Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.12.2016, Az.: 1 LA 77/16

Befreiung; Grundzüge der Planung; Planungshoheit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
02.12.2016
Aktenzeichen
1 LA 77/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43416
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 21.04.2016 - AZ: 2 A 251/13

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Grundsatz, dass von im Angesicht des Falls getroffenen Festsetzungen keine Befreiung erteilt werden könne (BVerwG, Urt. v. 1.7.1972 - IV C 69.70 -), gilt auch nach Einführung des Erfordernisses des Nichtberührtseins der Grundzüge der Planung in § 31 Abs. 2 BauGB fort.

Ob es sich dabei um eine Art ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal handelt oder ob der Grundsatz nunmehr darüber Eingang in die Dogmatik des § 31 Abs. 2 BauGB findet, dass auch detailbezogene Planungsabsichten der Gemeinde zu den Grundzügen der Planung gehören, wenn sich die Gemeinde über einen bestimmten Anwendungsfall ihrer Festsetzungen einen dezidierten Willen gebildet hat, kann offen bleiben.

Eine andere Frage ist, ob dieser Grundsatz einer Befreiung auch dann entgegensteht, wenn sich seit der Aufstellung des Bebauungsplans die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse in einer Weise geändert haben, die die dem Ratswillen zugrundeliegenden Erwägungen in Frage stellte. Das dürfte zu bejahen sein.

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 2. Kammer - vom 21. April 2016 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Erteilung eines Bauvorbescheides für ein Wohnhaus auf einem Grundstück, das durch Bebauungsplan als Waldfläche festgesetzt ist; er hält den Bebauungsplan für unwirksam, hilfsweise meint er, ihm müsse eine Befreiung von der Festsetzung erteilt werden.

Der Kläger ist Eigentümer des südlich des D. Mühlenweges gelegenen ca. 20 m breiten und 90 m tiefen Flurstücks Nr. 103/31, Flur 2 der Gemarkung C.. Das Grundstück ist unbebaut und im Süden bewaldet; die ursprünglich auch im Norden vorhandenen Bäume sind gefällt. Im Süden und Südosten grenzt das Grundstück an weitere Waldflächen, insgesamt rd. 3 ha, an. Östlich und westlich des Grundstücks, entlang des D. Mühlenwegs, sind Ein- bis Zweifamilienhäuser errichtet, ebenso nördlich der Straße. Unmittelbar östlich des Grundstücks verläuft auf eigener Parzelle ein Fußweg in den Wald.

Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 10 der Beigeladenen, dessen Ursprungsfassung aus dem Jahr 1981 das Klägergrundstück, das westliche Nachbargrundstück und die weiteren noch heute bewaldeten Flächen als „Flächen für die Forstwirtschaft“ festgesetzt hatte. Das östlich angrenzende Wohngrundstück war als reines Wohngebiet festgesetzt, die sich daran anschließende sowie die westlich des westlichen Nachbargrundstücks gelegene Bebauung lag außerhalb des Plangebiets. Mit der am 15.3.2005 beschlossenen 1. Änderung des Plans wurde die Festsetzung von „Flächen für die Forstwirtschaft“, einem Obiter dictum des Senats in einem Urteil vom 14.7.1988 Rechnung tragend, für alle betroffenen Grundstücke durch die Festsetzung „Flächen für Wald“ ersetzt. Eine im Laufe des Planaufstellungsverfahrens, am 6.9.2002/25.4.2003 eingereichte Anregung des Klägers, eine Bebauung des Nordteils seines Grundstücks zu ermöglichen, hatte der Rat der Beigeladenen nach Einholung einer landschaftspflegerischen Stellungnahme vom 5.7.2003 am 4.11.2003 mit 6 : 6 Stimmen abgelehnt. Mit Ratsbeschluss vom 7.10.2008 regte die Gemeinde an, die bisherige Darstellung des nördlichen Klägergrundstücks als Wald im Flächennutzungsplan zugunsten einer Baulanddarstellung zu ändern.

