeichen
12 LB 140/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 25681
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2014:1106.12LB140.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Osnabrück - 18.09.2013 - AZ: 6 A 75/13

Fundstellen

  • NordÖR 2015, 103
  • SVR 2015, 231-232

Amtlicher Leitsatz

Ist eine Fahrerlaubnisprüfung nach § 15 FeV erforderlich, wird die Erteilung der Fahrerlaubnis auch im Sinne der Übergangsbestimmung des § 76 Nr. 10 Satz 3 FeV erst mit der Aushändigung des Führerscheins bewirkt (§ 22 Abs. 4 Satz 7 FeV).

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 6. Kammer (Einzelrichter) - vom 18. September 2013 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Erweiterung ihrer Fahrerlaubnis um die Klasse A (beschränkt).

Sie hatte zunächst am 24. August 2012 die Erweiterung ihrer Fahrerlaubnis um die Klasse A beantragt. Am 26. November 2012 nahm sie diesen Antrag zurück und beantragte stattdessen eine Ergänzung um die Klasse A (beschränkt). Mit dem Bestehen der praktischen Prüfung am 19. November 2012 lagen die Erteilungsvoraussetzungen vor. Ein entsprechender Führerschein wurde von der Beklagten am 27. November 2012 "bestellt" und lag ab dem 21. Dezember 2012 zur Abholung durch die Klägerin bereit. Am 21. Dezember 2012 benachrichtigte die Beklagte die Klägerin unter Übersendung einer Abholkarte.

Am 5. Februar 2013 verweigerte die Beklagte einem Bevollmächtigten der Klägerin die Herausgabe des Führerscheins und vernichtete diesen. Zugleich "bestellte" sie einen Führerschein gemäß den Bestimmungen des seit dem 19. Januar 2013 geltenden Rechts (Klasse A2). Dieser bis zum 10. Februar 2028 befristete Führerschein wurde der Klägerin am 28. Februar 2013 ausgehändigt.

Unter dem 8. Mai 2013 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie bei interessengerechter Auslegung ihres Begehrens die Erteilung einer unbefristeten Fahrerlaubnis der Klasse Abe (A "leistungsbeschränkt") gemäß den bis zum Ablauf des 18. Januar 2013 geltenden rechtlichen Bestimmungen begehrt.

Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, ihr eine unbefristete Fahrerlaubnis der Klasse Abe (A "leistungsbeschränkt") zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, das zum Zeitpunkt der Aushändigung des Führerscheins geltende Recht sei maßgebend, weil erst mit der Aushändigung die Fahrerlaubnis erteilt werde.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Zwar erfolge der Erwerb der Fahrerlaubnis, wie sich aus § 22 Abs. 4 Satz 7 FeV ergebe, (erst) mit der Aushändigung des Führerscheins bzw. einer befristeten Prüfbescheinigung. Dies sei für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren jedoch nicht ausschlaggebend. Vielmehr ergebe sich aus § 22 Abs. 3 FeV, dass der Antragsteller einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis unter Aushändigung des Führerscheins habe, sobald alle Voraussetzungen für die Erteilung der Fahrerlaubnis vorlägen. Die Bestimmung gebe dies der Behörde zwingend vor ("hat"). Dass dem Gesetzgeber in diesem Sinn zudem an einer unmittelbar auf die Erfüllung der Erteilungsvoraussetzungen folgende Erteilung der Fahrerlaubnis durch Aushändigung des Führerscheins gelegen war, zeigten die nachfolgenden Regelungen des § 22 Abs. 4 FeV. Nach dem unstreitigen Sachvortrag der Beteiligten hätten mit Bestehen der Prüfung am 19. November 2012 die Erteilungsvoraussetzungen für eine Fahrerlaubnis - zunächst im Sinn des "Stufenführerscheins" für die Klasse A (beschränkt) - vorgelegen. Dies sei auch vom zunächst weitergehenden Wortlaut des Antrags der Klägerin umfasst gewesen. So habe die Beklagte nach der Antragsanpassung am 27. November 2012 den Führerschein der Klasse A (beschränkt) auch "bestellt" und ab dem 21. Dezember 2012 zur Abholung bereitgehalten. Dem von der Klägerin "nach altem Recht" erworbenen Rechtsanspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis für die Klasse Abe (A "leistungsbeschränkt") sei durch Aushändigung dieser Fahrerlaubnis zu entsprechen gewesen. Der Rechtsanspruch sei nicht etwa infolge des Inkrafttretens "des neuen Rechts" zum 19. Januar 2013 erloschen oder verändert worden, weshalb dem Bevollmächtigten der Klägerin am 5. Februar 2013 der bereit liegende Führerschein hätte ausgehändigt werden müssen. Dass der Gesetzgeber davon ausgehe, dass die Fahrerlaubnis bereits im Zeitpunkt des Vorliegens der Erteilungsvoraussetzungen als erteilt anzusehen sei, belegten auch die Übergangsbestimmungen zu § 76 Nr. 10 FeV. So stelle der Satz 1 für den Tag des Inkrafttretens auf die Fahrerlaubnisprüfungen ab, die ab diesem Tag nur noch "nach neuem Recht" durchgeführt würden, das bedeute im Umkehrschluss bis zu diesem Tag sei die Prüfungen "nach altem Recht" durchzuführen gewesen und hätten dementsprechend zum Erwerb von Fahrerlaubnissen und Führerscheinen "nach altem Recht" geführt. Auch genüge nach Satz 2 sogar eine Antragstellung "bis zum Ablauf des 18. Januar", mithin unmittelbar bis zum Inkrafttreten des "neuen Rechts", um die Fahrerlaubnis "unter den bis zum Ablauf des 18. Januar 2013 geltenden Voraussetzungen", mithin nach "altem Recht" zu erteilen. Die nachfolgende Regelung (Sätze 3 und 4) sei deshalb hinsichtlich der Erteilung von Fahrerlaubnissen im Sinn der vorangehenden Bestimmungen zu verstehen, so dass nicht auf einen Erteilungsakt im Sinn einer tatsächlich vollzogenen Aushändigung eines Führerscheins abzustellen sei, sondern auf das Erfüllen der Anspruchsvoraussetzungen auf Erteilung der Fahrerlaubnis "nach altem Recht" und Aushändigung eines entsprechenden Führerscheins "nach altem Recht". Eine auf den tatsächlichen Aushändigungsakt hinsichtlich des Führerscheins abstellende formalisierte Betrachtungsweise werde dem gesetzgeberischen Anliegen, eine materiell-rechtliche Stichtagsregelung für die Voraussetzungen des Erwerbs einer Fahrerlaubnis zu schaffen, nicht gerecht.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit der vom Senat wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassenen Berufung.

