Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.05.2018, Az.: 8 ME 23/18
Erforderlichkeit einer Beschäftigungserlaubnis für die Tätigkeit eines geduldeten Ausländers im Rahmen einer betrieblichen Einstiegsqualifizierung; Unzureichende Mitwirkung an der Beschaffung eines Passes oder Passersatzpapiers
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 15.05.2018
- Aktenzeichen
- 8 ME 23/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 63562
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2018:0515.8ME23.18.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 23.02.2018 - AZ: 12 B 1078/18
Rechtsgrundlagen
- § 4 Abs. 2 S. 3 AufenthG 2004
- § 4 Abs. 3 AufenthG 2004
- § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 2 AufenthG 2004
- § 26 BBiG
- § 69 Abs. 1 BBiG
- § 32 Abs. 2 Nr. 1 BeschV
- § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 MiLoG
- § 54a SGB III
- § 7 SGB IV
Fundstellen
- FuBW 2019, 57-60
- FuNds 2019, 140-142
- NZA-RR 2018, 627-628
Amtlicher Leitsatz
Für die Tätigkeit eines geduldeten Ausländers im Rahmen einer betrieblichen Einstiegsqualifizierung ist eine Beschäftigungserlaubnis erforderlich.
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 12. Kammer - vom 23. Februar 2018 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin, die an einer Maßnahme der Einstiegsqualifizierung teilnehmen will und der Ansicht ist, hierzu bedürfe sie keiner Beschäftigungserlaubnis oder diese sei ihr zu erteilen, bleibt ohne Erfolg. Aus den mit ihr dargelegten Gründen, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu Unrecht abgelehnt hätte.
1. Die Antragstellerin beantragt,
im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festzustellen, dass sie für die Tätigkeit nach dem von ihr geschlossenen Einstiegsqualifizierungsvertrag mit der B. & Co. KG keine Beschäftigungserlaubnis benötigt, hilfsweise, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr eine Beschäftigungserlaubnis für diese Tätigkeit zu erteilen.
Das ergibt die Auslegung des auf "Gestattung" des "Praktikums" gerichteten Antrags. Aus dem weiteren Vorbringen ist abzuleiten, dass die Antragstellerin einerseits meint, es handele sich nicht um eine Tätigkeit, für die sie eine Beschäftigungserlaubnis benötige, und andererseits die Ablehnung der Erteilung einer solchen Erlaubnis für rechtswidrig hält. Haupt- und Hilfsantrag sind jedenfalls unbegründet.
2. Soweit die Antragstellerin die Feststellung begehrt, dass sie für die Tätigkeit nach dem Einstiegsqualifizierungsvertrag keine Beschäftigungserlaubnis benötigt, kann offen bleiben, ob eine vorläufige Feststellung dieses Inhalts im vorliegenden Verfahren nach § 123 VwO ergehen könnte. Jedenfalls ist diese Feststellung nicht zu treffen, weil die Tätigkeit beschäftigungserlaubnispflichtig ist.
Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist ein dazu berechtigender Aufenthaltstitel oder - im Falle einer Beschäftigung - eine Beschäftigungserlaubnis erforderlich, wenn ein Ausländer eine Erwerbstätigkeit ausübt. Erwerbstätigkeit ist die selbständige Tätigkeit und die Beschäftigung im Sinne von § 7 SGB IV (§ 2 Abs. 2 AufenthG). Gemäß § 7 Abs. 2 SGB IV gilt als Beschäftigung auch der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsbildung. Aus dem Begriff "Berufsbildung" ergibt sich, dass Tätigkeiten eingeschlossen sind, die nicht auf eine volle Berufsausbildung i.S.d. § 1 Abs. 2 BBiG gerichtet sind, aber auf einem Vertragsverhältnis i.S.d. § 26 BBiG beruhen. Daher gelten Volontäre, Praktikanten und Anlernlinge als zur Berufsausbildung beschäftigt. Das Merkmal des Erwerbs im Rahmen betrieblicher Berufsbildung setzt voraus, dass die Ausbildung in einen laufenden Produktions- oder Dienstleistungsprozess eingegliedert ist (vgl. BSG, Urt. v. 12.10.2000 - B 12 KR 7/00 R -, SGb 2001, 268, juris Rn. 19).
So verhält es sich mit der Einstiegsqualifizierung der Antragstellerin. Sie nimmt an dem Sprach- und Integrationsprojekt für jugendliche Flüchtlinge zur Vorbereitung auf eine betriebliche Ausbildung (SPRINT-Dual) der Bundesagentur für Arbeit und des Niedersächsischen Kultusministeriums teil. Hierbei umfasst die schulische Qualifizierung wöchentlich 1,5 Schultage, in den restlichen 3,5 Tagen findet die Qualifizierung im Betrieb statt. Hierzu hat die Antragstellerin den als "Einstiegsqualifizierungsvertrag gemäß § 54a Sozialgesetzbuch III" überschriebenen Vertrag vorgelegt.