Unter dem 7.10.2011 beantragte der Kläger die Erteilung eines Bauvorbescheids für ein Wohngebäude im nördlichen Drittel des Flurstücks 103/31, die der Beklagte ablehnte. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil mit der Begründung abgelehnt, dem Vorhaben stünden die Festsetzungen der 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 10 entgegen. Dieser Plan sei wirksam. Fehler im Abwägungsvorgang und Verfahrensfehler seien nach § 215 Abs. 1 BauGB präkludiert, Fehler im Abwägungsergebnis lägen nicht vor. Eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans käme nicht in Betracht. Für diese sei kein Raum, wenn der Plangeber eine Festsetzung „im Angesicht des Falles“ getroffen, namentlich die Anregung eines Grundstückseigentümers, bestimmte Festsetzungen zu treffen, ausdrücklich abgelehnt habe; anderenfalls werde in die gemeindliche Planungshoheit eingegriffen. So liege der Fall hier. Darauf, ob die fragliche Festsetzung die Grundzüge der Planung betreffe oder städtebaulich vertretbar sei, komme es daher nicht mehr an.

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung macht der Kläger die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 4 VwGO geltend. Das Urteil begegne ernstlichen Richtigkeitszweifeln zum einen hinsichtlich des Rechtssatzes, eine Befreiung sei (für immer) ausgeschlossen, wenn die Gemeinde im Bauleitplanverfahren Anregungen eines Grundstückseigentümers im Hinblick auf bestimmte Festsetzungen abgelehnt habe. Die diesen Rechtssatz stützenden obergerichtlichen Entscheidungen gingen auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.1972 (- IV C 69.70 -, BVerwGE 40, 268) zurück. Das Bundesverwaltungsgericht habe mit diesem Urteil nur den kommunalen Belangen Rechnung tragen wollen, die heute über das Verbot des Berührtseins der Grundzüge der Planung abgesichert würden; dieses Tatbestandsmerkmal sei im damals anwendbaren BBauG 1960 noch nicht enthalten gewesen. Der Rechtssatz sei auch deshalb falsch, weil er nicht berücksichtige, dass sich die der Ratsentscheidung zugrundeliegende Situation im Lauf der Zeit ändern könne. Schließlich widerspreche der Rechtssatz auch dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.11.1989 (- 4 B 163/89 -, juris Rn. 11, 14), wonach die Befreiung dem Ziel diene, städtebauliche Festsetzungen im Einzelfall zugunsten von Vorhaben zu überwinden, für die gute Gründe stritten und die jedenfalls die planerischen Vorstellungen nicht störten. Dass konkrete Gedanken des Rats zu einem Vorhaben die Befreiung ausschlössen, sei der Entscheidung gerade nicht zu entnehmen. Der fehlerhafte Rechtssatz sei auch entscheidungserheblich, denn die kodifizierten Befreiungsvoraussetzungen seien hier erfüllt; das Vorhaben berühre nicht die Grundzüge der Planung, da die Gemeinde bereits 2008 in einer Stellungnahme zur Änderung des Flächennutzungsplans mit großer Mehrheit eine Bebaubarkeit des Grundstücks befürwortet hätte, da im Norden ihres Grundstücks ohnehin kein Wald mehr vorhanden sei und da die Gemeinde mit der 1. Änderung zwar den Walderhalt, aber auch eine Siedlungsstruktur von gewissem Gewicht angestrebt habe. Das Vorhaben sei auch städtebaulich vertretbar, nachbarliche Belange würden nicht berührt, das Befreiungsermessen sei auf Null reduziert. Ernstlichen Zweifeln begegne das Urteil auch insoweit, als es einen Fehler im Abwägungsergebnis der 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 10 verneint habe. Die Behandlung der Klägerinteressen verletze den Gleichheitssatz. Auf den Flächen am Waldweg im Südwesten des Plangebiets sowie dem Nachbargrundstück des Klägergrundstücks werde die Bebaubarkeit zugelassen bzw. sogar erhöht, auf seinem Grundstück ausgeschlossen. Eine Abweichung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wird zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur „Typik“ bzw. Atypik als Befreiungsvoraussetzung gesehen.

II.