Sie macht geltend, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht aus § 22 Abs. 3 FeV den Schluss gezogen, eine Fahrerlaubnis gelte bereits als "erteilt", wenn alle Erteilungsvoraussetzungen vorlägen. Die Norm des § 22 Abs. 3 FeV enthalte eine spezielle Regelung, die auf den hier vorliegenden Fall der Erteilung der Fahrerlaubnis nach § 22 Abs. 4 FeV nicht übertragbar sei. Einschlägig sei allein § 22 Abs. 4 Satz 7 FeV und danach werde eine Fahrerlaubnis erst mit der Aushändigung des Führerscheins "erteilt". Auch aus der Übergangsbestimmung des § 76 Nr. 10 FeV ergebe sich nichts anderes. Zwar richteten sich gemäß § 76 Nr. 10 Satz 1 und Satz 2 FeV die Voraussetzungen u. U. nach altem Recht, es ergebe sich aber aus dem unmittelbar anschließenden Satz 3, welche Fahrerlaubnisklasse auszustellen sei. Wenn die Fahrerlaubnis bis zum Stichtag nicht erteilt worden sei, sei entsprechend dieser Regelung der Antrag umzudeuten und - wie geschehen - statt der Klasse A (beschränkt) die Klasse A2 zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Osnabrück abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verweist im Wesentlichen auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts und ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die vom Senat wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage der Klägerin abweisen müssen.

Gemäß § 76 Nr. 10 Satz 3 FeV wird, wenn eine beantragte Fahrerlaubnis bis zum Ablauf des 18. Januar 2013 nicht erteilt wird, der Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse A (beschränkt) in einen für die Klasse A2 umgedeutet. § 22 Abs. 4 Satz 7 FeV bestimmt, dass die Fahrerlaubnis durch die Aushändigung des Führerscheins erteilt wird. Mithin konnte nach diesen Regelungen, in den Fällen, in denen der Führerschein am 18. Januar 2013 noch nicht ausgehändigt und damit die Fahrerlaubnis nicht erteilt war, eine Erteilung der Klasse A (beschränkt) nicht mehr erfolgen.

