Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.12.2010, Az.: 4 LC 318/08
Zurückverweisung einer Sache an das Verwaltungsgericht bei Heilung des Verfahrensfehlers der Behörde nach Aufhebung des angefochtenen Bescheids durch das Verwaltungsgericht
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 20.12.2010
- Aktenzeichen
- 4 LC 318/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 31265
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:1220.4LC318.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Osnabrück - 04.09.2008 - AZ: 4 A 163/06
Rechtsgrundlagen
- § 24 Abs. 1 SGB X
- § 41 Abs. 2 SGB X
- § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO
Fundstellen
- DVBl 2011, 187
- NVwZ-RR 2011, 264
- NordÖR 2011, 139-140
Amtlicher Leitsatz
Eine Sache kann auch dann an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen werden, wenn der Verfahrensfehler der Behörde, aufgrund dessen das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid ohne Prüfung der eigentlichen materiellrechtlichen Fragen aufgehoben hat, erst nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts geheilt worden ist.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt die Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 31. März 2006, mit dem dieser seinen Bewilligungsbescheid vom 31. Oktober 2003 aufgehoben und von der Klägerin die für die Zeit von August 2003 bis Juni 2004 gewährten Ausbildungsförderungsleistungen in Höhe von insgesamt 4.532 EUR zurückgefordert hat, ohne die Klägerin hierzu vorher angehört zu haben.
Im Übrigen nimmt der Senat hinsichtlich des Sach- und Streitstandes bis zur erstinstanzlichen Entscheidung gemäߧ 130 b Satz 1 VwGO analog Bezug auf den Tatbestand des Urteils des Verwaltungsgerichts.
Das Verwaltungsgericht hat, nachdem es in der mündlichen Verhandlung am 4. September 2008, zu der es zwei Zeugen für eine beabsichtigte Beweisaufnahme geladen hatte, von dem Beklagten auf die fehlende Anhörung der Klägerin hingewiesen worden ist, von der Durchführung der Beweisaufnahme abgesehen. Es hat den Bescheid des Beklagten vom 31. März 2006 durch Urteil vom 4. September 2008 mit der Begründung aufgehoben, dass der Beklagte bei Erlass des angefochtenen Bescheides gegen seine aus § 24 Abs. 1 SGB X folgende Verpflichtung zur Anhörung der Klägerin verstoßen habe und dieser Verfahrensmangel auch nicht gemäß § 41 Abs. 2 SGB X geheilt worden sei.
Gegen diese dem Beklagten am 16. September 2008 zugestellte Entscheidung richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene und am 10. Oktober 2008 eingelegte Berufung des Beklagten, zu deren Begründung er u.a. vorgetragen hat, dass er die fehlende Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 10. Oktober 2008 nachgeholt habe.
Nachdem der Beklagte zunächst die Abweisung der Klage beantragt hatte, beantragt er nunmehr sinngemäß,
den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Die anwaltlich nicht vertretene Klägerin hat zu der Berufung des Beklagten nicht Stellung genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten verwiesen.
II.
Die Berufung des Beklagten hat mit dem Zurückverweisungsantrag Erfolg. Der Senat verweist die Sache auf den Antrag des Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zur weiteren Verhandlung an dieses zurück.
Diese Entscheidung trifft der Senat nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 130 a Satz 1 VwGO analog (zur analogen Anwendung des § 130 a VwGO in diesen Fällen Eyermann/Fröhler, VwGO, 12. Aufl., § 130 Rn. 16) durch Beschluss, weil er den Zurückverweisungsantrag des Beklagten einstimmig für begründet hält und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren insoweit nicht als erforderlich ansieht.
Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen vor.
Danach darf das Oberverwaltungsgericht die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverweisen, wenn ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, das Verwaltungsgericht noch nicht in der Sache selbst entschieden hat und ein Beteiligter die Zurückverweisung beantragt.
Das Verwaltungsgericht hat hier noch nicht im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO in der Sache selbst entschieden.