Neben § 54a SGB III wird die Einstiegsqualifizierung durch §§ 68 ff. BBiG geregelt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 4.1.2017 - 11 S 2301/16 -, DVBl. 2017, 330, juris Rn. 13). Gemäß § 69 Abs. 1 BBiG dienen Maßnahmen nach diesen Vorschriften der Vermittlung von Grundlagen für den Erwerb beruflicher Handlungsfähigkeit i.S.d. § 1 Abs. 2 BBiG. Das ist nach der Präambel des Einstiegsqualifizierungsvertrages auch der Zweck der Tätigkeit der Antragstellerin. Wie sich aus der Überschrift des 4. Kapitels des 2. Teils des BBiG ergibt, gehören Maßnahmen der Berufsausbildungsvorbereitung wie die Einstiegsqualifizierung zur Berufsbildung. Damit handelt es sich zugleich i.S.d. § 26 BBiG um den Erwerb beruflicher Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder Erfahrungen, ohne dass es sich um eine Berufsausbildung handelt. § 26 BBiG gilt für den von der Antragstellerin geschlossenen Vertrag (so auch Bundesagentur für Arbeit, Brücke in die Berufsausbildung. Betriebliche Einstiegsqualifizierung (EQ), 2015). Die Ausbildung ist aufgrund ihres Schwerpunkts bei der durch den Einstiegsqualifizierungsvertrag geregelten Tätigkeit im Betrieb in den dortigen laufenden Dienstleistungsprozess eingegliedert.
Dass es sich bei der Tätigkeit im Rahmen der Einstiegsqualifizierung um eine Erwerbstätigkeit i.S.d. § 2 Abs. 2 AufenthG handelt, wird dadurch bestätigt, dass gemäß § 32 Abs. 2 Nr. 1 BeschV i.V.m. § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 MiLoG im Falle der Teilnahme an einer Einstiegsqualifizierung nach § 54a SGB III die Erteilung der Beschäftigungserlaubnis keiner Zustimmung durch die Bundesagentur für Arbeit bedarf. Damit setzt der Verordnungsgeber voraus, dass Ausländer für eine Einstiegsqualifizierung eine Beschäftigungserlaubnis benötigen.
Das Beschwerdevorbringen greift nicht durch. Dass es um Lernen und um eine Qualifizierung geht, steht der Annahme einer Erwerbstätigkeit schon nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 7 Abs. 2 SGB IV nicht entgegen. Soweit die Parteien des Einstiegsqualifizierungsvertrages kein Entgelt vereinbart haben, mag das § 26 i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG verletzen. Es ändert aber nichts an der Rechtsnatur der vereinbarten Einstiegsqualifizierung.
3. Soweit die Antragstellerin die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis begehrt, steht einem Anordnungsanspruch § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG entgegen. Nach dieser Vorschrift darf einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können. Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe gemäß § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Gleiches gilt, wenn das Abschiebungshindernis kausal auf einer schuldhaft unzureichenden Mitwirkung bei der Passbeschaffung beruht (vgl. Senatsbeschl. v. 12.8.2010 - 8 PA 183/10 -, AuAS 2010, 230; v. 26.2.2016 - 8 ME 21/16 -).
Die Antragstellerin hat an der Beschaffung eines Passes oder Passersatzpapiers unzureichend mitgewirkt. Deswegen können aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden. Jedenfalls durch E-Mail vom 31. Januar 2018 ist die Antragstellerin von der Antragsgegnerin aufgefordert worden, über Verwandte den Personalausweis und den Registerauszug zu beschaffen. Ob auch die entsprechende Aufforderung durch das Bundesamt dazu geführt hat, dass die Antragstellerin das Abschiebungshindernis zu vertreten hat, kann offen bleiben. Die Antragstellerin hat keine ernsthaften Bemühungen zur Erlangung dieser Dokumente nachgewiesen. Soweit die Beschwerde ausführt, die Eltern seien zerstritten und die Mutter wolle von der Antragstellerin nichts mehr wissen, bezeichnet sie keinen ausreichenden Grund, Versuche zur Wiedererlangung des Personalausweises - durch Schreiben oder durch die Beauftragung weiterer Angehöriger, die Papiere bei der Mutter abzuholen - von vornherein zu unterlassen.
Die fehlende Mitwirkung ist für die Unmöglichkeit der Abschiebung auch ursächlich. In dem Formular "Beantragung eines Rückreisedokumentes für eine sich illegal in Deutschland aufhaltende Person" wird die Angabe von Dokumenten zur Feststellung der Staatsangehörigkeit verlangt. Solange dort nur die Angabe "Keine" gemacht wird, verzögert sich die Ausstellung eines Laissez-passer durch die libanesische Botschaft.
Auf das übrige Beschwerdevorbringen kommt es nicht an. Die Bemühungen um einen Pass ändern an der Unmöglichkeit der Aufenthaltsbeendigung nichts, weil die libanesische Botschaft einen Pass, soweit ersichtlich, nur bei Erteilung eines Aufenthaltstitels ausstellt. Der Geschehensablauf bei der Vorsprache bei der Antragsgegnerin am 18. Oktober 2017 ist rechtlich unerheblich. Darauf hat auch das Verwaltungsgericht nicht abgestellt.