Soweit das Verwaltungsgericht und die Klägerin meinen, der Regelung des § 22 Abs. 3 FeV etwas für den vorliegenden Fall entnehmen zu können, überzeugt dies nicht. Die Norm des § 22 Abs. 3 FeV enthält eine spezielle Vorschrift, die auf den hier vorliegenden Fall der nachfolgend geregelten Erteilung der Fahrerlaubnis nach § 22 Abs. 4 FeV nicht übertragbar ist. Dies ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang und der Entstehungsgeschichte. In der Bundesratsdrucksache 443/98 vom 7. Mai 1998 heißt es auf Seite 273: "Absatz 3 betrifft den Fall, dass die Fahrerlaubnis ohne Fahrerlaubnisprüfung erteilt wird, z. B. bei der Neuerteilung nach vorangegangener Entziehung, wenn die Entziehung nicht länger als zwei Jahre zurückliegt, oder bei einem "Umtausch" einer ausländischen Fahrerlaubnis". Im vorliegenden Fall, in dem eine Fahrerlaubnisprüfung erforderlich war, ist insoweit allein § 22 Abs. 4 Satz 7 FeV einschlägig und danach wird die Fahrerlaubnis erst mit der Aushändigung des Führerscheins "erteilt".

Auch die Sätze 1 und 2 der Übergangsbestimmung des § 76 Nr. 10 FeV rechtfertigen es nicht, von dem Wortlaut des Satzes 3 in Verbindung mit § 22 Abs. 4 Satz 7 FeV abzuweichen. Zwar trifft es zu, dass Satz 1 und Satz 2 einen Antrag "bis zum Ablauf des 18. Januar 2013" genügen lassen, um eine Fahrerlaubnis unter den "bis zum Ablauf des 18. Januar 2013 geltenden Voraussetzungen" zu erteilen. Damit werden aber lediglich die Voraussetzungen für die Erteilung geregelt. Eine Aussage, welche Fahrerlaubnisklasse dann zu erteilen ist, ist damit nicht verbunden. Nach Auffassung des Senats ist auch in diesen Fällen, in denen sich die Voraussetzungen gemäß § 76 Nr. 10 Satz 1 bzw. Satz 2 FeV nach altem Recht richten, wenn die Fahrerlaubnis bis zum Stichtag nicht erteilt worden ist, der Antrag auf Erteilung der Klasse M, S oder A (beschränkt) gemäß § 76 Nr. 10 Satz 3 FeV umzudeuten und dann die Klasse AM bzw. A2 zu erteilen. Diese Auslegung wird dadurch bekräftigt, dass in der Begründung zu der bereits 2010 geschaffenen (dazu BR-Drs. 660/10) und 2012 im Wesentlichen übernommenen (dazu BR-Drs. 683/12) Übergangsvorschrift des § 76 Nr. 10 FeV die in Satz 3 für die neu gestalteten Klassen AM und A2 vorgesehene Umdeutung der Anträge als "Sonderbestimmung" im Verhältnis zu den Regelungen der Sätze 1 und 2 verstanden wurde (BR-Drs. 660/10, S. 63). Dort heißt es: "Die Übergangsregelungen zur Erteilung der Fahrerlaubnis in Buchstabe d (Neufassung der Nummer 10) stellen sicher, dass alle(n) Bewerber(n), die bis zum 18.01.2013 ihre Fahrerlaubnis beantragt haben und die Voraussetzungen an das Mindestalter erfüllen, ihre Fahrerlaubnis unabhängig vom Erteilungsdatum unter den bis zum 18.01.2013 geltenden Voraussetzungen erteilt wird. Nur bei den neu gestalteten Fahrerlaubnisklassen AM und A2 werden die bis zum 18.01.2013 beantragten Fahrerlaubnisklassen M, S und A (beschränkt) entsprechend der neuen Fahrerlaubnisklassen umgedeutet, wenn die Fahrerlaubnis nach dem 18.01.2013 erteilt wird. Zusätzlich bleibt eine bis zum 18.01.2013 abgelegte theoretische Prüfung in den Klassen M, S und A (beschränkt) für die umgedeuteten Anträge auf Erteilung der entsprechenden Klassen gültig."

Der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 27. Februar 2013 (- 1 B 28/13 -, [...]) kann, wie schon das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, für den vorliegenden Fall nichts entnommen werden. Dabei kann offenbleiben, ob ein sich aus § 1004 BGB analog ergebender Folgenbeseitigungsanspruch auch nach dem 18. Januar 2013 auf die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse A (beschränkt) gerichtet sein könnte. Ein solcher Anspruch würde nämlich ein rechtswidriges Handeln der Behörde voraussetzen. Wie dargelegt, entsprach es aber vorliegend gerade der Rechtslage, der Klägerin nach dem 19. Januar 2013 keine Fahrerlaubnis der Klasse A (beschränkt) mehr zu erteilen, sondern den Antrag umzudeuten und ihre Fahrerlaubnis um die Klasse A2 zu erweitern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.