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO bestehen dann, wenn es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Gerichts mit plausiblen Gegenargumenten so in Frage zu stellen, dass sich am Entscheidungsergebnis etwas ändern könnte; eine überwiegende Obsiegenswahrscheinlichkeit ist demgegenüber nicht erforderlich. Dies darzulegen, ist dem Kläger nicht gelungen.

a) Dies gilt zunächst hinsichtlich der - einer Befreiungsprüfung denklogisch vorgelagerten - Einwände gegen die Wirksamkeit des Bebauungsplans. Der Kläger räumt selbst ein, dass ein Fehler im Abwägungsergebnis lediglich dann vorläge, wenn eine Wiederholung des Abwägungsvorgangs mit neuen Erwägungen schlechterdings nicht zum selben Ergebnis führen könnte. Der vom Kläger geltend gemachte Verstoß gegen den Gleichheitssatz würde dies nur dann bewirken, wenn sich keinerlei sachliche Differenzierungsgründe finden ließen, die eine Waldfestsetzung für das Klägergrundstück einerseits bei gleichzeitiger Gewährung von Baurecht für die Grundstücke nördlich des Waldweges bzw. gleichzeitiger Erweiterung der Nutzungsmöglichkeiten seines Nachbargrundstücks andererseits rechtfertigen könnten; dass sich der Rat in der Abwägung auf diese Differenzierungsgründe nicht berufen hat, ist demgegenüber ein bloßer Fehler im Abwägungsvorgang, dessen Präklusion der Kläger mit dem Zulassungsvorbringen nicht in Frage gestellt hat. Gleiches gälte, wenn sich der Rat hinsichtlich einzelner Festsetzungen irrig an den Flächennutzungsplan gebunden gesehen hätte, hinsichtlich anderer nicht. Tatsächlich lassen sich für beide vom Kläger angeführten Ungleichbehandlungen ohne weiteres Sachgründe benennen.

Die Grundstücke am Waldweg sind – anders als das Klägergrundstück – fast durchweg bebaut, so dass hier Bestandsschutzerwägungen greifen. Einzige Ausnahme ist das Flurstück 103/46; die dortige Baulücke ist indes viel kleiner als die vom Kläger- und dessen westlichem Nachbargrundstück gebildete. Der Rat hätte abwägungsfehlerfrei zu dem Schluss kommen können, dass die an dieser Stelle ermöglichte Schließung einer knapp 50 m breiten „Lücke“ eher hinzunehmen wäre als die bei Gewährung von Baurecht an den Kläger drohende Schließung einer 80 m breiten. Ferner hätte er bei der Abwägung im Jahr 2005 berücksichtigen können, dass im Süden des heutigen Flurstücks 103/46 bereits im Ursprungsbebauungsplan ein reines Wohngebiet festgesetzt war; selbst wenn diese Planfassung aufgrund der vom Senat in seinem Urteil vom 14.7.1988 geäußerten Bedenken unwirksam gewesen sein sollte, hätte der Rat doch ein aus diesem Plan herrührendes Vertrauen zugunsten des Eigentümers berücksichtigen können; ein vergleichbares Vertrauen konnte der Kläger nicht bilden, weil der Senat im gleichen Urteil die Frage einer Bebaubarkeit seines Grundstücks rechtskräftig zu seinen Lasten entschieden hatte. Schließlich liegen Waldweg und D. Mühlenweg so weit auseinander, dass der Rat ganz allgemein für beide Gebiete abweichende Planungsabsichten verfolgen durfte.

Der Vortrag zur ungerechtfertigten Bevorzugung des Nachbargrundstücks des Klägers ist schon tatsächlich unzutreffend. Das Baufenster für dieses Grundstück (D. Mühlenweg 32, nicht E. weg 32), wird durch den Plan nicht erweitert. Für das Grundstück E. weg 32 (auf der Planzeichnung E. weg 30a) wird das Baufenster zwar maßvoll erweitert, jedoch wird gerade nicht - was allein ein Präzedenzfall für den Kläger wäre - eine bislang unzerschnittene Waldfläche von ca. 80 m Durchmesser erstmals bebaubar gemacht; im Wesentlichen besteht die Erweiterung darin, das Baufenster an das des 15 m östlich gelegenen Nachbarhauses E. weg 30 anzuschließen.