Das Verwaltungsgericht hat nicht nur dann noch nicht in der Sache selbst entschieden, wenn es die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen hat. Darunter fallen vielmehr auch die Fälle, in denen das Verwaltungsgericht zu den eigentlichen Rechtsfragen nicht Stellung genommen hat, weil es in einer rechtlichen Vorfrage "die Weichen falsch gestellt" hat (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7.8.1998 - 11 B 1555/98 -, NVwZ-RR 1999, 540; Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Aufl., § 130 Rn. 6 b; Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 130 Rn. 12; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Mai 2010, § 130 Rn. 8), und die Fälle, in denen der angefochtene Verwaltungsakt allein aus formellen Gründen, etwa wegen eines Fehlers der Behörde im Verwaltungsverfahren aufgehoben worden ist, da diese Fehler nur wegen der besonderen Ausgestaltung der Anfechtungsklage zur Sach- und nicht zur Prozessabweisung führen und das Verwaltungsgericht auch bei dieser Fallgestaltung zu den eigentlichen materiellrechtlichen Fragen noch nicht Stellung genommen hat (Redeker/von Oertzen, a.a.O.; Sodan/Ziekow, a.a.O.; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O.). Zwar kommt in letztgenannten Fällen eine Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht regelmäßig nur dann in Betracht, wenn das Verwaltungsgericht zu Unrecht einen Fehler der Behörde angenommen hat, doch sind dem die Fälle gleichzusetzen, in denen zum Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung der Verfahrensfehler (noch) bestanden hat, dieser jedoch später (mit ex nunc - Wirkung) geheilt worden ist und ab diesem Zeitpunkt die Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts wegen dieses Verfahrensfehlers daher nicht mehr gerechtfertigt ist (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Bescheid vom 28.6.1956 - I A 1534/54 -, OVGE 11, 135, zu dem Fall, dass die Klage ohne weitere sachliche Prüfung aus einem nicht prozessrechtlichen Grund abgewiesen worden ist, der durch eine Gesetzesänderung hinfällig geworden ist). Denn in beiden Fällen fehlt eine Prüfung der eigentlichen materiellrechtlichen Fragen, die in einer weiteren Verhandlung nachzuholen ist, weil der vom Verwaltungsgericht angenommene Verfahrensfehler nicht bzw. nicht mehr besteht.
Hier hat das Verwaltungsgericht zu den eigentlichen materiellrechtlichen Fragen nicht Stellung genommen, weil es den angefochtenen Bescheid des Beklagten allein wegen der nach § 24 Abs. 1 SGB X erforderlichen, hier aber zunächst fehlenden Anhörung der Klägerin aufgehoben hat. Dieser Verfahrensfehler ist geheilt worden, da der Beklagte die Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 10. Oktober 2008 gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X rechtzeitig nachgeholt hat. Die allein auf diesen Verfahrensfehler gestützte Aufhebung des angefochtenen Bescheides des Beklagten durch das Verwaltungsgericht ist daher nicht mehr gerechtfertigt. Es ist nunmehr eine Prüfung der eigentlichen materiellrechtlichen Fragen notwendig.
Hierfür ist auch noch eine weitere Verhandlung erforderlich, da im Hinblick auf die entscheidungserhebliche Frage, ob hier ein anzuerkennendes Treuhandverhältnis bestanden hat, das die Übertragung von Vermögen auf die Großmutter der Klägerin kurz vor dem Antrag der Klägerin auf Gewährung von Ausbildungsförderung nicht als rechtsmissbräuchlich (siehe hierzu BVerwG, Urteil vom 13.1.1983 - 5 C 103.80 -, NJW 1983, 2829) erscheinen ließe, die Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nach den aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 4.9.2009 - 5 C 12.08 -, NVwZ 2009, 395 [BVerwG 04.09.2008 - BVerwG 5 C 12.08]) und des Senats (Beschlüsse vom 29.9.2009 - 4 LA 147/08 - und 30.4.2009 - 4 LA 129/08 -) insoweit zu stellenden Anforderungen keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme eines solchen Treuhandverhältnisses ergeben haben. Es ist daher zur abschließenden Klärung dieses Sachverhalts eine Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen notwendig, die vom Verwaltungsgericht auch beabsichtigt war, von der es jedoch wegen des erst in der in der mündlichen Verhandlung festgestellten Verfahrensfehlers der fehlenden Anhörung der Klägerin abgesehen hatte.
Schließlich hat der Beklagte auch die Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht beantragt, so dass die Sache gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts an dieses zurückverwiesen werden darf.