Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.12.2016, Az.: 11 ME 214/16

Anordnungsanspruch; behördlicher Hinweis; Glücksspielstaatsvertrag; Internet; Internetverbot; objektiver Empfängerhorizont; Regelung; Verwaltungsakt; Willkürverbot; Zweitlotterie; örtliche Zuständigkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
12.12.2016
Aktenzeichen
11 ME 214/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43407
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 22.09.2016 - AZ: 10 B 5402/16

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Schreiben, in dem die zuständige Glücksspielaufsichtsbehörde den Anbieter einer App informatorisch darauf hinweist, dass die Veranstaltung und Vermittlung von Zweitlotterien im Internet nicht erlaubnisfähig seien, und betont, dass ihr daran gelegen sei, die Angelegenheit ohne behördliche Anordnung zu erledigen, ist kein Verwaltungsakt.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 10. Kammer - vom 22. September 2016 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit Sitz in B. und verfügt über eine befristete Glücksspiellizenz des Glücksspielministers in B. (Minister of Gambling). Sie bietet Glücksspiel im Internet in Form von sogenannten Zweitlotterien an. Mit Verfügung vom 26. Januar 2016 untersagte der Antragsgegner der Antragstellerin unter Fristsetzung von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Bescheides und unter Androhung eines Zwangsgeldes für jede Zuwiderhandlung in Höhe von 20.000 EUR (Ziffer 3.), im Internet unerlaubtes öffentliches Glücksspiel in Form von Wetten auf den Ausgang von Lotterien, insbesondere mit den unter den Domains C. und D. aufrufbaren Angeboten, in Niedersachsen zu vermitteln und zu bewerben (Ziffer 1 und 2). Hiergegen hat die Antragstellerin Klage - 10 A 1032/16 - erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Den zugleich gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Juli 2016 - 10 B 1065/16 - abgelehnt. Hiergegen hat die Antragstellerin Beschwerde - 11 ME 157/16 - eingelegt.

Nachdem dem Antragsgegner bekannt geworden war, dass eine Applikation für Mobilfunkgeräte (sogenannte App), die über den App-Store (iTunes) der E. vertrieben wurde, auf die Dienstleistungen der Antragstellerin verwies, wies er die E. mit Schreiben vom 4. Juli 2016 unter anderem unter Verweis auf die Verantwortlichkeit der Diensteanbieter „informatorisch“ darauf hin, dass die Veranstaltung und Vermittlung von Zweitlotterien nicht erlaubnisfähig sei, und betonte, dass ihm daran gelegen sei, die Angelegenheit ohne behördliche Anordnung zu erledigen. In der Folgezeit entfernte die E. die App der Antragstellerin aus ihrem deutschen App-Store.

Die Antragstellerin hat Klage (10 A 5401/16) erhoben mit dem Antrag, den feststellenden Verwaltungsakt der Antragsgegnerin vom 4. Juli 2016 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, die Vollzugsfolgen aufzuheben. Den zugleich gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss sowohl mit dem Hauptantrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, als auch mit dem Hilfsantrag, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, gegenüber der E. schriftlich mitzuteilen, dass das Schreiben vom 4. Juli 2016 bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache ihr, der Antragstellerin, gegenüber als gegenstandslos zu betrachten sei, abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Hauptantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei nicht statthaft, da es sich bei dem Schreiben des Antragsgegners vom 4. Juli 2016 nicht um einen Verwaltungsakt, sondern lediglich um einen Realakt in Form eines Hinweises bzw. einer Warnung ohne Regelungscharakter handele. Dies ergebe sich ungeachtet der Überschrift und des Untertitels aus den Formulierungen im Fließtext, die im Konjunktiv in Form einer vorläufigen Einschätzung der Rechtslage abgefasst seien und in denen ausdrücklich von einer lediglich „informatorischen Mitteilung“ und einer Erledigung der Angelegenheit „ohne behördliche Anordnung“ die Rede sei. Der Hilfsantrag nach § 123 Abs. 1 VwGO bleibe ohne Erfolg, weil die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht habe. Das Glücksspielangebot der Antragstellerin in Gestalt der Zweitlotterien sei, wie mit Beschluss vom 5. Juli 2016 (10 B 1065/16) ausgeführt, nicht erlaubt und auch nicht erlaubnisfähig.