b) Das Zulassungsvorbringen bietet auch keinen Anlass, den vom Verwaltungsgericht der Senatsrechtsprechung (Urt. v. 12.10.1994 - 1 L 555/93 -, BRS 56 Nr. 49 = NVwZ 1995, 914 = juris Rn. 8; ebenso OVG Münster, Urt. v. 20.2.2004 - 10 A 4840/01 -, NVwZ-RR 2005, 388 = juris Rn. 50 ff.; VGH Mannheim, Urt. v. 17.5.2013 - 3 S 1643/12 -, NVwZ-RR 2013, 912 = juris Rn. 35) entnommenen Rechtssatz, wenn die Gemeinde im Bauleitplanverfahren die Anregungen eines Grundstückseigentümers, bestimmte Festsetzungen im Bebauungsplan zu treffen, ausdrücklich abgelehnt habe, sei eine Befreiung für eine entsprechende Bebauung ausgeschlossen, im Berufungsverfahren erneut auf den Prüfstand zu stellen. Es lässt sich bereits im Zulassungsverfahren feststellen, dass die hiergegen angeführten Argumente des Klägers nicht überzeugen.

Zu Unrecht macht der Kläger geltend, die genannte Rechtsprechung könne deshalb keine Anwendung finden, weil sie auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.1972 - IV C 69.70 -, BVerwGE 40, 268 = BRS 25 Nr. 163 = juris Rn. 28 f. zurückgingen und dieses Urteil sich auf eine Fassung des Befreiungstatbestandes beziehe, in der der Planungshoheit noch nicht über das Erfordernis des Nichtberührtseins der Grundzüge der Planung Rechnung getragen werden konnte. Der Senat hat dies (a.a.O. juris Rn. 4) gesehen, jedoch dargelegt, dass die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts auch nach Schaffung dieses Tatbestandsmerkmals (zum damaligen Zeitpunkt jedenfalls für den vom OVG geprüften § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB) griffen. Daran ist festzuhalten. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit Einfügen dieses Merkmals das Wesen der Befreiung von einem Instrument zur Herbeiführung sachgerechter Ergebnisse innerhalb der „Lücken“ des „groben Rasters“ eines Bebauungsplans, also zur Ergänzung des planerischen Willens, hin zu einem Instrument ändern wollte, über das die Planungshoheit der Gemeinde von der Baugenehmigungsbehörde auf eine Art „Richtlinienkompetenz“ reduziert werden kann. Auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dies nicht zu entnehmen. So verdeutlicht die vom Kläger selbst angeführte Passage aus dem Beschluss vom 20.11.1989 - BVerwG 4 B 163/89 -, BRS 49 Nr. 175 = NVwZ 1990, 556 = juris Rn. 11, dass die Befreiungsmöglichkeit (nach wie vor) dem Umstand Rechnung tragen soll, dass sich der Plangeber regelmäßig – aber auch nur regelmäßig – eben keine Gedanken über jeden einzelnen Anwendungsfall gemacht hat. Ferner hat das Bundesverwaltungsgericht dort ausdrücklich ausgeführt, dass die Befreiung nur für Vorhaben angezeigt ist, „die … die planerischen Vorstellungen nicht stören“. Dementsprechend heißt es auch in dessen Beschluss vom 5.3.1999 - 4 B 5.99 -, BRS 62 Nr. 99 = NVwZ 1999, 1110 = juris Rn. 6, die Befreiung könne nicht als Vehikel dafür herhalten, die von der Gemeinde getroffene planerische Regelung beiseite zu schieben. Genau dies wird jedoch getan, wenn einem im Angesicht des Falles erklärten planerischen Willen der Gemeinde zuwidergehandelt wird, und zwar auch dann, wenn der planerische Wille nur eines von vielen mit gleicher Festsetzung belegten Grundstücken betrifft.

Ob der Grundsatz, dass „im Angesicht des Falles“ getroffene Festsetzungen nicht befreiungsfähig sind, nach Einfügen des Erfordernisses des Nichtberührtseins der Grundzüge der Planung weiterhin als eine Art ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in die einzelnen Befreiungstatbestände hineingelesen werden sollte (so wohl das Verwaltungsgericht und der Senat a.a.O.), oder ob er nicht eher darüber Eingang in die Dogmatik des § 31 Abs. 2 BauGB findet, dass auch detailbezogene Planungsabsichten der Gemeinde zu den Grundzügen der Planung gehören, wenn sich die Gemeinde über einen bestimmten Anwendungsfall ihrer Festsetzungen einen dezidierten Willen gebildet hat (so wohl Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 31 Rn. 36, letzter Abs.), ist für die Zulassungsentscheidung unerheblich. Denn auch wenn sie abweichend von der bisherigen Senatsrechtsprechung zu entscheiden wäre, würde sich am Entscheidungsergebnis nichts ändern.