Die dagegen vorgetragenen Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat als Beschwerdegericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen weder hinsichtlich des Hauptantrages (dazu 1.) noch hinsichtlich des Hilfsantrages (dazu 2.) zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

1. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen das Schreiben des Antragsgegners vom 4. Juli 2016 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist unzulässig.

Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, bei dem streitgegenständlichen Schreiben des Antragsgegners vom 4. Juli 2016 an die E. handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne der §§ 35 Satz 1 VwVfG, 1 Abs. 1 NVwVfG, da es aus der Sicht eines verständigen objektiven Betrachters sowohl nach der äußeren Form als auch nach dem Wortlaut des Schreibens an einer Regelungswirkung fehle. Der Senat macht sich diese Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu Eigen und verweist auf sie (§ 122 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Die Antragstellerin wendet zu Unrecht ein, das Verwaltungsgericht habe der in Fettdruck verfassten Überschrift des Schreibens „Vollzug des Glücksspielstaatsvertrags (GlüStV)“ und dem Untertitel „Bereithalten von Apps für unerlaubtes Glücksspiel im App Store“ keine hinreichende Bedeutung beigemessen. Sowohl die Überschrift als auch der Untertitel geben erkennbar lediglich den Gegenstand des Schreibens wieder, ohne dass hieraus nach dem maßgeblichen Verständnis der E. als Empfängerin des Schreibens hinreichende Rückschlüsse auf einen verbindlichen Regelungsgehalt gezogen werden können. Der fehlende Regelungscharakter ergibt sich hinreichend deutlich aus den gewählten Formulierungen im Fließtext des Schreibens. Im ersten Absatz dieses Schreibens heißt es unter Hinweis auf das vorherige Schreiben vom 23. Mai 2016, dass die im App-Store bereitgehaltenen und beworbenen Glücksspiel-Apps gegen die Bestimmungen des Glücksspielstaatsvertrags verstoßen „dürften“, und im zweiten Absatz teilt der Antragsgegner der E. nach nochmaliger Überprüfung der Inhalte des App-Stores mit, aufgrund der Beschreibungen der in der Anlage aufgeführten Glücksspiel-Apps sei zu „besorgen“, dass hierüber unerlaubtes öffentliches Glücksspiel veranstaltet oder vermittelt und beworben werde. Den Einwand der Antragstellerin, das Verwaltungsgericht habe diese Formulierungen aus ihrem Zusammenhang gerissen, teilt der Senat nicht.

Gleiches gilt für das Vorbringen der Antragstellerin, der Regelungscharakter des Schreibens vom 4. Juli 2016 ergebe sich ergänzend aus dem „gesamten Verfahrensablauf“, insbesondere aus der Bitte der E. nach einer eindeutigen verbindlichen Aufforderung durch den Antragsgegner als Reaktion auf dessen Schreiben vom 23. Mai 2016. Es trifft zwar zu, dass die E. in einer an den Antragsgegner gerichteten E-Mail vom 3. Juni 2016 um eine „Bestätigung“ gebeten hat, dass die angesprochenen Apps „gegen geltendes Recht verstoßen und aus dem iTunes Store gerichtet an deutsche Kunden entfernt werden müssen“. Der Antragsgegner weist in seiner Beschwerdeerwiderung aber zutreffend darauf hin, dass er in Reaktion auf diese Bitte lediglich das streitgegenständliche Schreiben verfasst und eine fernmündlich am 12. Oktober 2016 erneut ausgesprochene Bitte der E., eine konkrete behördliche Feststellung zu treffen, dass es sich bei der App der Antragstellerin um unerlaubtes Glücksspiel handele, ausdrücklich abgelehnt habe.

Im Ergebnis stellt das Schreiben des Antragsgegners vom 4. Juli 2016 auch nach Ansicht des Senats lediglich einen unverbindlichen Hinweis auf die aus Sicht des Antragsgegners bestehende Rechtslage und die damit einhergehenden Prüfpflichten der E. dar.

2. Den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO mit dem beantragten Inhalt hat das Verwaltungsgericht ebenfalls zu Recht mangels Vorliegens eines Anordnungsanspruchs abgelehnt.

Rechtsgrundlage für den in dem Schreiben des Antragsgegners vom 4. Juli 2016 an die E. gerichteten Hinweis ist § 9 Abs. 1 GlüStV in Verbindung mit §§ 22 Abs. 1, 23 Abs. 1 NGlüSpG. Hiernach überwacht der Antragsgegner die Erfüllung der durch das Niedersächsische Glücksspielgesetz und den Glücksspielstaatsvertrag begründeten öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen. Die Antragstellerin dringt mit ihrem Beschwerdeeinwand, der Antragsgegner habe in dem Schreiben kompetenzwidrig den Fokus der Überprüfung nicht hinreichend auf das Land Niedersachsen gelegt, sondern sich aus der maßgeblichen Sicht des objektiven Empfängerhorizontes der E. als Adressatin des Schreibens auch im Namen der übrigen Bundesländer auf das gesamte Bundesgebiet bezogen, nicht durch. Da in dem Schreiben des Antragsgegners vom 4. Juli 2016 an die E. von einer „aktualisierten Auswahlentscheidung des Landes Niedersachsen“ die Rede ist, liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die Kompetenzordnung vor. Im Übrigen wäre eine Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nach dem in §§ 46 VwVfG, 1 Abs. 1 NVwVfG zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgedanken unbeachtlich, da die Vermittlung und die Bewerbung von Zweitlotterien im gesamten Bundesgebiet nicht erlaubt ist, sodass eine etwaige Verletzung der Zuständigkeit das Vorgehen des Antragsgegners in der Sache nicht beeinflusst hätte.

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist auch nicht ersichtlich, dass das Schreiben des Antragsgegners vom 4. Juli 2016 gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Dem hierauf bezogenen ersten Beschwerdeeinwand der Antragstellerin, der Antragsgegner habe sie entgegen seiner eigenen Prioritätsliste für den Internetvollzug willkürlich „herausgegriffen“, ist der Antragsgegner zu Recht mit der Erwägung entgegengetreten, ein Vorgehen gegen die Antragstellerin und infolgedessen auch der streitgegenständliche Hinweis an die E. sei deshalb gerechtfertigt gewesen, weil die Antragstellerin nach Erstellen der Prioritätsliste die vormals von der unter Aufsicht des Antragsgegners stehenden F. betriebene Internetseite übernommen und umgewandelt habe und seitdem auf dieser Seite Zweitlotterien vermittele und bewerbe, ohne Bestands- und Neukunden über den Wechsel informiert zu haben. Es bestand folglich in dem vorliegenden Einzelfall Anlass zum Einschreiten.

Gleiches gilt für den weiteren Beschwerdeeinwand der Antragstellerin, der Antragsgegner sei aufgrund seiner Leitlinien zum abgestuften Vorgehen gegen Glücksspielangebote im App-Store in dem Vermerk vom 5. Juli 2016 verpflichtet, seinen Hinweis in dem Schreiben vom 4. Juli 2016 an die E. bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu revidieren, nachdem der Senat im Rahmen des Beschwerdeverfahrens 11 ME 157/16 den Antragsgegner mit Verfügung vom 18. August 2016 gebeten habe, bis zu einer Entscheidung des Senats über die Beschwerde von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen. Diese formlose Bitte des Senats war zum einen zukunftsgerichtet und sollte lediglich die Vollstreckung der dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren zugrunde liegenden Untersagungsverfügung vom 26. Januar 2016 vorübergehend aufschieben, sodass sich hieraus keine Verpflichtung des Antragsgegners ergab und ergibt, den Hinweis vom 4. Juli 2016 gegenüber der E. wieder rückgängig zu machen. Zum anderen hat der Senat die Beschwerde der Antragstellerin in dem Beschwerdeverfahren 11 ME 157/16 mit Beschluss vom heutigen Tag als unbegründet zurückgewiesen, sodass die genannte Bitte nunmehr gegenstandslos geworden ist und zudem mit Wirkung für das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes anzunehmen ist, dass sich die Untersagungsverfügung des Antragsgegners vom 26. Januar 2016 voraussichtlich als rechtmäßig erweisen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1, 45 Abs. 1 Satz 3, 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).