Eine andere Frage ist, ob der vom Verwaltungsgericht herangezogene Rechtssatz der Erteilung einer Befreiung auch dann entgegensteht, wenn sich seit der Aufstellung des Bebauungsplans die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse in einer Weise geändert haben, die die dem Ratswillen zugrundeliegenden Erwägungen in Frage stellte. Das dürfte zu bejahen sein. In einem solchen Fall könnte nicht mehr die Rede davon sein, dass der Rat seine Festsetzung „im Angesicht des Falls“ getroffen habe, denn der Fall, den der Rat vor Augen hatte, beinhaltete ja die zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses maßgeblichen Verhältnisse. Es läge gerade kein Fall der Überwindung, sondern ein Fall der sachgerechten Ergänzung des ausdrücklichen Ratswillens vor. Gegenteiliges hat im Übrigen auch das Verwaltungsgericht, anders als der Kläger ihm durch den Klammerzusatz „für immer“ unterstellt, nicht ausgeführt. Der Kläger hat allerdings keinen Anwendungsfall dieser Ausnahme dargelegt. Dass die Bebauung in unmittelbarer Nachbarschaft seines Grundstücks seit Beschlussfassung über die 1. Änderung - auf diese, und nicht auf den Ursprungsplan kommt es an - wesentlich dichter geworden wäre, lässt sich einem Vergleich der Planzeichnung mit aktuellen Luftbildern nicht entnehmen. Die zeitweise Verschiebung von Ratsmehrheiten ist ebenfalls keine Änderung der Tatsachen, die den damaligen Rat, hätte er sie vorausgesehen, zu einer anderen Sicht der Dinge hätte bewegen können. Sie rechtfertigt keine Befreiung, sondern hätte allenfalls die Möglichkeit gegeben, den Plan zu ändern. Ebenso wenig lässt sich eine Befreiungslage mit dem Einwand begründen, der Rat sei bereits bei Satzungsbeschluss von falschen (rechtlichen) Voraussetzungen ausgegangen. Dies ist vielmehr ein Umstand, der innerhalb der Frist des § 215 Abs. 1 BauGB gegen die Wirksamkeit des Bebauungsplans hätte geltend gemacht werden können und müssen.

2. Die abschließend geltend gemachte Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits nicht ausreichend dargelegt. Ein konkreter Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts, dem der vom Verwaltungsgericht bemühte Rechtssatz widerspräche, ist im Rahmen dieser Rüge nicht dargelegt und geht auch aus dem Verweis auf die Ausführungen zu den ernstlichen Zweifeln nicht mit hinreichender Klarheit hervor. Sollte der Kläger sich auf das Zitat aus dem Beschluss vom 20.11.1989 – 4 B 163/89 –, juris Rn. 11, beziehen, läge eine Abweichung im Übrigen nicht vor. Zwar wird dort der vom Verwaltungsgericht angewandte Rechtssatz nicht ausdrücklich wiederholt. Die in der Zulassungsbegründung angeführten Passagen des Beschlusses widersprechen diesem Rechtssatz jedoch nicht; im Gegenteil: Wie weiter oben dargelegt, kommt in ihnen der Rechtssatz des Verwaltungsgerichts sogar sinngemäß zum Ausdruck. Sollte der Kläger meinen, dem genannten Beschluss lasse sich an irgendeiner Stelle der Rechtssatz entnehmen, einziges nicht ausdrücklich in § 31 Abs. 2 BauGB genanntes Erfordernis einer Befreiung sei eine „Atypik“ des Falls in dem Sinne, dass die Anzahl vergleichbarer Befreiungslagen im Plangebiet beschränkt sei, so träfe dies nicht zu. Bereits der Leitsatz „Ein atypischer Sachverhalt liegt jedenfalls nicht vor, wenn die Gründe, die für eine Befreiung streiten, für jedes oder nahezu für jedes Grundstück im Planbereich gegeben sind“ (Hervorh. d. Senats) zeigt, dass dies nicht der Fall ist.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).